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# taz.de -- Digitale Hetze in Frankreich: Homogenität, die erstickt
> In Frankreich haben Männer, auch Journalisten, Frauen im Netz
> systematisch gemobbt. Über die Umgebung, in der das Phänomen entstand.
Bild: Eng am Smartphone und auf dem Weg nach oben: Mitarbeiter einer politische…
Seit die infamen Praktiken der „Ligue du LOL“, dieses Jungsclubs,
aufgedeckt worden ist, der seit Jahren vor allem Frauen, LGBT-Menschen und
Opfer rassistischer Diskriminierung gemobbt hat, stelle ich mir Fragen. Die
erste betrifft meinen Status als Auswanderin: Könnte die „Ligue du LOL“
auch in Deutschland existieren?
Mir scheint: nein. Mobbing und Sexismus kommen selbstverständlich auch dort
vor. Doch das Ökosystem, in dem sich diese Geschichte abgespielt hat, ist
sehr französisch.
Ich erkläre, warum. Die Mitglieder dieser „Liga“ waren in ihrer Mehrheit
Journalisten, weiße heterosexuelle Cis-Männer, die aus der Mittelklasse
stammen. Die meisten von ihnen kamen, wie es herablassend heißt, aus der
Provinz. Sie verstehen schon, was damit gemeint ist: nicht aus Paris.
## Man musste sich anpassen
Es war für diese Karrieristen, die den Wunsch hatten, mit diesen Pariser
Redaktionen zu kämpfen, nicht leicht, anzukommen. Man musste sich
anpassen.
In einem Interview zu der Berichterstattung über die Gelbwesten sagte der
Gründer der „Ligue du LOL“ kürzlich: „In Deutschland haben die
überregionalen Zeitungen ihren Sitz in Berlin, Frankfurt, Hamburg und
München. In Frankreich ist alles in Paris zentralisiert. Journalist sein in
Paris bedeutet häufig, nur Pariser Journalistenfreunde zu haben. Dadurch
entsteht eine „Filterblase“, wie es so schön im Internet heißt. Als ich
meine Journalistenschule absolvierte, war ich ein junger Typ von 19 Jahren
aus Lothringen. Ich habe den Eindruck, dass man mir beigebracht hat, ein
Pariser Journalist zu werden.“
Es geht hier selbstverständlich nicht darum, die Mitglieder dieser „Liga“
aus der Pflicht zu entlassen – allein dass man aus Lothringen stammt, macht
aus niemandem einen Mobber in einer Machtposition. Nur: Das System, in dem
dieses Treiben sich eingeschrieben hat, hier ist es: typisch französisch,
zentralisiert, pariserisch, das Untereinander kultivierend.
Die „Ligue du LOL“ ist nicht aus der dieser „Filterblase“ hervorgegange…
Aber sie hat dort gedeihen können.
## So bleibt man unter sich
Wenn Sie in Frankreich ein erfolgreicher Journalist sein wollen, werden Sie
beim Sprechen keinen Akzent haben, sei er aus der Provinz oder dem Ausland.
Wenn Sie in Frankreich Journalist sein wollen, werden Sie PariserIn. Wenn
Sie in Frankreich Journalist sein wollen, werden Sie als Journalist denken,
als Journalist essen, Sie werden als Journalist schlafen und übernachten,
Sie werden journalistische Bücher lesen und als Journalist träumen. Sie
werden für Nachrichtenmagazine arbeiten, und zum Beispiel nicht für Frauen-
oder für LGBT-Zeitschriften. Denn niemand kann sich vorstellen, dass dort
zu arbeiten einem die gleiche soziale Befriedigung verschafft, wie für die
großen Titel in Paris zu arbeiten. Das ist der Heilige Gral.
Oft genug werden diese Titel von Männern geleitet. Von Weißen.
Heterosexuellen. Das ist ein Teil des Problems. Die erstickende Homogenität
im Schoß der Leitung französischer Redaktionen.
