| # taz.de -- Zehn Vorschläge zur Rettung der SPD: Redet verständlich! | |
| > Sozialdemokraten schreien ihr Publikum zu oft an und halten die Agenda | |
| > 2010 als Schlossgespenst. So wird das nichts mit den Wählerstimmen. | |
| Bild: Ob Nahles wie eine Oppositionsführerin poltert oder auf staatstragend ma… | |
| Die SPD ist unter den Parteien das, was Zeitungen innerhalb der Medien | |
| sind. Ziemlich alt, für die Zukunft vielleicht nicht mehr unbedingt | |
| erforderlich. Aber alle wären sehr bestürzt, wenn sie wirklich | |
| verschwindet. Was die SPD vielleicht retten kann. | |
| 1. Redet verständlich! Sozialdemokraten schreien ihr Publikum zu oft an. | |
| Mit sich überschlagender Stimme im Wahlkampf die eigenen Reihen zu | |
| schließen und andere Parteien zu beschimpfen, ist ein Relikt aus der alten | |
| Bundesrepublik. Gleichzeitig regiert die SPD seit Jahren geräuschlos mit | |
| der Union, die ihr inhaltlich oft zum Verwechseln ähnelt, doch in | |
| Wahlkämpfen rituell beschimpft werden muss. | |
| Der andere SPD-Sprachmodus ist: Verwaltungsjargon, ohne Verben, mit | |
| Substantivketten. Das Brüllen ist leeres Ritual, das andere blutarme | |
| Administration. Die gebildeten WählerInnen (also die Mehrheit) wollen 2018 | |
| aber als Einzelne und als denkende Subjekte ernst genommen werden. Robert | |
| Habeck hat verstanden, wie man in der Gesellschaft der Singularitäten reden | |
| muss: plastisch, originell, reflexiv. Klar in den Zielen, freundlich im | |
| Ton. Bei der SPD ist es oft andersherum. | |
| 2. Nichts ist gut, wenn Die Welt nette Kommentare über euch schreibt. Die | |
| SPD ist eine Partei des sozialen Aufstiegs. Ihre historische Mission war | |
| die Verwandlung von Arbeitern in Kleinbürger. Die ist geglückt. Tief in | |
| fast jedem Sozialdemokraten, dessen Eltern oder Großeltern noch zu den | |
| bildungsfernen Schichten gehörten, gibt es das nagende Gefühl, noch immer | |
| nicht dazuzugehören. Und noch immer nicht so selbstverständlich wie Union, | |
| Liberale und neuerdings Grüne das Bürgertum der Bundesrepublik zu | |
| verkörpern. Man möchte aber doch so gerne auch endlich ganz und gar | |
| ankommen. Deshalb heiratet Schröder im Adlon, und die SPD-Spitze lächelt | |
| still und glücklich, wenn FAZ oder Die Welt ihr jovial auf die Schultern | |
| klopfen. Falsch! Wenn das passiert, ist Gefahr im Verzug. Es gilt: Sofort | |
| eine gepfefferte Erbschaftssteuer beschließen. | |
| 3. Beerdigt die Agenda 2010! Die Agenda 2010 ist das Schlossgespenst der | |
| Sozialdemokratie. Nicht tot, nicht lebendig, und immer noch | |
| schreckenerregend. Die SPD ist eine Partei der Arbeit. Sie muss | |
| garantieren, dass, wer Jahrzehnte gearbeitet hat, weich fällt und nicht | |
| knallhart in Hartz IV aufschlägt. Das ist finanzierbar und man muss auch | |
| nicht (wie es euer Arbeitslosengeld Q vorsah) 61-jährige ehemalige | |
| Metallarbeiter oder die ausgebrannte Krankenschwester mit | |
| Zwangsumschulungen malträtieren. Gebt Euch einen Ruck und beerdigt das | |
| Gespenst. Und verkündet das am besten zusammen mit forschen Plänen für | |
| Arbeit in der digitalen Zukunft. | |
| 4. Werdet höflicher! Kürzlich im Willy-Brandt-Haus: die wöchentliche | |
| Pressekonferenz des Generalsekretärs. Aber er kommt nicht. Auch eine halbe | |
| Stunde später ist kein Klingbeil zu sehen. Der Korrespondent einer | |
| Regionalzeitung mit wenig Neigung zum Aufsässigen fordert alle Journalisten | |
| auf, zu gehen. Dann kommt der Generalsekretär doch noch. Entschuldigung | |
