| # taz.de -- Der Hausbesuch: Hannover – mon amour | |
| > Zwei Berlinerinnen lebten in Hetero-Partnerschaften und haben jeweils ein | |
| > Kind. Dann verlieben sie sich ineinander und ziehen zusammen. | |
| Bild: Ulrike Fahlberg (links) und Stefanie Schwinge-Fahlberg in ihrer Altbauwoh… | |
| Im Herzen sind sie Berlinerinnen. Doch als Stefanie Schwinge-Fahlberg vor | |
| fünf Jahren wegen eines Jobs nach Hannover ging, entschied sich ihre | |
| Lebenspartnerin Ulrike Fahlberg nachzuziehen. Jetzt heißt Heimat für sie: | |
| Hannover. | |
| Draußen: Ein vierstöckiger Gründerzeitbau in einer ruhigen Wohngegend. Das | |
| Haus ein Mix aus gepflegtem Putz und Backstein. Holztür, Erker, Vorgarten. | |
| An der Ecke ein besseres Restaurant. | |
| Drinnen: Ulrike, 56, und Stefanie, 57, wohnen im geräumigen Hochparterre. | |
| Langer Flur, links und rechts Zimmer, überall Bilder, Fotos, Kalender und | |
| Terrakottaskulpturen runder Frauen. Die Figuren hat Stefanie selbst | |
| gemacht. Auf einem Schild am Wohnungseingang steht: „Kannste schon so | |
| machen, dann isses halt Kacke.“ | |
| Der Garten: Vom Schlafzimmer aus steigt man direkt in Ulrikes Refugium | |
| hinab: den Garten. „Als wir hier einzogen, war das ein verwildertes Etwas“, | |
| sagt Ulrike. Sie hat daraus eine grüne Oase gemacht, mit Rosen, Hibiskus, | |
| Funkien, Hortensien, Christrosen. Irgendwas blüht immer. Sie brauche das | |
| Buddeln in der Erde, das Pflanzen junger Setzlinge, die Blumenpflege, sagt | |
| Ulrike: „Das ist für mich Erholung. Ohne einen Garten könnte ich nicht | |
| leben.“ Der Garten ist aber nicht nur Beschäftigungstherapie für Ulrike, | |
| sondern vor allem ein Ort, an dem die beiden Frauen essen, trinken, reden, | |
| arbeiten, Freunde bewirten. „Wir nennen den Garten unserer wichtigstes | |
| Zimmer“, sagt Stefanie. Im Winter sitzen sie hier neben der Feuerschale, in | |
| Decken gehüllt und trinken Glühwein. | |
| Die Freundschaft: Sie lernten sich während der Arbeit in einer | |
| sozialtherapeutischen Einrichtung kennen. In einer Pause Anfang 2007 stand | |
| Stefanie auf dem Balkon des Hauses und rauchte. Sie trennte sich gerade von | |
| ihrem Mann. Ulrike trat zu ihr und sagte: „Sie sehen so traurig aus. Kann | |
| ich etwas für Sie tun?“ Stefanie schüttelte den Kopf, sie wollte nicht | |
| darüber reden. Sie konnte die Trennung ja nicht einmal ihrer gerade | |
| erwachsen gewordenen Tochter richtig erklären. | |
| Die Ostsee: Die beiden Frauen freundeten sich an, Ulrike lud Stefanie oft | |
| zu sich ein. Stefanie tat es gut, mit Ulrike, deren Mann und Sohn zusammen | |
| zu sein. Irgendwann schlug Ulrike vor: „Wollen wir nicht mal ein Wochenende | |
| zusammen an die Ostsee fahren?“ Das taten sie, schliefen getrennt, redeten | |
| und lachten viel. Sie fühlten sich mehr als wohl miteinander. Zurück zu | |
| Hause spielten sie sich Platten und CDs mit Lieblingssongs vor, jeder Titel | |
| hatte eine Geschichte. Ein paar Wochen später wieder Ostsee, wieder | |
| getrennte Schlafzimmer. Aber diesmal schien etwas anders zu sein. Stefanie | |
| sagte zu Ulrike: „Entweder aus uns wird jetzt mehr. Oder wir lassen das.“ | |
| Stefanie Schwinge-Fahlberg: Kommt aus Halle und wurde mit einer | |
| alleinerziehenden Mutter und zwei älteren Brüder groß. Die Oma lebte mit in | |
| der kleinen Wohnung, der Vater war in den Westen abgehauen. Wenn sie von | |
| der Schule nach Hause kam, hatte die Oma gekocht. Stefanie wollte Kunst auf | |
| der Burg Giebichenstein studieren, aber fiel bei der Eignungsprüfung durch. | |
| Ihre Mutter sagte: „Mach doch was Vernünftiges.“ Sie studierte an der | |
| Handelshochschule in Leipzig Ökonomie des sozialistischen Binnenhandels, so | |
| etwas Ähnliches wie heute Betriebswirtschaft. Mutters Idee war nicht so | |
| schlecht, Zahlen sind Stefanies Faible. Kunst macht sie nebenbei, Töpfer- | |
| und Malkurse, in Deutschland und Italien. Überall in der Wohnung und im | |
| Garten stehen ihre Skulpturen, Vasen, Gefäße. | |
| Ulrike Fahlberg: Wurde in Merseburg, Sachsen-Anhalt, geboren, verbrachte | |
| ihre Kindheit und Jugend aber in Eberswalde in Brandenburg. Mit 16 ging sie | |
| nach Berlin, um Krankenschwester zu werden. Weil sie aus einem | |
| evangelischen Elternhaus stammte, durfte sie in der DDR kein Abitur machen. | |
| Deshalb machte sie wenige Wochen vor dem Mauerfall „rüber in den Westen“. | |
