Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schwanerlebnisse und -forschung: Denen Gutes schwant
> Auch aus der Schwanenforschung wird einmal eine historische Wissenschaft
> werden, glaubt Helmut Höge. Er überwand seine Furcht vor Schwänen und
> machte aus einer Phobie eine Philie.
Bild: Die "schwarze Petra" aus Münster - verliebt in ein Tretboot.
BERLIN taz | Fünf Biologen machen Picknick an einem See. Plötzlich erhebt
sich vor ihnen ein Schwan und fliegt laut Flügel schlagend übers Wasser
davon. Er beschreibt eine Kurve und landet daraufhin wieder in der Mitte
des Sees. Die Männer fangen an zu diskutieren, wie der Schwan das gemacht
hat und warum. Der Erste, ein Physiologe, beschreibt die starken
Flügelmuskeln, ihre besondere Verankerung am Skelett und das Nervensystem
des Schwans. Er flog auf, weil Impulse von der Retina ins Gehirn und von
dort weiter über die motorischen Nerven an die Flügelmuskeln geleitet
wurden. Der Zweite, ein Biochemiker, verweist darauf, dass die Muskeln des
Schwans u.a. aus den Proteinen Aktin und Myosin bestehen. Der Schwan kann
aufgrund der Beschaffenheit dieser Faserproteine fliegen, die unter
Verbrauch von Energie (aus ATP – Adenosintriphosphat, der universellen Form
verfügbarer Energie in den Zellen) eine Gleitbewegung vollführen und so den
Muskel kontrahieren lassen. Der Dritte, ein Entwicklungsbiologe, beschreibt
die ontogenetischen Prozesse, die zunächst ein befruchtetes Ei zur Teilung
veranlassen und dann zur rechten Zeit für die Ausbildung von Nervensystem
und Muskulatur sorgen. Der Vierte, ein Verhaltensforscher, zeigt auf einen
im See schwimmenden Mann: Er hat vielleicht unabsichtlich den in Ufernähe
gründelnden Schwan verscheucht, weil er ihm zu nahe gekommen war. Schwäne
sind wegen ihrer kurzen weit hinten am Körper angesetzten Beine an Land
sehr schwerfällig – und verlassen deswegen das Wasser nur ungerne, wo sie
mit ihrem langen Hals die Pflanzen vom Grund abfressen. Der Fünfte, ein
Evolutionsbiologe, erklärt die Prozesse der natürlichen Selektion, die
sicher stellen, dass nur jene Schwanvorfahren eine Chance hatten, zu
überleben und sich fortzupflanzen, die sowohl imstande waren, eine mögliche
Gefahr rechtzeitig zu erkennen, als auch schnell genug, sich in die Luft zu
erheben. (1)
Fünf Biologen, fünf verschiedene Arten von Erklärung. Der Physiker Steven
Rose spricht von einem “epistemologischen Pluralismus” – den wir aushalten
müssen. Der Wissenschaftssoziologe Bruno Latour fragt sich dagegen: “Wann
können wir endlich aufhören, die nicht-menschlichen Wesen zu objektivieren,
indem wir sie ganz einfach verweltlichen und laizistisch betrachten?” An
anderer Stelle meint er jedoch: “Wer der Faszination für die Natur zu
erliegen droht, sollte zur Ernüchterung jedesmal das Netz der
entsprechenden wissenschaftlichen Disziplin hinzufügen, durch die wir sie
kennenlernen.” Demnach sind die Wissenschaften für ihn so etwas wie
Ausnüchterungszellen für trunkene Seelen.
