# taz.de -- Neubauer vs. Siemens: In welchen Arsch wir treten müssen | |
> Luisa Neubauer geht auf Siemens los, weil der Konzern ein | |
> umweltschädliches Projekt in Australien beliefert. Worum es dabei | |
> wirklich geht. | |
Bild: Luisa Neubauer bei einer Protestaktion vor der Hamburger Siemens-Niederla… | |
Es war ein beklemmender und zugleich aufklärerischer Moment, als Luisa | |
Neubauer und Hans-Christian Ströbele bei der gemütlichen Geburtstagsfeier | |
zum 40./30. von Grünen bzw. Bündnis 90 [1][aneinander vorbeiredeten]. Der | |
letzte 68er Cowboy der universalen Dagegenkultur erzählte noch mal, wie | |
schwer sie es 1968 ff. gehabt („Alle waren gegen uns“) und wie toll sie das | |
hingekriegt hätten. Wie leicht dagegen habe es Fridays for Future heute | |
(„Fast alle sind für euch“). | |
Na ja. Klimapolitikaktivistin Neubauer gratulierte höflich, erklärte | |
vorsichtshalber noch mal, dass FFF die liberale Demokratie und ihre | |
Institutionen verteidige, und merkte nur in einem Nebensatz an, dass sie | |
selbst eben „keine 30, 40 Jahre“ Zeit hätten. Was sie nicht sagte: für da… | |
was die tollen Grünen liegen gelassen haben. Eine politische Bewältigung | |
der Klimakrise. | |
Gut, Feiern sind Feiern, aber die Festrede von Bundespräsident Steinmeier | |
war von einer fröhlichen Problemferne. „Ökologie und Nachhaltigkeit sind | |
zum Maßstab der Politik geworden“, sagte er. Der Satz ist in etwa so | |
zutreffend, als hätte er gesagt: In Deutschland gibt es keine Nazis mehr, | |
hurra. Nur dass er dann erledigt gewesen wäre. | |
Neubauer, 23, wird mittlerweile auch dafür kritisiert, dass sie den Erfolg | |
von Fridays knallhart mit der klimapolitischen Realität vergleicht und | |
nicht nur in den Denkmustern von Symbolpolitik oder medialer Aufmerksamkeit | |
misst. Ja, es hätte kein Klimapaket gegeben ohne Fridays. Das ändert nichts | |
daran, dass dieses zusammengehudelte Dingsbums der Bundesregierung so viel | |
hilft wie ein Pflaster gegen Lungenkrebs. | |
## Dick dabei: Kohle und Öl | |
Es tut sich etwas, ja. Vielleicht auch in großen Unternehmen. Aber Tempo | |
machen jetzt diejenigen, deren Geschäftsmodelle durch ernsthafte | |
Klimapolitik enden. Für sie geht es darum, möglichst schnell noch möglichst | |
viel CO2-Ausstoß zu verursachen. Ganz dick dabei: Kohle und Öl. | |
Ob es nun Strategie war oder Intuition: Jedenfalls kam Neubauer von der | |
Klimakonferenz in Madrid zurück und initiierte den richtigen Move. [2][Sie | |
ging auf den Konzern Siemens los], der Technik für den Abtransport von | |
Kohle aus einer Mine des indischen Konzerns Adani in Australien liefert. | |
Das Projekt steht Pars pro Toto für das Dilemma der Gegenwart, dass wir die | |
Interessen und Logiken von global agierenden Unternehmen, Staaten, | |
aufsteigenden Mittelschichten zwar leidlich verknüpfen, aber weiter nur | |
durch Diebstahl der menschlichen Zukunft. Dieses Projekt ragt aber auch | |
heraus, weil das ausgestoßene CO2 unfassbar viel von dem verbliebenen | |
Restplatz einnehmen wird, den die Atmosphäre noch übrig hat. | |
Das muss man verstehen: Es geht nicht um Aufsichtsratsposten, Flugscham | |
oder Antikapitalismus. Es geht darum, dass Kohle und Öl im Boden bleiben. | |
Es geht nicht darum, „Wirtschaft“ generell abzuwatschen. Es geht darum, | |
unterscheiden zu können, welche qua Größe entscheidenden Unternehmen an | |
ihrer postfossilen Zukunft arbeiten – und welche gar nicht. Es geht darum, | |
die unfassbaren Mengen an Kohle, die weiterhin in fossile Projekte | |
investiert werden, in erneuerbare Energien umzuleiten. | |
Genau das werden Greta Thunberg und Luisa Neubauer nächste Woche in Davos | |
thematisieren. Vielleicht geht es strategisch auch darum, einen Keil in die | |
Industrie, in Finanzindustrie und Investoren zu treiben, um durch eine | |
gesellschaftliche und politische Unterscheidung in „zukunftsfähig“ und | |
„nicht zukunftsfähig“ marktwirtschaftliche Dynamik auszulösen. | |
Kurzfristig geht es aber um ordnungspolitische Dynamik. Wenn man das mal | |
uncharmant sagen darf: Der Arsch, in den wir treten müssen, ist die | |
demokratische Politik. Und unser eigener. | |
18 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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