# taz.de -- Grüne über ihren Job als Landrätin: „Die Loyalität ist enorm�… | |
> Anna Kebschull ist die neue Landrätin im Landkreis Osnabrück – und damit | |
> in Deutschland die erste Grüne in dieser Position. | |
Bild: Verschenkt lieber Bio-Lebensmittel als Tankgutscheine: Anna Kebschull | |
taz: Frau Kebschull, in wenigen Tagen beginnt das neue Jahr. Haben Sie | |
Vorsätze? Ganz persönlich? | |
Anna Kebschull: Das ist bei uns eher etwas Familiäres. Wir überlegen uns | |
für jedes neue Jahr ein neues Motto. Das „Jahr der Veränderungen“, das | |
„Jahr des Viel-Draußen-Seins“. | |
Und beruflich? | |
Ich habe Pläne, Ziele. Aber die habe ich nicht wegen des neuen Jahres, | |
sondern weil es Handlungsbedarf gibt, und das dringlich. Deshalb habe ich | |
[1][ja auch kandidiert]. Weil wir einen Wandel brauchen. Hier im Kreis, | |
aber auch gesamtgesellschaftlich. | |
Sie wollen „den Politikstil verändern“, haben Sie nach Ihrer Wahl | |
geschrieben. Was meinen Sie damit? | |
Die Rückkehr zu sachorientiertem Arbeiten, bislang ging es ja oft nur um | |
Machtoptionen. Wichtig ist mir vor allem, dass der Umgang miteinander fair | |
ist, mitmenschlich, nicht nur strategisch, nicht nur Kalkül. | |
Sind die bisherigen Strukturen destruktiv? | |
Gute Impulse wurden oft abgelehnt, nur weil sie aus der falschen Fraktion | |
kamen, und ein halbes Jahr später wurden sie von denen, die sie zuvor | |
abgelehnt hatten, als eigener Antrag eingereicht, als eigene Idee. Ein sehr | |
machttaktischer, aber leider üblicher Stil. | |
Sie mahnen „klare Linien und pragmatische Lösungen“ an. Hat es viel | |
Kungelei gegeben? | |
Die gab es. Klar, auch jetzt gibt es vertrauliche Runden, und das ist auch | |
notwendig. Aber es gibt kein Aushecken im Hinterzimmer mehr. Man kennt das | |
ja: Wenn du mich bei X unterstützt, unterstütze ich dich bei Y. Einen | |
solchen Kuhhandel finde ich nicht in Ordnung. Der Wähler muss sehen, wo wer | |
steht. Das habe ich mir als Wähler immer gewünscht – und nicht gefunden. Da | |
müssen wir mutiger werden, transparenter. | |
Sie haben ja keine wirkliche Hausmacht im Kreistag: Die Grünen haben sieben | |
Sitze – CDU und SPD, die lange eng zusammengearbeitet haben, 49. | |
Das ist natürlich ein Manko. Klar, ich werde nicht immer mit allem | |
durchkommen, was ich vorlege. Aber allein das Was und Wie eines Vorschlags, | |
einer Diskussion, setzt ja oft schon Veränderungsprozesse in Gang. Im | |
Moment spüre ich in allen Fraktionen ein Aufatmen, dass es jetzt endlich | |
wieder um Fachfragen geht, um die Sache selber. Politische Mehrheiten sind | |
also nicht unbedingt das Entscheidende. Ein Anfang ist gemacht, und jetzt | |
muss man einfach Geduld haben. Außerdem steht ja 2021 die Kommunalwahl an. | |
Die wird sicher zu Veränderungen führen. | |
Dass eine neue Zeit angebrochen ist, haben Sie jüngst gezeigt: Bei einer | |
Ehrung von Ehrenamtlichen bekamen diese keine Tankgutscheine, wie zu Zeiten | |
Ihres Vorgängers von der CDU, sondern Lebensmittelkörbchen aus dem | |
Bioladen. | |
Das war eine Idee meiner Mitarbeiter und gerade das finde ich toll. Eine | |
Kleinigkeit nur, aber sie zeigt, dass hier im Haus jetzt ganz selbstständig | |
durch meine Impulse drüber nachgedacht wird, was sich verändern lässt. | |
Meine Wahl setzt offenbar neue Denkmechanismen in Gang. Das ist schon cool. | |
Es herrscht Aufbruchsgeist? | |
Absolut. Natürlich ändert sich nicht alles von heute auf morgen. Da sind | |
alte Muster, Strukturen, Gewohnheiten, und es wird noch eine ganze Weile | |
dauern, bis ein neuer Stil gefunden ist. | |
Auch mit Ihrem Dienstwagen setzen Sie ein Statement: Er ist ein E-Mobil. | |
Eine Neuanschaffung? | |
