| # taz.de -- Vermieter-Demo gegen Mietendeckel: Friede den Palästen! | |
| > Über 1.000 Menschen haben auf einer Demo der Eigentümer gegen den | |
| > Mietendeckel demonstriert. Gegendemonstrant*innen waren auch da. | |
| Bild: VermieterInnen demonstrieren in Berlin gegen den Mietendeckel | |
| Berlin taz | Kirmestechno und Mehrzweckhallen-Musik schallt aus großen | |
| Boxen. Noch eingeschweißte gelbe Westen und Plastik-Klatsch-Hände aus | |
| großen Kartons werden unter den Demonstrierenden verteilt. Halbherzig | |
| klappern diese mit ihnen im Vier-Viertel-Takt der Auto-Scooter-Musik, | |
| einige blasen in Trillerpfeifen. Ein Mann auf einer Bühne ruft: „Der Deckel | |
| gehört auf den Kochtopf und nicht auf die Mieten!“ | |
| So also sieht es aus, wenn die [1][Immobilien-Lobby zur Demo aufruft]. Vor | |
| Ort sind viele Handwerker*innen, die den Vormittag frei bekommen haben, | |
| Eigentümer, Vermieter und Chefs aus der Baubranche. Einer trägt einen | |
| Vonovia-Handwerker-Anzug, ein anderer ist mit einem Regenschirm von | |
| Eigentümerverband Haus und Grund gekommen. | |
| 1.000 bis 1.400 Leute haben sich laut Polizei am Montagvormittag | |
| versammelt, um gegen den vom rot-rot-grünen Berliner Senat beschlossenen | |
| Mietendeckel zu protestieren. Der Senat will, flankiert von Baumaßnahmen, | |
| den Wohnraum in der Stadt regulieren, um die Wohnungsnot zu mildern – auch | |
| und gerade nach erheblichen Mietsteigerungen durch Vermieter*innen in den | |
| vergangenen zehn Jahren. | |
| Aus Sicht vieler Mieter*innen ist das eine überfällige Maßnahme – viele | |
| sind angesichts der Wohnungsnot in den vergangenen Jahren immer wieder auf | |
| die Straße gegangen. Über 200 zivilgesellschaftliche Initiativen und | |
| Bündnisse hatten Mieten-Großdemos mit über 20.000 Menschen und mehr gegen | |
| „Mietenwahnsinn“ auf die Straße gebracht. | |
| An diesem sonnigen, aber kühlen Montagvormittag auf dem Platz des 18. März | |
| vor dem Brandenburger Tor verläuft sich die Masse eher. Richtig voll wirkt | |
| es nicht. Nach einer Sternfahrt in rund 300 Fahrzeugen versammeln sich die | |
| Demonstranten vor dem Brandenburger Tor. Aufgerufen hatten dazu aus der | |
| [2][Immobilien-Wirtschaft] stammende Initiativen und Verbände: Haus und | |
| Grund etwa, aber auch die [3][PR-Klitsche „Mut Stadt Wut“] sowie das | |
| Lobby-Bündnis [4][„Neue Wege für Berlin“]. | |
| Nicht wenige, schick gekleidete Gegendemonstrant*innen haben sich unter die | |
| Vermieter-Demo gemischt. Sie tragen Schilder mit Sprüchen wie „Eure Armut | |
| kotzt uns an“, „die Häuser denen, die sie kaufen“, „zieht doch nach | |
| Brandenburg“ und „mehr Kapitalismus wagen“. | |
| Teilweise ist der Übergang von ernst gemeinten Demo-Sprüchen zu Bullshit | |
| fließend: Auf einem Schild ist das nach dem Zweiten Weltkrieg zerbombte | |
| Berlin zu sehen mit dem Spruch: „Berlin nach dem Mietendeckel“. Auf einem | |
| anderen steht neben einem Bild von Kim Jong Un: „Mietendeckel stoppen – | |
| alle Wege der Regulierung führen nach Pjöngjang“. Wenig später ruft das | |
| tatsächlich auch noch einer der Redner von der Demo-Bühne: „Der Weg nach | |
| Pjöngjang ist nichts für Berlin.“ | |
| ## Gegendemonstrant*innen mischten sich unter die Demo | |
| Insgesamt inszeniert sich die Immo-Lobby als nah dran an vermeintlich | |
| kleinen Leuten. Eine Kleinvermieterin, deren Investitionen in ihr Wohnhaus | |
