# taz.de -- Die Komödie „Die Wache“ kommt ins Kino: Im Traum auf der Wache | |
> Die Komödie „Die Wache“ von Quentin Dupieux faltet eine Verhörsituation | |
> ins Aberwitzige um. An der Oberfläche erscheint alles realistisch. | |
Bild: Hauptkommissar Buron (Benoît Poelvoorde, rechts) verhört Louis Fugain (… | |
Louis Fugain (Grégoire Ludig) ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Es ist | |
Nacht und vor dem Hochhaus, in dem er lebt, liegt eine Leiche. Es handelt | |
sich, wie es aussieht, um Mord. Fugain ruft die Polizei, sie lädt ihn zum | |
Verhör aufs Revier. Schnell zeigt sich, dass ihn der ermittelnde | |
[1][Kommissar Buron (Benoît Poelvoorde)] mangels Alternativen für den | |
Hauptverdächtigen hält. | |
Das Revier befindet sich in einem brutalistischen Bau mit niedrigen Decken | |
und viel nackter Wand, auch am Sockel des auf Stelzen stehenden Hauses von | |
Louis wölbt sich wulstig Beton. Das Detail ist nicht weiter wichtig, außer | |
dass man in einem Film von Quentin Dupieux nie so genau sagen kann, was die | |
wichtigen Dinge sind, was die Nebensachen, auch nicht, was straight und was | |
meta, da man ja in der Regel nicht einmal weiß, was das Ganze überhaupt | |
soll. | |
Nehmen wir „Rubber“, den Film, mit dem Dupieux 2010 international das erste | |
Mal so richtig auffällig wurde. Er erzählte die Geschichte eines | |
Autoreifens, der zum Leben erwacht und per telekinetischer Kraft die Köpfe | |
von Männern und Frauen, die ihm im Weg sind, zum Platzen bringt. Er | |
erzählte die Geschichte allerdings so, dass er gleich zu Beginn mitten in | |
der Wüste eine Gruppe von Zuschauer*innen installiert, die durch ihre | |
Ferngläser den Reifen-Splatter als den Film sehen, den wir auch sehen. | |
Allerdings werden diese Zuschauer*innen dann bis auf einen durch einen | |
Truthahn vergiftet. Noch davor hat uns der später ermittelnde Sheriff | |
erklärt, dass alle bedeutenden Werke des Kinos ein wesentliches Element in | |
sich tragen: Es gebe „keinen Grund“ für das, was geschieht. Nur wird im | |
Lauf der Aufzählung von „E.T.“ bis „Der Pianist“ auch diese Behauptung | |
wieder ad absurdum geführt. Im Abspann wird die Abhandlung, nun aus anderer | |
Perspektive, nichtsdestotrotz wiederholt. | |
Oder nehmen wir „Realité“ von 2014, Dupieux’ bislang komplexesten Film. … | |
Mädchen namens Realité findet eine Videokassette im Bauch eines | |
Wildschweins. Ein Regisseur sucht nach einem möglichst grässlichen Schrei. | |
Der Moderator einer Kochshow hat Ekzeme, die nur Einbildung sind. | |
## Slapstick und intellektuelles Vergnügen zugleich | |
Diese Geschichten beginnen sich ineinander zu schieben, zu doppeln, zu | |
spiegeln. Einer träumt, es ist aber wirklich; oder nur die Wirklichkeit | |
eines anderen Traums, aus dem jemand anderes erwacht, und zwar in noch | |
jemand anderes Film. Dupieux ist hier auf den Spuren von Borges oder | |
Escher oder César Aira oder auch Philip K. Dick, aber es ist komischer als | |
bei allen zusammen und wundersamerweise folgt man den Irrwegen gerne. Die | |
Filme von Dupieux sind Slapstick und intellektuelles Vergnügen zugleich. | |
Sie kitzeln im Kopf. | |
