# taz.de -- Spielfilm „Ich war zuhause, aber“: Schlafen auf dem Friedhof | |
> Radikal, ohne sich akademisch zu geben: „Ich war zuhause, aber“ von | |
> Angela Schanelec tanzt zwischen existenziellen Fragen und dem komischen | |
> Nichts. | |
Bild: Jeder filmische Schnitt ist ein möglicher Abgrund | |
Astrid (Maren Eggert) sieht im Rahmen eines Seminars einen Film, von dem | |
wir als Zuschauerinnen nichts sehen als den Widerschein des Lichts auf | |
ihrem Gesicht. Später wird sie dem Regisseur zufällig auf der Straße | |
begegnen, sie gehen ein Stück Wegs gemeinsam, in eine Richtung, in die nur | |
sie muss, er aber nicht. Sie sprechen über den Film, Astrid redet sich in | |
Rage, sie urteilt streng über das, was er tut: Es ist darin, so lässt sich | |
schließen, eine Tänzerin zu sehen, die einer sterbenden Frau begegnet. | |
Die Sterbende spielt nicht, sondern liegt wirklich im Sterben. Astrid | |
findet das verwerflich, die Wahrheit, die im tatsächlichen Verlust der | |
Sterbenden über ihren Körper liegt, mit der Lüge zusammenzubringen, um die | |
es sich bei aller Schauspielerei handelt. Man muss das nicht als die letzte | |
Wahrheit über das Kino (und das Theater) verstehen, auch wenn Angela | |
Schanelecs Film die beschriebene Szene eben, und aus guten Gründen, nicht | |
zeigt. Fest steht aber, dass es in „Ich war zuhause, aber …“ um letzte | |
Wahrheiten geht. Um die unerbittliche Suche danach, um ein Kino, das sich | |
radikal auf diese Suche begibt, wohin auch immer sie führt. | |
Auf der Suche war auch Astrid, auf der Suche nach ihrem verschwundenen | |
Sohn. Er kehrt zurück, fast am Anfang des Films, was aber noch lange nicht | |
heißt, dass eine Normalität wiederhergestellt wäre. Überhaupt ist die | |
Frage, was das heißen soll: Wiederherstellung einer Normalität. Astrid | |
trägt einen noch größeren Schmerz in sich, man erfährt es im erwähnten | |
Gespräch mit dem Regisseur. Ihr Mann, der Vater ihrer zwei Kinder, da ist | |
neben dem verlorenen Sohn noch eine jüngere Tochter, er war Regisseur am | |
Theater, ist vor zwei Jahren gestorben. Das Leben geht weiter, aber damit | |
ist noch gar nichts gesagt. | |
In einer erschütternden Sequenz überquert Astrid – zu M. Wards | |
herzerreißender Cover-Version von David Bowies „Let’s Dance“ – die Mau… | |
des Friedhofs und legt sich, die Hand am Grabstein des verstorbenen Mannes, | |
auf die Erde, als wolle sie schlafen. Aus dem Nichts eine Wachtel, oder | |
nicht ganz aus dem Nichts, denn Tiere stehen und jagen auch zu Beginn und | |
Ende des Films, sei es als Allegorie oder sei es für sich. (Man kann es so | |
oder so nehmen. Lesevorschriften gibt es bei Schanelec nicht.) | |
## Es wird Nacht im Lehrerzimmer | |
Astrid hat einen neuen, viel jüngeren Freund, sie kümmert sich um die | |
Kinder, sie geht an die Schule des Sohns, wo darüber verhandelt wird, was | |
man mit so einem macht, der einfach eine Woche verschwindet. In einem | |
großen Monolog kämpft sie für ihn, steht unter den Lehrern, die man zuvor | |
schon in einer Gruppe sah, die einen auf merkwürdige Weise an die | |
niedergeschlagenen Jünger vor der Wiederauferstehung Jesu erinnert. Es wird | |
Nacht im Lehrerzimmer, sie wissen nicht weiter. Wenn sich nichts, gar | |
nichts von selbst versteht, wenn ein Ereignis in ein Leben gefahren ist, | |
sodass dieses Leben nie wieder ganz heilt, dann können die Schleier, die im | |
Alltag vor den Abgründen liegen, jederzeit reißen. | |
Jeder filmische Schnitt ist ein möglicher Abgrund. Das gilt ja eigentlich | |
immer im Kino, aber Angela Schanelec, die hier auch den Schnitt selbst | |
gemacht hat, macht mit dieser banalen Erkenntnis richtig Ernst, wie dies | |
überhaupt ein Film ist, der das Banale mit heiligem Ernst nimmt, dann aber | |
auch sieht und zeigt, wie der heilige Ernst, die kunstphilosophische Rage | |
der heiligen Astrid, ins Komische kippt. | |
Komik ist etwas, das man mit Schanelec sonst nicht verbindet, nicht ganz zu | |
Recht, denn das zum Zerreißen Gespannte, das auch ihren anderen Filmen | |
nicht fremd ist, siedelt immer an einem schwer zu bestimmenden Punkt sehr | |
gemischter Gefühle: dem Pathos wie dem Sublimen, dem Abgrund und der | |
Abbrüchigkeit liegt die Entladung ins auch komische Nichts keineswegs fern. | |
