# taz.de -- Anhaltender Flügelkampf in der Partei: Die Linke muss nachsitzen | |
> Dienstag steht die zweite Vorstands-Wahlrunde in der Linken-Fraktion an. | |
> Dass es diesen neuen Anlauf braucht, zeigt, wie zerrissen die Partei ist. | |
Bild: Sie ist nicht Caren Lay – und vermutlich wurde Amira Mohamed Ali genau … | |
Berlin taz | Zu einem Hintergrundgespräch „in entspannter, adventlicher | |
Atmosphäre“ lud die neue Fraktionsspitze der Linken im Bundestag in der | |
vergangenen Woche. Humor haben sie immerhin noch in der Partei. Denn von | |
einer entspannten Stimmung ist die Fraktion weit entfernt, seitdem die | |
[1][Wahl der neuen Fraktionsspitze] Mitte November abermals die | |
Zerrissenheit der Partei dokumentierte. Neben Dietmar Bartsch wurde die | |
bisher weitgehende unbekannte Amira Mohamed Ali an die Fraktionsspitze | |
gewählt. Die mietenpolitische Sprecherin Caren Lay unterlag. | |
Am Dienstag steht die zweite Runde der Vorstandswahlen an. Gleich drei | |
Posten konnten Mitte November nicht besetzt werden, weil die Kandidaten | |
nicht die erforderliche Mehrheit erreichten: Für den Vizesprecherposten | |
kandidierten Sören Pellmann und Nicole Gohlke erfolglos gegeneinander. Als | |
Leiterin des Arbeitskreises Außenpolitik fiel Heike Hänsel durch, als | |
Beauftragter für soziale Bewegungen Lorenz Gösta Beutin. Zumindest | |
Pellmann, Hänsel und Beutin wollen es am Dienstag erneut versuchen, auch | |
Gohlke tritt erneut an. | |
Der seit Langem tobende Machtkampf zwischen den Flügeln hat mit den | |
Fraktionsvorstandswahlen einen neuen Höhepunkt erreicht. Mit der Wahl von | |
Mohamed Ali hat sich das [2][sogenannte „Hufeisen“-Bündnis] von eher | |
traditionellen Linken und Ost-Reformern gegen die Kipping-Linke | |
durchgesetzt. Wie gespalten die Fraktion ist, zeigt das Ergebnis von 36 | |
Stimmen für Mohamed Ali, 29 entfielen auf Lay. Bartsch erhielt ohne | |
Gegenkandidat nur 44 Stimmen, der Parlamentarische Geschäftsführer Jan | |
Korte 39. | |
Auf den Vorstandsposten, die im November nicht besetzt werden konnten, | |
blockierten sich die beiden Lager gegenseitig. Offenkundig gibt es einige | |
Abgeordnete in der Mitte, die vor allem profilierten Vertretern beider | |
Seiten ihre Stimme verweigern: Pellmann und Hänsel werden zum Hufeisen | |
gerechnet, Gohlke und Beutin zum Kipping-Lager. Das Problem für beide | |
Seiten: Die Abweichler halten sich bedeckt. | |
## Kompromisse oder offener Machtkampf? | |
Mohamed Alis Wahl ist ein Zeichen dafür, wie sehr die Linke im Machtkampf | |
steckt. Schon zu Beginn des Jahres, bei der Nominierung der | |
Spitzenkandidaten für die Europawahl, waren innerparteiliche Überlegungen | |
wichtiger als die Außenwirkung. | |
Der Bundesvorstand um Katja Kipping, der das Vorschlagsrecht hatte, stellte | |
damals mit der Aufstellung der wenig bekannten Martin Schirdewan und Özlem | |
Demirel seine beiden Unterstützerlager zufrieden. Der Wahlkampfstimmung | |
hielt sich anschließend in Grenzen, Hufeisen-Anhänger lästerten intern | |
über die schwachen Kandidaten. Bei der Europawahl holte die Linke 5,5 | |
Prozent – das war ihr bisher schlechtestes Ergebnis. | |
Nun also dasselbe Spiel bei der Wahl des Fraktionsvorstands, nur diesmal | |
durch das Hufeisen. Mohamed Ali ist erst seit 2017 im Bundestag, | |