Den hatte der Landkreis schon und der ist super. Klar, allzu geräumig ist | |
er nicht. Es lässt sich aber gut darin arbeiten, wenn ich von Termin zu | |
Termin unterwegs bin. Das ist übrigens keine Showveranstaltung, die meisten | |
kriegen ja gar nicht mit, mit was für einem Wagen ich komme. | |
Sie kämpfen schon lange gegen fossile Energien. 2010 haben Sie ExxonMobil | |
zu Fall gebracht, durch Ihre Bürgerinitiative „Fracking freies Bad | |
Rothenfelde“. Ergebnis: Keine Bohrungen. | |
Ja, das Thema liegt mir am Herzen. | |
Sind Sie deshalb vor zehn Jahren auch bei den Grünen eingetreten? | |
Das war eine Reaktion auf den Ausstieg aus dem Atomausstieg. Ich war | |
frustriert, geschockt. Bis heute macht mich das sprachlos. Ich muss Farbe | |
bekennen, habe ich damals gedacht, ich muss etwas tun! Das war auch ein | |
Hilflosigkeitsimpuls. | |
Sie sind Biotechnologie-Ingenieurin, waren lange Inhaberin dreier | |
Nachhilfeschulen. War eine Berufslaufbahn in Politik und Verwaltung nie Ihr | |
Plan? | |
Überhaupt nicht. Ich habe ohnehin nie sonderlich geplant. Ich bin immer dem | |
gefolgt, was mich bewegt hat, oft sehr spontan. Vor allem Menschen waren | |
mir immer wichtig. Daher auch der Schwenk von den Naturwissenschaften zur | |
Nachhilfe, zur Arbeit mit Kindern. | |
Waren Sie früh ein politischer Mensch? | |
Das hat in der Schule angefangen. Ich bin in Bonn aufgewachsen, und wenn | |
ich aus der Schuleingangstür ging, war links von uns das Regierungsviertel | |
und rechts der Hofgarten, mit seinen Veranstaltungen und Demos. Bei | |
Staatsbesuchen wurde bei uns vor der Schule immer beflaggt. Bundes- und | |
Außenpolitik war bei uns Alltag. Zu einem Mitschüler habe ich aus Spaß mal | |
gesagt: Ich werde Politikerin! Bundeskanzlerin! | |
Kann ja noch kommen. | |
Wirklich als Politikerin gesehen habe ich mich allerdings nie. Immer als | |
Unternehmerin. Als aktive Bürgerin. Und vor allem als Mama. | |
Und jetzt führen Sie eine Verwaltung mit 1.200 Mitarbeitern. Wie fühlt sich | |
das an? | |
Gut. Es ist natürlich viel Verantwortung. Aber ich habe immer gern | |
Verantwortung übernommen. Und ich empfinde es als Geschenk, weil es mir die | |
Möglichkeit gibt, etwas zu verändern. Und weil ich mich hier im Haus so | |
überraschend unterstützt fühle. Da ist viel Neugier, Offenheit und | |
Kommunikation, da sind gute Ideen; die Loyalität ist enorm. | |
Aber sicher begegnet Ihnen nicht nur Sympathie? | |
Klar, ich mache mir hier nicht nur Freunde. Ich bin nicht everbody's | |
darling, und das möchte ich auch gar nicht sein. Ich bin Grüne. Ich bin | |
also gewohnt, mit Skepsis umzugehen, mit Abwehr. Und in den sozialen Medien | |
wird schon ganz schön draufgehauen, pauschalisiert, da wollen viele gar | |
nicht genau wissen, was ich meine, was ich bin, die sehen mich auch gerne | |
als Feindbild. Aber damit kann ich umgehen. | |
Ihr Ziel ist eine Region, die „Vorreiter ist in ressourcenschonendem Denken | |
und Handeln“. Ist das nicht schwer in einem Landkreis, dessen | |
Agrarwirtschaft von Massentierhaltung geprägt ist? | |
Das ist ein Spagat. Aber nur, weil wir eine zu hohe Viehdichte haben, heißt | |
das ja nicht, dass wir von heute auf morgen Ställe schließen oder | |
Landwirten ihre Entwicklungsmöglichkeiten nehmen. Da gilt es, einander | |
zuzuhören und gemeinsam ein Szenario zu entwickeln, wie man umsteuert, ohne | |
die Wirtschaftlichkeit zu verlieren. | |
Weniger Quantität, dafür mehr Qualität – für höhere Preise? | |
Ja, auch der Verbraucher muss sich da umstellen. Generell müssen wir | |
erkennen: Reines Wachstumsdenken tut uns nicht gut. Das lässt sich ja nicht | |
unendlich fortsetzen, das kollabiert irgendwann. Deshalb ist es wichtig, | |
