# taz.de -- Unternehmerin über Geflüchtete mit Job: „Wir sind froh, dass wi… | |
> Antje von Dewitz kämpft dafür, dass Geflüchtete mit Arbeitsvertrag nicht | |
> abgeschoben werden. Ein Gespräch über Engagement und Geschäft. | |
Bild: In der Manufaktur des Bergsportausrüsters Vaude arbeiten inzwischen 13 G… | |
taz: Frau von Dewitz, Sie haben die Unternehmer-Initiative „Bleiberecht | |
durch Arbeit“ gegründet. Wie kam es dazu? | |
Antje von Dewitz: 2016 haben wir im Unternehmen angefangen, Verantwortung | |
für die Integration von [1][Geflüchteten] zu übernehmen. Damals dachten wir | |
noch gar nicht daran, Leute einzustellen, weil wir gar keine freien Stellen | |
hatten. Stattdessen haben wir Nähworkshops angeboten, oder einen Tag der | |
offenen Tür, auch Freizeitangebote. | |
Das war erfolgreich? | |
Wir haben festgestellt, dass das Interesse an unseren Freizeitangeboten | |
sehr gering war, aber das Interesse der meisten Geflüchteten, ganz schnell | |
einen Job zu kriegen, riesengroß. Da gab es einige Leute, die sich mit | |
textiler Verarbeitung auskannten, zum Beispiel nigerianische Designer oder | |
afghanische Näher. Die haben dann erst einmal Praktika bei uns gemacht. | |
Wie viele Geflüchtete arbeiten heute bei Ihnen? | |
Heute beschäftigen wir 13 Geflüchtete. Diese Integration war eine richtig | |
taffe Zeit für uns. Es gab viel Hilfsbereitschaft im Haus, durch | |
Mitarbeiter, die Patenschaften übernommen haben, die mit zu Ämtern gegangen | |
sind und Deutschkurse organisiert haben. Das ist alles mit viel Aufwand | |
verbunden. Die meisten hatten noch nie in einem Unternehmen gearbeitet, | |
schon gar nicht in einem deutschen. | |
Klingt als hätten alle an einem Strang gezogen. | |
Ja schon. Aber gleichzeitig haben wir auch festgestellt: Oh, es gibt bei | |
uns im Haus aber auch die gleichen Ängste, wie im Rest von Deutschland. Wir | |
haben dann angefangen, Integration und Diversität auf die Tagesordnung zu | |
setzen und die Führungskräfte entsprechend zu schulen. Zugleich habe ich | |
aber auch eine harte Kante gezeigt und gesagt: Wer das nicht möchte, der | |
muss sich fragen, ob wir das richtige Unternehmen für ihn sind. Es war ein | |
langer, teurer und anstrengender Prozess. Aber das Ergebnis ist, dass | |
unsere Mitarbeiter gut integriert sind, einen wertvollen Beitrag leisten | |
und das Team geschlossen hinter ihnen steht. | |
Sie hätten es sich ja auch einfacher machen können. | |
Ja und nein, denn wir sind schon auch auf die geflüchteten Mitarbeiter | |
angewiesen. Bei uns in der Region gibt es praktisch keine Arbeitslosigkeit | |
und allgemein wenig Interessenten für diese Art von handwerklichen, | |
produzierenden Arbeitsplätzen, die es in unserer Manufaktur gibt. Es ist da | |
[2][schwierig jemanden zu finden]. Wir sind also froh, dass wir sie haben. | |
Sie haben alles gemacht wie es sich die Bundesregierung nach 2015 von | |
Unternehmern gewünscht hat. | |
Genau, so hatte ich das damals auch verstanden. Wir wurden dann für unser | |
Engagement auch zweimal ausgezeichnet. Einmal auf nationaler Ebene und | |
einmal vom Land. Und zwei Wochen nach der Preisverleihung kamen bei unseren | |
Angestellten die ersten Abschiebebescheide ins Haus. Das war wie ein Schlag | |
ins Gesicht, wir konnten es nicht fassen. | |
Was sagen Ihnen denn die Politiker, die Ihnen eben noch Preise verliehen | |
haben, wie so etwas sein kann? | |
Das Regierungspräsidium zum Beispiel hat das ganz gut zusammengefasst: Die | |
Geflüchteten sollten arbeiten, damit die Sozialkassen entlastet werden, | |
nicht damit sie bleiben. | |
Eine offene Auskunft. | |
Wissen Sie, ich verstehe ja: Es gibt [3][kein richtiges | |
Einwanderungsgesetz] sondern nur ein Asylrecht, und die Geflüchteten sind | |
über das Asylrecht gekommen und dürfen nur bleiben, wenn es einen Asylgrund | |
gibt. Das ist so. Aber das verschleiert ja, dass 2015 niemand wusste, wer | |
ein Recht hat zu bleiben und wer nicht. | |
War der Aufruf zur Integration nur ein Lippenbekenntnis? | |
Nein, es gibt schon sehr viele Politiker, die uns recht geben. Aber ich | |
höre halt auch, dass sie Angst haben, den rechten Rand zu stärken, wenn sie | |
