# taz.de -- Manipulation bei Navigationsdienst: Berliner Künstler hackt Google… | |
> Ein Künstler täuscht dem Navigationsdienst verstopfte Straßen vor. Alles | |
> was er dafür brauchte: einen Handkarren und 99 Smartphones. | |
Bild: Google hat seine Augen und Sensoren überall | |
BERLIN taz | Er brauchte nur einen klapprigen Handwagen und 99 gebrauchte | |
Smartphones, um die Routenplanung im Kartendienst Google Maps zu | |
manipulieren. Wie das geht? Der Berliner Künstler Simon Weckert zog seinen | |
befüllten Handwagen hinter sich her, wie er [1][auf seiner Website | |
schreibt]. Maps erkannte den smartphonebeladenen Handkarren als Stau – und | |
färbte die Straßen rot. | |
Der Kartendienst leitete andere Autofahrer*innen deshalb um, damit sie | |
nicht im Stau stehen – behauptet zumindest Weckert, der mit seinem | |
Handwagen freie Fahrt hatte. Er lief über die Schillingbrücke zwischen den | |
Stadtteilen Kreuzberg und Friedrichshain und überquerte die Michaelbrücke. | |
Anschließend machte er eine kurze Pause vor dem Berliner | |
Google-Hauptquartier. | |
Die Idee zu seiner Aktion kam ihm auf einer Demonstration zum Tag der | |
Arbeit am 1. Mai, sagt Weckert der taz. „Als ich dann einen Blick auf Maps | |
warf, fiel mir auf, dass die Straßen mit extrem viel Stau angezeigt | |
wurden.“ | |
Warum lässt sich der Navi-Dienst von Google mit einem Handkarren | |
austricksen? Das liegt an der Funktionsweise, wie Maps Staus überhaupt | |
erkennt – nämlich durch Crowdsourcing. Wenn sich viele Google-Nutzer*innen | |
im Auto mit eingeschalteter Standortfunktion nur langsam oder gar nicht | |
bewegen, interpretiert Google das als Stau. | |
Damit Fußgänger*innen oder vollbeladene Busse nicht als Stau erkannt | |
werden, nutzt Maps Sensoren des Smartphones, sagt Datenforscher Ilja | |
Radusch vom Fraunhofer-Institut Fokus: „Telefone können die Beschleunigung | |
erkennen, außerdem unterscheiden sie Laufbewegungen vom Rütteln eines | |
Motors, und senden diese Rohdaten dann an Google weiter.“ | |
Diese Rohdaten allein ergeben dann aber noch nicht viel Sinn. Erst Googles | |
Algorithmus setzt die verschiedenen Signale zusammen und entscheidet, ob | |
die Straße verstopft ist oder nicht. Weckerts Handkarren hatte Googles | |
Algorithmus allerdings nicht auf der Rechnung. „Der Karren hat Räder, rollt | |
und ruckelt, alles Eigenschaften wie bei einem Auto.“ So wurde er wegen | |
seiner Rollbewegung als Fahrzeug erkannt. | |
Vermutlich analysiert Google gerade die Bewegungsdaten des Künstlers, sagt | |
Forscher Radusch. Um so nachzuvollziehen, warum die Straße ausgerechnet bei | |
dem Handkarren als verstopft angezeigt wurde. „Denn sonst könnten findige | |
Start-ups das ja bald als Geschäftsidee nutzen“, sagt Radusch: „Unsere | |
Mitarbeiter*innen machen für Sie die Straßen frei mit unseren Handkarren.“ | |
## Missbrauch von Google Maps | |
Was bei der Kunstaktion noch witzig ist, kann schnell zu Missbrauch führen. | |
So wurden bereits in der Vergangenheit [2][Einträge manipuliert]. | |
Restaurants, die schlechte Bewertungen erhalten oder bei dem User*innen | |
falsche Öffnungszeiten angeben, [3][mussten Mitarbeiter*innen entlassen | |
oder schließen]. Kritiker*innen sagen, Google zeichne eine eigene Version | |
der städischen Landschaft. Wer darin nicht eingetragen sei, existiere | |
nicht, schreibt der Netz-Kritiker [4][Nicholas Carr in einem Blogbeitrag]. | |
Auch darauf wollte Weckert, der übrigens die Open-Source-Alternative | |
[5][Open-Street-Map] nutzt, mit seiner Kunstaktion aufmerksam machen. | |
„Durch Googles riesige Datenbank steigt die Gefahr eines zentralen Systems. | |
Durch diese Tools werden wir noch transparenter und der Algorithmus ist | |
Boss.“ | |
Laut Statista waren im Dezember 2017 [6][rund 2,7 Milliarden Smartphones | |
mit Android-Betriebssystem im Umlauf]. Von China einmal abgesehen laufen | |
auf dem Großteil aller Smartphones Google-Dienste wie Google Maps. Und sind | |
damit ein riesiger Datenschatz, die den Kartendienst so immer genauer | |
machen – auf Kosten der eigenen Datenhoheit. Die eigenen Bewegungsdaten | |
[7][lassen sich bei Google zwar abrufen] und nach Aussagen des Unternehmen | |
[8][auch komplett deaktivieren]. Studien [9][belegen jedoch das Gegenteil]. | |
3 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.simonweckert.com/googlemapshacks.html | |
[2] /Kurzzeitiger-Fehler-auf-Google-Maps/!5051098 | |
[3] https://www.wired.com/2014/07/hacking-google-maps/?mbid=social_fb | |
[4] https://geog.ucsb.edu/are-google-maps-and-gps-bad-for-our-brains/ | |
[5] https://www.openstreetmap.de/ | |
[6] https://de.statista.com/themen/1355/android/ | |
[7] https://www.google.com/maps/timeline?pb | |
[8] https://support.google.com/accounts/answer/3118687?hl=de | |
[9] https://apnews.com/828aefab64d4411bac257a07c1af0ecb | |
## AUTOREN | |
Denis Giessler | |
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