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# taz.de -- Kostenlose City-Zone in Augsburg: Vorbildlicher Verkehr
> Augsburg hat seinen Nahverkehr so umgebaut, dass das Modell als Vorbild
> für andere Kommunen dient. Ein teures Geschenk für die BürgerInnen.
Bild: Walter Casazza, Chef der Stadtwerke Augsburg, hat die City-Zone entwickelt
Augsburg taz | Die Zeitenwende macht in Augsburg nur dezent auf sich
aufmerksam. „Kostenlose City-Zone“ steht auf einem in Folie gepacktes
Din-A4-Blatt an einer der Säulen der Haltestelle am Verkehrsknotenpunkt
Königsplatz. Dort hängt auch ein Übersichtsplan mit allen Haltestellen der
neuen Gratiszone. Auf den Trambahnen weisen kleine grüne Quadrate auf „100%
Ökostrom“ hin, und auf den Bussen stehen Sprüche wie „Emission: impossibl…
CO2-neutral dank 100 % Biogas“ oder „Bitte fahren Sie weiter! Hier gibt es
nichts zu riechen“.
Mit der kostenlosen City-Zone hat Augsburg und der örtliche Verkehrsverbund
AVV seinen Bürgern und Besuchern zu Beginn des Jahres ein 860.000 Euro
teures Geschenk gemacht. Die Zone umfasst neun von 281 Haltestellen.
Strecken von bis zu drei Stationen kann man nun im Innersten der Innenstadt
umsonst mit Bus oder Tram zurücklegen – beispielsweise vom Hauptbahnhof bis
zum Ulrichplatz oder vom Theodor-Heuss-Platz bis zum Staatstheater.
Ein Meilenstein auf dem Weg in die Zukunft des Öffentlichen
Personennahverkehrs? Oder doch nur ein bisschen Werbung für die Stadt?
„Mit der City-Zone gehen wir einen wichtigen Schritt in Richtung
Luftreinhaltung in Augsburg“, sagte Eva Weber bei der Einführung. Den
Parksuchverkehr werde man verringern, die Innenstadt für Besucher
attraktiver machen und den Einzelhandel stärken. Muss sie ja alles sagen.
Die CSU-Frau steht mitten im Wahlkampf. Noch ist sie zweite
Bürgermeisterin, aber am 15. März will sie Oberbürgermeisterin werden.
Auch Walter Casazza lobt die neue Zone als „sympathische Einladung an alle
hartgesottenen Autofahrer, auch mal den öffentlichen Verkehr zu nutzen“.
Auch für Touristen sei die City-Zone attraktiv, sie könnten nun vom
Hauptbahnhof kostenlos in die Innenstadt fahren. Und viele Fahrgäste, die
in die Innenstadt fahren, könnten nun die günstigere Kurzstrecke benutzen,
weil sie die letzten ein, zwei Stationen ihrer Fahrt nicht mitzählen
müssten. Casazza ist der Chef der Augsburger Stadtwerke, die City-Zone ist
sein Baby. Die Idee hat er sich von den Grazern abgeschaut, die schon seit
Jahren umsonst mit der Straßenbahn durch die Innenstadt fahren. Welchen
Effekt die City-Zone tatsächlich habe, werde man erst nach einer
Langzeitbeobachtung sagen können. „Aber natürlich habe ich die Hoffnung,
dass die Fahrgastzahlen steigen“, sagt Casazza.
Jetzt sucht er erstmal einen Parkplatz. Casazza sitzt in einem BMW i3.
