| # taz.de -- Eltern und ihr Problem mit der Schule: Blind vor Ehrgeiz | |
| > Eltern wissen alles besser als jeder ausgebildete Pädagoge. Sie verlangen | |
| > ein vollkommenes Schulsystem. Dabei sind sie selbst unvollkommen. | |
| Bild: Manchmal auch im Straßenverkehr nötig: Schild zur Begrenzung von Eltern… | |
| Eltern wissen am besten, was gut ist für ihr Kind. Wie oft habe ich das | |
| schon gehört? Ich habe im Laufe der Jahre, in denen meine eigenen Kinder | |
| heranwuchsen, eine Menge Eltern kennengelernt, und ich bin zu dem Schluss | |
| gekommen: Eltern wissen in den seltensten Fällen, was gut ist, für ihr | |
| Kind. Vielleicht ist unser deutsches Bildungssystem nicht optimal, | |
| vielleicht ist unsere Vorschulförderung nicht optimal, aber nichts empfinde | |
| ich mittlerweile als so schädlich für die Entwicklung unserer Kinder wie | |
| die eigenen Eltern. Sie sind getrieben von ihren ehrgeizigen Zielen und | |
| Wünschen, sie wissen alles besser als jeder ausgebildete Pädagoge, sie | |
| überbehüten oder vernachlässigen ihre Kinder, sie interessiert nur eines: | |
| dass ihr Kind an allererster Stelle steht. | |
| Eltern sind selbst unvollkommen, aber sie verlangen nichts weniger als ein | |
| vollkommenes System zur Förderung ihrer Kinder, sie verlangen vollkommene | |
| Lehrer und Erzieher. Und wenn es dann tatsächlich einmal eine solche fast | |
| vollkommene Grundschullehrerin gibt, dann können sie das nicht einmal | |
| erkennen, weil, zum Beispiel, ihre persönlichen Schwerpunkte anders | |
| gewichtet sind. | |
| Tatsächlich könnte die schulische Förderung in unserem Land besser sein. | |
| Tatsächlich gibt es eine Ungleichheit in den verschiedenen Stadtvierteln, | |
| tatsächlich haben Kinder der einen Schule bessere Chancen als Kinder der | |
| anderen Schule. Und daran muss gearbeitet werden. Eine Schulreform wäre | |
| dringend notwendig, aber möglicherweise würde auch sie wieder an Eltern | |
| scheitern, die vor allem eines interessiert: siehe oben. | |
| Die Hamburgische Schulbehörde hat einen neuen Bildungsplan vorgestellt. | |
| Demnach sollen, zum Beispiel, Grundschullehrer demnächst finanziell den | |
| anderen Lehrern gleichgestellt werden, weil zunehmend erkannt ist, wie | |
| wichtig diese frühe Bildung ist. In Hamburg besteht bereits eine Pflicht | |
| zur Vorschule, wenn das Vorschulkind einen entsprechenden Bedarf hat. Einen | |
| Bedarf hat ein Vorschulkind, wenn es nicht über vergleichbare Fähigkeiten | |
| wie gleichaltrige Kinder verfügt. | |
| „Typisch. Die Kinder noch früher abgreifen …“, nennt das eine | |
| Kommentatorin. Typisch, die Schule als feindlich empfinden, die Kinder | |
| „abgreift“. | |
| Tatsächlich erfolgt jene Beeinflussung in Bildungs- und | |
| Betreuungseinrichtungen. Es wird Wissen vermittelt, es werden auch Werte | |
| vermittelt. Was das in totalitären Systemen bedeutet, ist bekannt. Aber in | |
| unserem immer noch irgendwie demokratischen Staat wird durch eine Vielzahl | |
| von Menschen auch eine Vielfalt von Werten vermittelt, auch wenn es einen | |
| gewissen, festgelegten wissenschaftlichen und moralischen Konsens gibt. | |
| Eltern, die die Möglichkeit hätten, ihr Kind allen diesen Einrichtungen zu | |
| entziehen, übten ganz allein diese Macht auf ihr Kind aus. Eine Vielfalt | |
| von Einflüssen wäre diesem Kind dann nicht gegeben. Deshalb bin ich gegen | |
| das Recht auf häusliche Unterrichtung. Kinder brauchen möglichst viele | |
| andere Kinder aus verschiedenen anderen Schichten, viele unterschiedliche | |
| Lehrer mit unterschiedlichen Ansichten, und das Gleiche gilt für | |
| ErzieherInnen. Der Einfluss der Eltern bleibt stark genug, und es ist | |
| wichtig, diesen Einfluss nicht den einzigen sein zu lassen, wie es | |
| vielleicht in Sekten der Fall ist. | |
| Am Ende verlassen nämlich Kinder die Familie und müssen sich in einer | |
| pluralistischen Gesellschaft ihren Platz suchen. Kinder sind kein | |
| Privateigentum, sondern werden ein hoffentlich nützlicher und solidarischer | |
| Teil der Gesellschaft. | |
| Um allen Kindern einen möglichst gerechten Start in die Schule zu geben, | |
| ist es einfach wichtig, dass die Kinder auch ähnliche Voraussetzungen | |
| mitbringen. Dass sie, zum Beispiel, Deutsch sprechen. Das liegt im | |
| Interesse dieser Kinder, und es liegt genauso im Interesse der Kinder, die | |
| die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen, dass auf gemeinsamen | |
| (Mindest-)Voraussetzungen aufgebaut werden kann. Es ist ein | |
| gemeinschaftliches Interesse. | |
| Es wird hier in diesem Staate viel zu viel auf die Familie gehalten, aber | |
| Kinder müssten oft genug vor den kruden Ansichten ihrer Familie, in ihrem | |
| eigenen Interesse, beschützt werden. Bildung ist in ihrem Interesse. | |
| Schulbildung ist ihr Weg in das Leben. | |
| 12 Dec 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Seddig | |
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