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# taz.de -- Wege aus der Thüringen-Krise: Spitzt den Konflikt im Osten zu!
> Die rechte Entwicklung im Osten kann nur durch eines aufgehalten werden:
> die Jungen stärken. Auch wenn das zulasten der Älteren geht.
Bild: Jugend im Osten als es noch den Osten gab: Dorfgasthaus in Brandenburg, 1…
Ist ja noch mal alles gut gegangen in Thüringen, mögen gerade viele denken.
Noch ist sie sichtbar, die rote Linie, die bei einer Zusammenarbeit mit der
AfD überschritten wird, noch hat das Überschreiten Konsequenzen.
Das stimmt. Düster aber sieht es trotzdem aus. Denn Thüringen war erst der
Anfang. Die Strategie der AfD und der hinter ihr stehenden politischen
Kräfte ist nicht darauf ausgelegt, diese rote Linie an einem Tag
abzuschaffen, sondern sie Stück für Stück zu verschieben. Oft nur um ein
paar Millimeter, häufig mit zwei Schritten nach vorne und einem zurück.
Dafür finden die Neuen Rechten im Osten beste Bedingungen vor, und zwar
weit über die eigentliche Wählerschaft der AfD hinaus. Sie finden dort das,
was der [1][Magdeburger Soziologe David Begrich] in seinem [2][„Brief an
meine westdeutschen Freund/innen“] als „regressiv-autoritäre
gesellschaftliche Unterströmung“ benannte, die sich quer durch die
ostdeutschen Milieus ziehe.
## Vielschichtiger Ressentimentmix
Gekennzeichnet, so Begrich, sei diese Unterströmung von einem
„vielschichtigen Ressentimentmix“, der sich auch daraus speise, dass sich
„Menschen der älteren und mittleren Generation“ einer Art kultureller
Fremdherrschaft unterworfen sähen, in der sie mit ihren Erfahrungen nicht
vorkommen.
Genau so ist es, und für dieses Gefühl gibt es gute Gründe. Und deswegen
wird sich diese regressiv-autoritäre Formierung mit den Menschen der
älteren und mittleren Generation auch nicht aufhalten lassen. Die
biografischen, politischen und gesellschaftlichen Erfahrungen weiter Teile
der Ostdeutschen, die heute älter als 40 sind, bieten einen solchen
Nährboden für ein reaktionär-rassistisches politisches Programm, dass dem
nur mit einem immensen Kraftaufwand beizukommen wäre.
Allenfalls kann man hier noch Schadensbegrenzung betreiben – eine
tatsächliche Richtungsänderung wird es mit diesen Generationen nicht mehr
geben.
Worin diese ostdeutschen Post-89-Erfahrungen bestehen, muss hier nicht
weiter ausgeführt werden, spätestens seit dem Gedenkjahr 2019 ist an Texten
dazu kein Mangel. Nachdem sich jahrelang niemand für sie interessierte,
wird die ostdeutsche Seele nun allenthalben auf die Couch gelegt, werden
die Traumata der Vergangenheit seziert.
Dass daraus nun endlich Erkenntnisse über die Versäumnisse der
Nachwendezeit gewonnen werden, mag einen freuen, allein: Wer sich nur mit
der Vergangenheit beschäftigt, macht sich schuldig an der Gegenwart. Wer
seinen Blick nur auf die Älteren richtet, verrät die Jungen.
Denn die bittere Wahrheit ist: Die Fehler der Vergangenheit sind nicht mehr
rückgängig zu machen. Und deswegen braucht es den Bruch. Es braucht den
Bruch mit der Verlierererzählung, egal wie viel Wahrheit und Berechtigung
in dieser Erzählung steckt. Der Generationenkonflikt im Osten muss nicht
befriedet, sondern zugespitzt werden, und die Jungen müssen ihn gewinnen.
Denn was es braucht, sind Ostdeutsche, die sich als handelnde Subjekte des
eigenen Lebens und treibende Kräfte einer zukunftsgewandten
gesellschaftlichen Entwicklung verstehen. Das wird mit einem Großteil der
über 40-Jährigen im Osten, die die geschehenen Kränkungen und
Abwertungserfahrungen nicht überwinden können, nicht zu machen sein – egal,
wie berechtigt diese Kränkungen sind.
