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# taz.de -- Filmfestspiele in Venedig: Ein Ekzem, das keines ist
> Quentin Dupieux’ „Reality“ und Hong Sangsoos „Hill of Freedom“ stel…
> die Frage: Warum muss man wissen, wer was wann tut?
Bild: Regisseur Gregory Bernard mit Elodie Bouchez, Jonathan Lambert und einer …
Zwei Filme in der Orizzonti-Sektion, Quentin Dupieux’ „Reality“ und Hong
Sangsoos „Jayueui onduk“ („Hill of Freedom“), experimentieren, indem sie
die Linearität der erzählten Zeit aushebeln und das Verhältnis von
extradiegetischer und intradiegetischer Erzählung – also der Rahmenhandlung
und der Erzählung in der Erzählung – auf die Probe stellen.
Der Film des französischen Regisseurs Dupieux bedient sich dabei einiger
Motive aus David Foster Wallace’ Roman „Unendlicher Spaß“, eine
geheimnisvolle Videokassette spielt eine Rolle, und auch die im Roman so
zentrale Idee, dass der Anblick eines Monitors fatale Konsequenzen haben
kann, wird von „Reality“ aufgegriffen.
Der Kameramann Jason (Alain Chabat) möchte gerne einen eigenen Film drehen,
einen Horrorfilm namens „Waves“, der davon handelt, wie Fernseher die
Menschen süchtig machen, bevor sie sie auslöschen. Wer auf einen Monitor
blickt, so Jasons Fantasie vom eigenen Filmprojekt, der zerplatzt in
blutigen Fontänen. In „Unendlicher Spaß“ befällt ihn ein Stupor, aus dem
kein Entkommen mehr ist.
Dupieux pfeift auf die Vorstellung, dass sich ein Film in allen seinen
Bewegungen nachvollziehen lassen müsse. Was in „Reality“ die
Wirklichkeitsebene des Films, was Gespinst oder Filmprojekt der Figuren
ist, ist über das Ende hinaus offen, beziehungsweise: Alles, was geschieht,
ist ununterscheidbar beides, Gespinst und Realität, Fiktion und
Fiktion-in-der-Fiktion.
Zwischen den Ebenen herrscht fröhliche Promiskuität, da Figuren aus einem
Strang in den nächsten wechseln oder sich verdoppeln. Während Jason von
einer Telefonzelle aus mit dem Produzenten spricht, sitzt er zugleich in
dessen Büro. Eine andere Figur kratzt sich zwanghaft; der Mann meint, er
leide an einem Ekzem, seine Haut aber sieht makellos aus. Als er einen
Dermatologen aufsucht, dessen Gesicht ein feuerroter Ausschlag befallen
hat, sagt ihm der Arzt: „Sie haben wirklich ein Ekzem, und zwar auf der
Innenseite ihrer Kopfhaut.“
## Briefe ohne Reihenfolge
Der koreanische Regisseur Hong Sangsoo geht nicht ganz so weit wie Dupieux,
weil er die meisten Rätsel, die er in den Raum stellt, auflöst. „Jayueui
onduk“ beginnt damit, dass eine junge Frau, Kwon (Seo Younghwa), einen
Stapel Briefe in ihrem Büro abholt.
Nachdem sie den ersten Brief gelesen hat, rutscht sie auf einer Treppe aus,
die Blätter gleiten ihr aus der Hand, sie sammelt sie wieder ein, kann aber
die richtige Reihenfolge nicht rekonstruieren. Also liest sie sie, ohne zu
wissen, was worauf folgt, und Hong Sangsoo setzt in entsprechend launischer
Reihenfolge ins Bild, was in den Briefen beschrieben wird.
Bis man das begreift, vergeht eine Weile, und man wundert sich immer
wieder, warum von Ereignissen die Rede ist, die man nicht gesehen hat. Der
Autor der Briefe ist ein junger Mann aus Japan, Mori (Ryo Kase), der nach
Seoul reist, um Kwon wiederzusehen.
Aber sie ist verreist, er lernt eine andere kennen, einige Male gibt es die
Restaurantszene, die für Hong Sangsoos Filme so typisch ist: abgekühlte
Tischgrills, halbleere Bibimbap-Schalen und Bier-, Wein- oder Soju-Flaschen
stehen nebeneinander, und die Figuren sprechen lallend über nichts.
Der große Reiz an „Jayueui onduk“ und an „Reality“ ist, dass sie den R…
dessen, was für gewöhnlich im Kino passiert, weit dehnen. Gerade bei
Filmfestivals fällt auf, wie vorhersehbar die meisten Filmfiktionen sind
und wie oft sie Standardsituationen in Szene setzten. Warum eigentlich?
Warum muss man immer wissen, wer was wo und warum tut und ob es wirklich
geschieht oder nicht?
Einer von Dupieux’ früheren Filmen heißt „Rubber“ und handelt gut 80
Minuten lang von einem Autoreifen. Erahnen Sie die Möglichkeiten?
4 Sep 2014
## AUTOREN
Cristina Nord
## TAGS
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Ulrich Seidl
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