umzudenken. Gerade in unserer Region, in der wir mit dem | |
Ressourcenverbrauch schon zu weit gegangen sind. | |
Hinter Ihrem Schreibtisch hängt ein riesiges Bild. „Best wishes for the | |
unexpected“ steht darauf. Nehmen wir das mal als Stichwort: Was ist Ihr | |
größter Wunsch? | |
Dass die Menschheit doch so vorausschauend ist, dass sie nicht erst | |
handelt, wenn das Haus vollends in Flammen steht, dass sie mit Mut zur | |
Veränderung die richtigen Weichen stellt. | |
Im Internet haben Sie Bilder von Bergen gepostet. Wo ist das eigentlich? In | |
den Dolomiten? | |
Ja, das ist Südtirol. Die Rosengartengruppe. | |
Ziehen die Berge Sie besonders an? | |
Ja, aber auch der Wald. Ich habe auch früher schon immer das Unberührte | |
gesucht. Ich gehe lieber kleine Pfade als ausgetretene Wege, und die finde | |
ich in den Bergen, das hat ein bisschen was von Entdeckertum. Die Berge | |
bieten mir Orte der Stille. Gerade in Südtirol gibt es noch viel | |
Ursprünglichkeit mit viel Biodiversität. Wenn du dort oben bist, wirkt auf | |
den ersten Blick alles ganz karg, aber wenn du genauer hinsiehst, ist dort | |
ein Blütenmeer, ganz zart, unglaublich. Wenn ich eine solche Vielfalt an | |
Pflanzen sehe, spüre ich immer: Das ist es, was der Mensch braucht, was ihn | |
zur Ruhe kommen lässt, zu sich selbst. Leider finden wir das in unserer | |
heutigen Welt immer seltener. | |
Sie haben ein sehr ungewöhnliches Hobby: Sie sind Jägerin. Wie passt das in | |
Ihr Denken als Grüne? | |
Die Jagd ist für mich ein Anlass, ein Mittel, sinnvoll Zeit in der Natur zu | |
verbringen, dem Ursprünglichen zu begegnen. Jagd ist Natur, ehrlich und | |
pur, und die ursprünglichste Form der Landwirtschaft. Die Nähe zur Natur, | |
die du als Jäger oder Jägerin hast, haben in dieser Intensität, in dieser | |
Außergewöhnlichkeit, sonst nur wenige. | |
Eines Ihrer Ziele ist die „Naturmetropole Osnabrück Land“. Ist das nicht | |
ein Widerspruch: Natur und Metropole? | |
Stimmt, das ist ein Gegensatz. Aber er ist sehr bewusst gesetzt. Der Mensch | |
will ja beides: Er will die Nähe zur Natur, weil er spürt, dass sie ihm | |
Wohlbefinden bereitet, Freiheits- und Glücksgefühle, etwa bei einem | |
Spaziergang durch das sonnendurchschienene Grün des Waldes. Aber | |
gleichzeitig will er nicht abgeschnitten sein von der Lebendigkeit der | |
Stadt, den Kommunen. Was ich mit „Naturmetropole“ sagen will, ist, dass wir | |
im Landkreis Osnabrück beides haben: Die Entspanntheit unglaublich schöner, | |
sehr abwechslungsreicher Natur, was viele gar nicht wissen. Und, in | |
unmittelbarer Nähe, auch urbane Quirligkeit, Vielseitigkeit. Eine unserer | |
Aufgaben ist, das Ganze jetzt durch ein neues Mobilitätskonzept besser zu | |
vernetzen. | |
Eine große Aufgabe. Wenn Sie sich eine Eigenschaft wünschen dürften, die | |
Ihnen hilft, sie zu bewältigen: Welche wäre das? | |
Eine Superkraft? Dass ich alle Zusammenhänge der Welt verstehen könnte, auf | |
einen Schlag. Wie ein Blick von oben, die kompletten Lösungen sind | |
plötzlich glasklar. | |
Plus die Fähigkeit, auch alle übrigen zu überzeugen? | |
Das habe ich auch gerade überlegt. Es nützt ja nichts, wenn nur ich allein | |
Bescheid weiß. Aber es gibt noch was, das dagegen spricht. | |
Was denn? | |
Dass ich dann total alleine stünde. Niemand würde sich wirklich mitgenommen | |
fühlen, keiner würde begeistert mitmachen. Nein, wirklich große Dinge kann | |
man nur gemeinsam erreichen. | |
Keine Superkraft? | |
Lieber nicht. Okay, wär 'schon cool. Aber wie das so ist mit Märchen: Alles | |
hat auch seine Nachteile. | |
29 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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