Das funktioniert, denn sie biegen immer rechtzeitig ab oder kehren | |
rechtzeitig um, bevor sich der Weg im Beliebigen oder Ungefähren verliert. | |
Dupieux hat einen eminenten Sinn für immer nur auf Zeit in Geltung gesetzte | |
Binnenlogiken, aber auch für Timing: Die Frage, wie sich das Unverbundene | |
diesmal verbindet, wie und wann genau das Wirkliche ins Unwirkliche, das | |
Unwirkliche ins Wirkliche kippt, erzeugt immer wieder ihre eigene Spannung. | |
Vielleicht hat Dupieux’ Rhythmusgefühl mit seiner anderen Karriere zu tun. | |
Denn bevor er als Filmregisseur reüssierte, hatte er als Musiker unter dem | |
Künstlernamen Mr. Oizo schon großen Erfolg. Sein repetitiver | |
Synthesizer-Loop-Track „Flat Beat“ war ein Riesenhit. Für die eigenen | |
Tracks, für seinen Freund Laurent Garnier und andere hat er dann tolle | |
Musikvideos gemacht. Im berühmtesten, „Nightmare Sandwiches“, verwandelt | |
sich eine Toilette unversehens in einen Plattenspieler. | |
## Mr.-Oizo-Soundtracks begleiten die Bilder | |
So begann seine Karriere beim Film, bei dem er sich aber alle Freiheiten | |
des Musikvideoregisseurs nimmt, nur dass nun nicht mehr die Bilder die | |
Musik, sondern die weiterhin sehr wiederholungsschleifenfreudigen | |
Mr.-Oizo-Soundtracks die Bilder begleiten. | |
Ein Detail beim Verhör, das den größten Teil von „Die Wache“ ausmacht, | |
irritiert gleich zu Beginn. Dem anderen Polizisten im Raum, Philippe, er | |
ist zunächst mit Papierkram befasst, fehlt ein Auge. Genauer gesagt ist da, | |
wo das linke Auge sein sollte, eine digital applizierte verschwommene | |
Fläche. Louis kommentiert das, „Geburtsfehler“, wird erklärt, damit ist | |
gut, der Kommissar setzt die Befragung des Verdächtigen fort. | |
Mal stockt das Verhör, mal verstricken sich Louis, nicht aus der Ruhe zu | |
bringen, und der Kommissar, seinem inneren Bluthund auf der Spur, in völlig | |
nebensächliche Dinge, Letzterer versucht den Verdächtigen beim Widerspruch | |
zu ertappen. Es wird Krimikomödie gespielt, die Struktur ist robust, nur ab | |
und zu ein kleiner Pas de deux ins Absurde oder es ergibt sich an | |
unerwarteter Stelle ein kleines Loch. Wie beim Kommissar, wenn er raucht. | |
## Astreiner Boulevard | |
„Die Wache“ ist ein sehr dialoglastiger Film, fast theaterstückhaft. Als | |
Theaterstück: astreiner Boulevard, der Witz mit der Figur, die jeden Satz | |
mit „sozusagen“ beendet, wird zu Tode geritten. Und ersteht in einer | |
anderen Figur wieder auf. Als auch vor Ort, beim Verhör, ein tödliches | |
Unglück geschieht, verschwindet eine Leiche im Schrank und aus der Angst | |
vor Entdeckung zieht Dupieux einige Komik. | |
Es geht fast in Echtzeit voran, beinahe bleibt sogar die klassische Einheit | |
von Raum, Zeit und Handlung gewahrt. Aber wirklich nur beinahe, die Faltung | |
von Handlung, Zeit, Raum geht hier nur subtiler als in anderen Filmen des | |
Regisseurs vonstatten. Einerseits im Innern der Flashbacks, als Louis’ | |
Schilderungen der Leichenfundnacht vor Augen gestellt werden. Minutiös wird | |
der keineswegs sonderlich aufregende Hergang rekonstruiert. Bis dann | |
plötzlich eine Figur, die beim Verhör schon hereingeschneit ist, auch in | |
