# taz.de -- Junge Frauen in der CDU: „Wir müssen Radau machen“ | |
> Im Gespräch für den Parteivorsitz der Union: Männer. Jenna Behrends, | |
> Merve Gül und Sophia Nückel wollen das ändern. | |
Bild: Merve Gül, 28 Jahre, Politik-Referendarin | |
BERLIN taz | „Wir haben einen Plan. Und bis zum Sommer hoffentlich auch | |
eine Kanzlerkandidatin, die das wieder verkörpert (oder der).“ Was Jenna | |
Behrends, Bezirksverordnete für die CDU in Berlin-Mitte, kurz nach der | |
Rücktrittankündigung von Annegret Kramp-Karrenbauer [1][twitterte], war | |
optimistisch. Denn faktisch sind [2][ausschließlich Männer] als Nachfolger | |
im Gespräch. | |
Behrends bedauert selbst, keine Frau aus der CDU für das Amt des | |
Parteivorsitzes vorschlagen zu können. „Ich wünschte, es wäre anders, aber | |
ich kann keinen Namen guten Gewissens in den Raum werfen“, sagt die | |
29-Jährige. Es brauche für den Posten viel Rückhalt in der Partei. Auf | |
diesem Level gebe es in der CDU aktuell keine Frauen. | |
Woran das liegt? Für Jenna Behrends ist das ziemlich klar. Die Versäumnisse | |
sieht sie in der Vergangenheit. Und sie selbst hat bereits | |
öffentlichkeitswirksam auf diese Versäumnisse hingewiesen. 2016 | |
veröffentlichte sie einen [3][offenen Brief] an ihre Partei, in dem sie | |
Sexismus und sexistische Strukturen in der CDU kritisierte. Ein | |
„Scheinargument“ habe sie seitdem immer wieder gehört: Die Partei hätte | |
doch zwei Frauen an der Spitze. „Aber zwei Frauen an der Spitze reichen | |
nicht, wenn dahinter nur Männer stehen“, sagt Behrends heute. | |
Auch Sophia Nückel fällt keine CDU-Politikerin ein, die jetzt infrage käme | |
für den Parteivorsitz und damit für eine mögliche Kanzlerinnenkandidatur. | |
„Die CDU hat definitiv ein Nachwuchsproblem“, meint die 22-Jährige. Sie | |
selbst ist schon mit 16 der Jungen Union beigetreten und seit einem Jahr | |
Mitglied in der CDU. Aus dem Impuls, sich engagieren zu wollen, etwas zu | |
bewegen. „Im Sauerland macht man das dann in der Jungen Union“, sagt sie. | |
## Auf kommende Generationen angewiesen | |
Kurz habe sie auch mal gezweifelt, ob die CDU die richtige Partei für sie | |
sei. Aber sich dann aus einem Grund dafür entschieden zu bleiben: „Gegen | |
die Werteunion anzukämpfen und zu zeigen, dass sich Frauen von mächtigen | |
männlichen Politikern nicht kleinkriegen lassen.“ Die Partei sei auf | |
kommende Generationen angewiesen. „Auch aus diesem Grund ist es wichtig, | |
junge Frauen nicht zu verschrecken und ihnen einen Raum zu bieten, in dem | |
sie sich entfalten können.“ | |
Eine junge Frau in der CDU ist auch Merve Gül. Hürden, weil sie eine Frau | |
ist, habe sie bisher selten erlebt. Hindernisse hätten eher mit ihrem | |
übrigen Background zu tun. „Mein Frausein ist nur eines meiner Merkmale – | |
dazu habe ich noch Migrationshintergrund und bin jung, damit bin ich im | |
politischen Betrieb und in der CDU die Ausnahme.“ | |
Auch Merve Gül ist Verfasserin eines offenen Briefs, und zwar an Annegret | |
Kramp-Karrenbauer. Im Juni 2019 forderte sie gemeinsam mit Kim Thy Tong und | |
David Kirsch, die junge Generation aktiv in Partei- und Stiftungsarbeit | |
einzubinden. Sie präsentierten in ihrem Brief „einen bunten Strauß an | |
Ideen“ für eine zukunftsfähige Partei, zitierten Snoop Dogg mit „Living | |
young, wild and free“ und wünschten sich für die Union, „eine Volkspartei | |
zu sein, die alle Teile der Gesellschaft repräsentiert – unabhängig von | |
Alter, Geschlecht, Herkunft oder Einkommensschicht“. | |
Schaut man sich die Kandidaten für den Parteivorsitz an, ist da ziemlich | |
wenig von „jung, wild und frei“ zu finden. So zeigt sich auch keine der | |
drei Frauen wirklich überzeugt von einem der Kandidaten. Einen | |
Parteivorsitzenden Armin Laschet könne Merve Gül sich aus einem Grund | |
vorstellen: „Unter Laschet kann man sich sicher sein, dass es keinen | |
Millimeter nach rechts geht unter dem Deckmantel des vermeintlichen | |
Konservatismus.“ | |