| in Berlin-Mitte sich nun angeblich nicht mehr lohnen, darf ihr Leid klagen. | |
| Unter den Tisch fällt dabei, dass Investitionen mit Renditeerwartungen in | |
| Wohnraum natürlich auch Spekulationen sind und dass kleine Leute in der | |
| Regel keine Mehrfamilienhäuser in Berlin-Mitte besitzen. Ein anderer | |
| Vermieter, der nach eigener Aussage bei der Lufthansa arbeitet, sagt: „Ich | |
| habe mir damals per Zwangsversteigerung Wohnraum gekauft.“ Eine seiner | |
| Wohnungen in Prenzlauer Berg wolle er mit dem Mietendeckel künftig dann | |
| nicht mehr günstig an Studierende vermieten. Ein paar Sätze später sagt er: | |
| „Der Mietendeckel ist asozial.“ | |
| Zu Wort kommen natürlich auch die Chefs: Klaus-Dieter Müller etwa, | |
| Stuckateur und Präsident der Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg. | |
| Er und andere Redner auf der Bühne wiederholen mantraartig: „Der | |
| Mietendeckel baut keine Wohnungen“ – dass die geplante Deckelung für Neubau | |
| hingegen nicht gilt, notwendige Sanierungen weiter möglich sein und | |
| hauptsächlich Wucherpreise gedeckelt werden sollen, wird geflissentlich | |
| verschwiegen. Applaus für dieses Agenda-Setting gibt es auch von Politikern | |
| der CDU und FDP, die der Kundgebung beiwohnen – Sebastian Czaja, | |
| Vorsitzender der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, ist gekommen, ebenso der | |
| Berliner CDU-Chef Kai Wegner. | |
| Immer wieder unterbrechen allerdings Gegendemonstrant*innen die Redner auf | |
| der Bühne: „Wenn ihr alle so sozial seid, warum nehmt ihr dann so hohe | |
| Mieten?“, ruft einer, nachdem ein Vermieter auf der Bühne vor dem drohenden | |
| sozialistischen Umsturz gewarnt hat. Eine Frau im Pelz, der hoffentlich aus | |
| Kunststoff ist, fängt daraufhin an, ihn zu bepöbeln. Sie ruft: „Wir wollen | |
| keinen Sozialismus! Sie haben doch keinen Schimmer, wie so ein Mietpreis | |
| sich zusammensetzt. Zieh eine Mauer hoch, dann bist du gut aufgehoben! So | |
| ein Penner.“ | |
| Wenn man sich in der Menge vor dem Brandenburger Tor umschaut, sind dem | |
| Demo-Aufruf einige gut betuchte Eigentümer*innen und wohl zum größten Teil | |
| Handwerker*innen gefolgt. Viele Betriebe und Baufirmen haben ihnen heute | |
| Vormittag offenbar freigegeben. Ein Maler-Lehrling sagt, dass er mit seinem | |
| Chef hier sei, heute Nachmittag aber wieder ranmüsse: „Schließlich muss ich | |
| ja Geld verdienen.“ | |
| Eine andere Frau sammelt Unterschriften gegen den Mietendeckel. Was auf den | |
| ersten Blick wie normales Demo-Engagement aussieht, ist dabei wohl aber ein | |
| bezahlter Promo-Job. Das Bündnis Neue Wege für Berlin, das zur Demo | |
| aufrief, sucht derzeit Leute, die für 13 Euro die Stunde Unterschriften für | |
| ihr Anliegen sammelt, wie aus einer [5][auf Twitter kursierenden | |
| Stellenanzeige] hervorgeht. 100.000 Unterschriften sind das Ziel. Heute und | |
| hier sind die jedenfalls nicht zusammengekommen. | |
| 9 Dec 2019 | |
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| [1] /Demo-gegen-den-Mietendeckel/!5643169 | |
| [2] /Kampagne-gegen-Mietendeckel/!5631487/ | |
| [3] /Bauwirtschaft-gegen-linke-Wohnpolitik/!5617574 | |
| [4] /Neue-Volksinitiative/!5603428 | |
| [5] https://www.promotionbasis.de/jobs_list1a.php?insid=1027230&rdmcode=102… | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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