In diesem Fall wäre das eine Schwanforschung als spezialisierte
Ornithologie. Sie ist jedoch anscheinend nicht besonders üppig, obwohl
einige Arten ähnlich wie die Störche geradezu “Zivilisationsfolger” sind …
und sich so den entsprechenden Wissenschaftlern fast schon aufdrängen. Die
Schwäne (Cygnini) gehören mit den Gänsen zu den Entenvögeln (Anatidae), und
die meisten Biologen bzw. Ornithologen konzentrieren sich, wenn nicht auf
Enten, dann auf eine oder mehrere Gänsearten – denen sie u.U. bis in den
Hohen Norden nachfolgen. Davon erzählt z.B. das Buch der schwedischen
Ornithologin Ulla-Lene Lundberg: “Sibirien. Porträt mit Flügeln”. Auf
solche Weise wurde z.B. die Ringelgans das Wappentier des Nationalparks
Wattenmeer. Ihretwegen war es dort jahrelang zu erbitterten
Auseinandersetzungen – zwischen den Gänseforschern bzw. Naturschützern
einerseits und den friesischen Bauern andererseits gekommen. Letztere
hatten das Land einst dem Meer abgerungen. Im Ergebnis wird die dortige
Grenze zwischen Natur und Kultur heute durch eine rotweiße Schranke
markiert.
Von Donna Haraway stammt die diesbezüglich schöne Formulierung, dass es
zwar keine Natur und keine Kultur gibt, aber viel Verkehr zwischen diesen
beiden Größen. Einzelheiten dazu finden sich in dem Aufsatz des Ethnologen
Werner Krauss: “Die ‘Goldene Ringelgansfeder’. Dingpolitik an der
Nordseeküste”.
Zur Schwanenforschung im engeren Sinne bekam ich nur einen Tipp: das Buch
des Münchner Stadtnaturforschers Josef Reichholf: “Das Comeback der Biber”.
Es geht darin u.a. um das kämpferische “Revierverhalten” der zur
Schwarmbildung eher wenig neigenden Schwäne, die dafür gerne lebenslange
Paarbindungen eingehen. Das gilt für alle 8 Schwanarten, von denen eine
jedoch, die neuseeländische, seit 300 Jahren ausgestorben ist.
Während der sogenannten Vogelgrippe vor drei Jahren starben hunderte von
Höckerschwäne – erst an der Ostsee und dann auch am Bodensee. Das
Gesundheitsamt Rügen antwortete auf die Fragen besorgter Touristen
stereotyp: “Ja ja, das Virus, das man in den Schwänen nachgewiesen hat, ist
hochpathogen.” Die Angst vor Ansteckung trieb einige Leute dazu, u.a. am
Urbanhafen in Kreuzberg, nächtens einige Schwäne zu erschlagen. Früher
tötete man alljährlich tausende dieser Tiere – ihrer Daunen wegen. Die
Ornithologen versuchten nun gegen zu steuern, indem sie der Öffentlichkeit
versicherten: Der Vogelgrippevirus H5N1 sei für Menschen nahezu
ungefährlich und die Sterblichkeitsrate bei den Schwänen, auf Rügen z.B.,
nicht höher als in anderen Wintern auch! Im übrigen handele es sich bei den
im Fernsehen gezeigten toten Schwänen um lange vor dieser “Medienkampagne”
gestorbene und bereits verweste Vögel.
Wie weit die “Panik” reichte, erfuhr ich von einem Freund, der auf dem Land
lebt und unbeabsichtigt den halben Staatsapparat darüber mobilisiert hatte.
Ihm waren vier seiner sechs Gänse von einem Hund totgebissen worden.
Traurig packte er sie in sein Auto, als er am nächsten Tag in die
Kreisstadt fahren mußte. Unterwegs stieg ihm aber der Gestank der toten
Gänse neben sich auf dem Boden unangenehm in die Nase und ihn packte die
Wut. Kurzentschlossen hielt er an und schmiß die vier Kadaver in den
Straßengraben. Als er Stunden später wieder zurückfuhr, war die Stelle
großräumig von der Polizei mit rotweißen Plastikbändern abgesperrt,
Seuchenexperten in weißen Kitteln untersuchten den Fundort und alle Autos
mußten durch Desinfektionswannen fahren – sein ganzes Dorf hatte man
mittlerweile unter Quarantäne gestellt. Mein Freund freute sich: Jahre,
ach, jahrzehntelang hatte er versucht, alles Mögliche “anzuschieben” –
betrieblich, sozial, ökologisch, politisch, den Erhalt seiner Firma, die
Begrünung seines Mietshauses in der Stadt, die Einrichtung eines
Spielplatzes usw.. Aber nie hatte er dabei die Behörden derart schnell und
so massiv mobilisieren können – wie mit dieser kleinen, unbeabsichtigten
“Panikmache”.
