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# taz.de -- Elfriede Jelineks Ibiza-Stück in Wien: Eine Art Katharsis-Verstopf…
> In „Schwarzwasser“ thematisiert Elfriede Jelinek die Ibiza-Affäre. Es
> geht auch um den Heiligen Sebastian, den neuen Gott der gegenwärtigen
> Erregung.
Bild: „Schwarzwasser“ ist wie eine psychoanalytische Kur: wiederholen, durc…
Wien taz | Grauwasser ist eine nützliche Sache. Mit dem, was die
Waschmaschine hergibt, lässt sich in der weiteren Verwendung manches
herunterspülen. Kommt jedoch Gelb- oder Braunwasser hinzu, entsteht
Schwarzwasser und es ist vorbei mit der schönen Nachhaltigkeit.
In ihrem neuen Theatertext „Schwarzwasser“, am Donnerstag uraufgeführt in
Wien, entwirft [1][Elfriede Jelinek] eine Art von politischer Ökologie der
österreichischen Verhältnisse, die sich von den übrigen durch besonders
schillernde Oberflächenphänomene unterscheiden.
Die Farben, die man braucht, um die wahlwerbenden Leerformeln sprechende
Politiker:innen zu unterscheiden, sind auch anders: schwarz, blau, türkis,
grün, pink und immer weniger rot, hinzu kommt gelb für die Aufputschbrause
und braun für das latente Kellernazitum.
[2][Ibiza! – richtig. Das waren sechs Minuten auf Video], die das
politische Österreich mit einem Schlag veränderten. Sechs Minuten, die den
noch vorhandenen Resten eines traditionellen Politikbegriffs den Garaus
machten. Das, was man einmal „Integrität“ nannte, ist Flöten gegangen.
Von da an ging es „zack zack“, wie es dem angetrunkenen FPÖ-Vizekanzler H.
C. Strache im Video entfuhr. Aber auf den Wodka-Rausch, in dem der
Rechtspopulist so ziemlich alles, was ihm und seiner Partei nicht gehört,
mehr oder minder das halbe Land an eine vermeintliche russische
Oligarchentochter zu verkaufen suchte, folgte keineswegs die klärende
Ernüchterung.
## Wenn man sich wundert, „was alles geht“
Dem allgemeinen Kater entstieg mit Alt- und Neukanzler Sebastian Kurz
abermals die Lichtgestalt eines Politikers, dessen staatstragendes Sprechen
sich noch immer regelmäßig ins jugendliche Falsett überschlägt und dessen
Rhetoriktrainer ihn in seinen Gesten älter ausschauen lässt als der eigene
Vater.
Alle Einwände prallen an ihm ab. Protestantische Fundamentalisten segnen
ihn, den Erzkatholiken, der Heilige Geist regnet auf seinen
Wahlveranstaltungen in Laserstrahlen auf ihn herab. Devotion aller Orten.
Während sich das politische Wien wundert, „was alles geht“, unternimmt
Elfriede Jelinek einen Fischzug im Strom jenes kollektiven Unbewussten, der
die illustren Phänomene an seiner Oberfläche gleichermaßen trägt wie
unterspült. Mehr als von „Ibiza“ handelt „Schwarzwasser“ von der Apoth…
des Heiligen Sebastian, der ihr zum falschen „neuen Gott“ der gegenwärtigen
Erregung wird.
Wie in den „Bacchen“ des Euripides lässt Robert Borgmann gleich zu Beginn
seiner Uraufführung von „Schwarzwasser“ im Akademietheater erst einmal den
Palast einstürzen, bis Ruinen im gleißenden roten Licht glühen und
Filmbilder unterschiedlichster Hetzmeuten darüber projiziert werden. Keine
Angst, es sind nur Rigipswände.
Die Chormitglieder brechen durch und hauen die Pappe kurz und klein. Im
zottigen rosa Gorillakostüm berichtet Caroline Peters von den
verschwimmenden Grenzen zwischen Mensch und Tier in der dionysischen
Erregung, die Vermischung dessen, was Männer und Frauen jeweils
zugeschrieben wird: hier Gewalt, dort Extase.
Zwischendurch tänzelt Martin Wuttke im Frack mit Chaplin-Schritten zwischen
den Gipsbrocken umher im Vorgriff auf das, was der Abend aus der Spannung
zwischen Komik und analytischer Klarheit über dreieinhalb Stunden entfalten
wird. Der erste murmelnde Satz macht ihn zum nahen Verwandten von Groucho
Marx, ohne das dazu je Bart oder Brille nötig wäre. Später gibt er auch
noch den „Joker“, aber das ist eine andere Geschichte.
## Mit Pferdemedizin gestrecktes Marschierpulver
Was im Himmels Willen haben ein paar Runden Wodka-Red Bull und mit
Pferdemedizin gestrecktes Marschierpulver zu tun mit der dionysischen
Erregung? Elfriede Jelinek berichtet von der Verkürzung, der Karikatur
einer rauschhaften Befreiung im gegenwärtigen Populismus, von einer Art
Katharsis-Verstopfung, die den Erregten die Bande nicht löst, sondern
erstickend um den Hals schlingt.
Was könnte Linderung verschaffen? Da bleibt eigentlich nur die
psychoanalytische Kur: Wiederholen, Durcharbeiten. Elfriede Jelinek
vollzieht sie nicht am Subjekt, sondern an dem, was sich in der Sprache
selbst ereignet. In ihrem kompositorischen Methodenapparat aus
Wortfeld-Assoziationen, semantischen Doppelböden, Gleich- und
Ähnlichklängen verfangen sich die Sprechakte einer schlechten Wirklichkeit,
rekombinieren neue oder verborgene Bedeutungen.
Ideologische Setzungen verlieren ihren Spin, in dem sie mit dem noch
intakten Regelsystem Sprache kollidieren. Sprachkritik bleibt die letzte
Bastion einer Betrachtung dessen, was man einmal die Totalität der
gesellschaftlichen Verhältnisse nannte. Was dem rationalen Diskurs
zunehmend durch die Finger rinnt, verfängt sich in Jelineks „Schwarzwasser“
im Netz des poetischen Verfahrens.
## Barocke Beate Zschäpe
Es ist eine Wohltat, dass Elfriede Jelinek mit Robert Borgmann an einem
Stadt- und Staatstheater wieder auf einen Regisseur trifft, der mit ihren
„Textflächen“ mehr zu tun weiß, als sie wie Küchenrolle ungeformt über …
Rampe zu ziehen. Borgmann, der ebenso oder vielleicht sogar mehr bildender
Künstler ist als Regisseur, modelliert ihre Textreliefs zu feingliedrigen
Sprechskulpturen, nicht nur für Caroline Peters und Martin Wuttke, auch in
den präzisen Chorstücken.
Auf die Theatralisierung der realen Politik reagiert Borgmann mit einem
Parforceritt durch die Kunstgeschichte, einer Implosion der Bilder, die
nicht mehr „eine Geschichte erzählen“, sondern die Betrachtenden zur
selbsttätigen Auseinandersetzung mit den eigenen Assoziationen zwingen.
Zum Schluss bleibt doch eine Bildtafel als Resumee der gesamten Aufführung.
Sie zeigt eine lächelnde Beate Zschäpe im Stile der Barockmalerei gekrönter
Häupter mit einer Pistole auf dem Schoß. Die obszöne Rückseite der
populistischen Erregung ist bei aller Lächerlichkeit die latente Gewalt.
7 Feb 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Uwe Mattheiß
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