# taz.de -- Abwahl von AfD-Politiker: „Es hat sich ausgehetzt“ | |
> Der Rechtsausschuss setzt den AfD-Abgeordneten Brandner als Vorsitzenden | |
> ab. Das ist ein Novum in der Geschichte des Bundestags. | |
Bild: War als Vorsitzender des Rechtsausschusses immer umstritten: Stephan Bran… | |
BERLIN taz | Es sind nur zwei Sätze, die an diesem Mittwochmorgen zunächst | |
noch ganz am Ende der Tagesordnung unter Punkt 24 zu finden sind. Doch was | |
sich dort versteckt, hat es in sich. Mit einem gemeinsamen Antrag wollen | |
alle Fraktionen außer der AfD Stephan Brandner, den Vorsitzenden des | |
Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, abberufen. Das hat es im | |
Bundestag noch nicht gegeben, in all den 70 Jahren seit seiner Gründung | |
nicht. | |
Als sich der Rechtsausschuss dann um 9 Uhr in Saal 2.600 im Paul-Löbe-Haus | |
versammelt hat, geht es ganz schnell. Der Tagesordnungspunkt wird | |
vorgezogen, die Kritik an Brandner vorgetragen, die Absetzung beantragt. | |
Dann folgt eine geheime Abstimmung. 40 Minuten später ist Brandner | |
abgewählt, nur die sechs Abgeordneten der AfD haben gegen den Antrag | |
gestimmt, alle anderen dafür. | |
Der Rechtsausschuss habe eine besondere Funktion, sagt der | |
CDU-Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak zur Begründung, als er kurz darauf vor | |
den Kameras steht, die sich neben dem Sitzungssaal aufgebaut haben. „Er | |
wacht über Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Werte des | |
Grundgesetzes.“ [1][Brandner aber habe Menschen diffamiert und | |
ausgegrenzt,] das widerspreche allem, wofür der Ausschuss stehe. Seine | |
Abwahl sei ein „starkes und klares Signal gegen Hetze und Hass“. | |
Marco Buschmann von der FDP betont, dass das Recht versuche, nüchtern und | |
sachlich zu sein und Emotionen und Hitze aus Konflikten herauszunehmen – | |
genau das mache Brandner nicht. „Es hat sich ausgehetzt für Herrn | |
Brandner“, sagte auch Niema Movassat, Rechtspolitiker der Linksfraktion. | |
PolitikerInnen von Grünen und SPD äußern sich ähnlich. | |
## Abwahl Brandners ist das Ende eines langen Eklats | |
Sie alle betonen, dass die AfD nun das Recht habe, einen neuen | |
Ausschussvorsitzenden vorzuschlagen. Es gehe allein um die Person Brandner. | |
Der AfD-Politiker sei für den Ausschussvorsitz nicht geeignet. | |
Dieser hatte schon vor Sitzungsbeginn vor laufenden Kameras auf Angriff | |
geschaltet. Die anderen Parteien würden „gelebtes Parlamentsrecht“ brechen | |
und auf der Geschäftsordnung des Bundestags „herumtrampeln“. Der ganze | |
Vorgang sei ein „Missbrauch der Macht“. Und natürlich fehlt auch der Spruch | |
nicht, den Brandner seit Tagen vorträgt und der so schön in das | |
AfD-Narrativ passt: „Einmal die Meinung gesagt, und schwupps, sind Sie | |
ihren Job los.“ Da gehe es ihm jetzt nicht anders als anderen | |
AfD-Mitgliedern. Als sei es nur um eine einzige Meinungsäußerung gegangen. | |
Nach dem sich die Obleute der anderen Fraktionen geäußert haben, tritt | |
Brandner gemeinsam mit seinen beiden Fraktionsvorsitzenden vor die Kameras. | |
Während Alexander Gauland von „Dummheit und Anmaßung“ und einer „Zumutu… | |
für die Demokratie“ spricht, beschimpft Alice Weidel einen Journalisten. | |
Was dieser denn für dumme Fragen stelle, herrscht sie ihn immer wieder an. | |
Und woher er überhaupt komme. Der Kollege hat nach dem Verständnis der AfD | |
in Sachen Antisemitismus gefragt. | |
Mit der Abwahl Brandners hat ein Eklat, der seit Wochen gärt und eine noch | |
viel längere Geschichte hat, seinen Höhepunkt erreicht. Anlass waren | |
zuletzt mehrere Postings Brandners in den sozialen Netzwerken. Nach dem | |
[2][rechtsextremen Anschlag in Halle] schrieb der 53-jährige Jurist über | |
den jüdischen Publizisten Michel Friedman auf Twitter: „Jede Sendeminute | |
dieses deutschen Michel treibt uns neue Anhänger in Scharen zu – weiter so! | |
#PaoloPinkel #Koksnase #Zwangsfunk.“ Friedman hatte der AfD in einem | |
Interview vorgeworfen, „Judenhass und Menschenhass“ hätten bei ihr eine | |
„politische Heimat“ gefunden. Dazu kam ein Retweet, den Brandner | |
verbreitete. Darin hieß es, die Opfer von Halle seien „eine Deutsche, die | |
gerne Volksmusik hörte“, und „ein Bio-Deutscher“ gewesen. „Warum lunge… | |
Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?“ | |
Der Ausschuss distanzierte sich daraufhin von seinem Vorsitzenden und | |
forderte ihn zum Rücktritt auf. Brandner entschuldigte sich zwar später im | |
Bundestag, doch viele Ausschussmitglieder überzeugte das nicht. Auch weil | |
Brandner sich beim Twittern nicht mäßigte. Nachdem Udo Lindenberg, der | |
zuvor mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden war, die AfD scharf | |