gut Integrierte ohne Asylgrund hier behalten. Mein trauriger Eindruck ist, | |
dass Politik nicht gestaltet, sondern aus Angst vor Kräften von rechts | |
zögert und damit Unsinn zulässt. | |
Politiker sagen auch, es kann nicht sein, dass Unternehmer mittels | |
Arbeitsvertrag entscheiden, wer im Land bleiben darf und wer nicht. | |
Auch das kann ich im Prinzip nachvollziehen, aber genau aus diesem Grund | |
wurde ja im Beschäftigungsduldungsgesetz, das seit 1. 1. 2020 gilt, ein | |
Stichtag vorgesehen. Es gilt nur für Menschen, die bis 1. 8. 2018 ins Land | |
gekommen sind. Wenn das Gesetz also halten würde, was es verspricht, würde | |
es eben einen Spurwechsel aus dem Asyl in die Einwanderung für jene | |
ermöglichen, die zwischen 2015 und 2018 gekommen sind. Aber leider ist das | |
Gesetz bewusst so gestaltet worden, dass es eine Farce ist. | |
Was sagen Sie Ihren geflüchteten Mitarbeitern? | |
Wir sagen Ihnen, dass wir alles tun, damit sie bleiben können. Aber unsere | |
Rolle gibt wirklich Anlass zu Zynismus: In Baden-Württemberg wird häufig | |
gerade in den Unternehmen abgeschoben. Weil die Mitarbeiterinnen und | |
Mitarbeiter ganz ordentlich zur Arbeit kommen, weiß die Polizei, dass sie | |
sie dort antrifft. Bei uns ist das aber zum Glück noch nicht passiert. | |
Wer ist bei der Unternehmer-Initiative dabei? | |
Das sind mittlerweile fast 200 Unternehmen, vor allem in Baden-Württemberg: | |
Handwerksbetriebe, Metzgereien, Pflegeeinrichtungen bis hin zur Deutschen | |
Post oder der EnBW. Bei einer Pressekonferenz in Berlin haben wir auch | |
Verbände aus Sachsen und Sachsen-Anhalt kennengelernt, die sich aus dem | |
gleichen Grund gegründet haben. Auch dort mangelt es an Arbeitskräften für | |
einfache anzulernende Tätigkeiten. | |
Und alle Mitglieder sind Überzeugungstäter, wie Sie? | |
Das ist eine bunte Mischung. Wir haben einen Unternehmer, der beschäftigt | |
60 Geflüchtete, für den hängt eine Menge davon ab. Wir haben Metzgereien | |
oder Handwerker dabei, die können den Betrieb nicht mehr aufrechterhalten, | |
wenn ihre Hilfskräfte abgeschoben werden. Dann gibt es Unternehmer, die | |
sich mit Herz und Seele für ihre Geflüchteten eingesetzt haben. Die gehören | |
dann fast zur Familie. | |
Die Regierungskoalition in Ihrem Bundesland hat sich ja jetzt geeinigt, | |
Fälle von Beschäftigten, denen die Abschiebung droht, dem | |
Härtefallausschuss vorzulegen. Ist das Problem in Baden-Württemberg damit | |
gelöst? | |
Wir begrüßen die Einigung grundsätzlich, aber leider hat dieser Beschluss | |
einen großen Haken: Die Änderung gilt nur für Geflüchtete, die vor dem 29. | |
2. 2016 nach Deutschland gekommen sind und schränkt damit den Personenkreis | |
extrem ein. Hinzu kommt, dass die Empfehlungen der Härtefallkommission | |
derzeit in Baden-Württemberg bei mindestens 50 Prozent der Fälle abgelehnt | |
werden. Daher ist der Beschluss leider kein Anlass zu großer Hoffnung. | |
Wie hoch ist der Frust unter den Unternehmern? | |
Die Stimmung ist: Ausgerechnet die Partei, die sich als Anwalt des | |
Mittelstandes darstellt, macht so einen ökonomischen Unsinn. Dabei sind | |
sich in der Union nicht mal alle einig in dieser Frage. Die | |
CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann und auch die baden-württembergische | |
Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut sprechen sich für andere | |
Lösungen aus. | |
Kostet Sie das gesellschaftliche Engagement als Unternehmen nicht auch | |
Kunden? | |
Manche wenden sich von uns ab, aber andere wenden sich uns aber auch | |
bewusst wieder zu. Wenn ich Interviews zu unseren Engagement für | |
Geflüchtete gebe, dann geht eine Welle von Hass über mich nieder. Aber wir | |
engagieren uns ja ganz bewusst für Themen, die wir für richtig halten. | |
Spätestens seit Trump haben wir gesagt, die Rolle von Unternehmen in der | |
Gesellschaft muss sich ändern. Und wenn ich als Unternehmerin, die es | |
gewohnt ist, auch mal im Sturm zu stehen, zurückweiche, wie soll es da den | |
anderen in der Gesellschaft gehen, die sich engagieren? | |
6 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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