# taz.de -- Schwanerlebnisse und -forschung: Denen Gutes schwant | |
> Auch aus der Schwanenforschung wird einmal eine historische Wissenschaft | |
> werden, glaubt Helmut Höge. Er überwand seine Furcht vor Schwänen und | |
> machte aus einer Phobie eine Philie. | |
Bild: Die "schwarze Petra" aus Münster - verliebt in ein Tretboot. | |
BERLIN taz | Fünf Biologen machen Picknick an einem See. Plötzlich erhebt | |
sich vor ihnen ein Schwan und fliegt laut Flügel schlagend übers Wasser | |
davon. Er beschreibt eine Kurve und landet daraufhin wieder in der Mitte | |
des Sees. Die Männer fangen an zu diskutieren, wie der Schwan das gemacht | |
hat und warum. Der Erste, ein Physiologe, beschreibt die starken | |
Flügelmuskeln, ihre besondere Verankerung am Skelett und das Nervensystem | |
des Schwans. Er flog auf, weil Impulse von der Retina ins Gehirn und von | |
dort weiter über die motorischen Nerven an die Flügelmuskeln geleitet | |
wurden. Der Zweite, ein Biochemiker, verweist darauf, dass die Muskeln des | |
Schwans u.a. aus den Proteinen Aktin und Myosin bestehen. Der Schwan kann | |
aufgrund der Beschaffenheit dieser Faserproteine fliegen, die unter | |
Verbrauch von Energie (aus ATP – Adenosintriphosphat, der universellen Form | |
verfügbarer Energie in den Zellen) eine Gleitbewegung vollführen und so den | |
Muskel kontrahieren lassen. Der Dritte, ein Entwicklungsbiologe, beschreibt | |
die ontogenetischen Prozesse, die zunächst ein befruchtetes Ei zur Teilung | |
veranlassen und dann zur rechten Zeit für die Ausbildung von Nervensystem | |
und Muskulatur sorgen. Der Vierte, ein Verhaltensforscher, zeigt auf einen | |
im See schwimmenden Mann: Er hat vielleicht unabsichtlich den in Ufernähe | |
gründelnden Schwan verscheucht, weil er ihm zu nahe gekommen war. Schwäne | |
sind wegen ihrer kurzen weit hinten am Körper angesetzten Beine an Land | |
sehr schwerfällig – und verlassen deswegen das Wasser nur ungerne, wo sie | |
mit ihrem langen Hals die Pflanzen vom Grund abfressen. Der Fünfte, ein | |
Evolutionsbiologe, erklärt die Prozesse der natürlichen Selektion, die | |
sicher stellen, dass nur jene Schwanvorfahren eine Chance hatten, zu | |
überleben und sich fortzupflanzen, die sowohl imstande waren, eine mögliche | |
Gefahr rechtzeitig zu erkennen, als auch schnell genug, sich in die Luft zu | |
erheben. (1) | |
Fünf Biologen, fünf verschiedene Arten von Erklärung. Der Physiker Steven | |
Rose spricht von einem “epistemologischen Pluralismus” – den wir aushalten | |
müssen. Der Wissenschaftssoziologe Bruno Latour fragt sich dagegen: “Wann | |
können wir endlich aufhören, die nicht-menschlichen Wesen zu objektivieren, | |
indem wir sie ganz einfach verweltlichen und laizistisch betrachten?” An | |
anderer Stelle meint er jedoch: “Wer der Faszination für die Natur zu | |
erliegen droht, sollte zur Ernüchterung jedesmal das Netz der | |
entsprechenden wissenschaftlichen Disziplin hinzufügen, durch die wir sie | |
kennenlernen.” Demnach sind die Wissenschaften für ihn so etwas wie | |
Ausnüchterungszellen für trunkene Seelen. | |
In diesem Fall wäre das eine Schwanforschung als spezialisierte | |
Ornithologie. Sie ist jedoch anscheinend nicht besonders üppig, obwohl | |
einige Arten ähnlich wie die Störche geradezu “Zivilisationsfolger” sind … | |
und sich so den entsprechenden Wissenschaftlern fast schon aufdrängen. Die | |
Schwäne (Cygnini) gehören mit den Gänsen zu den Entenvögeln (Anatidae), und | |
die meisten Biologen bzw. Ornithologen konzentrieren sich, wenn nicht auf | |
Enten, dann auf eine oder mehrere Gänsearten – denen sie u.U. bis in den | |
Hohen Norden nachfolgen. Davon erzählt z.B. das Buch der schwedischen | |
Ornithologin Ulla-Lene Lundberg: “Sibirien. Porträt mit Flügeln”. Auf | |
solche Weise wurde z.B. die Ringelgans das Wappentier des Nationalparks | |
Wattenmeer. Ihretwegen war es dort jahrelang zu erbitterten | |
Auseinandersetzungen – zwischen den Gänseforschern bzw. Naturschützern | |
einerseits und den friesischen Bauern andererseits gekommen. Letztere | |
hatten das Land einst dem Meer abgerungen. Im Ergebnis wird die dortige | |
Grenze zwischen Natur und Kultur heute durch eine rotweiße Schranke | |
markiert. | |
Von Donna Haraway stammt die diesbezüglich schöne Formulierung, dass es | |
zwar keine Natur und keine Kultur gibt, aber viel Verkehr zwischen diesen | |
beiden Größen. Einzelheiten dazu finden sich in dem Aufsatz des Ethnologen | |
Werner Krauss: “Die ‘Goldene Ringelgansfeder’. Dingpolitik an der | |
Nordseeküste”. | |
Zur Schwanenforschung im engeren Sinne bekam ich nur einen Tipp: das Buch | |
des Münchner Stadtnaturforschers Josef Reichholf: “Das Comeback der Biber”. | |
Es geht darin u.a. um das kämpferische “Revierverhalten” der zur | |
Schwarmbildung eher wenig neigenden Schwäne, die dafür gerne lebenslange | |
Paarbindungen eingehen. Das gilt für alle 8 Schwanarten, von denen eine | |
jedoch, die neuseeländische, seit 300 Jahren ausgestorben ist. | |
Während der sogenannten Vogelgrippe vor drei Jahren starben hunderte von | |
Höckerschwäne – erst an der Ostsee und dann auch am Bodensee. Das | |
Gesundheitsamt Rügen antwortete auf die Fragen besorgter Touristen | |
stereotyp: “Ja ja, das Virus, das man in den Schwänen nachgewiesen hat, ist | |
