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# taz.de -- Wahlen und Referendum in Guinea: Blutige Machtprobe
> Vor einem mit Wahlen gekoppelten Verfassungsreferendum droht in Guinea
> ein Bürgerkrieg. Der Präsident verschiebt den Wahltermin in letzter
> Minute.
Bild: Regierungsgegner in Kämpfen mit der Polizei in Guineas Hauptstadt Conakry
Berlin taz | Wasser und Strom. Schulen und Krankenhäuser. Arbeit und Brot.
Saubere Wahlen und ein Ende der Polizeigewalt. Die Dinge, wofür seit Jahren
immer wieder wütende Menschen in Guinea auf die Straße gehen, sind die
Grundlagen des Überlebens. Seit einigen Monaten konzentriert sich der
Dauerfrust in einem der ärmsten Länder der Welt allerdings auf die Politik
und auf Präsident Alpha Condés freihändigen Umgang mit Recht und Gesetz.
Am ersten März, drei Tage vor seinem 82. Geburtstag, will es der Präsident
wissen. Die 13 Millionen Einwohner Guineas sollen an diesem Sonntag nicht
nur mit zwei Jahren Verspätung ein neues Parlament wählen, sondern auch
über eine neue Verfassung abstimmen, die an die Stelle der gültigen
Verfassung von 2010 treten soll.
Doch der Ärger darüber bei seinen Gegnern ist so groß, dass Condé am späten
Freitag abend den Wahltermin verschob. Nicht am 1. März, sondern am 15.
März sollen die Menschen nun abstimmen. Das Grundproblem ist damit aber
nicht gelöst – im Gegenteil: Die Opposition des Landes macht nun um so
heftiger mobil, um das ganze Projekt zu kippen.
Denn die neue Verfassung soll möglich machen, dass Condé, der seit 2010
regiert, auch über das Ende seiner zweiten gewählten fünfjährigen Amtszeit
in diesem Jahr hinaus weitermachen kann. Im neuen Verfassungsentwurf bleibt
die Anzahl der erlaubten gewählten Amtszeiten des Staatschefs auf zwei
begrenzt, aber bei einer neuen Verfassung beginnt die Zählung von vorne,
sodass Condé bei der nächsten Wahl zu seiner ersten, diesmal sechsjährigen
Amtszeit unter den neuen Regeln antreten könnte.
Ob er wirklich erneut kandidieren will oder nicht, hat Alpha Condé bis
heute nicht klar gesagt, aber seine Gegner, vereint in der „Nationalen
Front zur Verteidigung der Verfassung“ (FNDC), gehen fest davon aus, dass
Condé sich im Amt verewigen will, wie so viele andere afrikanische
Autokraten.
## Vom Hoffnungsträger zum Autokraten
Das Paradox dabei: Als Condé 2010 [1][der erste gewählte Präsident Guineas]
wurde, galt er noch als demokratischer Hoffnungsträger. Sein Amtsantritt
setzte damals einem halben Jahrhundert finsterer Militärdiktaturen ein
Ende. Condé, ein lange verfolgter sozialistischer Oppositionsführer, hatte
zuvor in der Haft seine Gesundheit eingebüßt und auch Zeit im Exil
verbracht.
Doch als Präsident überwand Condé weder die tiefe ethnische Polarisierung
der guineischen Politik noch die autoritären Reflexe des bis dahin bloß als
Repressionsapparat dienenden Staatsapparats. Die ökonomische Abhängigkeit
Guineas von ausländischen Bergbaukonzernen, die im guineischen Hochland die
weltgrößten Reserven des Aluminiumerzes Bauxit abbauen und undurchsichtige
Rechtsstreitigkeiten gegeneinander austragen, hat auch Condés Pläne der
Armutsbekämpfung bisher durchkreuzt.
Streiks, Proteste und Gewalt haben vor allem Condés zweite Amtszeit seit
2015 dominiert und in dieser Zeit mindestens 100 tote Demonstranten
gefordert, davon rund 30 seit Beginn der laufenden Protestwelle im
vergangenen Oktober.
Seit kurz vor Weihnachten 2019 das Verfassungsreferendum angekündigt wurde,
damals noch ohne Datum, hat sich die Opposition den Sturz des Präsidenten
auf die Fahnen geschrieben und hält eine Institution nach der anderen für
illegitim: Die Amtszeit des gewählten Parlaments lief bereits 2018 ab, die
Kommunalwahlen von 2018, die ersten seit dreizehn Jahren, waren von
Unregelmäßigkeiten begleitet.
## Beide Seiten setzen auf Eskalation
Seit dem 13. Januar gilt ein Oppositionsaufruf zu „unbegrenzten“ Protesten.
Am ersten Protesttag wurde in der Hauptstadt Conakry ein 21-jähriger
Student erschossen, ein Generalstreik legte die Stadt lahm. In der Stadt
Labé starb ein 18-jähriger Schüler per Kopfschuss; seine Freunde zündeten
daraufhin das Gerichtsgebäude, die Präfektur sowie das Büro der
Regierungspartei an.
Das Klima hat sich seitdem nicht entspannt. Beide Seiten setzen auf
Eskalation. Die FNDC nannte den ersten blutigen Protesttag einen „Erfolg“.
Als die Afrikanische Union den äthiopischen Ministerpräsidenten und
Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed zur Vermittlung schickte, empörte sich
Condé, der Abiys Großvater sein könnte, dass „niemand Guinea diktieren
wird, was es zu tun hat“.
Die Regierung sagt, Oppositionspolitiker würden Jugendliche zu Gewalt
aufhetzen. Doch Furore machte unlängst auch ein Video aus Conakry, auf dem
ein Polizist beim Vorrücken gegen steinewerfende Demonstranten eine Frau –
Mutter von fünf Kindern, wie sich herausstellte – als menschliches
Schutzschild vor sich hertreibt. Immerhin wurde dieser Polizist vor Gericht
gestellt.
Inzwischen herrscht faktisch Ausnahmezustand. Guineas Armee ist seit
Dienstag landesweit in Alarmbereitschaft. Die Opposition will das
Verfassungsgericht einschalten, um da Referendum zu verhindern, und ruft zu
weiteren Protesten auf. Die Zeichen stehen auf Sturm.
29 Feb 2020
## LINKS
[1] /Praesident-Alpha-Conde/!5132135
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Guinea
Alpha Condé
Bürgerkrieg
Bergbau
Schwerpunkt Klimagerechtigkeit
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