die Erinnerungen schneit, in die sie weiß Gott nicht gehört. | |
Weiter hinten im Film passieren auch mit der Vierten Wand seltsame Dinge. | |
Der bisherige Film als Traum, aus dem alle erwachen. Nur ist es, wie es | |
immer ist bei Dupieux: Es gibt kein finales Erwachen. Wachen ist immer nur | |
Traum im Traum, und außerdem schaut, ob man es weiß oder nicht, immer | |
irgendwo jemand zu. | |
## Erzählerische Origami-Strukturen | |
Was in diesen ständigen Faltungen entsteht, ist, gefühlt, nicht unbedingt | |
Tiefe. Die existenzielle Dimension wird selten überbetont. Die Abwesenheit, | |
das immer weitere Aufschieben eines finalen Realen könnte Terror bedeuten, | |
behält durch Dupieux’ Lust am Komischen des Absurden aber ein spielerisches | |
Element. Man stürzt in seinen komplizierten narrativen Arrangements nicht | |
in Abgründe, auch wenn ein sehr blutiges Grand-Guignol-Moment selten fehlt. | |
Eher taumelt man von einer Oberfläche zur nächsten, von Falte zu Falte in | |
erzählerischen Origami-Strukturen. | |
Man kann surreal dazu sagen, solange man den eigentlichen Punkt nicht | |
übersieht: Das alles ist, so wenig es auch danach klingt, im Modus des | |
Realismus erzählt. Die Figuren wähnen sich nicht im Traum, sondern bewegen | |
sich, mal mehr, mal minder verwirrt, durch Szenarien, die sie für | |
Wirklichkeit halten. | |
Dupieux sperrt sich gegen das Einsortieren in fantastische Genres. Er nimmt | |
sich vielmehr mit großer Selbstverständlichkeit die Freiheiten, die das | |
Erzählen grundsätzlich bietet. Jede erzählte Wirklichkeit ist erst einmal | |
Setzung, die sich der Kontrolle durch die Gesetze des Realen entzieht. | |
Dupieux' Erzählen ist in diesem Sinn fortgesetzter Entzug. Dieser Entzug | |
aber als einzige Lust. Und auch nach dem Abspann, dies nur als Tipp, ist | |
noch lange nicht Schluss. | |
11 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Berlinale--Saint-Amour/!5279624 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
## TAGS | |
Spielfilm | |
Komödie | |
Traum | |
Verhör | |
DVD | |
Deutscher Film | |
Jean-Luc Godard | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Komödie „Monsieur Killerstyle“ auf DVD: Es kann nur eine Jacke geben | |
In Quentin Dupieuxs Film „Monsieur Killerstyle“ entwickelt ein Mann eine | |
Obsession für Wildleder. Die reale Welt wird darüber zum Fremdkörper. | |
Spielfilm „Ich war zuhause, aber“: Schlafen auf dem Friedhof | |
Radikal, ohne sich akademisch zu geben: „Ich war zuhause, aber“ von Angela | |
Schanelec tanzt zwischen existenziellen Fragen und dem komischen Nichts. | |
Spätwerk von Jean-Luc Godard: Aus tausend Fäden vernäht | |
„Bildbuch“, ein Essayfilm von Jean-Luc Godard, ist aus Fragmenten und | |
Bruchstücken zusammengebaut. Ein Bild-, Sprach- und Musikwirbel. | |
Filmfestspiele in Venedig: Ein Ekzem, das keines ist | |
Quentin Dupieux’ „Reality“ und Hong Sangsoos „Hill of Freedom“ stelle… | |
Frage: Warum muss man wissen, wer was wann tut? | |
Filmfestspiele in Locarno: Unflätige Furien und Monster | |
Am Wochenende endeten die Filmfestspiele von Locarno. Der neue Leiter | |
Olivier Père gab kantigen, mutigen Filmen den Vorzug vor mittelmäßigem | |
Qualitätskino. |