Bei ihnen kann die AfD besser als jede andere politische Kraft andocken,
weil sie verspricht, dass die Welt wieder so werden wird, wie sie niemals
war, dass es möglich wäre, das System zu stürzen, ohne auf eine einzige
Zukunftsfrage eine Antwort zu haben.
## Die Alten bremsen die Jungen aus
Es sind bei Weitem nicht nur die organisierten Rechten, die den
engagierten, zukunftsorientierten Menschen in weiten Teilen Ostdeutschlands
Steine in den Weg legen. Es sind auch all diejenigen, die die Erfahrung
gemacht haben, das eigene Schicksal nicht in der Hand zu haben. Die Alten
bremsen die Jungen aus – schon allein, weil sie sich dadurch angegriffen
fühlen, dass die ihr Leben in die Hand nehmen können.
Wer in den ostdeutschen Klein- und Mittelstädten oder auf dem Land als
solche treibende Kraft einer zukunfts- statt vergangenheitsorientierten
gesellschaftlichen Entwicklung auftritt, dem wird von der Mehrheit nur
allzu oft vermittelt, ein Störenfried zu sein, der selbst, wenn hier
geboren, so richtig von hier nicht sein könne, sonst wäre er ja ganz
anders.
Die tatsächlich organisierte Rechte muss diese engagierten Menschen oft gar
nicht selbst vertreiben, sie kann warten, bis sie genervt aufgeben, um dann
das so entstandene Vakuum zu füllen.
Und dieses Vakuum wird immer größer. Denn im Moment besteht der Bruch
zwischen den Jüngeren und den Älteren, zwischen denen, die was bewegen
wollen und denen, die sich dadurch angegriffen fühlen, in den meisten
Fällen darin, dass erstere ihre Sachen packen.
Sie gehen, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und dieses
regressiv-autoritäre Klima, das jede Bemühung um Zukunft ersticken will, zu
bringen. Weil es „den Osten“ so natürlich nicht gibt, muss es kein Umzug
nach Köln sein, und selbst zu Berlin und Leipzig gibt es noch Alternativen
in Jena, Greifswald oder Halle, doch das sind Inseln, oft auf einzelne
Stadtteile begrenzt.
Wenn alle gehen, die was können und vor allem was wollen, kann man sich
ausmalen, was übrig bleibt, weshalb es auch nicht verwunderlich ist, warum
die AfD bei den ostdeutschen Landtagswahlen auch unter den Jüngeren gut
abschnitt. Der genaue Blick auf die Daten zeigt: Wo die Bevölkerung
schrumpft, ist die AfD stark, quer durch alle Altersgruppen.
Um diese Entwicklung aufzuhalten, gibt es nur eine Möglichkeit: Den
Zukunftszugewandten, denjenigen, die sich nicht in einer Verliereridentität
einrichten wollen, muss der Rücken gestärkt werden, soweit es nur irgend
geht. Und zwar auch dann, wenn das zulasten der Älteren geht, so
schmerzhaft diese Erkenntnis auch sein mag.
So übel denjenigen mitgespielt wurde, denen das Lausitzer Braunkohlerevier
einst nicht nur Arbeit, sondern auch Identität bot und die dessen Ende
deswegen nicht überwinden können – die Zukunft liegt nicht bei ihnen,
sondern bei Fridays for Future Cottbus, und im Zweifel müssen die einen
gegen die anderen in Stellung gebracht werden.
Wie man jungen, zukunftsorientierten Menschen im Osten den Rücken stärkt?
Es gibt unzählige Möglichkeiten. Indem man ihnen zuhört und sie zu Wort
kommen lässt, indem man die sie betreffenden Themen auf die politische
Agenda setzt, indem man die von ihnen organisierten Demonstrationen oder
Theaterstücke besucht, dem Jugendclub nicht die Förderung streicht, indem
man sie und ihre Erfahrungen weder exotisiert noch abwertet.
Man könnte auch sagen: Indem man versucht, die Post-89-Fehler nicht zu
wiederholen und wenigstens diese Generation endlich ernst nimmt.
15 Feb 2020
## LINKS
[1] /Baseballschlaegerjahre-in-Ostdeutschland/!5642847
[2] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/liebe-westdeutsche
## AUTOREN
Malene Gürgen
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