| # taz.de -- Selbstgebackene Weihnachtskekse: Friss! Es ist von meinem Leib! | |
| > Niemand muss Bulle sein; und niemand muss Plätzchen backen. Und trotzdem | |
| > werden wir jedes Jahr von staubigen Plätzchen erstickt. Eine Anklage. | |
| Bild: Die einen nennen es Plätzchen, die anderen Wüste | |
| Der Rubel rollt, die Einzelhandels-Billigjobs florieren: Es ist Dezember. | |
| Und so wie dieser Tage alle den Rest der Zeit zuverlässig Verhausten auf | |
| einmal auf [1][die Weihnachtsmärkte kriechen], so purzeln aus ihren | |
| Körperöffnungen und Plastiktüten ebenso zuverlässig die zu essenden | |
| Familiärgebäcke. | |
| „Das hat meine Mutter gebacken, also kann es nur gut sein.“ Zu keiner Zeit | |
| im Jahr hört man diesen Satz öfter als vor Weihnachten. „Hier, probier’ | |
| mal, Plätzchen von der Tante meiner Nachbarin.“ „Toll, oder? Selbst | |
| gemachte Chili-Zimt-Kipferl!“ Friss, es ist ein Stück von meinem Leib! | |
| Selbst gebackene Kekse schmecken meist immer gleich, nämlich wie | |
| Tapetenreste. Niemand muss Bulle sein; und niemand muss Plätzchen backen. | |
| Doch es ist ja so einfach! Ein bisschen Zucker, Mehl, Backpulver, | |
| Hautschuppen, Druckerschwärze, Mittagsschweiß, Mittelstandsparanoia, | |
| zusammengerührt und dank [2][hipper Ausstecher] zu denselben Katzen-, | |
| Einhorn-, Luftgewehr-, Hackbällchen-, und Günther-Jauch-Formen gestanzt, | |
| die wir sowieso ständig sehen. Back dir dein personalisiertes Unglück: | |
| zack, fertig! | |
| Bloß nicht nach Geschmack schmecken darf das so Verfeuerte, etwa nach | |
| etwas, das gut schmecken würde (oder nach überhaupt irgendetwas); und bloß | |
| nicht nicht schmecken darf es den zum Probieren Verheizten. Sonst gibt es | |
| nächstes Jahr – Strafe muss sein! – nichts oder gar doppelt so viel. Dabei | |
| wäre es doch im Sinne aufgeklärter Zwischenmenschlichkeitspädagogik | |
| humaner, dem Gegenüber Kümmel, Pottasche und | |
| Was-weiß-ich-was-du-da-schon-wieder-Tolles-reingesprudelt-hast einfach | |
| unverarbeitet in den Rachen zu schütten. | |
| Aber Dezember ist Dezember, und da wird die Leere nun mal unter | |
| staubig-gelben Teigabgüssen begraben wie die Toten über das vorangegangene | |
| Jahr hinweg unter frischer Blumenerde, mit dem Unterschied, dass Letztere | |
| nicht wiederkommen. Anderen sein mediokres Krisselgebäck aufzunötigen, | |
| zeugt vom unbedingten Wunsch, nicht nur die ihnen ums Verrecken | |
| einzuverleibenden Kekse, sondern auch sie selbst anzufassen, ihnen den Atem | |
| mit dem eigenen zu verhageln, letztlich, sie zu erwürgen und so ebenfalls | |
| unter die Erde zu bringen. | |
| Selbst gemachtes Weihnachtsgebäck ist eine aus falschem Verständnis in die | |
| supersensibilisierte Gegenwart hineingeschleifte Folterpraxis, genau dem | |
| endlich-unendlichen Kleinstadtmief entsprungen, dem so viele so knapp erst | |
| entkommen sind. Kann man es denn nicht auch positiv besetzen? Ja, los, holt | |
| die Panzer raus, ihr Naziversteher! | |
| Oder: Ihr lasst es verbrennen und steigt in die letzte Rakete zum Planeten | |
| Endlich gute Laune. Ich warte da auf euch. | |
| 22 Dec 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Adrian Schulz | |
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