hochpathogen.” Die Angst vor Ansteckung trieb einige Leute dazu, u.a. am | |
Urbanhafen in Kreuzberg, nächtens einige Schwäne zu erschlagen. Früher | |
tötete man alljährlich tausende dieser Tiere – ihrer Daunen wegen. Die | |
Ornithologen versuchten nun gegen zu steuern, indem sie der Öffentlichkeit | |
versicherten: Der Vogelgrippevirus H5N1 sei für Menschen nahezu | |
ungefährlich und die Sterblichkeitsrate bei den Schwänen, auf Rügen z.B., | |
nicht höher als in anderen Wintern auch! Im übrigen handele es sich bei den | |
im Fernsehen gezeigten toten Schwänen um lange vor dieser “Medienkampagne” | |
gestorbene und bereits verweste Vögel. | |
Wie weit die “Panik” reichte, erfuhr ich von einem Freund, der auf dem Land | |
lebt und unbeabsichtigt den halben Staatsapparat darüber mobilisiert hatte. | |
Ihm waren vier seiner sechs Gänse von einem Hund totgebissen worden. | |
Traurig packte er sie in sein Auto, als er am nächsten Tag in die | |
Kreisstadt fahren mußte. Unterwegs stieg ihm aber der Gestank der toten | |
Gänse neben sich auf dem Boden unangenehm in die Nase und ihn packte die | |
Wut. Kurzentschlossen hielt er an und schmiß die vier Kadaver in den | |
Straßengraben. Als er Stunden später wieder zurückfuhr, war die Stelle | |
großräumig von der Polizei mit rotweißen Plastikbändern abgesperrt, | |
Seuchenexperten in weißen Kitteln untersuchten den Fundort und alle Autos | |
mußten durch Desinfektionswannen fahren – sein ganzes Dorf hatte man | |
mittlerweile unter Quarantäne gestellt. Mein Freund freute sich: Jahre, | |
ach, jahrzehntelang hatte er versucht, alles Mögliche “anzuschieben” – | |
betrieblich, sozial, ökologisch, politisch, den Erhalt seiner Firma, die | |
Begrünung seines Mietshauses in der Stadt, die Einrichtung eines | |
Spielplatzes usw.. Aber nie hatte er dabei die Behörden derart schnell und | |
so massiv mobilisieren können – wie mit dieser kleinen, unbeabsichtigten | |
“Panikmache”. | |
Von meiner Mutter habe ich großen Respekt vor Schwänen eingeflößt bekommen. | |
Sie hatte ihren Arbeitsdienst als BDM-Mädchen auf einem Bauernhof | |
abgeleistet, wo sie die ganze Zeit von einem Ganter verfolgt und gebissen | |
worden war. Seitdem fürchtete sie sich vor allen Gänseartigen. Ich überwand | |
meine Furcht vor Schwäne 1967, mehr noch, aus einer Phobie machte ich | |
damals eine Philie. Und das kam so: | |
1966 hatte der indische Großtierhändler George Munro in Bremen einen Zoo | |
eröffnet, der gleichzeitig eine Tier-Handelsstation war, daneben besaß er | |
noch eine kleine Station in Kalkutta. Ich fing als Übersetzer bei ihm an – | |
für seine Frau, die Büroleiterin war und nur Englisch und Hindi sprach. Da | |
die beiden jedoch nicht genug Tierpfleger hatten, war ich die meiste Zeit | |
mehr draußen als drinnen beschäftigt. Dadurch konnte ich mich auf den | |
Schwan gewissermaßen vorbereiten. Das begann schon morgens: Als erstes | |
hatte ich vier kleine Kragenbären in ihr Freigehege zu tragen – jeweils | |
zwei auf einmal, die ich am Nackenfell gepackt von mir weghielt, weil sie | |
die ganze Zeit versuchten, in meine Hand zu beißen. | |
Dann kamen zwei halbwüchsige Orang-Utans dran, die ich mit dem Schlauchboot | |
auf eine kleine Affeninsel in einem See zu bringen hatte. Auf dem Weg zum | |
Boot nahm ich sie an die Hand. Auf der Insel mußte ich erst einmal die Tür | |
eines kleines Häuschens aufsperren, damit sie bei Regen einen trockenen | |
Platz hatten. Einmal sprangen mir währenddessen die beiden Orangs wieder | |
zurück in das Schlauchboot – und ich befand mich allein auf der Insel, | |
während die Affen über den See abtrieben und sich halb totlachten: Vor | |
Freude hüpften sie wie wild auf die Wülste des Bootes und kreischten. Je | |
entsetzter ich kuckte, desto lustiger fanden sie das Ganze. Zum Glück kam | |
gerade Buddha, der kleine Sohn meines Chefs, am See vorbei. Er krempelte | |
sich die Hose hoch, stieg ins kalte Wasser und bekam nach kurzer Zeit das | |
Schlauchboot zu fassen. | |
Meistens half mir seine Schwester, Jenny – nach der Schule. Sie war mit | |
allen möglichen Tieren groß geworden und kannte sich gut mit ihnen aus, | |
während ich mit vielen zum ersten Mal zu tun hatte. So flößten mir z.B. in | |
den Volieren zunächst die riesigen Schnäbel der Doppelnashornvögel den | |
allergrößten Respekt ein: Sie saßen auf Ästen und man mußte gebückt unter | |
ihnen durchgehen, um einen Eimer voll Obstsalat in ihren Futternäpfe zu | |
verteilen: Was, wenn sie einem dabei in den Kopf hackten? Jenny zeigte mir, | |
wie harmlos sie waren und wie vorsichtig sie ihre Schnäbel einsetzten – man | |
konnte sie mit der Hand füttern. Ähnliches galt für die Flughunde, die | |
trotz ihrer scharfen Zähnen ebenfalls kindlich-freundliche Obstesser waren. | |
Schwieriger war es mit dem Einfangen von Tieren, was oft vorkam, da der Zoo | |
zugleich wie erwähnt als Handelsplatz diente. Auch hierbei half mir Jenny, | |
mit der ich mich bald immer mehr anfreundete. Am Unangenehmsten war es, | |
Kraniche oder Reiher einfangen zu müssen: Sie wehrten sich mit ihren langen | |
spitzen Schnäbeln sowie mit ihren Flügeln und den scharfen Sporen am Bein – | |
auf all diese fünf Waffen zugleich konnte man unmöglich achten. Mehrmals | |
