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# taz.de -- Juristin über Kinderrechte: „Grundrecht gilt auch für Kinder“
> Die Bundesregierung will Kinderrechte im Grundgesetz verankern.
> Rechtsprofessorin Friederike Wapler hält das für eine eher ärgerliche
> Idee.
Bild: Karlsruhe legt die Grundrechte schon seit Jahrzehnten kindgerecht aus, sa…
taz: Frau Wapler, Kinderschützer fordern schon seit Jahrzehnten, dass
Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden. Nun tut sich endlich was. Ein
Grund zu großer Freude?
Friederike Wapler: Nein. Ich finde die Forderung nach Kinderrechten im
Grundgesetz eher ärgerlich. Denn dabei wird das Grundgesetz als defizitär
dargestellt, obwohl es das überhaupt nicht ist. In Zeiten, in denen
[1][Populisten] unsere ganze Ordnung infrage stellen, sollte man das
Grundgesetz nicht unnötig abwerten.
Aber wo stehen denn die Kinderrechte in unserer Verfassung?
Jedes Grundrecht gilt natürlich auch für Kinder, zum Beispiel die
Menschenwürde, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf
freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das muss man nicht extra erwähnen.
Zudem legt das Bundesverfassungsgericht die Grundrechte schon seit
Jahrzehnten kindgerecht aus.
Warum trommeln Verbände wie Unicef und das Kinderhilfswerk dennoch für
Kinderrechte im Grundgesetz?
Das frage ich mich auch. Vielleicht, weil sie auf einen symbolischen Erfolg
hoffen? Die Forderung ist ja recht populär, und eine Grundgesetzänderung
kostet auch nichts. Aber es fällt auf, dass auch diese Verbände inzwischen
keine großen Veränderungen mehr versprechen, sondern nur noch Kinderrechte
„sichtbar machen“ wollen.
Ist das schlecht? Man kann in der Schule doch besser über Kinderrechte
sprechen, wenn es im Grundgesetz konkrete, zitierbare Sätze gibt.
Ich glaube, Schüler sind durchaus in der Lage zu verstehen, dass alle
Grundrechte auch für Kinder gelten.
Die sozialdemokratische Bundesjustizministerin Christine Lambrecht schlägt
folgende Formulierung vor: „Jedes Kind hat das Recht auf Achtung, Schutz
und Förderung seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf
Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen
Gemeinschaft.“ Klingt das nicht gut?
Das ist Verfassungslyrik, die nichts verändert.
Die Befürworter von Kinderrechten im Grundgesetz berufen sich auch auf die
UN-Kinderrechtskonvention.
Diese wichtige Konvention ist in Deutschland doch schon seit 1990 geltendes
Recht. Vorgaben für die Verfassung macht sie nicht.
Wenn Kinderrechte im Grundgesetz vor allem symbolische Bedeutung haben:
Warum hat es dann so lange gedauert, sie durchzusetzen?
Weil vor allem die CDU/CSU große Sorge hat, dass sich doch etwas ändern
könnte, insbesondere dass dadurch die Elternrechte zurückgedrängt werden.
Deshalb betont auch Justizministerin Lambrecht, dass ihr Entwurf das
Verhältnis von Kindern zu Eltern in keiner Weise verändere. Auch die
Gesetzentwürfe von Grünen und Linker wollen daran nichts ändern.
Finden Sie das richtig? Müssten Kinder nicht gegen gewalttätige und
grausame Eltern gestärkt werden?
Das Grundgesetz gibt dem Staat für solche Fälle heute schon ein sogenanntes
Wächteramt. Meines Erachtens ist das ausreichend. Eine Stärkung der
Kinderrechte gegen die Eltern würde ja unterm Strich nicht die Kinder
stärken, sondern den Staat, der dann leichter in Familien intervenieren
könnte.
Wenn Kinder totgeprügelt oder im Internet zum [2][Missbrauch] angeboten
werden, zeigt dies doch, wie nötig mehr staatliche Kontrolle ist.
Das Instrumentarium ist ja heute schon vorhanden. So kann das Jugendamt bei
einer Gefährdung des Kindeswohls das Kind aus der Familie nehmen und in
einer Pflegefamilie oder im Heim unterbringen. Dabei werden zwar immer
wieder falsche Entscheidungen getroffen – was man manchmal erst im
Nachhinein erkennen kann –, doch eine Grundgesetzänderung würde daran
nichts ändern.