Von meiner Mutter habe ich großen Respekt vor Schwänen eingeflößt bekommen.
Sie hatte ihren Arbeitsdienst als BDM-Mädchen auf einem Bauernhof
abgeleistet, wo sie die ganze Zeit von einem Ganter verfolgt und gebissen
worden war. Seitdem fürchtete sie sich vor allen Gänseartigen. Ich überwand
meine Furcht vor Schwäne 1967, mehr noch, aus einer Phobie machte ich
damals eine Philie. Und das kam so:
1966 hatte der indische Großtierhändler George Munro in Bremen einen Zoo
eröffnet, der gleichzeitig eine Tier-Handelsstation war, daneben besaß er
noch eine kleine Station in Kalkutta. Ich fing als Übersetzer bei ihm an –
für seine Frau, die Büroleiterin war und nur Englisch und Hindi sprach. Da
die beiden jedoch nicht genug Tierpfleger hatten, war ich die meiste Zeit
mehr draußen als drinnen beschäftigt. Dadurch konnte ich mich auf den
Schwan gewissermaßen vorbereiten. Das begann schon morgens: Als erstes
hatte ich vier kleine Kragenbären in ihr Freigehege zu tragen – jeweils
zwei auf einmal, die ich am Nackenfell gepackt von mir weghielt, weil sie
die ganze Zeit versuchten, in meine Hand zu beißen.
Dann kamen zwei halbwüchsige Orang-Utans dran, die ich mit dem Schlauchboot
auf eine kleine Affeninsel in einem See zu bringen hatte. Auf dem Weg zum
Boot nahm ich sie an die Hand. Auf der Insel mußte ich erst einmal die Tür
eines kleines Häuschens aufsperren, damit sie bei Regen einen trockenen
Platz hatten. Einmal sprangen mir währenddessen die beiden Orangs wieder
zurück in das Schlauchboot – und ich befand mich allein auf der Insel,
während die Affen über den See abtrieben und sich halb totlachten: Vor
Freude hüpften sie wie wild auf die Wülste des Bootes und kreischten. Je
entsetzter ich kuckte, desto lustiger fanden sie das Ganze. Zum Glück kam
gerade Buddha, der kleine Sohn meines Chefs, am See vorbei. Er krempelte
sich die Hose hoch, stieg ins kalte Wasser und bekam nach kurzer Zeit das
Schlauchboot zu fassen.
Meistens half mir seine Schwester, Jenny – nach der Schule. Sie war mit
allen möglichen Tieren groß geworden und kannte sich gut mit ihnen aus,
während ich mit vielen zum ersten Mal zu tun hatte. So flößten mir z.B. in
den Volieren zunächst die riesigen Schnäbel der Doppelnashornvögel den
allergrößten Respekt ein: Sie saßen auf Ästen und man mußte gebückt unter
ihnen durchgehen, um einen Eimer voll Obstsalat in ihren Futternäpfe zu
verteilen: Was, wenn sie einem dabei in den Kopf hackten? Jenny zeigte mir,
wie harmlos sie waren und wie vorsichtig sie ihre Schnäbel einsetzten – man
konnte sie mit der Hand füttern. Ähnliches galt für die Flughunde, die
trotz ihrer scharfen Zähnen ebenfalls kindlich-freundliche Obstesser waren.