Elektrisch und geräuschlos fährt er durch die Augsburger Innenstadt. „Hier
gibt’s ja gar keine Parkplätze“, stellt er nüchtern fest. Klar, das ist d…
Vorführeffekt. „Sofort einsteigen, überall abstellen“, steht auf der
Autotür. Aber natürlich will Casazza ohnehin nicht die Vorzüge des
Autofahrens in der Stadt demonstrieren, sondern eine weitere Besonderheit
in Augsburg vorführen. Denn hier haben die Stadtwerke ein eigenes
Carsharing-Angebot aufgebaut. Und seit November bieten sie eine sogenannte
Mobil-Flat an. Sie beinhaltet die Nutzung von Bus, Tram, Leihfahrrädern und
Carsharing-Autos. „Dann fahren wir mal Richtung Rosenaustraße. Da können
wir in die Linie drei steigen.“
## Eine autofreie Stadt ist nicht möglich. Oder?
Kurz vor der morgendlichen Spritztour hat Casazza in einem schmucklosen
Konferenzraum der Stadtwerke bei Tee und Butterbrezeln erklärt, was das
öffentliche Verkehrsangebot in Augsburg so besonders macht. Vom sechsten
Stock aus blickt Casazza hier über die Stadt.
Schon sein Vater war Straßenbahnfahrer, erzählt der 57-jährige Mann aus
Tirol. Großvater und Onkel seien bei der Eisenbahn gewesen. „Als kleiner
Stöpsel durfte ich mal auf dem Schoß meines Vaters selber die Wendeschleife
fahren. Mit Handkurbel. Das war natürlich das Größte. Und vielleicht hat es
ja meinen weiteren Weg beeinflusst.“ Seit 2014 ist Casazza in Augsburg,
davor hat er die Verkehrsbetriebe in Karlsruhe geleitet. „Wir wollen die
Menschen in der Stadt in die Lage versetzen, dass sie kein eigenes Auto
brauchen“, sagt Casazza. „Da ist eine Kombination aus Straßenbahn und Bus
einerseits sowie Leihfahrrad und Carsharing andererseits eine gute
Antwort.“ Das Rückgrat sei dabei aber immer der leistungsfähige Öffentliche
Nahverkehr.
Eine autofreie Stadt werde zwar nicht möglich sein, weil es zu viele
Pendler gebe, die nur ganz schwer öffentliche Verkehrsmittel nützen
könnten. Deshalb werde es immer einen Mix von Individual- und Öffentlichem
Verkehr geben. „Aber ich möchte halt den Schieberegler in Richtung
Öffentlicher Verkehr bewegen. Viele werden nicht ganz aufs eigene Auto
verzichten, aber vielleicht auf den Zweit- oder Drittwagen.“
In Sachen Mobilflat hatten die Stadtwerke dabei einen Startvorteil, da sie
schon vor Jahren begonnen hatten, ein eigenes Carsharing zu entwickeln,
ganz ohne Partner. Aktuell besteht die Flotte aus 200 Fahrzeugen, gegen
Ende des Jahres sollen es 250 sein. 2500 Kunden nutzen das Angebot
intensiv. „Jedes unserer Carsharing-Fahrzeuge ist am Tag durchschnittlich
acht Stunden unterwegs“, erzählt Casazza. „Der Privat-Pkw dagegen ist ja
mehr Stehzeug.“ Außerdem stelle man den Kunden Leihbikes zur Verfügung.
„Da war die Idee naheliegend, diese drei Produkte zu kombinieren, so dass
man für jede seiner Fahrten das am besten geeignete Fortbewegungsmittel
wählen kann, das Minicooper-Cabrio zum Beispiel für den Ausflug an den
Ammersee, das Fahrrad für die kleine Besorgung im eigenen Stadtteil und die
Straßenbahn für den Weg zur Arbeit.“
Die Mobilflat gibt es in zwei Versionen: für 79 und 109 Euro, je nachdem
wie hoch das gebuchte Stunden- oder Kilometerkontingent ist. Dazu kommt
dann die kostenfreie Nutzung des ÖPNV-Innenraums und der Leihräder, mit
denen man beliebig viele Fahrten von bis zu 30 Minuten unternehmen kann. Im
Laufe des Jahres sollen auch noch E-Bikes verliehen werden. In drei Monaten
haben sich bereits 300 Kunden für das All-inclusive-Angebot entschieden.
