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# taz.de -- Grüne feiern ihren 40. Geburtstag: Da lacht das Establishment
> Der Präsident lobt, alte Herren geben sich großväterlich, die Jugend
> tanzt im Kreis. Und nur die Barkeeperin der etwas steifen Fete will nicht
> regieren.
Bild: Vergnügte Runde mit Gast: Robert Habeck, Annalena Baerbock, der Präside…
Berlin taz | Frank-Walter Steinmeier ist nicht gerade als Partygranate
bekannt. Aber er gratuliert den Grünen mit angenehmer Selbstironie. Darf er
überhaupt hier reden? Er, „das amtgewordene Establishment“? Keine Sorge, er
habe sich vom Protokoll versichern lassen, dass „Aufstehen und Hymne
Singen“ nicht vorgesehen sei, sagt der Bundespräsident. Da lacht das – nun
ja – versammelte Establishment der Partei Bündnis 90/Die Grünen.
Nicht, dass damit hier irgendjemand ein Problem hätte. Also mit dem
Aufstehen und Hymne singen. Schließlich sind die Grünen „stolz darauf“, d…
Demokratie in Regierungen und Parlamenten zu verteidigen, wie Parteichefin
Annalena Baerbock zur Begrüßung sagt. Ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck
fügt hinzu, dass seine Partei „im Zentrum der Gesellschaft“ stehe.
Man tut den Grünen nicht unrecht, wenn man sagt: So ähnlich feiern sie dann
auch. Die große Sause zu „[1][40 Jahre Grüne]“ und „30 Jahre Bündnis 9…
Freitagabend im Motorwerk in Berlin-Weißensee geriet zu einer etwas steifen
Veranstaltung.
Steinmeier lobt die Grünen so sehr, als spiele er mit dem Gedanken, nach
Bellevue eine neue Parteikarriere zu starten. „Die Grünen haben das Land
verändert.“ Und umgekehrt. Deutschland sei offener, vielfältiger,
menschlicher und moderner in diesen 40 Jahren geworden. „Vor allen Dingen
aber ist die Ökologie seit 1980 aus der Politik nicht mehr wegzudenken.“
Mehr noch: Ökologie und Nachhaltigkeit seien zum Maßstab von Politik
geworden.
## Trittin geht das runter wie kalt gepresstes Olivenöl
Steinmeier findet auch den Wandel der Grünen toll. Der Kompromiss gelte bei
ihnen nicht mehr als Verrat, Opposition nicht als die edlere Alternative.
Jürgen Trittin habe das – in seinem nicht untypischem Selbstbewusstsein –
mal so formuliert: „Wer kann meine Ideen eigentlich besser umsetzen als ich
selber?“ Wieder Gelächter.
Trittin geht das natürlich runter wie kalt gepresstes Bio-Olivenöl. Er
guckt so, wie er guckt, wenn er sich freut, aber keiner es merken soll.
Aufgestanden wird dann doch noch, nämlich nach der (wirklich guten) Rede
Steinmeiers. Jener nimmt die Standing Ovations mit mildem Lächeln entgegen.
Die Grünen wiederum bemühten sich sehr, Steinmeier gut zu unterhalten.
Etwa, indem sie Claudia Roth in der ersten Reihe neben ihm platzierten. Und
die weiß nun wirklich, wie man Partys feiert. Wobei [2][Ton Steine
Scherben] und heutige Grünen-Partys so viel gemein haben wie Spontisprüche
mit einer [3][Kretschmann-Rede].
## Paartanz zu „Waka Waka“
Bei den Grünen kann es einem passieren, dass gegen zehn vor neun ein
flotter Paartanz aufs Parkett gelegt wird, zu [4][“Waka Waka“ von Shakira].
Um zehn Uhr läuft dann [5][„Schrei nach Liebe“ von den Ärzten] – und die
Grüne Jugend bildet einen Tanzkreis vor dem DJ-Pult. Dann ist es in der
Regel Zeit zu gehen.
Bevor es zu diesen erbaulichen Szenen kommt, gilt es aber noch
„Talkformate“ zu überstehen. Talkformat ist, wenn der Alt-Grüne
[6][Christian Ströbele] der Neu-Klimaschützerin [7][Luisa Neubauer]
erklärt, wie man angemessen radikal demonstriert. Oder wenn Joschka Fischer
die tapfer fragende Baerbock ignoriert und einfach antwortet, was er will.
Ströbele geht langsam hinter seinem Rollator auf die Bühne, den roten Schal
um den Hals gehängt. Er setzt sich auf sein Gefährt, nachdem er die
Handbremsen energisch angezogen hat.
Als sie früher auf die Straße gegangen seien, seien alle gegen sie gewesen,
erzählt er – die Zuschauer, die Medien, der überwiegende Teil der
Bevölkerung. Die Demonstrationen von Fridays for Future hingegen würden
akzeptiert und gelobt. Sie hätten Polizisten „höchstens mal von Weitem
gesehen“ – wenn sie den Verkehr an einer Kreuzung regelten. „Wir wussten,
wo der Gegner steht“, sagt Ströbele. Fridays for Future müssten aufpassen,
dass sie nicht vereinnahmt würden.