Schwieriger war es mit dem Einfangen von Tieren, was oft vorkam, da der Zoo
zugleich wie erwähnt als Handelsplatz diente. Auch hierbei half mir Jenny,
mit der ich mich bald immer mehr anfreundete. Am Unangenehmsten war es,
Kraniche oder Reiher einfangen zu müssen: Sie wehrten sich mit ihren langen
spitzen Schnäbeln sowie mit ihren Flügeln und den scharfen Sporen am Bein –
auf all diese fünf Waffen zugleich konnte man unmöglich achten. Mehrmals
gelang es diesen Vögeln, mich zu verletzen, mindestens mir die Hosenbeine
aufzuschlitzen. Beim Ährenträgerpfau war es schon gefährlich, ihn nur
füttern zu wollen. Einmal sprang er dem Pfleger dabei auf den Kopf und
brachte ihm eine tiefe Wunde bei, die genäht werden mußte. Ich scheuchte
danach den Pfau immer mit einem Besen in seinen Stall, bevor ich mich in
seinem Außengehege zu schaffen machte. Einmal flüchtete er vor dem Besen in
meine Richtung, ich sprang erschrocken zur Seite, woraufhin er durch die
Tür nach draußen ins Freie flog. Obwohl es ein herber Verlust war, etwa
1000 DM, trauerte niemand ihm nach. Am Angenehmsten war es mit einem
Elefanten, den sein indischer Tierpfleger und ich im Güterwaggon nach
Ostberlin in den dortigen Tierpark bringen sollten. Er machte alles
bereitwillig mit. Für den Elefanten hatten wir genug Heu und anderes Futter
dabei, aber für uns nur einige Schokoriegel, weil wir davon ausgegangen
waren, dass die Zugfahrt höchstens 12 Stunden dauern würde – wir brauchten
jedoch drei volle Tage, weil die Waggons alle nasenlang umrangiert wurden
und jeder Personenzug Vorrang hatte. Bei jedem Halt stieg ich aus, um für
den Elefanten Wasser zu holen. Auf dem Rückweg mußte ich jedesmal unseren
Waggon suchen, der inzwischen umrangiert worden war. Der indische
Tierpfleger und ich, wir wurden immer nervöser und hungriger, aber der
Elefant blieb gelassen. Er vermittelte uns geradezu das Gefühl, dass wir es
schon schaffen würden, ihn sicher ans Ziel zu bringen. Anschließend durften
wir uns im Gästehaus des Ostberliner Tierparks drei Tage lang erholen,
bevor wir wieder, diesmal mit einem Personenzug, nach Hause fuhren.
Als nächstes sollte ich elf Schwäne, die vorübergehend im leeren Freigehege
für Geparden untergebracht waren, einfangen und umsetzen. Dieser Auftrag
machte mich vollends ratlos. Die elf Schwäne schwammen im Wassergraben des
Geheges: Mit dem Schlauchboot trieb ich sie erst einmal an Land und dann in
einer Ecke des Geheges zusammen. Weil ich mich nicht traute, mir einfach
blitzschnell einen zu packen, gelang es den Vögeln immer wieder, zurück in
den Wassergraben zu flüchten, von wo aus ich sie dann wieder mit dem
Schlauchbott an Land und in eine Ecke des Geheges scheuchte…Hin und her –
bis der Sohn des Chefs, Buddha, kam und mir half: Wir drängten die Schwäne
zu zweit erneut in eine Ecke des Geheges – und Buddha schmiß sich einfach
auf den erstbesten, packte ihn, nahm ihn hoch und trug ihn über das halbe
Zoogelände in das gerade fertiggestellte neue Gehege für Teichvögel, wo er
den Schwan ins Wasser gleiten ließ. Es sah ganz einfach aus. Ich tat es ihm
nach. Sogleich gelang es mir, einen Schwan zu umfassen, so daß er nicht
mehr mit seinen Flügeln um sich schlagen konnte, seine kurzen Beine hielt
er von selber still und seinen Schnabel hielt ich mit einer Hand fest. Die
andere Hand presste ich an seinen Bauch. Nach ein paar Schritten merkte
ich, wie weich dort die Federn waren und wie schön es sich anfasste. Ich
ließ seinen Schnabel los und griff mit meiner anderen Hand an seine Brust –
die war sogar noch weicher. Und weder versuchte der Schwan mir mit seinem
Schnabel ins Gesicht zu hacken oder zu beißen, noch fing er an zu schreien,
im Gegenteil: Er kuschelte seinen Kopf leicht an meinen Körper und fiepte
nur leise. Ich streichelte ihm den Hals und ging glücklich zum neuen Teich
der Wasservögel, wo ich ihn am Rand ins Gras setzte. Mit einem Satz und
einem kleinen Schrei sprang er ins Wasser, um sich schnell in der Mitte des
Sees in Sicherheit zu bringen.