| oder Erklärung für die Verspätung? Fehlanzeige. Das ist kein Einzelfall. | |
| Mit der Pressestelle der SPD zu telefonieren erinnert an Gespräche mit | |
| Callcentern, wenn die Stromgesellschaft ein paar Hundert Euro zu viel | |
| abgebucht hat. Außergewöhnlich dünnhäutig und pampig regieren indes | |
| SPD-PolitikerInnen auf kritische Kommentare. (Die schreibt derzeit niemand | |
| mehr – das ist wirklich beunruhigend.) | |
| Es gibt viele zugewandte, offenherzige und souveräne SozialdemokratInnen. | |
| Und es gibt eine strukturelle Unhöflichkeit, die man weder bei CDU noch bei | |
| der Linkspartei, weder bei Grünen noch FDP findet. Und die hat zwei Gründe: | |
| Erstens neigen soziale Aufsteiger zu einer Hemdsärmeligkeit, die, wenn es | |
| gut läuft, locker wirkt, aber schnell in ungebremste Wurschtigkeit | |
| umschlägt. Und zweitens ist die Mixtur aus Arroganz und Dünnhäutigkeit | |
| typisch für Großorganisationen, die verdrießlich ihren eigenen Abstieg | |
| managen. Aber Gründe gibt es immer. Man kann auch mit Stil untergehen. | |
| JournalistInnen ärgern macht nichts besser. | |
| 5. Räumt Willy Brandt in die Ecke! Im fünften Stock des Willy-Brandt-Hauses | |
| hängen Fotos der beeindruckenden Ahnengalerie der Partei – Marx und | |
| Lassalle, Heinemann und Brandt. Groß und heroisch war der Kampf gegen den | |
| Kaiser und die Nazis, für Demokratie, Frieden, Bürgerrechte. Nur die SPD | |
| musste nie ihren Namen ändern, heißt es stolz. „Die Tradition aller toten | |
| Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden“ schrieb Marx | |
| im „18. Brumaire“. Das trifft auf die SPD zu. | |
| Groß ist die bronzene Statue von Willy Brandt im Atrium der Parteizentrale. | |
| Klein, graugesichtig und technokratisch verzagt wirken daneben der | |
| Klingbeil, die Nahles, der Schäfer-Gümbel und all die andern. Die | |
| Historische Kommission zu streichen, war dumm. Aber aus dem übermächtigen | |
| Schatten der Geschichte zu treten, das strahlende Gestern und Willy Brandt | |
| etwas in die Ecke zu rücken – vielleicht würde es die Köpfe freier machen. | |
| Leicht wird das nicht. Die Statue wiegt eine halbe Tonne | |
| 6. Lest Nils Heisterhagen – und folgt ihm nicht! Heisterhagen ist ein | |
| [1][sendungsbewusster junger Sozialdemokrat] und hat eine Idee. Schon das | |
| ist derzeit ein Alleinstellungsmerkmal in der SPD. Die Partei soll | |
| innenpolitisch rechts und sozialpolitisch links werden, und sich von | |
| Multikulti und libertärem Klimbim befreien. Das klingt besser als es ist. | |
| Die SPD hat noch vor ein paar Jahren einen komplett biodeutschen | |
| 50-köpfigen Parteivorstand gewählt und ist erst kürzlich auf die Idee | |
| gekommen, dass Podiumsdiskussionen ganz ohne Frauen nicht so toll sind. | |
| Damit soll jetzt schon wieder Schluss sein? Lieber nicht. Ja, die SPD | |
| braucht mal wieder einen wie Schily, der Gesetzestreue als | |
| sozialdemokratische Politik verkauft. Und nein, reißt bloß das zarte | |
| Diversity-Pflänzchen nicht wieder aus. Damit jagt ihr die letzten | |
| Wohlmeinenden zu den Grünen. | |
| 7. Mehr Machtbewusstsein! Die SPD hat sich zu lange geweigert, die | |
| Linkspartei mit der Aussicht auf Machtbeteiligung zu locken und zu | |
| bändigen. Aus Scheu vor dem Risiko, aus Bequemlichkeit und Widerwillen | |
| gegen Lafontaine. Irgendeinen Grund gab es immer. In Bayern bekamen SPD und | |
| Linkspartei zusammen nur ein bisschen mehr als die AfD. Außer in Hessen | |
