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# taz.de -- Fragwürdige Polizeistatistik: Zahlen, die knallen
> 2019 wurden laut Berlins Polizeipräsidentin 7.000 Polizisten Opfer von
> Gewalt. Doch die Zahl stimmt nicht und die Statistik ist aufgebläht.
Bild: Achtung, Rauch!
Berlin taz | Aus den Ereignissen der [1][Silvesternacht im linksalternativ
geprägten Leipziger Viertel Connewitz] könnte die Polizei viel lernen.
Etwa, dass eigene Verlautbarungen – in diesem Fall zu einem angeblich
geplanten Angriff und einem notoperierten Beamten – mitunter auch kritisch
überprüft werden. Man könnte lernen, dass durch fehlerhafte
Informationspolitik das Vertrauen in die Institution beschädigt werden
kann, und schlussfolgern, sich besser an das geltende Neutralitäts- und
Sachlichkeitsgebot zu halten.
Aus Sicht der Medien könnten die Ereignisse lehren, dass es ratsam ist, die
Polizei nicht in jedem Fall als unvoreingenommene Quelle der Wahrheit zu
betrachten; erst recht nicht, wenn sie in einer kritischen Situation selbst
Akteur ist. Man könnte analysieren, wie die Polizei versucht, selbst
politischer Akteur zu sein, und dies zurückweisen. Man könnte verstehen,
dass die ungeprüfte Übernahme von Polizeimeldungen das Vertrauen in
kritische Berichterstattung untergräbt.
Wenn man all das unterlässt, läuft es dagegen wie nun in Berlin. Vor mehr
als zwei Wochen veröffentlichte die Nachrichtenagentur dpa einen Bericht,
in dem es heißt, dass laut Polizeipräsidentin Barbara Slowik im vergangenen
Jahr täglich „19 Polizisten Opfer einer Gewalttat“ wurden – ganze 7.000 …
Jahr. Weiterhin hieß es: „Das sei gegenüber dem Vorjahr ein leichter
Anstieg gewesen.“
Der Bericht, der auf einem Interview mit Slowik von vor Weihnachten beruht,
erschien es in nahezu allen relevanten Berliner Medien, vom Tagesspiegel
über Morgenpost bis [2][RBB].
## Mauernde Polizei
Unmittelbar nach der Veröffentlichung fragte die taz bei der Polizei die
exakte Zahl und die Unterscheidung nach einzelnen Delikten an. Eine Antwort
blieb die Polizei fast zwei Wochen lang schuldig, unter anderem mit dem
Hinweis, die Zahlen würden noch dieses Jahr in der Polizeilichen
Kriminalstatistik 2019 veröffentlicht. Mittlerweile liegen die Zahlen der
taz vor, auch weil es für die Polizei keinen Grund gibt, die vom
Landeskriminalamt zusammengetragenen Fälle zu verheimlichen.
Das Ergebnis überrascht: Demnach wurden im vergangenen Jahr nur etwa 6.650
Polizisten Opfer und damit deutlich weniger als von Slowik genannt. Es ist
der zweitniedrigste Wert der vergangenen fünf Jahre und es sind – entgegen
ihrer Aussage – etwa 300 Fälle weniger als 2018.
Zu beachten ist dabei auch: Ein Polizist kann in einer Situation Opfer
mehrerer Delikte werden. Hinter der Zahl verbirgt sich also nicht die
tatsächliche Anzahl der Opfer, sondern die Gesamtzahl der – von Polizisten
gemeldeten – Angriffe. Eine Überprüfung der Angaben findet nicht statt;
auch wird die Statistik nicht bereinigt, wenn ein vermeintlicher Täter
durch ein Gericht freigesprochen wird.
## Kaum Körperverletzung
Durfte sich in der dpa-Meldung noch die Gewerkschaft der Polizei über „eine
neue Dimension, was die Schwelle der Gewalt angeht“, beklagen, ist dies
beim genauen Blick auf die Zahlen nicht zu halten. Von den gut 6.650
gezählten Gewaltopfern entfallen nur 700 Fälle auf einfache sowie schwere
beziehungsweise gefährliche Körperverletzung, etwa im gleichen Verhältnis.
Während die Zahl der schweren Körperverletzungen auf dem Vorjahresniveau
ist, ist bei der Zahl der einfachen Körperverletzungen laut Polizei „ein
deutlicher Rückgang“ festzustellen; 2018 wurden hier noch 949 Opfer
registriert. Die korrekte Schlagzeile hätte also lauten können: 2019 gab es
täglich etwas weniger als zwei Gewalttaten gegen Polizeibeamte.
Als Gewalttaten gezählt werden außerdem Bedrohungen und Nötigung. Die
überwältigende Mehrheit der 2019 erfassten Fälle entfällt mit etwa 5.500
aber auf die Delikte Widerstand und tätlicher Angriff – der einzig erfasste
relevante Anstieg in der Statistik. Beide sind unterhalb der einfachen
Körperverletzung angesiedelt, weil sie eine Verletzung nicht intendieren.
Das Delikt „Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ war erst im Jahr
2017 [3][als eigenständiger Paragraf ins Strafgesetzbuch aufgenommen
worden]. Kritiker sprechen von einer Lex Polizei und von einem
„Schubsgesetz“. Während ein Schubsen gegen Vollstreckungsbeamte als
Straftat gewertet wird, ist eine solche Tat gegen alle anderen Menschen
nicht strafbar.
In der Praxis reicht neben dem Schubsen auch sich loszureißen, sich gegen
eine Tür zu stemmen oder eine ruckartige Bewegung, damit Polizisten von
Widerstand oder tätlichem Angriff sprechen können. Dass der Gesetzgeber und
die Polizei diese Delikte als Gewalttaten zählen, ist Ausdruck eines
politischen Interesses. Dies ungefragt zu übernehmen, ist nicht Aufgabe
einer kritischen Öffentlichkeit.
28 Jan 2020
## LINKS
[1] /Angriff-auf-Polizei-in-Leipzig/!5649887
[2] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/01/slowik-gewalt-gegen-polizisten…
[3] /Gesetzentwurf-zum-Schutz-von-Polizisten/!5401997
## AUTOREN
Erik Peter
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