talkshowerfahren ist sie nicht. Ihre Unterstützer hoffen darauf, dass sie | |
mit dem Amt wächst. Aber sicher ist das nicht. Ausschlaggebend für ihre | |
Aufstellung war: Mohamed Ali ist nicht Caren Lay, die trotz | |
Absetzbewegungen als Kipping-Vertraute galt. | |
Abgesehen von persönlichen Animositäten steckt dahinter eine taktische | |
Frage: Löst man die politischen Konflikte in der Partei besser durch | |
Kompromisse – oder durch eine Entscheidung im Machtkampf? Kipping steht für | |
eine Annäherung an die junge, grüne Wählerklientel. Klimaschutz und | |
Flüchtlingspolitik behandelt sie mindestens gleichrangig zu sozialen | |
Themen. | |
## Die nächste Runde könnte im Frühling anstehen | |
Traditionslinke wie Ost-Reformer plädieren dagegen dafür, die sozialen | |
Themen nach vorne zu schieben. 2019 erzielte die Linke nicht nur ihr | |
schlechtestes Ergebnis bei einer Europawahl, sondern rutschte auch mit | |
jeweils nicht einmal 11 Prozent in Sachsen und Brandenburg Richtung | |
Existenzgefährdung. Von Thüringen und dem Sonderfall Berlin abgesehen, | |
zerbröselt die Machtbasis der Reformer im Osten. | |
Man kann die Wahlergebnisse als Folge des über Monate hinweg öffentlich | |
ausgetragenen Machtkampfs zwischen Sahra Wagenknecht und Katja Kipping | |
interpretieren – und deshalb für eine Kompromisslösung plädieren. Sieht man | |
die Wahlergebnisse aber als Konsequenz fehlender inhaltlicher Klarheit, | |
muss man den Flügelkampf bis zur Entscheidung fortsetzen. Das war die | |
Taktik des Hufeisens bei der Wahl der Fraktionsführung im November. | |
Im Frühling könnte die zweite Runde im Machtkampf anstehen. Im Juni tagt | |
der Bundesparteitag in Erfurt, Kipping und ihr Ko-Vorsitzender Riexinger | |
müssten sich dort zur Wiederwahl stellen. Aber laut Satzung sollen | |
Parteiämter nicht länger als acht Jahre ausgeübt werden. Kipping und | |
Riexinger bräuchten daher die Zustimmung der Delegierten zu einer Ausnahme. | |
Viele rechnen damit, dass im Juni die Ära Kipping/Riexinger zu Ende geht. | |
Aber wer kommt danach? | |
Am Dienstag dürfte erst einmal die Wahl von Lorenz Gösta Beutin zum | |
Prüfstein werden. Mitte November fehlte dem Kieler nur eine einzige Stimme | |
zur Wahl als Fraktionsvorstandsmitglied für soziale Bewegungen. Beutin, der | |
sich in der vergangenen Monaten besonders bei der Klimabewegung engagiert | |
hat, sieht daher gute Chancen für seine Wahl im nächsten Versuch am | |
Dienstag. „Der größte Teil der Fraktion hat verstanden, dass der | |
Klimawandel auch eine soziale Frage ist, weil die Ärmsten am stärksten | |
davon betroffen sind“, sagte er im Gespräch mit der taz. Und weiter: „Es | |
ist wichtig, dass soziale Bewegungen wieder im Fraktionsvorstand vertreten | |
sind.“ | |
Aber das sehen nicht alle so. Für den Fall, dass Beutin erneut scheitern | |
sollte, befürworten einige die völlige Streichung des Postens eines | |
„Beauftragten für soziale Bewegungen“ im Parteivorstand. Schließlich war | |
die Stelle nur eingerichtet worden, um den Kipping-Flügel zu befrieden. Und | |
Kompromisse stehen bei der Linken gerade nicht hoch im Kurs. | |
10 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Fraktionsvorsitzende-der-Linken/!5641680 | |
[2] /Linke-mit-neuer-Fraktionsspitze/!5641971 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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