gelang es diesen Vögeln, mich zu verletzen, mindestens mir die Hosenbeine | |
aufzuschlitzen. Beim Ährenträgerpfau war es schon gefährlich, ihn nur | |
füttern zu wollen. Einmal sprang er dem Pfleger dabei auf den Kopf und | |
brachte ihm eine tiefe Wunde bei, die genäht werden mußte. Ich scheuchte | |
danach den Pfau immer mit einem Besen in seinen Stall, bevor ich mich in | |
seinem Außengehege zu schaffen machte. Einmal flüchtete er vor dem Besen in | |
meine Richtung, ich sprang erschrocken zur Seite, woraufhin er durch die | |
Tür nach draußen ins Freie flog. Obwohl es ein herber Verlust war, etwa | |
1000 DM, trauerte niemand ihm nach. Am Angenehmsten war es mit einem | |
Elefanten, den sein indischer Tierpfleger und ich im Güterwaggon nach | |
Ostberlin in den dortigen Tierpark bringen sollten. Er machte alles | |
bereitwillig mit. Für den Elefanten hatten wir genug Heu und anderes Futter | |
dabei, aber für uns nur einige Schokoriegel, weil wir davon ausgegangen | |
waren, dass die Zugfahrt höchstens 12 Stunden dauern würde – wir brauchten | |
jedoch drei volle Tage, weil die Waggons alle nasenlang umrangiert wurden | |
und jeder Personenzug Vorrang hatte. Bei jedem Halt stieg ich aus, um für | |
den Elefanten Wasser zu holen. Auf dem Rückweg mußte ich jedesmal unseren | |
Waggon suchen, der inzwischen umrangiert worden war. Der indische | |
Tierpfleger und ich, wir wurden immer nervöser und hungriger, aber der | |
Elefant blieb gelassen. Er vermittelte uns geradezu das Gefühl, dass wir es | |
schon schaffen würden, ihn sicher ans Ziel zu bringen. Anschließend durften | |
wir uns im Gästehaus des Ostberliner Tierparks drei Tage lang erholen, | |
bevor wir wieder, diesmal mit einem Personenzug, nach Hause fuhren. | |
Als nächstes sollte ich elf Schwäne, die vorübergehend im leeren Freigehege | |
für Geparden untergebracht waren, einfangen und umsetzen. Dieser Auftrag | |
machte mich vollends ratlos. Die elf Schwäne schwammen im Wassergraben des | |
Geheges: Mit dem Schlauchboot trieb ich sie erst einmal an Land und dann in | |
einer Ecke des Geheges zusammen. Weil ich mich nicht traute, mir einfach | |
blitzschnell einen zu packen, gelang es den Vögeln immer wieder, zurück in | |
den Wassergraben zu flüchten, von wo aus ich sie dann wieder mit dem | |
Schlauchbott an Land und in eine Ecke des Geheges scheuchte…Hin und her – | |
bis der Sohn des Chefs, Buddha, kam und mir half: Wir drängten die Schwäne | |
zu zweit erneut in eine Ecke des Geheges – und Buddha schmiß sich einfach | |
auf den erstbesten, packte ihn, nahm ihn hoch und trug ihn über das halbe | |
Zoogelände in das gerade fertiggestellte neue Gehege für Teichvögel, wo er | |
den Schwan ins Wasser gleiten ließ. Es sah ganz einfach aus. Ich tat es ihm | |
nach. Sogleich gelang es mir, einen Schwan zu umfassen, so daß er nicht | |
mehr mit seinen Flügeln um sich schlagen konnte, seine kurzen Beine hielt | |
er von selber still und seinen Schnabel hielt ich mit einer Hand fest. Die | |
andere Hand presste ich an seinen Bauch. Nach ein paar Schritten merkte | |
ich, wie weich dort die Federn waren und wie schön es sich anfasste. Ich | |
ließ seinen Schnabel los und griff mit meiner anderen Hand an seine Brust – | |
die war sogar noch weicher. Und weder versuchte der Schwan mir mit seinem | |
Schnabel ins Gesicht zu hacken oder zu beißen, noch fing er an zu schreien, | |
im Gegenteil: Er kuschelte seinen Kopf leicht an meinen Körper und fiepte | |
nur leise. Ich streichelte ihm den Hals und ging glücklich zum neuen Teich | |
der Wasservögel, wo ich ihn am Rand ins Gras setzte. Mit einem Satz und | |
einem kleinen Schrei sprang er ins Wasser, um sich schnell in der Mitte des | |
Sees in Sicherheit zu bringen. | |
Ich ging zurück, um den nächsten Schwan zu holen. Alle reagierten ähnlich | |
friedfertig – sobald wir sie erst einmal fest umfaßt hielten. Leider war | |
Buddha so schnell, dass wir schon bald zehn Schwäne gefangen hatten, den | |
letzten, elften, schnappte ich mir – trug ihn aber nicht gleich in sein | |
neues Freigehege, sondern ging mit ihm auf dem Arm noch eine Weile | |
spazieren: Er war nicht schwer und fühlte sich ebenfalls wunderbar an, | |
außerdem roch er gut. Tagelang hätte ich mit ihm so herumlaufen mögen. Ich | |
wanderte mit ihm durch den ganzen Zoo. Als ich mit dem Schwan am Käfig des | |
sibirischen Tigers vorbeikam, sprang dieser auf und fauchte, wobei er sich | |
mit den Vorderpfoten am Gitter aufrichtete. Das tat er auch, wenn ich – was | |
mehrmals täglich geschah – mit dem VW-Bus bei ihm vorbeifuhr. Der schwarze | |
Panther im Käfig nebenan, der einer alten Dame gehört hatte, die in ein | |
Altersheim gekommen war, blieb jedoch ganz ruhig: Er kuckte uns nur traurig | |
oder gelangweilt hinterher. Dahinter arbeiteten unter der Aufsicht eines | |
Wärters 14 Gefangene aus dem Gefängnis Oslebshausen an der Gestaltung eines | |
Bison-Freigeheges. Ich hatte diesen Arbeitseinsatz organisiert und mich | |
anfänglich auch noch darum gekümmert, aber nach und nach war ich dabei zum | |
Laufburschen der Gefangenen geworden, indem ich ihre Briefe zu Verwandten | |
und Freunden austrug bzw. umgekehrt von denen Botschaften an sie | |
übermittelte und ihnen Zigaretten sowie andere Kleinigkeiten besorgte, was | |