Die Jugendämter und Familiengerichte haben aber Angst, dass Eltern das
Bundesverfassungsgericht einschalten und sich dort auf ihre Elternrechte
berufen. Immerhin hat Karlsruhe in den letzten Jahren immer wieder
beanstandet, dass Kinder aus Familien genommen wurden.
Dabei ging es aber in der Regel um Fälle, wo das Kindeswohl gar nicht
gefährdet war und Jugendämter [3][aus falschen Gründen] interveniert
hatten. Es ist nicht Aufgabe der Jugendämter, Kindern eine vermeintlich
optimale Erziehung zu verschaffen.
Warum nicht?
Weil die meisten Eltern nicht perfekt sind. Aber sie lieben ihre Kinder und
wollen das Beste für sie. Deshalb ist es für Kinder in der Regel das Beste,
wenn sie bei ihren Herkunftseltern aufwachsen und der Staat nur
interveniert, falls die Entwicklung des Kindes nachhaltig gefährdet wird.
Daran sollte sich nach meiner Ansicht tatsächlich nichts ändern.
Ist nicht die Vorstellung korrekturbedürftig, dass Kinder, die der Staat
aus gutem Grund in Obhut genommen hat, in der Regel wieder in ihre
Herkunftsfamilie zurückkehren sollen?
Nein, auch hier gilt das Prinzip, dass das Aufwachsen bei den eigenen
Eltern in der Regel für ein Kind am besten ist. Der Staat sollte aber mehr
mit den Herkunftsfamilien arbeiten, damit die Kinder möglichst frühzeitig
zurückkehren können.
Und wenn ein Kind sich jahrelang in eine Pflegefamilie gut eingelebt hat,
ist es dann nicht traumatisierend, wenn es dort herausgerissen wird, damit
es zu seinen Herkunftseltern zurückkehren kann?
In solchen Fällen lassen sich oft heute schon Lösungen finden, wenn die
Trennung von der Pflegefamilie eine neue Kindeswohlgefährdung auslösen
könnte. Und falls man hier die Gewichte zwischen Pflegeeltern und
Herkunftseltern weiter verschieben will, dann müsste eben das
Jugendhilferecht geändert werden. Das Grundgesetz ist für eine derartige
Feinsteuerung nicht der richtige Ort.
Wo sehen Sie Ansätze, Kinder besser zu schützen?
Ich glaube, der Staat kann viel tun, um Kinder zu stärken, ohne in Familien
zu intervenieren. Das hat vor allem mit Ressourcen zu tun. Der Staat kann
attraktive Ganztagsschulen anbieten. Er kann Erzieherinnen in Kitas
vernünftig bezahlen, und er kann verhindern, dass Freizeitorte der Kinder
und Jugendlichen geschlossen werden, etwa Schwimmbäder, Jugendhäuser und
Bibliotheken.
Schön und gut. Aber wie hilft das Kindern, die in ihren Familien gefährdet
sind?
Wenn Kinder außerhalb der Familie vielfältige Anregungen erhalten, dann
werden sie in ihrer Entwicklung gestärkt und können Probleme in der Familie
besser kompensieren. Vielleicht finden sie auch Personen, denen sie sich
anvertrauen können.
Ist es nicht leichter, Geld für all diese Projekte zu bekommen, wenn
Kinderrechte im Grundgesetz stehen?
Das glaube ich nicht. Die Prioritätensetzung in staatlichen Haushalten ist
keine juristische, sondern eine politische Frage. Auch wenn Kinderrechte im
Grundgesetz stehen, muss man sich politisch für entsprechende Ausgaben
einsetzen. Es wäre geradezu gefährlich, wenn die Leute glaubten, dass dann
alles von selbst käme.
Sie würden also am liebsten gar keine Kinderrechte ins Grundgesetz
aufnehmen?
Antwort: Ja. Ich sehe keinen Nutzen, aber das Risiko, dass das zu
Rechtsunsicherheit führt – weil dann jahrelang diskutiert würde, ob die
neuen Formulierungen tatsächlich keine Bedeutung haben.
27 Jan 2020
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## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Kinderrechte
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