## Wie oft muss man Scheiße bauen, bis man geht? | |
Alle drei Frauen beschreiben die Debatte als Machtfrage – und als eine von | |
Männern, die an ihrer Macht festhalten. Merve Gül macht das ganz konkret: | |
„Es kann doch nicht sein, dass man Fehler macht, sie einräumt und dann | |
trotzdem auf dem Posten sitzen bleibt. Wie oft muss man denn Scheiße bauen, | |
bis man geht?“ | |
Sophia Nückel sieht das ähnlich: „Viele Männer sind auf ihre Macht | |
fokussiert, statt andere zu fördern.“ Dass [4][Mike Mohring] und | |
[5][Christian Lindner] ihre Posten behalten haben und [6][Annegret | |
Kramp-Karrenbauer] nicht, hat für sie auch etwas damit zu tun. | |
„Frauen werden in der Politik noch immer anders betrachtet als Männer“, | |
sagt Nückel. So werde Frauen Führungsschwäche zugeschrieben, während bei | |
Männern Führungsqualitäten gar nicht hinterfragt würden. Auch Merve Gül | |
sieht immer wieder, wie über Führungsqualitäten von Frauen gestritten | |
werde. „Dann frage ich mich: Habt ihr euch mal [7][Andreas Scheuer] | |
angeschaut?“ | |
Eine weitere Erklärung für das personelle Loch in der Partei von Frauen | |
zwischen Mitte 20 und Mitte 40 sieht Jenna Behrends in der | |
gesellschaftlichen Aufteilung von Care-Arbeit und der gleichzeitigen | |
Unvereinbarkeit von Politik und Familie. Behrends selbst ist Mutter von | |
zwei Kindern. „Da muss ich dann entscheiden, ob ich am Wochenende mit | |
meinem Kind in den Zoo gehe oder zu einer Parteiveranstaltung“, sagt sie. | |
Ein politischer Abendtermin bedeutet dann, die Wäsche liegen zu lassen oder | |
einen Babysitter bezahlen zu müssen. Vor allem für Alleinerziehende ist das | |
ein Problem. „Und dann kommt noch dazu, dass man weniger präsent ist – so | |
wird man bei der Vergabe von Posten auch mal vergessen.“ | |
## Von Frauen- bis Diversitätsquote | |
Wie also dafür sorgen, dass sich in einigen Jahren nicht wieder nur weiße | |
Männer für den Parteivorsitz bewerben? Das ist der eine Punkt, an dem sich | |
die drei Frauen uneinig sind. Die 22-jährige Sophia Nückel ist gegen eine | |
Frauenquote. „Ich möchte nicht nur wegen meines Geschlechts in ein Amt | |
gewählt werden“, sagt sie. | |
Feminismus definiert sie als Chancengleichheit von Frauen und Männern, es | |
solle wirklich nach Leistung gehen, ist ihr Wunsch. Um dann einzuräumen: | |
„Die Zahlen zeigen, dass es nicht funktioniert in der CDU.“ Derzeit liegt | |
der Frauenanteil unter CDU-Mitgliedern bei 26 Prozent. | |
„Ich bin eine Quotenfrau“, sagte Annegret Kramp-Karrenbauer selbstbewusst | |
während der Feierlichkeiten zu 100 Jahren Frauenwahlrecht in der | |
Konrad-Adenauer-Stiftung. Die neue CDU-Chefin wünschte sich mehr Offenheit | |
für eine Quotierung von politischem Personal. | |
[8][Jenna Behrends] stimmt der Noch-Parteichefin zu: „Ich habe formelle | |
Schritte lange abgelehnt, bin aber mittlerweile für solche Wege.“ Sie | |
wünscht sich generell mehr Offenheit ihrer Partei, „das betrifft ja nicht | |
nur Frauen, sondern diverse Gruppen, die in der CDU-Basis | |
unterrepräsentiert sind“. | |
Eine Diversitätsquote für die Partei kann sich auch Merve Gül vorstellen. | |
Aber ob es dafür eine Mehrheit in der Union gäbe? „Aktuell eher nicht“, | |
konstatiert sie. Aber: „Es ist eine Frage der Zeit, bis es eine Mehrheit | |
dafür gibt“, ist sie optimistisch. „Bis dahin müssen wir Radau machen, und | |
bis dahin muss sich die Junge Union gefallen lassen, die Jungenunion | |
genannt zu werden.“ | |
13 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/Jenna_Behrends/status/1226795403154247680?s=20 | |
[2] /Anwaerter-auf-den-CDU-Vorsitz/!5659745 | |
[3] https://editionf.com/sexismus-parteien-jenna-behrends/ | |
[4] /Ministerpraesidentenwahl-in-Thueringen/!5658534 | |
[5] /Die-FDP-und-Thueringen/!5658334 | |
[6] /Ruecktritt-von-Annegret-Kramp-Karrenbauer/!5662647 | |
[7] /Andreas-Scheuer-und-die-Fachleute/!5657007 | |
[8] /Jenna-Behrends-ueber-Sexismus-und-Politik/!5339316 | |
## AUTOREN | |
Mareice Kaiser | |
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