# taz.de -- Soziale Ungleichheit: Enterbt uns doch endlich! | |
> Es ist an der Zeit zu fragen, ob Erben überhaupt noch legitim ist. Wir | |
> müssen darüber reden – und eine gerechte Erbschaftssteuer erheben. | |
Bild: Die Ungleichheit in Deutschland liegt zum größten Teil am Erben | |
In meiner Generation gibt es ein letztes Tabu. Während ich mit Freunden | |
beim Kaffee ohne Probleme über den nächsten Besuch beim Psychologen reden | |
kann, über Geschlechtskrankheiten, die sich jemand zugezogen hat, schweigen | |
wir uns über das Erben aus. Dabei gibt es wenig, das meine Altersgruppe in | |
den nächsten Jahren so stark prägen und zerreißen wird. | |
Vor einigen Jahren ist meine Mutter verstorben und hat mir eine Erbschaft | |
hinterlassen. Heute wohne ich, aus der Erbschaft bezahlt, in einer | |
[1][Eigentumswohnung] und vermiete zusätzlich noch eine kleine Wohnung. | |
Schon jetzt habe ich durch meine Erbschaft mehr Vermögen aufgebaut, als ich | |
es durch eine lebenslange Erwerbsarbeit je tun könnte. | |
Dabei ist mein Fall kein besonderer, sondern spielt sich in Deutschland | |
jeden Tag tausendfach ab. Wenn man sich die derzeitige Einkommensverteilung | |
nach Alter anschaut, dann rollt bald die größte Erbschaftswelle in der | |
Geschichte der Bundesrepublik auf uns zu – und wird unsere Gesellschaft | |
grundlegend verändern. Experten rechnen mit einem jährlichen Erbvolumen von | |
400 Milliarden Euro. Das ist mehr als der aktuelle Bundeshaushalt. | |
An meinem Beispiel lässt sich gut illustrieren, wie stark die Herkunft | |
unser Leben bestimmt. Ich war nie ein besonders guter Schüler. Ohne die | |
unermüdliche Hilfe meiner Eltern hätte ich das Abitur mit ziemlich großer | |
Sicherheit nicht geschafft. Mein Leben, so viel kann man prognostizieren, | |
wäre anders verlaufen. Ich bin also schon privilegiert aufgewachsen. Mein | |
Erbe gibt mir in einer beruflich entscheidenden Phase im Leben noch einen | |
zusätzlichen Vorteil. | |
## Eines der ungleichsten Länder in Europa | |
Das Erben ist etwas, das wir in der Gesellschaft oft unhinterfragt | |
hinnehmen. Doch in den nächsten Jahren werden die Vermögen, die | |
weitergereicht werden, immer größer. Zugleich nimmt die soziale Mobilität | |
in der Gesellschaft ab. Da ist es an der Zeit zu fragen, ob Erben überhaupt | |
noch legitim ist. | |
Wenn ich meine Generation anschaue, dann bekomme ich immer größere Zweifel, | |
ob das in der Verfassung festgeschriebene Sozialstaatsprinzip und das Erben | |
noch vereinbar sind: Auf der einen Seite die Erben, auf der anderen Seite | |
der Großteil der Gesellschaft, der sich anstrengt, aber kaum Vermögen | |
aufbauen kann. | |
Am Ende entwickeln wir uns zu einer Gesellschaft der Besitzstandswahrer, | |
die sich an das Gestrige klammert. In meiner Generation ist die eigene | |
soziale Lage nicht mehr durch eigenes Handeln geprägt, sondern vor allem | |
vom Glück oder Pech beim Geburtenbingo. Aber warum halten wir dann | |
bedingungslos am Prinzip des Erbens fest? | |
Deutschland ist eines der ungleichsten Länder in Europa. In keinem anderen | |
Land ist die Vermögensungleichheit so zementiert wie bei uns. Wir haben ein | |
System geschaffen, das öffentliche Armut fördert und den privaten Reichtum | |
