# taz.de -- Vorwahlen in den USA: Superstar Sanders | |
> Nach dem „Super Tuesday“ könnte Bernie Sanders der | |
> Präsidentschaftskandidat der Demokraten sein. Doch der Parteiapparat | |
> versucht, das zu verhindern. | |
Bild: Tyler Tamvasco verkauft Bernie-Sanders-Masken in New Hampshire | |
Die Basis bestimmt. So lautet das Prinzip der Vorwahlen in den USA. Danach | |
suchen nicht die Parteiapparate, sondern die WählerInnen aus, wer | |
kandidieren darf. Sie haben monatelang Gelegenheit, die KandidatInnen | |
persönlich zu treffen. Können sie beschnüffeln und befragen, ihnen auf die | |
Schulter klopfen und mit ihnen für Selfies posieren. | |
Es ist ein kompliziertes, extrem kleinteiliges, langwieriges und teures | |
Verfahren, in dem das Land mit 320 Millionen EinwohnerInnen auf | |
Gesprächskreise rund um einen Tisch im Diner oder im Wohnzimmer schrumpft. | |
Aber ist das Verfahren wirklich so transparent und demokratisch, wie es | |
scheint? Der gegenwärtige Siegeszug von Bernie Sanders zeigt die Grenzen | |
des vermeintlich basisdemokratischen Systems. Der demokratische Sozialist | |
aus dem kleinen Staat Vermont hat sich überraschend schnell und eindeutig | |
als Favorit im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur profiliert. Er hat | |
in drei von vier bisherigen Vorwahlen (in Iowa, New Hampshire und Nevada) | |
die meisten Stimmen bekommen und seinen Vorsprung vor den nachfolgenden | |
KonkurrentInnen jedes Mal vergrößert. | |
In Nevada, wo nicht nur Euro-AmerikanerInnen, sondern auch eine starke | |
Latino- und eine kleinere afroamerikanische Bevölkerung wählen, kam er | |
zuletzt auf 46,8 Prozent. Alle anderen KandidatInnen folgten weit | |
abgeschlagen. Joe Biden, der unter Barack Obama acht Jahre lang | |
Vizepräsident war, machte 20,2 Prozent, Pete Buttigieg, der schwule | |
Ex-Bürgermeister der Kleinstadt South Bend in Indiana, bekam 14,3 Prozent, | |
und Elizabeth Warren, die Juraprofessorin und Senatorin aus Massachusetts, | |
landete bei 9,7 Prozent. [1][Bei der jüngsten Vorwahl in South Carolina | |
zeichnete sich allerdings ein Sieg von Ex-Vizepräsident Biden ab.] | |
Kommenden Dienstag ist „Super Tuesday“, an dem 14 Bundesstaaten und das | |
Territorium Samoa ihre PräsidentschaftskandidatInnen wählen. Stimmen die | |
Umfragen, wird Sanders danach kaum noch einholbar sein. Selbst wenn Sanders | |
auch nach Auszählung aller Stimmen der Vorwahl in South Carolina hinter Joe | |
Biden landet, hätte er nach dem Super Tuesday eine starke demokratische | |
Basis quer durch das Land hinter sich. | |
## Im Stile von Olof Palme und Willy Brandt | |
Der alte Mann, der seit Jahrzehnten ein populistisches Programm vertritt, | |
dessen Ziele an Sozialdemokraten im Stil von Olof Palme und Willy Brandt | |
erinnern, ist der Star der jungen DemokratInnen in den USA geworden. Sie | |
wollen den 78-Jährigen zum Präsidenten, der staatliche Krankenversicherung | |
für alle, öffentliche Universitäten ohne Studiengebühren, Steuererhöhungen | |
für SpitzenverdienerInnen, eine Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar, | |
Lohnfortzahlungen für den Krankheitsfall und einen Green New Deal | |
vorschlägt. | |
[2][Die Jungen sind prominenter Teil einer landesweiten Graswurzelbewegung, | |
die ihresgleichen sucht]. Sie haben in den zurückliegenden Jahren durch | |
Sanders neues Zutrauen in die institutionelle Politik gefunden, sind | |
Mitglieder der Demokratischen Partei geworden, haben WählerInnen | |
registriert, lokale Ämter erobert und Demonstrationen, Diskussionen und | |