angriff, schrieb Brandner: „Klar, warum der gegen uns sabbert/sabbern | |
muss.“ Dazu ein Verweis auf das Bundesverdienstkreuz und #Judaslohn. | |
Spätestens da war für viele Ausschussmitglieder klar: Brandner wird sich | |
nicht ändern. Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD, brachte | |
die Einschätzung vieler Mitglieder auf den Punkt: Brandner habe weder | |
menschlich noch politisch die Eignung für den Vorsitz im Rechtsausschuss. | |
## Zwischenrufe im Thüringer Landtag | |
Tatsächlich war das Verhältnis zwischen dem Ausschuss und seinem | |
Vorsitzenden von Anfang an problematisch. Brandner, der aus dem | |
nordrhein-westfälischen Herten stammt und 1996 nach Gera in Thüringen zog, | |
steht gern breitbeinig da, die Haare trägt er nach hinten gegelt. Vor | |
seinem Einzug in den Bundestag saß Brandner im Thüringer Landtag. Dort war | |
er immer wieder durch Zwischenrufe und Pöbeleien aufgefallen und hatte | |
dafür 32 Ordnungsrufe kassiert – ein Spitzenwert, mit dem Brandner gern | |
kokettierte. | |
Im Bundestagswahlkampf drehte Brandner richtig auf. Er unterstellte dem | |
damaligen Innenminister Thomas de Maiziere, dieser gehe wohl von der | |
„berühmten syrischen Kleinfamilie von Vater, Mutter und zwei Ziegen“ aus, | |
bezeichnete den damaligen Justizminister Heiko Maas als „Ergebnis | |
politischer Inzucht im Saarland“ und forderte, die Kanzlerin müsse man | |
„einknasten“. | |
Mitglieder des Landtags warnten davor, ihn zum Vorsitzenden des | |
Bundestags-Rechtsausschusses zu machen. Auch im Bundestag hatten viele | |
Ausschussmitglieder Bedenken. Davor, überhaupt einen AfD-Politiker als | |
Vorsitzenden zu haben. Und dann auch noch Brandner. Der AfD-Mann musste | |
sich einer Wahl stellen, was ungewöhnlich ist. Gewöhnlich werden | |
Ausschussmitglieder vorgeschlagen und dann vom Ausschuss benannt. Das galt, | |
bis die AfD kam. Brandner erhielt 19 Ja-Stimmen, bei 12 Nein-Stimmen und 12 | |
Enthaltungen. Er erklärte, er werde als Ausschussvorsitzender keine | |
Skandale provozieren, dies bedeute aber nicht, dass er zum „politischen | |
Eunuchen“ werde. | |
Was immer er damit meinte, Brandner mäßigte sich kaum. Beim Empfang des | |
Deutschen Anwaltsvereins referierte er AfD-Positionen, statt den Ausschuss | |
zu vertreten. Als der Bundestag im Mai über das 70-jährige Bestehen des | |
Grundgesetzes debattierte, griff der AfD-Abgeordnete den auf der | |
Gästetribüne sitzenden Bundespräsidenten an. Der Rechtsstaat werde von den | |
anderen Parteien immer mehr „ignoriert, gebogen und mit den Füßen | |
getreten“, nahezu auf allen Ebenen, kritisierte Brandner. „Fangen wir ganz | |
oben an, beim Staatsoberhaupt.“ Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble rief | |
ihn zur Mäßigung auf, Ausschussmitglieder waren entsetzt. Die Tweets, die | |
Brandner in den vergangenen Wochen postete, brachten das Fass zum | |
Überlaufen. | |
## Brandner selbst lehnte Rücktritt stets ab | |
Doch lassen die Vorschriften die Absetzung eines Ausschussvorsitzenden | |
überhaupt zu? Diese Frage war zunächst ungeklärt. Denn in der | |
Geschäftsordnung des Bundestags heißt es nur, dass die Ausschüsse ihre | |
Vorsitzenden und deren Stellvertreter „bestimmen“. Der | |
Geschäftsordnungsausschuss prüfte dies in der vergangenen Woche und | |
entschied, dass eine Abwahl möglich ist. „Wer gewählt wurde, kann auch | |
abgewählt werden“, so fasste es Britta Haßelmann, die Parlamentarische | |
Geschäftsführerin der Grünen, zusammen. | |
Brandner selbst lehnte einen Rücktritt stets ab. Am Dienstag hatte er noch | |
einmal betont, dass sein Retweet zu den Ereignissen in Halle ein Fehler | |
gewesen sei. Sich dafür im Bundestag zu entschuldigen, sei notwendig | |
gewesen, obwohl ihm diese Entschuldigung nicht leicht gefallen sei. Doch | |
sonst sehe er keinen Anlass, „zurückzurudern“. Er sei der Überzeugung, | |
„dass man zu seiner Meinung stehen muss“. Seine Abwahl sei ein fatales | |
Signal, das langfristig dazu führen werde, dass die Vorsitzenden „handzahm“ | |
gemacht würden. | |
Die AfD hat sich bislang öffentlich hinter seinen Abgeordneten gestellt. | |
Doch hinter hinter vorgehaltener Hand ist durchaus auch zu hören, dass | |
Brandner das Twittern doch besser gelassen hätte. Bislang hat die AfD | |
keinen neuen Ausschussvorsitzenden benannt. Den weiteren Umgang werde die | |
Fraktion ergebnisoffen beraten, so Gauland. | |
Offen ist weiterhin auch, ob die AfD eineN StellvertreterIn für | |
Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble stellen wird. Der Bundestag hat am | |
Donnerstag ein weiteres Mal den vierten Kandidaten durchfallen lassen. | |
13 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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