# taz.de -- Der Fall Siegfried Mauser und #MeToo: Bussis für den Täter | |
> Siegfried Mauser war eine Größe im Münchner Kulturleben – und er ist ein | |
> verurteilter Sexualstraftäter: Das bringen manche nicht zusammen. | |
Bild: Der ehemalige Präsident der Musikhochschule München, Siegfried Mauser, … | |
Mit einer Festschrift gratulierten 38 Autor*innen aus der Kultur- und | |
Musikszene Siegfried Mauser zum 65. Geburtstag am 3. November dieses | |
Jahres. Auf 470 Seiten wollten sie ihm „Respekt für seine unvergleichliche | |
Lebensleistung“, für sein Werken und Wirken, für seine musikalische und | |
wissenschaftliche Karriere zollen. Doch Mauser ist nicht nur Pianist, | |
ehemaliger Rektor der Hochschule für Musik und Theater München sowie | |
früherer Leiter der Musikabteilung der Bayerischen Akademie der Schönen | |
Künste – er ist auch ein mehrfach verurteilter Sexualstraftäter. | |
Seitdem die #MeToo-Bewegung vor zwei Jahren aufgekommen ist, steht immer | |
wieder die Frage im Raum, wie mit Kunstschaffenden umzugehen sei, denen | |
sexualisierte Gewalt vorgeworfen wird: Soll man Michael Jacksons Musik noch | |
hören? R. Kellys Konzerte besuchen? Filme mit Kevin Spacey in der | |
Hauptrolle ansehen? Während die einen auf eine Trennung von Werk und | |
Autor*in pochen, setzen andere auf die „Cancel Culture“, also das | |
Boykottieren als Reaktion auf ein (auch nur mutmaßlich) missbräuchliches | |
Verhalten einer Person. Und häufig ist zu hören: Das müssen Gerichte | |
entscheiden, nicht die Gesellschaft. | |
Im Fall von Mauser haben nun Gerichte entschieden – mehrmals wurde er wegen | |
sexueller Nötigung schuldig gesprochen. Er ist der erste Verurteilte im | |
Kontext von #MeToo in der deutschen Kulturszene. | |
Und wenn man am Umgang mit dem Fall Mauser ablesen möchte, wie sich unsere | |
Gesellschaft seit der anhaltenden Debatte um Machtmissbrauch und | |
sexualisierte Gewalt verändert hat, dann bietet sich ein erschreckendes | |
Bild. Anstatt die Betroffenen zu schützen, wird der Täter gestärkt. Seine | |
Taten werden verharmlost, Institutionen reagieren langsam, und viele | |
Kulturschaffenden stehen Mauser auch nach der Verurteilung noch solidarisch | |
und lautstark zur Seite. | |
Dabei ist spätestens seit dem 9. Oktober 2019 alles klar. An diesem Tag hat | |
der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das Urteil des Münchner Landgerichts aus | |
dem Vorjahr bestätigt. Damit ist das Urteil zu einer Hafstrafe von zwei | |
Jahren und neun Monaten wegen dreifacher sexueller Nötigung einer Sängerin | |
rechtskräftig. Die Sängerin hatte vergeblich versucht, einen Lehrauftrag an | |
der Münchner Musikhochschule, an der Mauser bis 2014 Rektor war, zu | |
bekommen. In einem weiteren Fall war er vom Vorwurf der Vergewaltigung | |
freigesprochen worden. | |
## Krüger und Enzensberger | |
Schon 2016 hatte das Amtsgericht München ihn in einem anderen Fall wegen | |
sexueller Nötigung zu 15 Monaten Haft verurteilt. Die Professorin Christine | |
Schornsheim, die gemeinsam mit Mauser an der Musikhochschule in München | |
tätig war, hatte das Verfahren in Gang gesetzt. Sie warf Mauser vor, sie | |
2009 in seinem Büro gewaltvoll bedrängt zu haben. | |
Das Urteil gegen Mauser wurde 2017 vom Landgericht bestätigt, allerdings | |
wurde die Strafe auf neun Monate zur Bewährung und 25.000 Euro gesenkt. | |
Doch auch nach dem Urteil bekam Schornsheim nicht vollen Rückhalt aus der | |
Hochschule: Viele wollten sich nicht mit der Thematik auseinandersetzen, | |
ein Kollege äußerte ihr gegenüber sein Mitleid mit Mauser. So erzählt sie | |
es ein Jahr nach dem Urteil in einem ausführlichen [1][Interview mit der | |
Frankfurter Allgemeinen Zeitung]. | |
Das Bild einer Szene, die mehr zum Täter als zu den Betroffenen hält, wird | |
in Briefen an die Süddeutsche Zeitung noch deutlicher. Wenige Tage nach der | |
ersten Verurteilung veröffentlichte die SZ unter der Überschrift | |
[2][„Münchens Kulturwelt ist entsetzt“] Stellungnahmen zur Verteidigung | |
Mausers. So schrieb Hans Magnus Enzensberger von Frauen, die wie „tückische | |
Tellerminen“ seien und nur Rache nehmen wollen, weil ihre Karrieren nicht | |
gefördert würden. | |
Der Klavierfabrikant Udo Schmidt-Steingräber spricht von „Mechanismen, die | |
an Hexenverfolgung erinnern“, und für den früheren Hanser-Verleger Michael | |
Krüger ist das Urteil „eine Blamage für die Justiz“. Dann fährt er fort: | |
„Nichts, aber auch gar nichts in den letzten zwanzig Jahren, die ich Herrn | |