Die „Ligue du LOL“ ist in diesem Kontext entstanden, Ende der Nuller Jahre.
Ich erinnere mich ganz genau daran. 2007 erhielt ich mein Diplom an der
Journalistenschule. Als junge Frau und Nichtpariserin aus dem Milieu der
unteren Mittelklasse und Absolventin der Universität habe ich Jahre
gebraucht, um meinen Platz zu finden.
Idealerweise musste man PariserIn sein oder Bourgeois aus der Provinz,
sofort eine Ausbildung erhalten, Science Po [Eliteschule in Paris, Anm. D.
Red.] absolviert haben und dann auch noch eine Journalistenschule, um ein
Netzwerk zu haben.
## Instrument der Unterdrückung
2007, das war die Zeit, als man in Frankreich gerade erst begann, Twitter
zu benutzen. Das war sehr aufregend. Der Dienst ermöglichte es,
blitzschnell Zugang zu Informationen zu haben – und das mit einer
Schnelligkeit, Effektivität und geradezu furchterregenden Schlagkraft.
Twitter war eine Art Gegenmacht, ein subversives Werkzeug – das hatte nicht
zuletzt der Arabische Frühling gezeigt.
Die „Ligue du LOL“ bestand allerdings mehrheitlich aus weißen,
heterosexuellen Männern, die aus der Mittelschicht stammten und keine Lust
hatten, die Privilegien zu hinterfragen, die mit ihrem Status einhergingen.
Diese Leute haben aus Twitter, einem potenziell subversiven Werkzeug, ein
Instrument der Unterdrückung und Reproduktion von Gewalt gemacht.
Sexistisch, rassistisch, anti LGBT.
Das Ziel all dessen war die Gier nach Macht. Das hat gut funktioniert.
Mehrere Mitglieder dieses „Clubs“ bekleideten zum Zeitpunkt des Skandals
verantwortliche Posten bei großen Zeitungen – bei der Libération, bei dem
Kulturmagazin Les Inrocks und so weiter.
Man muss sagen, dass das journalistische französische Milieu schon immer
auf sehr undurchsichtige Art und Weise funktioniert hat. Öffentliche
Stellenausschreibungen findet man nur selten. Alles geschieht durch
Kooptierung, durch Mundpropaganda.
Dieser Mangel an Transparenz begünstigt, dass man unter sich bleibt. Denn
wenn die „Ligue du LOL“ ein Jungsclub ist, heißt das, dass der
Journalismus auch ein Jungsclub ist. Darum genügt es nicht, lediglich die
Mitglieder der „Ligue du LOL“ zu bestrafen. Es muss auch das System
reformiert werden, in dem sie sich ausgelebt haben.
## #MeToo: zu schnell vorüber
Ein weiterer Teil des Problems: #MeToo hat bei den Journalisten in
Frankreich nicht stattgefunden. Dabei haben wir Journalistinnen uns im
Herbst 2017 schon etwas erzählt. Wir haben Namen ausgetauscht und unsere
Geschichten, oftmals die gleichen: Junge, prekär arbeitende
Journalistinnen, die zur Beute von weißen, heterosexuellen Typen in
Machtpositionen geworden sind. Wir haben uns gefragt, warum „Dings“, damals
an der Spitze eines großen Pariser Titels, noch ruhig schlief. „Dings“, der
nachts eine Menge von Wannabe-Journalistinnen (ich war Teil davon) fragte,
welche Unterwäsche sie trügen. Sie müssen wissen, dass „Dings“ immer noch
ruhig schläft. Und dann war #MeToo vorüber. Zu schnell. Die angeprangerten
Belästiger, die Vergewaltiger, die Aggressoren sind in Frankreich ziemlich
gut da rausgekommen – manche haben die Gelegenheit sogar genutzt, sich in
der Presse darüber zu beschweren.
