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# taz.de -- Hass auf Vanilleeis: Wie Roland Koch oder Schimmel
> Er hat noch jeden Eiskaffee verhunzt! Vanilleeis ist das plump-klumpige
> Weihwasser der Generation Butterfahrt, eine perfide Biowaffe.
Bild: Schmeckt so scheiße, wie er aussieht: Vanilla Ice
Es ist warm, also holen wir uns alle ein Eis. Basilikum-Zitrone,
Schafswolle-Ingwer, Eiter-Glockenturm, oder, nein, doch lieber den
Klassiker: Vanille, und, oh nein, jetzt ist es uns schon wieder passiert.
Vanilleeis passiert, wenn die Autorität eines Produkts die ihrer
Konsument*innen so gewaltig überragt, dass es selbst im ungenießbarsten
Zustand noch Aaaahh-Ooooohh-Wohlstandsgefühle und
Ach-haben-wir-es-gut-Bescheidenheit hervorzaubert. Der Zombie unter den
Eissorten verrichtet auch im Coronajahr sein modriges Werk, so wie Roland
Koch oder Schimmel.
Tatsächlich sehen die schwarzen Punkte im Vanilleeis ziemlich genau aus wie
Schimmel. Sie schmecken auch so. Eingeführt, eingerührt, um die Zweifel zu
vertreiben, ob da denn [1][„echte Vanille“ drin ist] (ist niemals drin),
lenken sie zumindest von der plumpen Klumpigkeit der weißbeigen Hauptmasse
ab, die sich anfühlt wie ein mit Möwenscheiße geschmierter Block Butter.
Sollten einmal [2][alle Alpengletscher abgeschmolzen sein], wird man auf
Vanilleeis statt auf Kunstschnee zurückgreifen, denn es ist billiger in der
Herstellung und behält seine Konsistenz für Jahrzehnte.
Am liebsten im formschönen Zehnlitereimer serviert, ist der gefrorene Eiter
so sinnlos wie eine Darmspiegelung ohne Spiegelung. Er hat noch jeden
Eiskaffee verhunzt, noch jedes Taufbecken verödet. Das Weihwasser der
Generation Butterfahrt, es ist unverdaulich: Wer nach dem Verzehr von
Vanilleeis scheißt, erhält Vanilleeis. Ein Perpetuum mobile der ekligsten
Art.
Aus den Abfällen gemacht, die bei der Fleischerei und der
Fliesenherstellung entstehen, leistet Vanilleeis einen wichtigen Beitrag
zur Bruttowertschöpfung des Industriestandortes Deutschland. Das soll aber
nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es bei ihm im besten Falle mit einer
maximal perfiden Biowaffe zu tun haben. Man riecht es nicht, es ist
unbeweglich und tarnfarben – doch hat es einmal die Schwelle des Körpers
überwunden, bringt es unaufhaltsam dessen Niedergang mit sich: Trägheit,
schlechte Haut, Nörgelei.
Die kapitalistische Lebensweise verlangt nach solchen ekelhaft-mittelsüßen
Pufferstoffen, um den Organismen, die sie verschleißt, bei vollem Tempo und
vollem Preis den Anschein einer Pause zu gönnen. Das Leben ist kein
Ponyhof, lehrt das Vanilleeis. Vanilleeis: Weil du mehr nicht wert bist.
Vanilleeis: Muss halt weg. Vanilleeis: Gewöhn' dich dran.
Wie lange geht das noch? Wie lange hält ein Land das aus? Wohin führt das
bloß? Fragen sich alle anderen Eissorten in heller Panik und schmelzen,
bevor sie die notwendigen Schlüsse ziehen können, dahin.
28 Apr 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Adrian Schulz
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Vanille
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