Das klingt alles etwas großväterlich, aber Ströbele darf bei den Grünen
alles. Derlei kann Neubauer sowieso nicht aus der Ruhe bringen. Sie erzählt
lässig, wie ihr Siemens-Chef Joe Kaeser [8][bei einem Treffen einen
Aufsichtsratsposten angeboten] habe. Und dass es recht frustrierend sei,
ein Jahr lang mit einem dringend nötigen Anliegen vor den Parlamenten zu
stehen, und dann passiere genau: nichts.
Kaeser erteilte sie übrigens – später von dpa befragt – einen Korb. Die
Kernfrage seien nicht „irgendwelche Aufsichtsratsgeschichten“, sondern ob
Siemens an den Investitionen festhalte, obwohl sie wüssten, welche
Konsequenzen dies für das Weltklima habe.
## Fischer predigt wie für Störche
[9][Fischers Vermächtnis] an seine Partei lautet: „Verdammt nochmal, scheut
nicht die Verantwortung. Sucht sie, nehmt sie und setzt sie durch.“ Das ist
ein bisschen so, als predige man einer Schar Störche, doch bitteschön,
verdammt nochmal, endlich Frösche zu fressen. Im Saal wollen sie alle
regieren, die nette Barkeeperin vielleicht ausgenommen, die
Störtebecker-Pils umsonst verteilt, bis es aus ist.
Auch in diesem Duo ist die Frau der erfrischendere Part: Neben Fischer
steht [10][Aminata Touré], Landtags-Vizepräsidentin in Schleswig-Holstein
und die erste Schwarze Frau in einem solchen Amt. Sie erzählt von den
Koalitionsverhandlungen für das Jamaika-Bündnis in Kiel 2017. Als Union und
FDP bereit gewesen seien, einen Aktionsplan gegen Rassismus und ein
humanitäres Aufnahmeprogramm zu akzeptieren, habe sie gedacht: Wir können
es zumindest versuchen.
Touré weiß um ihre Doppelfunktion. Sie ist nicht nur Politikerin, sondern
auch Role Model. Ihre Wahl sei für Menschen mit Migrationshintergrund, mit
Rassismus- oder Fluchterfahrungen ein „krasses Signal“ gewesen, sagt sie.
Das Amt sei eine Ehre, sie freue sich jeden Tag, es ausüben zu dürfen.
Solange die Grünen Frauen wie Touré oder Neubauer haben, brauchen sie sich
um ihre Zukunft keine Sorgen machen.
## Wo ist die eigentlich die CDU?
Die SPD hat gleich mehrere Promis geschickt: Olaf Scholz sitzt in der
ersten Reihe. Saskia Esken wird gesichtet, Rolf Mützenich und Kevin Kühnert
auch. Von der Linkspartei sind Dietmar Bartsch und Petra Pau da. Aber ach,
wo ist die CDU? Kein bekannter Christdemokrat lässt sich blicken, nur
Bundesgeschäftsführer Stefan Hennewig soll da sein, aber den würde man wohl
eh nicht erkennen.
Alle Partei- und Fraktionschefs seien eingeladen worden, heißt es bei den
Grünen, und Kanzlerin Angela Merkel sowieso. Hat die CDU nicht kapiert,
dass der Bundespräsident kommt? Hätte nicht wenigstens Paul Ziemiak? Was
heißt das für Schwarz-Grün? Man weiß es nicht, und vielleicht ist das auch
egal.
Genug der Taktiererei, es ist schließlich eine Feier, und die Band stimmt
nun [11][99 Luftballons] an. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner zieht
sein Jacket aus und krempelt die Hemdsärmel hoch. Katrin Göring-Eckardt
wippt sanft mit. Es wird umarmt, geküsst, gelacht. Selbst die seltsame
Disziplin „Ich tanze, aber nur da, wo das Fernsehteam filmt“ wird
praktiziert.
Ein jeder feiert seine Feste eben so gut er kann.
11 Jan 2020
## LINKS
[1] /Die-Gruenen-werden-40-Jahre-alt/!5651277
[2] /Tagebuchnotizen-von-Rio-Reiser/!5317116
[3] /Gruenen-Parteitag-in-Leipzig/!5549567
[4] https://youtu.be/pRpeEdMmmQ0
[5] https://youtu.be/6X9CEi8wkBc
[6] /Hans-Christian-Stroebele-wird-80/!5598508
[7] /Vor-dem-Klimastreik/!5640907
[8] /Siemens-und-Fridays-for-Future/!5651678
[9] /Kolumne-Die-eine-Frage/!5495753
[10] /Gruene-Aminata-Toure-ueber-junge-Politik/!5603371
[11] https://youtu.be/La4Dcd1aUcE
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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