Petitionen organisiert. | |
Und sie klopfen jetzt an Hunderttausende Haustüren und telefonieren sich | |
durch das Land, um andere von „Bernie’s“ Programm zu überzeugen. Doch au… | |
bei den übrigen DemokratInnen – von ArbeiterInnen bis zur gebildeten | |
Mittelschicht, quer durch alle ethnischen und religiösen und Gruppen – ist | |
Sanders der beliebteste Kandidat. Nur die über 65-jährigen DemokratInnen | |
halten Abstand. | |
Mit über fünf Millionen einzelnen SpenderInnen hat Sanders eine so breit | |
gefächerte finanzielle Basis geschaffen wie noch kein Kanditat vor ihm. Die | |
meisten Umfragen geben die Einschätzung ab, dass Sanders gegen Donald Trump | |
gewinnen wird. Allerdings geben diese Umfragen auch den meisten anderen | |
demokratischen KandidatInnen – wenngleich nicht ganz so deutlich – | |
Gewinnchancen gegen Trump. | |
Ein Mehrheitsvotum, das sich wiederholt, eine solide Finanzierung und eine | |
massive Mobilisierung von neuen und jungen Parteimitgliedern und | |
WählerInnen sowie positive Umfragen – die Demokratische Partei könnte | |
erleichtert sein. Sie könnte entspannt dazu übergehen, die vielfachen | |
Spaltungen im Inneren der Partei zu überwinden, um ihre [3][Kräfte für das | |
gemeinsame Vorgehen gegen Trump zu bündeln] und sich auf die großen Ziele | |
im November zu konzentrieren: den Machtwechsel im Weißen Haus, die | |
Bestätigung ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus und die Eroberung der | |
Mehrheit des Senats. | |
Stattdessen kommen Untergangsparolen aus dem Parteiapparat, von den | |
Geldgebern der Partei und den JournalistInnen, die ihr nahestehen. Alle | |
gemeinsam fallen sie dem bislang erfolgreichsten Kandidaten in den Rücken. | |
Die letzte demokratische Präsidentschaftskandidatin, Hillary Clinton, die | |
weiterhin andere für ihr Scheitern gegen Trump verantwortlich macht, | |
eröffnete die Feindseligkeiten, als sie über Sanders sagte: „Niemand mag | |
ihn, niemand will mit ihm zusammenarbeiten, und er kriegt nichts hin.“ | |
James Carville, seit Jahrzehnten demokratischer Berater, nannte Sanders’ | |
UnterstützerInnen „dumm“ und erklärte: „Nur ein Narr kann glauben, er | |
könnte gewinnen.“ Joe Lockhart, ehemaliger Sprecher von Bill Clinton, | |
flehte den Multimilliardär Mike Bloomberg an, sein Bankkonto zu nutzen, um | |
Sanders loszuwerden. Und der demokratische Kandidat Buttigieg warnte zum | |
wiederholten Mal vor Sanders „revolutionärer Radikalität“, die nach seiner | |
Ansicht die WählerInnen verschrecke. | |
Dann rastete Chris Matthews, ein prominenter Moderator des Senders MSNBC, | |
aus. Schon ein paar Tage zuvor hatte er vor „Hinrichtungen im Central Park“ | |
gewarnt, falls „der Sozialismus siegt“. Am Wahlabend in Nevada verglich er | |
Sanders’ dortigen Erfolg mit der Invasion der Nazis in Frankreichs. Erst | |
als die Forderung nach Matthews Entlassung ertönte, entschuldigte der sich. | |
Mitte Februar informierte der US-Geheimdienst sowohl Präsident Trump als | |
auch den Kandidaten Sanders, dass Russland sich zu ihrer beider Gunsten in | |
die Wahlen einmische. Trump reagierte wütend – jedoch nicht auf Wladimir | |
Putin, sondern auf seinen Geheimdienst, und ersetzte dessen Spitze mit dem | |
US-Botschafter in Berlin Richard Grenell, der zwar keine Erfahrung hat, | |
aber ein Trump-Getreuer ist. Sanders hingegen reagierte, als wäre er | |
bereits Präsident und verurteilte in einer öffentlichen Erklärung jeden | |
russischen Einmischungsversuch. | |
Sanders’ innerparteiliche GegnerInnen konnten der Versuchung nicht | |