Der Journalist, auf den der Hashtag #BalanceTonPorc (deutsch: Verpfeif dein
Schwein) abzielte, Eric Brion, etwa: Meine Zeitung hat ihm kürzlich ein
Porträt gewidmet, in dem er erklärt, dass er sehr gelitten hat und dass er
sogar seine 125 Pariser Quadratmeter gegen 90 eintauschen musste. Ein
Hundeleben. Und dann haben Frauen, darunter die Schauspielerin Catherine
Deneuve, erklärt, dass man den Männern nicht „die Freiheit, zu belästigen�…
wegnehmen dürfe. Andere haben gesagt, dass die „Verführung auf die
französische Art“ etwas sehr Spezifisches bei uns sei, ein wenig wie das
Schneckenessen oder Johnny Hallyday.
## Das Revival der #MeToo-Welle
Während sich ganz Frankreich darüber zerfleischte hat, ist die #MeToo-Welle
abgeebbt. Allein, glückliche Überraschung: Sie ist wiedergekehrt, auf
jeden Fall bei den Journalisten. Der Skandal der „Ligue de LOL“ hat es nun
ermöglicht, andere Geschichten wieder heraufzuspülen. Daraufhin habe ich
mir weitere Fragen gestellt. Ich, die ich während der ersten Missetaten der
„Ligue de LOL“ ein Twitter-Konto besaß, ich, die ich die meisten ihrer
Mitglieder von Weitem kannte, ich, die das Geschehen aus großer Entfernung
betrachtete, aber trotzdem … Ein bisschen habe ich schon mitbekommen.
Ich, die ich Feministin bin, und es schon 2009 war: Warum habe ich nicht
auf die schwachen Signale reagiert, die mir vage sagten, dass etwas Übles
vor sich geht? Es gab etwa mit Anspielungen überfrachtete Tweets, die ich
nicht verstand. Trotzdem habe ich gespürt, dass mit dieser Gruppe etwas
nicht stimmte.
Dass man sich fernhalten muss. Sich schützen. Als junge selbstständige
Journalistin, also prekär und ein bisschen verloren in der Hauptstadt, habe
ich gespürt, dass ich alles verlieren könnte, wenn ich ihr Ziel würde. Ich
habe mich bedeckt gehalten und bin gleichzeitig meinen Weg gegangen. Er hat
mich in Richtung Feminismus geführt.
Im Schraubstock zwischen einem mir ungünstig gegenüberstehenden repressiven
System und meinen feministischen Überzeugungen, war ich erleichtert, nicht
ihr Ziel zu sein; gleichzeitig gewissenhaft verhindernd, ihnen einen
Treueschwur zu leisten.
Diese Erleichterung hat einen Namen: Feigheit. Heute will ich nicht mehr
diese Person sein, die aus der Ferne zusieht, wie eine Bonzenbande Angst
und Schrecken verbreitet, und die nicht versucht, dem ein Ende zu setzen.
Allein ist das schwer, zu mehreren ist es möglich.
Ich hoffe auch, dass die von den Pariser Redaktionen versprochene
Selbstkritik es erlauben wird, Maßnahmen einzurichten zur Förderung von:
* mehr Gleichstellung und Diversität, besonders in Machtpositionen
* mehr Transparenz in der Vergabe journalistischer Stellen
* Strukturen, die es Opfern erlauben, sich auszudrücken
* einen besseren Schutz von Freelancern und Prekären, die schon von ihrem
Status her in einer schwächeren Position sind.
Denn das ist nur ein Anfang. Es wird schmerzhafte Erinnerungen in mir, in
uns Anderen, wieder heraufbeschwören, aber wir sind so weit: Der zweite Akt
von #MeToo in Frankreichs Journalismus beginnt jetzt.
16 Feb 2019
## AUTOREN
Johanna Luyssen
## TAGS
Cybermobbing
Schwerpunkt Frankreich
Journalismus
Schwerpunkt #metoo
Schwerpunkt #metoo
Sexismus
Sexismus
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