jedoch immer mehr wurde. So dass es mich irgendwann überforderte. Ich zog | |
mich zurück und überließ dem uniformierten Wächter die Baustelle, was der | |
mit Genugtuung registrierte: “Hätte ich Ihnen gleich sagen können!” | |
All das zeigte bzw. erzählte ich nun quasi dem Schwan, während ich ihn | |
herumtrug. Schließlich setzte ich ihn am Wasservogel-Teich ins Gras. Bevor | |
er sich dort ebenfalls ins Wasser flüchtete, schüttelte er noch kurz sein | |
Gefieder aus. Dabei kuckte er mich irgendwie erstaunt an. | |
“Wenn ich einmal erwachsen werde, oder (wie wir zu sagen pflegten), nach | |
der Revolution,” schreibt die feministische US-Biologin Donna Haraway, | |
“weiß ich, was ich tun möchte. Ich möchte für die Tiergeschichten in | |
‘Reader’s Digest’ zuständig sein. die jeden Monat in über zwölfe Sprac… | |
an die zwanzig Millionen Menschen erreichen. Ich möchte die Geschichten | |
über moralisch versierte Hunde, gefährdete Völker, lehrreiche Käfer, | |
wundersame Mikroben und gemeinsam zu bewohnende Häuser der Differenz | |
schreiben. Mit meinen Freundinnen möchte ich am Ende des zweiten | |
christlichen Jahrtausends Naturgeschichte schreiben, um zu sehen, ob andere | |
Geschichten möglich sind, solche, die nicht auf dem Riß zwischen Natur und | |
Kultur, bewaffneten Cherubim und heroischen Suchaktionen nach den | |
Geheimnissen des Lebens beruhen.” | |
Zu Zeiten der Vogelgrippen-Hysterie 2006 wurde ein schwarzer Schwan | |
berühmt, der sich im Aassee von Münster zu einem weißen Tretboot in | |
Schwanengestalt gesellt hatte – und ihm nicht von der Seite wich, es sogar | |
mutig gegen jeden Versuch der Wiederinbesitznahme durch die Menschen | |
verteidigte. In Münster machte man aus dieser ungewöhnlichen “Liaison” mit | |
Hilfe einer Marketingfirma eine Art Wahrzeichen der Stadt. Ich vermutete, | |
dass die weißen Schwäne den schwarzen verscheucht hatten, so wie es bei | |
Schafen vorkommt, die kein schwarzes Schaf in ihren Reihen dulden. Eine | |
“Expertin” von der Biologischen Station “Rieselfelder Münster” vernein… | |
dies jedoch: Die weißen Schwäne hätten keine Probleme mit schwarzen | |
Schwänen; es handele sich bei seiner Liebe zum Tretboot mithin nicht um | |
eine Objektverschiebung aus Kommunikationsnot, wie man es von Affenwaisen | |
kennt, sondern um eine “Fehlprägung”. Eine solche kennt man spätestens se… | |
den Aufzucht-Experimenten des Gänseforschers Konrad Lorenz, der sich einst | |
selbst zum Objekt einer solchen “Fehlprägung” machte, indem er den | |
neugeborenen Gänschen die Mutter ersetzte. (2) | |
Der schwarze Schwan vom Aasee muß aber doch wohl eine Schwänin zur Mutter | |
gehabt haben, die ihn demzufolge auch sozusagen ganz normal geprägt hat. | |
Jedenfalls tauchte er erst im Yachthafen und bei den Tretbooten im Aasee | |
auf, als er seinen Flaum schon verloren – und ein schwarzes Gefieder | |
bekommen hatte. Und dann schwamm er auch nicht hinter jedem weißen, | |
schwanenförmigen Tretboot hinterher, sondern nur hinter einem bestimmten, | |
das man dann auch – ihm zuliebe – aus dem Verkehr zog. Statt auf eine | |
“Fehlprägung” tippte Peter Berz deswegen auf einen Fall von “Feteschismu… | |
als ich ihm davon erzählte. | |
Im Winter 2006 wurde der schwarze Schwan zusammen mit seinem Tretboot in | |
den dortigen “Allwetterzoo” umgesetzt. Bei der laut Münstersche Zeitung | |
“mehrtägigen Aktion” wurde das Boot etappenweise über den Asee und durch | |
einen Kanal immer weiter in Richtung Zoo gezogen. Die Berliner Netzeitung | |
berichtete: In den vergangenen Wochen war der Trauerschwan bereits von | |
einem Teich im Zoo ins Pelikan-Haus gezogen. Im neuen Stall soll der Schwan | |
eine Fußverletzung endgültig auskurieren. “Das Tretboot im Wasserbecken | |
soll den Schwan zum Schwimmen animieren, damit der Fuß entlastet wird’, | |
erklärte dazu der Zoo-Chef Jörg Adler. Die neue Unterkunft wird durch ein | |
großes Aasee-Bild geschmückt. Zudem hängen im Pelikan-Haus Kopfhörer, mit | |
denen sich Zoo-Besucher eine «Schwanenballade» anhören können. Später | |
versuchte ein Verhaltensbiologe des Zoos den Schwan beziehungsmäßig wieder | |
auf den richtigen Weg zu bringen. Dazu berichtete der WDR: Im Zoo machte | |
man sich Hoffnung, der Trauerschwan könnte einen lebendigen Artgenossen | |
kennen und lieben lernen. Vor rund zwei Wochen wurde der Versuch der | |
diskreten Kontaktaufnahme gestartet – und vorzeitig abgebrochen. Die im Zoo | |
lebenden Trauerschwäne und die ‘Schwarze Petra’ hätten sich nicht | |
anfreunden können, hieß es. Keiner der Junggesellen verstand es, das | |
Weibchen für sich zu begeistern. Die “Schwarze Petra” blieb ihrem Tretboot | |
treu. Petra lebt bereits seit mehr als einer Woche wieder mit ihrem | |
Liebsten allein zusammen. Nach Ansicht des zooeigenen Verhaltensbiologen | |
ist nicht davon auszugehen, dass sich das Tier jemals von seinem Tretboot | |
trennen wird.” | |
Die Münsteraner hatten den Schwan zunächst “schwarze Petra” genannt, der | |
Zoodirektor bestand dann jedoch darauf, wahrscheinlich nach Prüfung der | |
Kloake, in der sich beim Männchen der Penis befindet, ihn “Peter” zu | |
nennen. Wenn er nicht auch noch an einer geschlechtlichen “Fehlprägung” | |
litt, mußte das Tretboot demzufolge ein weibliches sein: “Wenn man sieht, | |