Ich ging zurück, um den nächsten Schwan zu holen. Alle reagierten ähnlich
friedfertig – sobald wir sie erst einmal fest umfaßt hielten. Leider war
Buddha so schnell, dass wir schon bald zehn Schwäne gefangen hatten, den
letzten, elften, schnappte ich mir – trug ihn aber nicht gleich in sein
neues Freigehege, sondern ging mit ihm auf dem Arm noch eine Weile
spazieren: Er war nicht schwer und fühlte sich ebenfalls wunderbar an,
außerdem roch er gut. Tagelang hätte ich mit ihm so herumlaufen mögen. Ich
wanderte mit ihm durch den ganzen Zoo. Als ich mit dem Schwan am Käfig des
sibirischen Tigers vorbeikam, sprang dieser auf und fauchte, wobei er sich
mit den Vorderpfoten am Gitter aufrichtete. Das tat er auch, wenn ich – was
mehrmals täglich geschah – mit dem VW-Bus bei ihm vorbeifuhr. Der schwarze
Panther im Käfig nebenan, der einer alten Dame gehört hatte, die in ein
Altersheim gekommen war, blieb jedoch ganz ruhig: Er kuckte uns nur traurig
oder gelangweilt hinterher. Dahinter arbeiteten unter der Aufsicht eines
Wärters 14 Gefangene aus dem Gefängnis Oslebshausen an der Gestaltung eines
Bison-Freigeheges. Ich hatte diesen Arbeitseinsatz organisiert und mich
anfänglich auch noch darum gekümmert, aber nach und nach war ich dabei zum
Laufburschen der Gefangenen geworden, indem ich ihre Briefe zu Verwandten
und Freunden austrug bzw. umgekehrt von denen Botschaften an sie
übermittelte und ihnen Zigaretten sowie andere Kleinigkeiten besorgte, was
jedoch immer mehr wurde. So dass es mich irgendwann überforderte. Ich zog
mich zurück und überließ dem uniformierten Wächter die Baustelle, was der
mit Genugtuung registrierte: “Hätte ich Ihnen gleich sagen können!”
All das zeigte bzw. erzählte ich nun quasi dem Schwan, während ich ihn
herumtrug. Schließlich setzte ich ihn am Wasservogel-Teich ins Gras. Bevor
er sich dort ebenfalls ins Wasser flüchtete, schüttelte er noch kurz sein
Gefieder aus. Dabei kuckte er mich irgendwie erstaunt an.
“Wenn ich einmal erwachsen werde, oder (wie wir zu sagen pflegten), nach
der Revolution,” schreibt die feministische US-Biologin Donna Haraway,
“weiß ich, was ich tun möchte. Ich möchte für die Tiergeschichten in
‘Reader’s Digest’ zuständig sein. die jeden Monat in über zwölfe Sprac…
an die zwanzig Millionen Menschen erreichen. Ich möchte die Geschichten
über moralisch versierte Hunde, gefährdete Völker, lehrreiche Käfer,
wundersame Mikroben und gemeinsam zu bewohnende Häuser der Differenz
schreiben. Mit meinen Freundinnen möchte ich am Ende des zweiten
christlichen Jahrtausends Naturgeschichte schreiben, um zu sehen, ob andere
Geschichten möglich sind, solche, die nicht auf dem Riß zwischen Natur und
Kultur, bewaffneten Cherubim und heroischen Suchaktionen nach den
Geheimnissen des Lebens beruhen.”