weniger Menschen immer weiter steigert. Das liegt zum größten Teil am | |
Erben. In Deutschland kommt noch der besondere Fakt hinzu, dass Erben einer | |
der Faktoren für die weitere wirtschaftliche Spaltung zwischen Ost- und | |
Westdeutschland sein wird. | |
## Ich hätte gerne etwas abgegeben | |
Wir müssen darüber reden, wie wir Erbschaften fair besteuern. Ich verstehe | |
nicht, warum ich auf mein reguläres Einkommen, für das ich arbeite, Steuern | |
und Sozialabgaben zahlen muss, aber der Staat sich kaum für mein | |
leistungsloses Erbe interessiert. Ich verstehe genauso wenig, warum die | |
linken Parteien nicht jede Woche eine aktuelle Stunde im Bundestag zu | |
diesem Thema beantragen. Ich hätte gerne etwas von meinem Erbe abgegeben. | |
Meine Generation ist eine Generation der Unsicherheit. In den letzten 10 | |
Jahren hatte ich sechs unterschiedliche Arbeitgeber, habe mich oft von | |
befristetem Vertrag zu befristetem Vertrag gehangelt. Nach meinem Studium | |
wurde mir ein Job in einer Agentur in Berlin-Mitte angeboten. Der | |
Arbeitsvertrag verlangte eine reguläre Arbeitszeit von 45 | |
Wochenarbeitsstunden, unbezahlte Überstunden, ich hätte nicht schwanger | |
sein dürfen und an keiner schlimmen Krankheit leiden. Gesetzeswidriger kann | |
man einen Arbeitsvertrag kaum aufsetzen. | |
Obwohl ich kein anderes Jobangebot hatte und mir [2][Hartz IV] drohte, habe | |
ich den Arbeitsvertrag dankend abgelehnt. Dies konnte ich aber nur mit der | |
Sicherheit der eigenen Eltern im Hintergrund tun. Hätten wir zu Hause vom | |
Existenzminimum gelebt, hätte ich den Job mit Sicherheit angenommen. | |
Ich möchte, dass alle meiner Generation die Sicherheit bekommen, die ich | |
genießen durfte. Und dafür müssen wir endlich auch über das Erben reden. | |
## Endlich eine hohe Erbschaftsteuer erheben | |
Meine eigenen Erfahrungen lassen mich immer grundsätzlicher am Prinzip des | |
Erbens zweifeln. Bevor ich selber geerbt habe, war Erben ein | |
selbstverständlicher Teil der Gesellschaft für mich. Ein Prinzip, das man | |
nicht hinterfragt, weil es schon immer da war. Doch bis heute kann ich mir | |
selbst nicht beantworten, mit welchem Recht ich dieses Geld bekommen habe. | |
Und das fühlt sich nicht gut an. | |
Es hat natürlich etwas Schönes und Behagliches, wenn Eltern möglichst gut | |
für ihre Kinder sorgen wollen. Aber wir sollten endlich eine hohe | |
Erbschaftsteuer erheben. Keine kosmetische, wie wir sie aktuell verlangen, | |
sondern um die 50 Prozent. Denn ganz ehrlich: Auch mit der Hälfte meines | |
Erbes wäre ich noch privilegiert. | |
Das durch die Erbschaftsteuer eingenommene Geld sollten wir in eine Art | |
bedingungsloses Grundeinkommen für junge Menschen stecken. Die Gesellschaft | |
als Ganzes würde erben, die derzeitige Explosion der Vermögensungleichheit | |
wieder eingedämmt. Es wäre ein radikaler Schritt – aber ein Schritt, der | |
notwendig ist, wenn wir weiter eine gewisse Chancengerechtigkeit in der | |
Gesellschaft behalten wollen. Ein Schritt, ohne den meine Generation | |
zerbrechen könnte. | |
Natürlich können wir auch über andere Modelle nachdenken. Aber lasst uns | |
endlich über das Erben reden. | |
2 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Yannick Haan | |
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