| In Köln studierte sie Musik, Trompete und Geige, tingelte durch die Welt, | |
| spielte mal hier, mal dort. Sie war gut gebucht. Nach der Geburt ihres | |
| Sohnes 1994 konnte sie dieses umtriebige Leben nicht mehr leben. Sie kehrte | |
| zurück zur Medizin, studierte Soziale Arbeit und arbeitet seitdem mit alten | |
| und bedürftigen Menschen. | |
| Verschieden: „Wir waren so unterschiedlich, als wir uns kennenlernten“, | |
| sagt Stefanie. Ulrike hat sich immer gesund ernährt, Stefanie hat Pizza | |
| gegessen und Salat verschmäht. Das Rauchen hat sie für Ulrike aufgegeben. | |
| Ulrike fuhr Rennrad, Stefanie konnte sich für „Hundesport“ begeistern: mit | |
| dem Tier gassi gehen. | |
| Scheiden: Beide haben, bevor sie aufeinandertrafen, nicht an Frauen | |
| gedacht. Jede war verheiratet, hat jeweils ein Kind. Auf die Idee, dass es | |
| da noch etwas anderes geben könnte, ist keine von beiden gekommen. Für | |
| Stefanie hat sich Ulrike von ihrem Mann scheiden lassen, Stefanie war da | |
| schon geschieden. „Wir hatten dieselbe Scheidungsanwältin“, sagt Ulrike. | |
| Hannover: 2013 bekam Stefanie das Angebot, in Hannover in einem | |
| Pflegeunternehmen Geschäftsführerin zu werden. Dann pendeln wir eben, so | |
| dachten sich die beiden Frauen das. Der 1. November war Stefanies erster | |
| Arbeitstag, es war dunkel, feucht und kalt. Im Dezember wurde es noch | |
| dunkler, feuchter und kälter. Stefanie hatte ein Zimmer in einem Wohnstift, | |
| fremdelte mit der Stadt und fragte sich: Was mache ich hier eigentlich? | |
| Meine große Liebe wohnt in Berlin und ich hänge hier rum. Entweder ich gehe | |
| zurück nach Berlin oder Ulrike zieht hierher. | |
| Heimisch sein: Ulrike zog nach Hannover, sie fanden die große Wohnung mit | |
| dem verwilderten Garten und entschieden: Hier werden wir jetzt heimisch. | |
| Sie haben Freunde gefunden, einen Lieblingsitaliener und einen | |
| Lieblingsvietnamesen, eine Töpfergruppe. Und Ulrike hat sogar einen Job im | |
| selben Pflege-Unternehmen bekommen wie Stefanie. | |
| Hannover – mon amour: Im Sommer radeln die Frauen an den Maschsee mitten in | |
| der Stadt, für die Herrenhäuser Gärten haben sie eine Jahreskarte. Einmal | |
| im Jahr nehmen sie am Hannover-Firmenlauf teil, mit Stefanies Enkeltöchtern | |
| gehen sie in den Zoo oder auf den Reiterhof. „Hannover ist besser als sein | |
| Ruf“, sagt Stefanie. „Die Lebensqualität ist hoch“, schiebt Ulrike | |
| hinterher. Alles ist zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erreichen, wenige Meter | |
| von ihrem Haus entfernt erstreckt sich ein Wald, die Leute kennen kaum | |
| Eile. Im Sommer sitzen sie gefühlt ab 17 Uhr in den Biergärten und Cafés | |
| und trinken Aperol Spritz. | |
| Liebe im Job: Wie heißt es doch so schön: „Never fuck the company“ – fa… | |
| niemals was mit jemandem aus dem Betrieb an. Aber was sollten Ulrike und | |
| Stefanie denn machen? Seit 2010 sind sie in einer eingetragenen | |
| Lebenspartnerschaft. Am Anfang stutzten Kolleg*innen: Wie jetzt, die eine | |
| heißt Fahlberg, die andere Schwinge-Fahlberg? Was ist da los? „Sind Sie | |
| beide Schwestern?“, wurden Ulrike und Stefanie oft gefragt. „Cousinen?“ �… | |
| „Schwägerinnen?“ Sie schüttelten jedes Mal den Kopf, bis die Frager*innen | |
| kapierten, dass sie Frau und Frau sind. | |
| Der Firmenkodex: Mittlerweile wissen alle, dass sie zusammengehören, es | |
| fragt niemand mehr. „Wir haben einen privaten Firmenkodex“, sagen sie: | |
| Niemals knutschen im Betrieb. Und auch sonst verhalten sie sich dort | |
| weitgehend distanziert. „Wir gehen im Job professionell mit unserer | |
| Beziehung um“, sagt Stefanie: „Aber manchmal, wenn ich nicht dran denke, | |
| rutscht mir schon mal ein ‚Du, Schatz‘ raus.“ | |
| Rente: So schön es mittlerweile in Hannover für die beiden Frauen auch sein | |
| mag, eins steht trotzdem fest: In ein paar Jahren, wenn sie in Rente gehen, | |
| ziehen sie zurück nach Berlin. Nicht ins Stadtzentrum, das wäre ihnen zu | |
| stressig, aber an den Stadtrand in ein Haus mit Garten. „Das muss sein“, | |
| sagt Ulrike: „Ein Leben ohne Garten ist wie ein Alltag ohne Stefanie.“ Und | |
| Stefanie: „Das haste aber schön gesagt.“ | |
| 21 Feb 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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