| # taz.de -- Künstler protestiert gegen Wohnungsnot: Dem Kapital aufs Dach stei… | |
| > Kunst und Protest: Jakob Wirth zeigte auf Dächern die bewohnbare | |
| > Installation „Penthaus à la Parasit“. Nun plant er die „Operation | |
| > Himmelblick“. | |
| Bild: Seine Art zu Leben: Jakob Wirth vor seinem Penthouse | |
| Seine parasitären Penthäuser seien „eine Mischung aus Kunst und Protest“ | |
| gewesen: Jakob Wirth hatte ab Ende Mai 2019 auf mehreren Dächern Berlins | |
| eine winzige weitere Etage errichtet. Auf 3,6 Quadratmetern funkelte ein | |
| winziges verspiegeltes Häuschen erstmals im Neuköllner Ortsteil Rixdorf auf | |
| dem Flachdach eines fünfgeschossigen Mietshauses, das zuvor an einen neuen | |
| Eigentümer verkauft worden war. | |
| Sechs Wochen lang war es Jakob Wirth mit seiner Installation darum | |
| gegangen, „im Zentrum zu bleiben“ und die „Zentralität nicht aufzugeben�… | |
| Das „Bild vom Penthouse“ war dabei auch eine Provokation, um die „absurde | |
| Ungleichheit“ anzugreifen, wie Wirth für die taz beim Gespräch im | |
| Kreuzberger Café Bateau Ivre mit Blick auf die Aktion ein paar Monate | |
| später räsoniert. Einerseits die Eigentumsverhältnisse, die sich immer | |
| nachteiliger für die Stadtbewohner*innen auswirken, andererseits das basale | |
| Bedürfnis, einfach im eigenen Stadtviertel zu wohnen. | |
| Wirths Modellprojekt „Penthouse à la Parasit“ in der Nähe des Böhmischen | |
| Platzes gab einen Blick über das Neuköllner Rathaus bis zum Ostberliner | |
| Fernsehturm frei. Auf einer auf edel gemachten [1][Internetseite] bewarb | |
| Wirth „das Privileg der Freiheit, des Weitblicks und der Zentralität, sowie | |
| ein Recht auf Stadt“. Es gehe darum, „eine Imagination zu erzeugen, in der | |
| wir als Stadtbewohnende unsere Handlungskraft zurückgewonnen haben“. | |
| Und dies zunächst auch über die Entlarvung des spezifischen Sprachgestus | |
| der neoliberalen Epoche, durch humorige Übernahme dessen vermeintlich | |
| spritzigen Aufbruchsrhetorik. Demgegenüber propagiert er einen „Asset | |
| Lock“, eine Aussetzung der kapitalistischen Verwertung für grundlegende | |
| Bereiche. | |
| Wirth zog nicht selbst in sein luftiges Loft ein, sondern vergab Assets, | |
| also Vermögenswerte, in Form von Übernachtungen an Bewerber*innen, die sich | |
| über die Homepage meldeten. „Das war richtig schön, mit Frühstück und | |
| Service“, erläutert Wirth. Als Gegenleistung verlangte er mit seinem | |
| künstlerischen Mitstreiter Alexander Zakharov lediglich einen Eintrag ins | |
| Gästebuch. | |
| Zum Abschluss gab es ein angenehmes Klavierkonzert für die Nachbar*innen im | |
| Mietshaus. Rund 40 Leute hätten dafür ohne Sicherheitsprobleme auf das | |
| Flachdach gepasst, etwa die Hälfte davon waren direkte Anwohner*innen, mit | |
| denen zuvor wenig Kontakt bestanden habe. | |
| ## Rechtliche Nischen der Kunst | |
| Für die Beschreibung seiner Kunstform skizziert Wirth eine „Skala zwischen | |
| Realität und Fiktion“. Denn sicher sei sein Projekt „symbolisch“ und kei… | |
| dauerhafte Lösung des Eigentumsproblems. Über die Erzählung, zumindest | |
| zeitweilig über die Dächer zu gebieten, entstehe ein neuer Überblick über | |
| das eigene Leben in der Stadt. Ob ein Verständigungsfrieden mit dem Kapital | |
| möglich sei, will er bewusst offen lassen. Im Falle des Aufkaufs des | |
| Rixdorfer Hauses mit darauffolgender Verdrängung von Teilen der | |
| Bewohnerschaft und rigiden Mietsteigerungen für die Verbliebenen, habe es | |