Auch im Weltkino ist die Position Schanelecs heute recht singulär. Immerhin | |
bekommt sie nun die Aufmerksamkeit, die sie schon lange verdient: Vor zwei | |
Jahren der Auftritt im Wettbewerb von Locarno mit „Der traumhafte Weg“, in | |
diesem Jahr die Begeisterung der internationalen Kritik bei der Berlinale, | |
dazu der mehr als verdiente Silberne Bär, jetzt die Einladung zum New York | |
Film Festival, das sich als ein Best-of des Jahrgangs versteht. | |
## Viel schroffes Nebeneinander | |
Von „Berliner Schule“, dem Label, das eine gewisse Tendenz zur filmischen | |
Intelligenz im neueren deutschen Kino zusammenzufassen versuchte, ist | |
inzwischen eher selten die Rede. Das hat sich auf gute Weise erledigt: | |
Christian Petzold, Thomas Arslan, Maren Ade, Ulrich Köhler und Christoph | |
Hochhäusler sind längst ihre eigenen, mal mehr traumhaften, mal mehr | |
realistischen Wege gegangen. | |
Petzold hat sich zuletzt mit „Barbara“, „Phoenix“ und „Transit“ in | |
Neuerfindungen des Historienfilms versucht, sein klarer Stil und seine | |
narrative Ausgefuchstheit sind sogar noch bei Abweichungen ins Fantastische | |
(wie beim Polizeiruf „Wölfe“) hauptsendezeitkompatibel. Maren Ade ist mit | |
ihrem sehr eigenwilligen Zugang zur Charakterkomödie seit „Toni Erdmann“ | |
die weltberühmteste von allen, der Film war noch dazu ein Publikumshit. Im | |
Wettbewerb von Locarno ist gerade Ades Lebensgefährte Ulrich Köhler – | |
dessen sanfte Postapokalypse-Parabel „In my Room“ zuletzt etwas unterging �… | |
mit „Das freiwillige Jahr“ vertreten, den er gemeinsam mit dem schon | |
verschollen geglaubten Henner Winckler gedreht hat. Daneben bewegt sich | |
etwa Franz Müller mit tollen unprätentiösen Schauspieler*innenfilmen | |
unbeirrt auf von den zuständigen Gremien viel zu wenig geförderten Pfaden. | |
Zum Liebling eines Mainstreampublikums wird Schanelec nie avancieren. | |
Die letzten beiden Filme sind formal noch einmal radikaler als das | |
bisherige Werk. In „Ich war zuhause, aber …“ gibt es viel schroffes | |
Nebeneinander. Hamlet-Szenen mit Schülern, das Beziehungsdrama eines | |
Lehrers, eine Mutter mit den Nerven am Ende, die Tiere des Anfangs und | |
Endes, Sankt Christophorus im Wald kurz vor Schluss: All das wird scharf | |
modelliert, der Zusammenhang des Ganzen ist so abstrakt, wie jedes einzelne | |
Bild konkret ist, die Bilder, Farben, Töne der Welt atmen. | |
Alles steht hier, und sei es noch so aufgeladen mit filmgeschichtlichen | |
oder religiösen Verweisen, doch immer für sich. Der Titel deutet auf | |
Yasujiro Ozus „Ich wurde geboren, aber …“, der Esel an Anfang und Ende auf | |
Robert Bressons „Zum Beispiel Balthasar“. Das hat aber nur den einen Grund, | |
dass Schanelec die Kunst, die schon war und die Wirklichkeit in ihren Augen | |
gültig gefasst hat, als selbstverständlich mitlebend betrachtet. Wer Neues | |
macht, muss davor bestehen. In diesem Sinn, im Verzicht auf die ignorante | |
Anmaßung, so zu tun, als gäbe es keine Geschichte des Kinos, sind ihre und | |
sind überhaupt die Filme, die unter dem Label „Berliner Schule“ gefasst | |
wurden, höchst voraussetzungsreich. | |
## Drama im Alltäglichen | |
Aber keineswegs akademisch oder theoretisch oder nur lesbar für die, die | |
diese Geschichte oder Voraussetzungen kennen. Jedes Bild, sei es Detail | |
oder Tableau, jede Wunde, jedes Wort, jeder Schnitt, jeder Schnitt als | |
Wunde kann einen in „Ich war zuhause, aber …“ sehr unmittelbar treffen. Es | |
geht hier um sehr existenzielle Dinge, von denen viele aufs Äußerste | |
alltäglich sein können: ein Radkauf, ein Schwimmbadbesuch, ein kleiner Tanz | |
im Krankenhauszimmer, das Theaterspiel in der Schule. | |
Schanelec sieht und hört bei all dem einfach nur sehr genau hin. Das Wunder | |
liegt darin, wie sie im Ausschnitt der Bilder, in Tableau und Kamerafahrt, | |
mit Dialog in On oder Off, im sanften oder brutalen Schnitt das aufwühlende | |
Drama im Alltäglichen, die existenziellen Dimensionen unseres Dahinlebens | |
offenbart. | |
15 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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Deutscher Film | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Spielfilm | |
Filmfestival Viennale | |
Christian Petzold | |
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