| gibt es für linke Mehrheiten derzeit nicht allzu viele Chancen. Will sie | |
| eine haben, muss die SPD beherzt Rot-Rot-Grün forcieren. Wenn sie es | |
| vorzieht, nach den blendenden Erfahrungen mit den Großen Koalitionen, | |
| Juniorpartner der CDU in Wiesbaden zu werden, ist ihr nicht mehr zu helfen. | |
| 8. Schafft linke Symbole! Olaf Scholz hatte mal eine echt gute Idee: 12 | |
| Euro Mindestlohn. Leider kam ihm diese Idee sechs Wochen nach dem Wahlkampf | |
| 2017, den die SPD mit einem Dutzend kleinerer, meist komplizierter | |
| Reformvorschläge bestritten hatte. Der Renner war die „Wiedereinführung der | |
| paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“. Für | |
| Zeiten, in denen mit Twitter-Botschaften Politik gemacht wird, vielleicht | |
| ein bisschen lang. Man musste eine gewisse Liebhaberei für Wahlprogramme | |
| haben, um zu verstehen, was die SPD mit Gerechtigkeit meinte. | |
| Andrea Nahles hatte eine andere prima Idee und auch noch während des | |
| Wahlkampfs: ArbeiternehmerInnen, die der digitale Wandel zu flexiblen neuen | |
| Jobs zwingt, sollten ein paar Tausend Euro bekommen, finanziert aus der | |
| Erbschaftsteuer. Supervorschlag! Die Bild streute das Gerücht, dieses | |
| Chancenkonto koste 100 Milliarden Euro. Das war zwar Unfug, reichte aber, | |
| um das ohnehin nur halbherzig vorgetragene Konzept in die Schublade zu | |
| verbannen. | |
| 9. Legt Euch mit den Eliten an! Wenn ihr nur das Bestehende erhalten wollt, | |
| werdet ihr untergehen. Wenn ihr es ernst meint mit Gerechtigkeit und | |
| Umverteilung, müsst ihr es so sagen, dass die Leute es verstehen. Nicht | |
| nuschelnd im Hinterzimmer bei Verhandlungen über die Erbschaftsteuer. | |
| Sondern selbstbewusst und laut. Dafür müsst ihr euch auch mal mit den | |
| Eliten anlegen. Das habt ihr verlernt. War die Idee lebenslangen Lernens | |
| nicht von euch? | |
| 10. Raus aus der Großen Koalition! Die Befürworter der GroKo machten Anfang | |
| des Jahres ein verführerisches Versprechen: Es gibt kein „Weiter so!“. Bei | |
| der dritten GroKo wird alles besser als bei den ersten beiden, die der SPD | |
| schlimme Wahlergebnisse zwischen 20 und 24 Prozent beschert hatten. Merkel, | |
| die stets schamlos das SPD-Programm geplündert hatte, sei nun schwach. Bald | |
| werde das Publikum die verlässliche SPD wieder ins Herz schließen. Aber so | |
| ist es nicht. Es ist viel, viel schlimmer, sagen hinter vorgehaltener Hand | |
| auch SPD-SpitzenpolitikerInnen. Ob Nahles wie eine Oppositionsführerin | |
| poltert oder auf staatstragend macht, die SPD kann derzeit tun, was sie | |
| will, es nutzt nichts. | |
| Beim ersten Auftritt von Horst Seehofer als Dramaqueen sagte die SPD gar | |
| nichts – gebracht hat es ihr nichts. Im Fall des | |
| Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen hat sie eskaliert – ohne | |
| davon zu profitieren. Es ist wie in einem Slapstickfilm: Erst versucht man | |
| den tropfenden Wasserhahn zu reparieren, dann steht die Wohnung unter | |
| Wasser und am Ende bricht scheppernd das ganze Haus zusammen. Dieser aus | |
| der Not geborenen Regierung wird niemand eine Träne nachweinen. Auch wenn | |
| die SPD kreuzbrav bleibt, wird sie kaum drei Jahre halten. Das Risiko eines | |
| Koalitionsbruchs ist überschaubar. Deswegen ist früher raus besser als | |
| später raus. Besser ein Ende mit Schrecken. Danach beginnt die Arbeit. | |
| 21 Oct 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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