wie der Peter das Schwanenboot umkreist, ist gar nichts anderes | |
vorstellbar: Das ist sein absoluter Bezugspunkt,” teilte der Zoo-Direktor | |
der Presse mit. Für hunderte von Münsteranern und Besuchern der Stadt war | |
wiederum dieses seltsame Schwanenpärchen ein absoluter Anziehungspunkt. Es | |
wurde von Neugierigen geradezu umlagert. | |
2007 war in der Presse jedoch erneut von der schwarzen Petra die Rede: | |
Diese hatte sich plötzlich von ihrem Tretboot ab und einem jungen weißen | |
männlichen Höckerschwan zugewandt. Der Zoodirektor Jörg Adler erklärte | |
daraufhin der Presse: “Er ist Petra wohl vom Aasee gefolgt, tauchte | |
plötzlich auf dem tierparknahen Seitenkanal und kurz darauf an ihrer Seite | |
auf”. Die Ahnungen einiger Jogger am Aasee und vom Tretbootbesitzer und | |
Yachtschulbetreiber Peter Overschmidt schienen sich zu bewahrheiten: Petra | |
war zuletzt immer mal wieder für einige Stunden aus der Nähe des Tretboots | |
verschwunden. Das hartnäckige und intensive Werben des jungen Höckerschwans | |
um die Trauerschwänin hatte also Erfolg – “und das Tretboot ist nun wohl | |
der dumme Dritte”, stellte Zoo-Chef Adler nüchtern fest und fügte hinzu: | |
“Das kann einem fast leid tun.” | |
Im Frühjahr 2008 fing die schwarze Petra an, im Zooteich ein Nest zu bauen, | |
doch plötzlich verließ der weiße Höckerschwan sie. Petra hörte auf mit dem | |
Nestbau und schwamm unruhig hin und her. Im Zoo wußte man sich schließlich | |
nicht anders zu helfen, als sie wieder auf den Aasee zurückzubringen, wo | |
ihr weißes Trettboot vor Anker lag. “Petra wurde sehr aufmerksam, als sie | |
das Boot erblickte. Sie hat wohl eingesehen, dass nur das Tretboot ihr die | |
Treue hält”, erklärte der Zoo-Direktor anschließend auf einer | |
Pressekonferenz – und fügte erklärend hinzu: Die Beziehung zu ihrem weißen | |
Schwan sei sowieso sehr ungewöhnlich gewesen, da sich Trauer- und | |
Höckerschwäne in der Natur eigentlich nicht begegnen. Auch die vielen an | |
ihrem Leben interessierten Neugierigen aus Münster und Umgebung fanden, | |
dass die inzwischen weltberühmt gewordene schwarze Schwänin bei ihrem | |
Tretboot bleiben sollte, wie eine Umfrage ergab. | |
In einem Internet-Forum namens “ariva.de”, in dem ihre Beziehungsprobleme | |
ebenfalls diskutiert wurden, bemühte man zum Verständnis eine | |
Standorttheorie. So schrieb z.B. ein gewisser D.B.: “Ich glaube wenn ich | |
dazu verdammt wäre, in Münster zu leben, würde ich auch Tretbooten | |
hinterherschwimmen.” Ein gewisser A.N. gab daraufhin zu bedenken: “Weiss | |
nicht, was daran schlimm ist. Ich hatte bisher 3 Tretboote in meinem Leben | |
und sooo schlecht ist das nicht. OK – es gibt nur eine Stellung und man | |
muss ständig an der Beziehung arbeiten, aber man kommt als Pärchen auch | |
vorwärts. Einer holt den anderen immer irgendwo ab und nimmt ihn mit.” | |
Anfang 2009 verteilte der Münsteraner “Freundeskreis ‘Schwarze Petra’” | |
Flugblätter und hängte Steckbriefe an die Bäume: “Gesucht wird…” Seit … | |
1. Januar war die schwarze Schwänin verschwunden. Es kamen Meldungen aus | |
Lindau am Bodensee und aus Carolinensiel an der Nordsee, wo sie angeblich | |
aufgetaucht war. Eine mit Photographien erhärtete Spur führte nach Xanten | |
an einen Baggersee. Die FAZ schrieb: “Am Aussehen kann man Petra nicht | |
erkennen, nur am Verhalten.” Mit einer Ausnahme: Rita Thieme. “Die gelernte | |
Tierpflegerin, eines von 58 Mitgliedern des Freundeskreises, hat Petra auf | |
dem Aasee seit zwei Jahren gefüttert, mit Spezialkörnern und Blattsalat. | |
Bloß nicht Brot und Brötchen, denn da ist Salz drin, und Salz können | |
Trauerschwäne – anders als andere Schwäne und Wasservögel – nicht abbaue… | |
Wenn Rita Thieme pfeift kommt Petra angeflogen – aus bis zu zwei Kilometern | |
Entfernung. “Wenn wir demnächst feststellen, dass Petra in Xanten ist, dann | |
lassen wir sie da”, sagte ein Sprecher des Freundeskreises. “Rita Thieme | |
könnte sie zwar einfangen, weil sie bei ihr handzahm ist, aber es ist doch | |
ein wildlebendes Tier, so gerne wir sie hier in Münster wieder auf dem | |
Aasee hätten.” Die FAZ tröstete die Münsteraner: “Für Petra ist Xanten … | |
Niederrhein auch ein treffender Ort. Siegfried! Nibelungen! Parzival! | |
Lohengrin! Elsa! Der Schwan hat eine sagenhafte Wahl getroffen.” | |
Das Tier wird sich auch hier am Niederrhein wohl fühlen, versicherten | |
daraufhin sofort einige “Experten” – u.a. vom Naturschutzzentrum im Kreis | |
Kleeve. “Die Region hier bietet ideale Voraussetzungen. Durch seine | |
zahlreichen Gewässer ist sie sehr attraktiv für Wasservögel”, teilte z.B. | |
der Biologe Martin Brühne dem Lokalfernsehen mit. Schon zweimal hatte er in | |
den vergangenen Jahren schwarze Schwäne am Altrhein beobachtet. Einer der | |
prächtigen Vogel war sogar mal im Wasser festgefroren und musste befreit | |
werden. | |
Weil dies anscheinend trotz Klimaerwärmung immer öfter passiert, werden | |
neuerdings für die Feuerwehren Fortbildungskurse im “Wildvogel-Fangen” | |
angeboten. Ein Reporter der WAZ war dabei: “Ein fester Griff. Ein kurzes | |
Schnattern. Und bloß nicht die Flügel aus den Augen verlieren. Schon hält | |
der Profi den Schwan auf dem Arm. Thorsten Kestner weiß: ‘Die können einem | |