Professor Mauser kenne, lässt eine solche ehrenrührige Unterstellung zu.“ | |
Die Schlagrichtung aller Briefe ist klar: Mauser war ein so begabter | |
Musiker, ein solches Verbrechen kann er überhaupt nicht begangen haben. | |
Die Leserbriefe wurden vor über drei Jahren geschrieben. Doch auch heute in | |
der Festschrift findet sich diese Haltung unter den Gratulant*innen wieder. | |
Vor allem das Vorwort der drei Herausgeber*innen, Dieter Borchmeyer, | |
Susanne Popp und Wolfram Steinbeck, ist in die Kritik geraten. Mausers | |
Gewalttaten werden in dem fünfseitigen Vorwort nur in einem Satz erwähnt | |
und folgendermaßen umschrieben: „Sein bisweilen die Grenzen der | |
‚bienséance‘ überschreitender weltumarmender Eros hat für ihn | |
schwerwiegende rechtliche Folgen gehabt.“ | |
„Bienséance“ heißt in etwa Anstand und Etikette: verharmlosende Worte für | |
sexuelle Nötigung. Nachdem in Medien Kritik an dem Versuch der Reinwaschung | |
Mausers aufkam, reagierten die Herausgeber*innen in verschiedenen | |
Interviews auf den Vorwurf. Borchmeyer, ehemals Präsident der Bayerischen | |
Akademie der Schönen Künste, verwies [3][im Interview mit BR Klassik] | |
wiederholt auf Mausers Lebenswerk, anstatt sich zu entschuldigen. Die | |
Formulierung des „weltumarmenden Eros“ tut er darin als scherzhaft ab. | |
Herausgeberin Popp sagte [4][gegenüber onetz.de], dass sie überzeugt sei, | |
dass Mauser kein Gewalttäter sei. | |
## Ein Gedicht für „Sigi“ | |
Doch nicht nur Mausers Weggefährten halten an ihm fest, auch die Akademie | |
tat sich mit seinem Ausschluss schwer. Neun Tage nach der Verurteilung | |
hatte sie in einer Erklärung mitgeteilt, dass ein Ausschlussverfahren gegen | |
Mauser eingeleitet werde. Drei Viertel aller ordentlichen Mitglieder hätten | |
dem Ausschluss zustimmen müssen. Sechs Frauen, unter anderem die | |
Kammersängerin Brigitte Fassbaender, hatten zuvor angekündigt, die Akademie | |
zu verlassen, würde Mauser nicht ausgeschlossen werden. | |
Doch zu einer Abstimmung sollte es nicht kommen, denn Mauser kam ihnen | |
zuvor und trat am 25. Oktober selbst aus. Doch wieso gab es nicht schon | |
nach der ersten rechtskräftigen Verurteilung die Bestrebung, ihn aus der | |
Akademie auszuschließen? Auf Nachfragen der taz bezeichnet die Leitung der | |
Akademie das heute als Versäumnis. | |
In dieser Zeit, also bis Juli 2019, war Michael Krüger Leiter der Akademie. | |
Krüger ist Schriftsteller, ehemaliger Geschäftsführer des Carl Hanser | |
Verlags und genießt in der Literaturszene ein hohes Ansehen. So soll er in | |
diesem Jahr die 30-jährige Jubiläumsfeier des Münchner Lyrik Kabinetts | |
eröffnen. Für die Dichterin Birgit Müller-Wieland ein Grund, ihre Teilnahme | |
am Lyrik Kabinett abzusagen. | |
In einem [5][offenen Brief] kritisierte sie Krügers Teilnahme. Zwei | |
Gedichte, in der Festschrift und bei Facebook veröffentlicht, widmete er | |
kürzlich „Sigi Mauser“. Müller-Wieland sieht in seinen Versen sexuelle | |
Gewalt beschönigt und Betroffene verhöhnt, so [6][sagt sie es gegenüber | |
Deutschlandfunk Kultur.] Eine Reaktion des Lyrik Kabinetts auf ihren | |
offenen Brief habe es noch nicht gegeben. | |
Auch wenn viele Kunstschaffende es anscheinend nicht wahrhaben wollen: Das | |
Urteil gegen Mauser ist rechtskräftig und eindeutig. Sobald die nötigen | |
Unterlagen eingetroffen sind, wird Mauser zum Haftantritt geladen. Das | |
teilt die Staatsanwaltschaft München auf Anfrage der taz mit. Es ist also | |
wahrscheinlich, dass Mauser noch dieses Jahr seinen Gefängnisaufenthalt | |
beginnen wird. Mauser verliert seine Freiheit und seine Pensionsansprüche, | |
doch auch weiterhin werden sein „Lebenswerk“ in einer Festschrift gefeiert | |
und seine Taten verharmlost. Der Fall Mauser, der ersten #MeToo-Verurteilte | |
der deutschen Kulturszene, zeigt exemplarisch, wie kollektiver Täterschutz | |
aussieht. | |
26 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/christine-schornsheim-ueber… | |
[2] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/nach-dem-urteil-gegen-ex-rektor-der-mu… | |
[3] https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/dieter-borchmeyer-festschrift… | |
[4] https://www.onetz.de/oberpfalz/weiden-oberpfalz/herausgeberin-susanne-popp-… | |
[5] /pdf/Begruendung_einer_Absage.pdf | |
[6] https://www.deutschlandfunkkultur.de/absage-an-das-lyrik-kabinett-protest-g… | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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