Zu Zeiten der Vogelgrippen-Hysterie 2006 wurde ein schwarzer Schwan
berühmt, der sich im Aassee von Münster zu einem weißen Tretboot in
Schwanengestalt gesellt hatte – und ihm nicht von der Seite wich, es sogar
mutig gegen jeden Versuch der Wiederinbesitznahme durch die Menschen
verteidigte. In Münster machte man aus dieser ungewöhnlichen “Liaison” mit
Hilfe einer Marketingfirma eine Art Wahrzeichen der Stadt. Ich vermutete,
dass die weißen Schwäne den schwarzen verscheucht hatten, so wie es bei
Schafen vorkommt, die kein schwarzes Schaf in ihren Reihen dulden. Eine
“Expertin” von der Biologischen Station “Rieselfelder Münster” vernein…
dies jedoch: Die weißen Schwäne hätten keine Probleme mit schwarzen
Schwänen; es handele sich bei seiner Liebe zum Tretboot mithin nicht um
eine Objektverschiebung aus Kommunikationsnot, wie man es von Affenwaisen
kennt, sondern um eine “Fehlprägung”. Eine solche kennt man spätestens se…
den Aufzucht-Experimenten des Gänseforschers Konrad Lorenz, der sich einst
selbst zum Objekt einer solchen “Fehlprägung” machte, indem er den
neugeborenen Gänschen die Mutter ersetzte. (2)
Der schwarze Schwan vom Aasee muß aber doch wohl eine Schwänin zur Mutter
gehabt haben, die ihn demzufolge auch sozusagen ganz normal geprägt hat.
Jedenfalls tauchte er erst im Yachthafen und bei den Tretbooten im Aasee
auf, als er seinen Flaum schon verloren – und ein schwarzes Gefieder
bekommen hatte. Und dann schwamm er auch nicht hinter jedem weißen,
schwanenförmigen Tretboot hinterher, sondern nur hinter einem bestimmten,
das man dann auch – ihm zuliebe – aus dem Verkehr zog. Statt auf eine
“Fehlprägung” tippte Peter Berz deswegen auf einen Fall von “Feteschismu…
als ich ihm davon erzählte.
Im Winter 2006 wurde der schwarze Schwan zusammen mit seinem Tretboot in
den dortigen “Allwetterzoo” umgesetzt. Bei der laut Münstersche Zeitung
“mehrtägigen Aktion” wurde das Boot etappenweise über den Asee und durch
einen Kanal immer weiter in Richtung Zoo gezogen. Die Berliner Netzeitung
berichtete: In den vergangenen Wochen war der Trauerschwan bereits von
einem Teich im Zoo ins Pelikan-Haus gezogen. Im neuen Stall soll der Schwan
eine Fußverletzung endgültig auskurieren. “Das Tretboot im Wasserbecken
soll den Schwan zum Schwimmen animieren, damit der Fuß entlastet wird’,
erklärte dazu der Zoo-Chef Jörg Adler. Die neue Unterkunft wird durch ein
großes Aasee-Bild geschmückt. Zudem hängen im Pelikan-Haus Kopfhörer, mit
denen sich Zoo-Besucher eine «Schwanenballade» anhören können. Später
versuchte ein Verhaltensbiologe des Zoos den Schwan beziehungsmäßig wieder
auf den richtigen Weg zu bringen. Dazu berichtete der WDR: Im Zoo machte
man sich Hoffnung, der Trauerschwan könnte einen lebendigen Artgenossen
kennen und lieben lernen. Vor rund zwei Wochen wurde der Versuch der
diskreten Kontaktaufnahme gestartet – und vorzeitig abgebrochen. Die im Zoo
lebenden Trauerschwäne und die ‘Schwarze Petra’ hätten sich nicht
anfreunden können, hieß es. Keiner der Junggesellen verstand es, das
Weibchen für sich zu begeistern. Die “Schwarze Petra” blieb ihrem Tretboot
treu. Petra lebt bereits seit mehr als einer Woche wieder mit ihrem
Liebsten allein zusammen. Nach Ansicht des zooeigenen Verhaltensbiologen
ist nicht davon auszugehen, dass sich das Tier jemals von seinem Tretboot
trennen wird.”
