| # taz.de -- Hassfrucht Clementine: Das orange Vitaminenfeld | |
| > Jedes Jahr zum Advent ist die Vorfreude auf Clementinen groß. Doch dann: | |
| > Zu weich, ja labbrig, wässrig, voller Kerne – ein Obst direkt aus der | |
| > Hölle. | |
| Bild: Lässig die Form wahrend: Mandarinenvorrat nach Großeinkauf | |
| Team Obstipation oder Team Fruchtdurchfall? Jetzt gilt’s. Auch die | |
| pflanzenscheusten Baumtomaten unter uns kommen dieser Tage um sie nicht | |
| herum: die Clementine. | |
| In jeder Gesundschüssel liegen die orangen Bälle nun zu Dutzenden auf der | |
| Lauer, lässig die Form wahrend. Am günstigsten sind sie nämlich im roten | |
| Zehnkilonetz zu erwerben – ein jedes Jahr aufs Neue begangener Fehler, so | |
| wie im Frühling zur Schneeschmelze in gefrorene Hundehaufen zu treten. Denn | |
| nach den ersten drei vom hinterhältigen Lustzentrum so ersehnten Früchten | |
| warten dann ja immer noch neunkommasechseinhalb Kilo auf den Verzehr und | |
| warten und warten. Und schimmeln und schimmeln. Und verwesen und locken die | |
| Raubvögel an. | |
| Auch wenn es nicht so weit kommen muss (wüste Beleidigungen halten die | |
| Scheißviecher in der Regel fern), stürzt die Clementine jeden noch so | |
| bedachten Menschen in ein Vitaminenfeld ohne Aussicht auf Rettung: Auf ihre | |
| besten Exemplare will man um keinen Keks der Welt verzichten, wird aber in | |
| der Praxis meist mit ihren schlechtesten abgespeist. | |
| Erwartet die Lebefrau und der Lebemann eine pralle, klar definierte | |
| Komposition, möglichst ohne Fisselkram, die die Mundhöhle mit Frische und | |
| Säure von den Freuden auch des Winters überzeugt wie ein gutes Taufwasser | |
| den noch gesäugten Gläubigen von der Strenge der Kirche, so scheitern sie, | |
| die Genusssuchenden, in Wirklichkeit schon beim ersten Stück Schale, das | |
| nicht abzumachen geht, ohne dass man sich sauereimäßig Hose und Hand | |
| einsaftet. Überhaupt liegt ein seltsamer Klebefilm aus Teig, Saft und Soße | |
| über dieser [1][ach so besinnlichen Zeit]. Die Bibel ist nichts dagegen. | |
| Sind die geübten Hände endlich ins Innere der Lustkugel vorgedrungen und | |
| ist trotz Saftverlust noch etwas zu verzehren übrig, so versperrt ein | |
| neuerliches Hindernis die Befriedigung: erwähnter Fisselkram nämlich, in | |
| weißen Fäden an der Stückhaut hängend, seinerseits erneute Schälarbeit | |
| fordernd. | |
| Und so vergehen die Minuten: Minuten der kostbar verrinnenden Lebenszeit, | |
| die nicht zu wiederholen sind. Das Kind sagt sein erstes Wort, der Eintopf | |
| wird kalt, die Oma dement. Die Clementine aber verlangt nach ungeteilter | |
| Aufmerksamkeit. Sie duldet keine Nebenbuhler. | |
| Der Geschmack schließlich, die Konsistenz: auch meist enttäuschend. Zu | |
| weich, ja labbrig, wässrig, voller Kerne. Worauf haben wir uns da mal | |
| wieder eingelassen? | |
| Na ja, vielleicht ist die nächste ja besser. Ganz bestimmt sogar. | |
| Hmmm, Clementinen. | |
| 15 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Adrian Schulz | |
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