Erwachsenen durchaus mit ihren kräftigen Flügeln den Oberschenkel brechen.’ | |
Kursleiter Kestner, der sich schon seit 20 Jahren um verletzte Wildtiere | |
kümmert, fordert die Feuerwehrmänner zum Vormachen auf. Lars Kaluza und | |
Daniel Weir sollen zwei Schwäne fangen. Im strömenden Regen und voller | |
Feuerwehr-Montur stapfen die beiden über die matschige Wiese. Die Schwäne | |
haben das Vorhaben der beiden längst erkannt und traben davon, die | |
Blauröcke hinterher. Schwan eins ist geschickt und schlägt den Weg aufs | |
offene Feld ein. Da kommt niemand mehr hinterher. Schwan zwei flattert am | |
Zaun entlang. Das ist die Gelegenheit für Daniel Weir. Er greift von hinten | |
zu, natürlich ohne die Flügel aus den Augen zu verlieren. Jetzt hat er den | |
Schwan fest im Arm. Und dann? Thorsten Kestner rät, die gefangenen | |
Wildvögel in blaue Müllsäcke zu stecken. Ob die denn darin noch Luft | |
bekommen, fragen die Vogelfang-Lehrlinge. Kestner lacht: ‘Der Kopf muss | |
natürlich rausschauen’. Der Ausbilder lobt seine Schüler für den Einsatz am | |
Zaun. Jedes Wildtier brauche aber seine eigene Behandlung. ‘Die Reiher | |
hacken nach dem Auge’, sagt Kaluza. Er hat da schon seine Erfahrungen | |
gemacht. Bei Greifvögeln sollen die Feuerwehrleute besonders vorsichtig | |
sein. Nicht nur wegen der Krallen und Schnäbel. Kestner: ‘Wenn sich ein | |
Bussard im Zaun verfangen hat, schneidet den Zaun mit raus. Sonst bekommen | |
wir später den Flügel nicht mehr hin’.” | |
Der Schwanenrettung durch die Feuerwehr sind jedoch Grenzen gesetzt: Als | |
neulich im Berliner Humboldthafen ein älterer Höckerschwan einen jungen, | |
der seiner nestbauenden Schwänin zu nahe gekommen war, am Stauwehr in die | |
Enge getrieben hatte und dort heftig attackierte, holte ein Spaziergänger | |
die Feuerwehr, die ihn dann jedoch nur bat, weiter auf die beiden | |
kämpfenden Schwäne aufzupassen: “Wenn wir den jungen fangen, dann wird der | |
noch mehr verletzt und wir auch – und in der Schwanenstation geben ihm die | |
Tierärzte sofort eine Todesspritze. Die wissen dort vor Schwänen nicht mehr | |
ein und aus. Ständig kommen irgendwelche Leute, die ihnen verletzte Tiere | |
bringen: Schwäne, die von Hunden gebissen wurden, Schwäne, die gegen eine | |
elektrische Leitung flogen usw..” | |
Solch eine Zurückhaltung bei staatlichen Organen kann jedoch u.U. auch ihre | |
Gutes haben: So beobachteten die DDR-Grenzschützer einmal – ohne | |
einzugreifen, wie eine Gruppe Schwäne auf der Spree unweit vom Osthafen | |
einen einzelnen Schwan angriffen. Dieser wehrte sich nicht, sondern | |
versuchte weiter Kurs zu halten – auf das Westufer zu, was ihm, wenn auch | |
mühsam, gelang. Normalerweise bringen sich Schwäne nicht an Land in | |
Sicherheit, aber hierbei handelte es sich um einen DDR-Bürger, der sich | |
einen hohlen Schwan aus Holz und Plastikmasse gebaut und übergestülpt | |
hatte, um damit in den Westen zu flüchten. Die aufgebrachten Schwäne um ihn | |
herum machten seine etwas steife “Verkleidung” sogar noch authentischer. | |
Sie gaben ihm gewissermaßen sicheres Geleit. Diese Fluchtgeschichte aus den | |
Siebzigerjahren ist schon oft erzählt worden. Zuletzt erwähnte sie die | |
Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar, die in Westberlin lebte, aber in | |
Ostberlin, am Theater, arbeitete. Sie schrieb: “Die echten Schwäne kamen zu | |
ihm, pickten an seinem künstlichen Schwanenkopf und schwammen mit ihm in | |
den Westen. So hat man es mir erzählt.” | |
Ende April meldeten die überregionalen Zeitungen: Der in Xanten lebende | |
schwarze Schwan ist nicht die “schwarze Petra”. Ihr Münsteraner | |
“Freundeskreis” erklärte dazu: Sie ist am Fuß zu erkennen, weil sie dort | |
operiert und ihr ein Teil des Knochens entfernt wurde.” Für den Freundkreis | |
begann daraufhin die Suche nach dem vermissten Trauerschwan wieder von | |
vorne. Er glaubte jedoch selber nicht mehr an einen Erfolg. Aber dann tat | |
sich doch wieder was – in Münster selbst. Ende Mai berichtete die | |
Münstersche Zeitung: “In Uganda war gestern Morgen ein Handy im | |
Dauereinsatz. “Ständig klingelt mein Telefon. Was ist denn in Münster los?�… | |
Jörg Adler, Zoodirektor und derzeit in Afrika, gilt als Schwanenexperte | |
Nummer eins in der Stadt. Als gestern ein schwarzer Schwan auf dem Aasee | |
entdeckt wurde, war er ein gefragter Mann.” Die Aufregung war groß in | |
Münster. “Mit dem roten Motorboot sind wir sofort rausgefahren”, erzählte | |
Segelschulleiter Peter Overschmidt, doch er wurde enttäuscht: “Der Schwan | |
hat sich unserem Boot nicht genähert. Petra kam meistens sofort | |
angeschwommen.” Außerdem wirkte Petra “körperlich dominanter; dieser Schw… | |
war schlanker. Ich würde sagen, dass es ein jüngerer Schwan ist.” | |
Vorsichtshalber trieb man dennoch “Petras Geliebten” – das weiße | |
Schwanentretboot – auf den Aasee. Nichts passierte. Am Abend erklärte | |
Reinhold Wiens vom “Freundeskreis Petra” der Presse: “Das ist leider nur | |
ein schlechtes Double. Der Schwan ist zu schlank und verhält sich ganz | |
anders. Es handelt sich definitiv nicht um unsere Petra.” Am | |
darauffolgenden Tag war dann auch ihr “schlechtes Double” verschwunden. | |
In der Stadtverwaltung scheint man davon auszugehen, dass Petra nie | |