| keine direkten Auswirkungen gehabt. | |
| Ihm gehe es zunächst bildlich um einen „Grünstreifen“, die Nutzung der | |
| „rechtlichen Nischen“ im Baurecht und in der Kunstproduktion. Angesichts | |
| der Abstinenz progressiver Organisationen seien ungewöhnliche Kooperationen | |
| nötig. So habe er zuvor im südwürttembergischen Friedrichshafen sogar einen | |
| alternativen Siedlungsplatz mit kleinen Häusern und Bauwagen gegen die im | |
| Stadtparlament dominierenden CDU und Freie Wähler durchgesetzt, die sich | |
| immer wieder neu gestellten Anfragen und Abstimmungen schließlich beugten, | |
| weil sie keine Argumente hatten. | |
| Anstatt linke Rhetorik zu fahren, habe er für diese Aktion mit dem Begriff | |
| „Umtopfen“ gute Erfahrungen gemacht. Kontaktaufnahmen oder gar aktive | |
| Unterstützung vonseiten der progressiven Parteien habe es für sein Projekt | |
| praktisch nicht gegeben. „Einmal kam eine Lokalpolitikerin der Linkspartei, | |
| als wir in Berlin-Mitte gegenüber dem Roten Rathaus das Penthaus à la | |
| Parasit auf einem Flachdach aufgebaut hatten.“ | |
| Das war im Spätsommer des Jahres. Dort musste er das Penthaus schon nach | |
| sechs Tagen wieder abbauen. Die öffentliche Wohnungsbaugesellschaft habe | |
| sich sofort bedroht und angegriffen gefühlt. „Sie meinten es nicht böse, | |
| bei denen ist der Begriff vom Eigentum nur noch heftiger angenagelt“, | |
| erklärt Wirth. | |
| Aber warum überhaupt all das? Er gehe mit seiner Arbeit seiner Aufgabe als | |
| Künstler nach; so sei er nach einem Bachelor-Studium der Sozial- und | |
| Wirtschaftswissenschaften in Friedrichshafen ungewöhnlicherweise in einen | |
| Magisterstudiengang der Künste an der Bauhaus-Universität Weimar | |
| gewechselt. | |
| Die theoretische Wissenschaft habe ihre Wichtigkeit, aber er wolle über die | |
| Kunst eine Praxis vorwegnehmen. Als für ihn einflussreiche Theoretiker | |
| nennt er den französischen Philosophen Jacques Rancière, der die | |
| Überschneidung von Politik und Ästhetik untersucht hat, und Chantal Mouffe, | |
| die belgische Politologin, die eine Abkehr von horizontaler | |
| Selbstorganisation zugunsten kraftvoller Eingriffe durch soziale Bewegungen | |
| propagiert. | |
| Mittlerweile arbeitet Wirth auch an der Kunsthochschule Weißensee in | |
| Berlin, wo er einen zweiten Magisterstudiengang aufgenommen hat. Vor seinen | |
| produktiven Studien habe er ein Jahr in Bolivien gearbeitet. In Santa Cruz, | |
| dem industriellen und bürgerlichen Zentrum des Landes, habe er „beobachtet, | |
| wie der Kapitalismus die lokalen Strukturen zerfleischt“. Dagegen aber | |
| auch, wie die Stadt regelmäßig in den Generalstreik versetzt worden war. | |
| Für das nächste Jahr plant Wirth mit seinen Mitstreiter*innen die | |
| „Operation Himmelblick“ und meint das wortwörtlich. Ein Berliner | |
| Plattenbaudach soll zu einer „neuen Oase der Begegnung“ entwickelt werden, | |
| „unabhängig von der kommerziellen Nutzung“. Dabei soll auch das Wohnen in | |
| den praktischen Plattenbauten auf der Beliebtheitsskala wieder nach oben | |
| gebracht werden. Im Kern stehe die Frage: „Wer gestaltet die Stadt und für | |
| wen?“ Wirth selbst will sich in Berlin breiter vernetzen, nicht nur für | |
| seine moderne Vision neuer „Hängender Gärten“ für die Stadt. | |
| 8 Jan 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://penthaus-a-la-parasit.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Anselm Lenz | |
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