# taz.de -- Polizei nennt häufiger die Nationalität: Es kippt | |
> Redaktionen weichen in Sachen Herkunftsnennung bei Straftätern | |
> kontinuierlich die Standards auf. Und die Polizeipressestellen machen | |
> mit. | |
Bild: Der Münchner Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins, 2016 | |
Eine Nachricht über eine Straftat kommt typischerweise wie folgt zustande. | |
Erstens: Jemand begeht die Straftat. Körperverletzung, Diebstahl, Raub, | |
Einbruch, vielleicht Tötung. Schritt zwei: Die Polizei ermittelt und gibt | |
eine Pressemitteilung heraus. Darin macht sie in der Regel Angaben zu den | |
Tatverdächtigen. Schritt drei: Ein journalistisches Medium nimmt die | |
Pressemitteilung auf, prüft sie (hoffentlich) und macht daraus eine | |
Nachricht. | |
Die Informationspolitik ist also beim Berichten über Straftaten stets ein | |
Zusammenspiel von [1][Polizeipressestellen] und Redaktionen. Die zeigen | |
gern aufeinander bei der Frage, wer denn nun verantwortlich ist für den | |
sensiblen Umgang mit den personenbezogenen Daten mutmaßlicher | |
Straftäter*innen. | |
Schulterzucken bei den Redaktionen: Stand halt schwarz auf weiß in der | |
Polizeimeldung, kann man also getrost nach Haus tragen. Sofern man die | |
Meldung nicht sowieso unbesehen von einer Software veröffentlichen lässt, | |
wie focus.de. | |
Augenrollen derweil bei der Polizei: Diese Journis rufen ständig an und | |
wollen den Stammbaum irgendwelcher Einbrecher bis hin zur Uroma. So etwa | |
berichtet es jedenfalls der Münchner Polizeisprecher Marcus da Gloria | |
Martins – ja, genau, das war [2][Mister Besonnenes Vorgehen beim Anschlag | |
in München 2016]. | |
## Problem-Crowd „2015-Geflüchtete“ | |
Da Gloria Martins sagt der FAZ im Interview am Montag, seine Pressestelle | |
erhalte fast täglich Nachfragen zur Herkunft von mutmaßlichen Tätern. „Und | |
selbst wenn man immer die Nationalität nennt: Dann ist die Diskussion noch | |
lange nicht befriedet, denn auch das reicht manchen nicht, wenn es um | |
Deutsche mit Migrationshintergrund geht.“ Ähnliche Anekdoten erzählte | |
kürzlich bei einem Pressetermin auch der Berliner Polizeisprecher. | |
Bis vor nicht all zu langer Zeit gab es eine einfache Wenn-dann-Regel für | |
die Herkunftsnennung. Wenn es einen Sachbezug gibt, also die Nationalität | |
bei der Tat ins Gewicht fällt, dann erwähnt man sie. Sonst nicht. Das stand | |
so im Pressekodex. Und daran hielt sich auch meist die Polizei. Das heißt | |
natürlich nicht, dass die Polizei davon absah, entsprechende Daten zu | |
erheben und gegebenenfalls damit [3][Racial Profiling] zu betreiben. Aber | |
immerhin konnte die lesende Bevölkerung sicher sein, dass sie in der | |
Zeitung nur Infos von Relevanz lesen und nicht Kategorien, die einzig die | |
allgemeine Neugier befriedigen. | |
Das ist inzwischen anders. [4][Die Kölner Silvesternacht 2015] kam und | |
damit die bürgerlichen Vertuschungstheorien. Die Sächsische Zeitung | |
begann, die Täterherkunft immer zu nennen. Der Presserat änderte den Kodex. | |
Und nun ziehen die Polizeipressestellen nach. München nennt die | |
Nationalität von Tatverdächtigen zwar nicht grundsätzlich, aber bei | |
Verdächtigen, die „seit 2015 im Zuge der großen Flüchtlingsbewegung nach | |
München gekommen sind“, schon, wie Sprecher da Gloria Martins in der FAZ | |
preisgibt. Die Polizeibehörden in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen wollen | |
künftig die Herkunft immer nennen, wie sie letzte Woche bekannt gaben. In | |
Hamburg war das sogar schon vor Silvester 2015 der Fall. | |
## Die Polizei gibt nach | |
Bisher war es so, dass zumindest die Polizei übereifrige Redaktionen davor | |
bewahrt hat, mit unnötigen und stigmatisierenden Herkunftsbezeichnungen um | |
sich zu werfen. Das kippt nun. Obwohl Studien zeigen, [5][dass die | |
Herkunftsnennung nichts mit Transparenz zu tun hat, sondern dass verzerrend | |
wirkt]. | |
Plötzlich sind Redaktionen und Pressestellen nicht mehr die, die relevante | |
Informationen von den irrelevanten trennen, sondern die, die beweisen | |
möchten, dass sie „nichts unterschlagen“. Denn über allem schwebt dräuend | |
der „interessierte Bürger“, der nun mal wissen will, wo alle Leute | |
herkommen, die mutmaßlich straffällig geworden sind. | |
Dieses „öffentliche Interesse“ hat mittlerweile im Pressekodex den | |
„Sachbezug“ ersetzt. Es wird von Redaktionen wie der Sächsischen Zeitung | |
begründend beschworen – und von Polizeisprecher da Gloria Martins. „Das | |
Interesse kommt aus der Mitte der Gesellschaft, das können wir nicht | |
ignorieren“, sagt der. Die FAZ-Interviewerin setzt noch einen drauf und | |
fragt, ob sich denn „der Bürger, der etwas über die Straffälligkeit von | |
allen nichtdeutschen Personen in München erfahren will“, auch in der | |
Polizeistatistik informieren kann. | |
Wenn dieser Bürger maßgeblich den Diskurs in der Einwanderungsgesellschaft | |
bestimmt, dann hat das Konsequenzen. Ganz sicher jedenfalls für alle, die | |
seit 2015 nach Deutschland geflohen sind und hier gerne mehr wären als Teil | |
einer Problemcrowd. Und möglicherweise auch für den „interessierten | |
Bürger“, der irgendwann selber nicht mehr wissen wird, ob sein „begründet… | |
Interesse“ nicht einfach nur das niedere Bedürfnis ist, seine Vorurteile | |
bestätigt zu sehen. | |
3 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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