widerstehen. Bei der jüngsten Debatte sagte Bloomberg: „Russland hilft | |
Ihnen, gewählt zu werden, damit Sie anschließend gegen Trump verlieren“. | |
Sanders antwortete daraufhin in einem Interview: „Das Establishment flippt | |
aus. Genau wie die kommerziellen Medien, die Wall Street, die | |
Pharmaindustrie, die Versicherungen und die Fossile Brennstoffindustrie“. | |
Er fügte hinzu: „Und tatsächlich haben sie alle Grund, beunruhigt zu sein.�… | |
## Schulterzucken bei den Jungen | |
Sanders’ junge Basis ist für den Antikommunismus und die anderen Reflexe | |
der älteren DemokratInnen wenig empfänglich. Viele von ihnen sind nach dem | |
Ende der Sowjetunion zur Welt gekommen. Die markierenden Ereignisse auf dem | |
Weg ihrer Politisierung sind erdrückende Schuldenlasten (unter anderem | |
wegen Universitätsgebühren), die Finanzkrise von 2007 und die | |
galoppierenden Spitzengehälter, während ihre eigenen Löhne sowie die ihrer | |
Eltern seit Jahrzehnten stagnieren. | |
Sanders’ Aussage, Fidel Castro sei zwar ein Diktator gewesen, habe aber für | |
die Alphabetisierung Kubas gesorgt, empörte zwar viele DemokratInnen in | |
Florida, wo viele vor Castro geflohene KubanerInnen leben. Sanders’ junge | |
AnhängerInnen aber zuckten bloß die Schultern. Sie empfinden es auch nicht | |
als Nestbeschmutzung, dass Sanders die Interventionen der USA in Chile, | |
Guatemala und Iran kritisiert. | |
Bis zu den Erfolgen der Vorwahlen erklärten Sanders’ parteiinterne | |
GegnerInnen, er sei „zu alt“. Jetzt, wo der gleichaltrige Mike Bloomberg | |
kandidiert, ist das kein Thema mehr. Stattdessen ist das Hauptargument | |
jetzt Sanders’„Unwählbarkeit“. Dabei wird unterschlagen, dass andere | |
KandidatInnen, wie zuletzt Hillary Clinton, nicht gewählt wurden. | |
Und auch, dass Bloomberg schon mal 11,7 Millionen Dollar für die | |
Wahlkampagne des Republikaners und „Lebensschützers“ Pat Toomey in | |
Pennsylvania ausgab und ihm so zu einer knappen Wiederwahl in den Senat | |
verhalf – gegen Katie McGinty, eine Umweltschützerin und Feministin aus der | |
Demokratischen Partei. Mit 0,25 Millionen Dollar verhalf Bloomberg auch | |
Trumps Getreuen Lindsey Graham zur Wiederwahl in den Senat. Erst 2018 trat | |
der frühere Republikaner Bloomberg in die Demokratischen Partei ein. | |
## Eine halbe Milliarde Dollar – bis jetzt | |
Bloomberg selbst beschreibt sich als Finanzier der blauen – demokratischen | |
– Welle von 2018. Da habe er 100 Millionen Dollar ausgegeben, damit 21 neue | |
demokratische Abgeordnete ins Repräsentantenhaus kommen. Für seinen eigenen | |
Wahlkampf – insbesondere in Fernsehspots – hat er bislang rund eine halbe | |
Milliarde Dollar investiert. | |
Sollte es bis zum demokratischen Nominierungsparteitag im Juli dabei | |
bleiben, dass weder Bloombergs Millionen noch die Argumente der drei | |
anderen KandidatInnen (Joe Biden, Michael Bloomberg, Amy Klobuchar) die | |
Basis besonders beeindrucken, könnte die Partei einen anderen Trick | |
versuchen, um Sanders zu verhindern. | |
Falls er als Kandidat mit den meisten Delegierten zum Parteitag nach | |
Milwaukee kommt, aber die Mehrheit von 1991 Delegierten verfehlt, die nötig | |
ist, um im ersten Wahlgang zu siegen, wollen die KandidatInnen einen | |
zweiten Wahldurchgang abhalten. In diesem stimmen 771 „Superdelegierte“ | |
mit, das sind demokratische WürdenträgerInnen wie SenatorInnen, | |
Kongressmitgliedern und GouverneurInnen. Sie fühlen sich mehrheitlich dem | |
Parteiapparat verpflichtet und nicht der Basis. | |
1 Mar 2020 | |
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