wiederkehren wird, denn man plant nun, der Verschollenen ein Denkmal am | |
Aasee zu setzen. (3) Gleichzeitig betet man für die “schwarze Petra”, dass | |
sie nicht bis in die Schweiz fliegt, denn dort würde sie “das Schicksal | |
vieler illegaler Einwanderer teilen,” schrieb “Die Zeit” Anfang Juni 2009: | |
Die eidgenössischen Behörden wollen die schwarzen Schwäne auf ihren Seen | |
nicht länger dulden – und sie im Notfall sogar abschießen. Nach Meinung der | |
Schweizer Umweltbehörden bedrohen die australischen Schwarzschwäne die | |
Bestände der weißen Schwäne. Große Teile der Bevölkerung sind gegen die | |
Vertreibung der schwarzen. “Die Zeit” vermutet, dass es in diesem Fall gar | |
nicht um die Ökologie geht. Dahinter stecke vielmehr eine “große | |
Verschwörung: Spätestens seit dem Bestseller ‘The Black Swan’ steht der | |
Schwarze Schwan in der Wirtschaft für unvorhergesehene Ereignisse, mit | |
denen auf Grundlage bisheriger Erfahrungen niemand gerechnet hat. Sehr | |
wahrscheinlich trachten also gar nicht die Ökologen dem Schwarzen Schwan | |
nach dem Leben, sondern die frustrierten Schweizer Ökonomen. Immerhin ist | |
er das lebende Symbol der Finanzkrise.” | |
Das Buch des libanesischen Mathematikers Nassim Nicholas Taleb: “Der | |
schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse”, so der | |
deutsche Titel, wird auch hierzulande breit diskutiert. Der einstige | |
Gründer der “Glücklichen Arbeitslosen” und nunmehrige Philosoph des | |
Leipziger Zentral-Theaters Guillaume Paoli empfiehlt es ebenso wie | |
“financebooks.de”. Dort heißt es: “In seinem Bestseller zeigt Nassim Tal… | |
Extrem unwahrscheinliche Ereignisse – ‘Schwarze Schwäne’ – gibt es viel | |
häufiger, als wir denken. Und wir unterschätzen systematisch ihre | |
gewaltigen Folgen. Der erstaunliche Erfolg von Google ist ein Schwarzer | |
Schwan, die Terrorattacken vom 11. September 2001 und globale Finanzkrisen | |
ebenso.” Weil er die Krise mit seiner Schwarzer-Schwan-Theorie quasi | |
vorausgesagt hatte, ist der Autor derzeit ein weltweit gefragter Referent – | |
beim CIA und der NASA ebenso wie bei Bankern, Unternehmern und | |
Wirtschaftswissenschaftlern. Die “Welt” schreibt: “Philosophisch | |
betrachtet, nimmt Taleb das uralte Problem der Induktion wieder auf. Der | |
Mensch macht systematisch Fehler, wenn er von der Vergangenheit auf die | |
Zukunft schließt. Angenommen, Sie sind eine Weihnachtsgans, so Taleb. Tag | |
für Tag, über Monate, werden Sie gefüttert. Sie müssen nichts dafür tun, | |
nur fressen, und für Sie ist es offensichtlich, dass die Menschen Ihnen | |
wohl gesonnen sind. Mit jedem Tag festigt sich diese Erkenntnis. | |
Schließlich kommt der Weihnachtsabend, und Sie werden geschlachtet. Aus der | |
Sicht der Gans ist Weihnachten ein “Black Swan” – ein Ausreißer des | |
normalen Ablaufs mit verheerenden Konsequenzen, der unmöglich aus der | |
Vergangenheit abgeleitet werden konnte.” | |
Mit dieser Theorie, so mutmaßte ich beim Lesen dieses Artikels, läßt sich | |
vielleicht sogar die Angewohnheit der kommunistischen Partei der | |
Sowjetunion erklären, bei jedem Trauerfall, wenn z.B. einer ihrer | |
Generalsekretäre gestorben war, das Fernseh- und Radioprogramm zu | |
unterbrechen und tagelang nur noch “Schwanensee” von Peter Tschaikowsky | |
spielen zu lassen. Als “Schwanenlied” wurden in Russland bereits vor der | |
Revolution die jeweiligen Höhepunkte einer Entwicklung, einer Epoche oder | |
eines Schaffens bezeichnet. | |
Im Mittelalter galt die Schwanenhaltung auf offenen Gewässern als | |
Hoheitsrecht. In England gehören noch heute alle Schwäne der Krone. | |
Alljährlich findet dort ein “Swan-upping” genanntes Ritual statt: Der | |
königliche Schwanenaufseher und seine Mannschaft fahren mit Booten herum, | |
um eine Woche lang die Schnäbel der jungen Schwäne zu kennzeichnen, die | |
kraft eines besonderen Vertrages nicht Eigentum des Souveräns, sondern | |
bestimmter Berufsgruppen der City sind. Selbstverständlich werden die | |
Schwäne der Königin niemals gekennzeichnet. Dafür begegnet einem das | |
Schwan-Wappen der Krone überall, auf Gebäuden, Laternenpfosten, | |
Telefonhäuschen und hunderterlei Dingen, vom Kupferschild an einem | |
Pferdezügel bis zum Waffenrock eines Beefeater und eines Wachmanns im | |
Londoner Tower.” | |
Die selbstbewussten Hamburger Bürger halten es ähnlich: Schon 1664 stellten | |
sie die Belästigung der “Alsterschwäne” unter Strafe. Sie gehören der St… | |
– und es gibt noch heute einen “Schwanenvater”. Der derzeitige heißt Olaf | |
Nieß. Er ist vor allem dafür verantwortlich, die etwa 120 Hamburger | |
Höckerschwäne bei Winterbeginn in den Eppendorfer Mühlenteich umzusetzen, | |
dieses Gewässer für sie eisfrei zu halten und sie dort zu füttern. Die der | |
Krone gehörenden englischen Schwäne wurden früher gerne von Studenten aus | |
Oxford und Cambridge heimlich gefangen, getötet und gegessen. Im | |
Internet-Forum “chefkoch.de” werden heute wieder Rezepte für die | |
Zubereitung eines Schwans gesucht. In den Sechzigerjahren haben wir einmal, | |
als Pfadfinder unterwegs im Sauerland, einen Schwan geschossen und | |
anschließend versucht zu essen – sein Fleisch war jedoch nahezu | |
ungenießbar. | |