Die Straßenbahn in den Hauptverkehrszeiten fährt im Fünf-Minuten-Takt. Die
Trambahnen fahren mit Ökostrom, die 90 Gelenkbusse mit klimaneutralem
Biomethan. „Das ist schon etwas Herausragendes“, sagt Stadtwerke-Chef
Casazza. So wie auch das kostenlose W-Lan in allen Fahrzeugen und an den
wichtigsten Haltestellen. „Mit der Flotte, der City-Zone und der Mobilflat
sind wir sicherlich bundesweit noch einzigartig“, sagt Casazza.
## Ist die Revolution nur vorgetäuscht?
Jörg Schiffler vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) in Augsburg sieht das
Angebot weniger positiv. Er sagt, die City-Zone sei in erster Linie das
halbherzige Bemühen, den durch eine umstrittene Tarifreform aus dem Jahr
2018 verursachten Schaden ein bisschen wiedergutzumachen. Davor habe man in
der gesamten Innenstadt und teilweise darüber hinaus zum halben Preis
fahren können.
Auch dem Ausbau des Carsharings steht Schiffler skeptisch gegenüber. Er
fürchtet, dass die Nutzung der Leihautos dazu führt, dass Menschen aufs
Fahrrad verzichten. Trambahn im Fünf-Minuten-Takt findet zwar auch
Schiffler gut, aber den habe es früher auch schon gegeben – den ganzen Tag.
Jetzt sei er auf die Hauptverkehrszeiten eingeschränkt worden. Außerdem
gebe es sehr oft größere Verspätungen wegen des hohen Verkehrsaufkommens.
Dass eine Trambahn im Stau steckenbleibe, sei ein Unding und könnte durch
entsprechende Sonderspuren und Ampelregelungen verhindert werden. Und eine
emissionsfreie Busflotte sei zwar „schon okay“, wichtiger sei aber ein
Ausbau der Straßenbahnnetzes, da die Tram deutlich ökologischer sei.
Markus Büchler ist da schon eher gewillt, das Positive zu sehen. „Immerhin
sind die Augsburger so innovativ, dass sie was geschaffen haben, worüber
jetzt alle reden“, sagt der Sprecher für Mobilität der Landtagsfraktion der
Grünen im bayerischen Landtag. Die Stadt beschreite da durchaus einen
interessanten Weg.
„Wir müssen ja in ganz Bayern überlegen: Wie kommen wir aus den
eingefahrene Strukturen heraus? Wie kann ÖPNV attraktiver gemacht werden?“
Die neue City-Zone findet der Grüne deshalb „absolut erfreulich“. Sie sei
sicherlich nicht die abschließende Lösung, könne aber als Anreiz
funktionieren.
## Das Problem ist nicht die Stadt, sondern das Umland
Auch die Mobilflat lobt Büchler, besonders im Stadtumlandverkehr sei
Carsharing eine gute Möglichkeit, die Leute vom eigenen Auto wegzulocken.
Wer weiß, dass er im Falle eines Falles auf ein Leihauto zurückgreifen
kann, dem fällt auch der Umstieg auf den Öffentlichen Nahverkehr leichter.
Gerade im Umland von Augsburg sieht Büchler allerdings noch großen
Handlungsbedarf. „Wenn wir den Verkehr verlagern wollen, müssen wir es dort
machen und weniger im Zentrum. Denn im Stadt-Umland-Bereich haben wir die
höchsten Zuwachsraten im Verkehrsaufkommen.“
Deshalb müsse man den Öffentlichen Personennahverkehr im Umland deutlich
ausbauen, den Takt erhöhen und mehr Querverbindungen schaffen und dann ein
ein einfaches und günstiges Tarifsystem einführen. Markus Büchler findet,
der Landkreis München mache das vorbildlich. Da könne sich auch Augsburg
noch ein Scheibchen abschneiden.
7 Feb 2020
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
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Verkehrspolitik
ÖPNV
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Verkehrswende
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