Dies ist kein schöner Schluß für einen Vortrag über Schwäne. Ich wollte es | |
dennoch damit genug sein lassen, aber dann bekam ich ein Plakat, mit dem | |
eine “Internationale Konferenz” der Kulturwissenschaftler an der | |
Universität Weimar angekündigt wurde: “Die Macht der Dinge” – und darauf | |
war ein Photo mit 14 Tretbooten in Schwanengestalt abgebildet. Weiße – so | |
wie das, in den sich die “schwarze Petra” aus Münster verliebt hatte. Auf | |
der Konferenz, die Ende April in Weimar stattfand, ging es um die | |
“Akteur-Netzwerk-Theorie” (ANT) von Bruno Latour, John Law, Michel Callon | |
u.a.. Man könnte auch noch Isabelle Stengers, Karin Knorr-Cetina, Shirley | |
Strum, Judith Butler, Lynn Margulis, Donna Haraway und Sandra Harding | |
dazuzählen. | |
Hierzulande wird die ANT vor allem von Umweltsoziologen und | |
Wissenschaftshistorikern diskutiert, in den USA u.a. von feministischen | |
Anthropologinnen und Biologinnen. Es geht diesen Wissenschaftlerinnen | |
darum, mit Hilfe der “Akteur-Netzwerk-Theorie” die moderne Dichotomie von | |
Natur und Kultur bzw. Gesellschaft, Objekt und Subjekt, Fakt und Fetisch zu | |
überwinden – indem man Menschen und nicht-menschliche Wesen sowie auch | |
sämtliche Artefakte (Dinge) an einem Runden Tisch gewissermaßen versammelt. | |
Ein “Parlament der Dinge!” | |
Der Schwan im Arm – das war schon mal ein Anfang dahin. Und die Benamung | |
des Münsteraner Trauerschwans als “schwarze Petra” zusammen mit der | |
Assoziation ihres “Freundeskreises” ein weiterer Schritt. Auf diese Weise | |
wird auch aus der Schwanenforschung einmal eine historische Wissenschaft | |
werden. Und, wer weiß? Vielleicht bekommen wir von den Schwänen sogar | |
einmal eine Geschichte der ihnen namentlich bekannten Schwanforscher | |
zurück. | |
———————————————————————- | |
(1) Dazu führte kürzlich eine weitere Gruppe von Biologen – der University | |
of Washington aus: “Einmal im Jahr verliert jeder Höckerschwan all seine | |
Schwungfedern. Bis zu acht Wochen dauert es, bis sie wieder vollständig | |
nachgewachsen sind. In dieser Zeit der Mauser können die Tiere nicht | |
fliegen. Der Höckerschwan flüchtet sich während der Mauser schwimmend auf | |
die Mitte seines Sees. Offenbar begrenzt gerade diese Zeitdauer die | |
Körpergröße flugfähiger Vögel. Die Höckerschwäne mit einem Gewicht von b… | |
zu 15 Kilogramm gehören zu den schwersten Tieren, die sich auf ihren | |
Schwingen in die Luft erheben können. Eine Amselfeder braucht drei Wochen, | |
um nachzuwachsen. Dagegen dauert die vollständige Mauser eines Albatrosses | |
bis zu drei Jahre. Große Seevögel sind auf absolut funktionsfähige Flügel | |
angewiesen. Daher fällt bei ihnen stets nur eine Feder zur Zeit aus. Die | |
Reihenfolge, in der sich das Gefieder nach und nach erneuert ist stets die | |
gleiche. Schon eine fehlende Feder beeinträchtigt den Flug. Der Vogel muss | |
demnach genau wissen, wie er seinen Flug während der Mauser anzupassen hat. | |
Je größer und damit schwerer ein Vogel ist, desto länger müssen seine | |
Federn sein, um ihn zu tragen; beim Schwan bis zu 40 Zentimeter. Dennoch | |
wachsen lange Federn pro Zentimeter kaum schneller als kurze. Die | |
Wachstumsrate der Federn kann irgendwann nicht mehr mit deren Länge | |
mithalten. Dies hätte zur Folge, dass Federn kaputt gingen, bevor sie | |
ersetzt werden könnten. Weil Vögel aber ein intaktes Gefieder brauchen, | |
hört der Körper vorher auf zu wachsen.” So die Vermutung der Schwanforscher | |
aus Washington. | |
(2) In seinem Provinzlexikon “Am Abend mancher Tage” erzählt der Theologe | |
Joachim Krause von einem unbeabsichtigten Schwan-Experiment: Er hatte mit | |
seinem Sohn an einem See ein kleines Schiff gebastelt, als sie es mit einem | |
weißen Stück Papier als Segel ausstatteten kam von der anderen Seeseite ein | |
Schwan angerauscht, der dort seine brütende Schwänin bewacht hatte. Er | |
hielt das Papier für einen Nebenbuhler. Erst kurz vor dem kleinen Boot | |
erkannte er seinen Irrtum und schwamm beruhigt zurück zum Nest. Joachim | |
Krause wollte es nicht glauben, dass Schwäne derart auf einen weißen Fleck | |
reagieren – und wiederholte das Experiment am nächsten Tag. Prompt kam der | |
Schwan erneut zum Kampf bereit angerauscht. | |
(3) Letzte Meldung – aus Münster (v. 12.10.09): Seit Anfang 2009 ist | |
Münsters berühmtester Vogel, der Trauerschwan Petra, nun schon | |
verschwunden. Mögliche Hinweise über ihr Schicksal hat es in den | |
vergangenen Monaten viele gegeben, aber der Vogel bleibt verschwunden. | |
Darum hat der Freundeskreis “Schwarze Petra” jetzt beschlossen, sich wieder | |
aufzulösen. | |
Aus ganz Deutschland haben sich Leute bei dem seit einem Jahr bestehenden | |
Verein gemeldet, die angeblich díe schwarze Petra gesehen haben – | |
allerdings war jeder dieser Tipps falsch. Eigene Nachforschungen liefen ins | |
Leere. | |
Die kleine Hütte vor der Gaststätte “Zum Himmelreich” soll vorerst stehen | |
bleiben, das für Petra gekaufte Futter im Winter an die Enten und Schwäne | |
auf dem Aasee verfüttert werden. Die noch nicht verwendeteten | |
Mitgliedsbeiträge von 414 Euro spendet der Verein dem Tierheim. | |
9 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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