Die Münsteraner hatten den Schwan zunächst “schwarze Petra” genannt, der
Zoodirektor bestand dann jedoch darauf, wahrscheinlich nach Prüfung der
Kloake, in der sich beim Männchen der Penis befindet, ihn “Peter” zu
nennen. Wenn er nicht auch noch an einer geschlechtlichen “Fehlprägung”
litt, mußte das Tretboot demzufolge ein weibliches sein: “Wenn man sieht,
wie der Peter das Schwanenboot umkreist, ist gar nichts anderes
vorstellbar: Das ist sein absoluter Bezugspunkt,” teilte der Zoo-Direktor
der Presse mit. Für hunderte von Münsteranern und Besuchern der Stadt war
wiederum dieses seltsame Schwanenpärchen ein absoluter Anziehungspunkt. Es
wurde von Neugierigen geradezu umlagert.
2007 war in der Presse jedoch erneut von der schwarzen Petra die Rede:
Diese hatte sich plötzlich von ihrem Tretboot ab und einem jungen weißen
männlichen Höckerschwan zugewandt. Der Zoodirektor Jörg Adler erklärte
daraufhin der Presse: “Er ist Petra wohl vom Aasee gefolgt, tauchte
plötzlich auf dem tierparknahen Seitenkanal und kurz darauf an ihrer Seite
auf”. Die Ahnungen einiger Jogger am Aasee und vom Tretbootbesitzer und
Yachtschulbetreiber Peter Overschmidt schienen sich zu bewahrheiten: Petra
war zuletzt immer mal wieder für einige Stunden aus der Nähe des Tretboots
verschwunden. Das hartnäckige und intensive Werben des jungen Höckerschwans
um die Trauerschwänin hatte also Erfolg – “und das Tretboot ist nun wohl
der dumme Dritte”, stellte Zoo-Chef Adler nüchtern fest und fügte hinzu:
“Das kann einem fast leid tun.”
Im Frühjahr 2008 fing die schwarze Petra an, im Zooteich ein Nest zu bauen,
doch plötzlich verließ der weiße Höckerschwan sie. Petra hörte auf mit dem
Nestbau und schwamm unruhig hin und her. Im Zoo wußte man sich schließlich
nicht anders zu helfen, als sie wieder auf den Aasee zurückzubringen, wo
ihr weißes Trettboot vor Anker lag. “Petra wurde sehr aufmerksam, als sie
das Boot erblickte. Sie hat wohl eingesehen, dass nur das Tretboot ihr die
Treue hält”, erklärte der Zoo-Direktor anschließend auf einer
Pressekonferenz – und fügte erklärend hinzu: Die Beziehung zu ihrem weißen
Schwan sei sowieso sehr ungewöhnlich gewesen, da sich Trauer- und
Höckerschwäne in der Natur eigentlich nicht begegnen. Auch die vielen an
ihrem Leben interessierten Neugierigen aus Münster und Umgebung fanden,
dass die inzwischen weltberühmt gewordene schwarze Schwänin bei ihrem
Tretboot bleiben sollte, wie eine Umfrage ergab.
In einem Internet-Forum namens “ariva.de”, in dem ihre Beziehungsprobleme
ebenfalls diskutiert wurden, bemühte man zum Verständnis eine
Standorttheorie. So schrieb z.B. ein gewisser D.B.: “Ich glaube wenn ich
dazu verdammt wäre, in Münster zu leben, würde ich auch Tretbooten
hinterherschwimmen.” Ein gewisser A.N. gab daraufhin zu bedenken: “Weiss
nicht, was daran schlimm ist. Ich hatte bisher 3 Tretboote in meinem Leben
und sooo schlecht ist das nicht. OK – es gibt nur eine Stellung und man
muss ständig an der Beziehung arbeiten, aber man kommt als Pärchen auch
vorwärts. Einer holt den anderen immer irgendwo ab und nimmt ihn mit.”
Anfang 2009 verteilte der Münsteraner “Freundeskreis ‘Schwarze Petra’”
Flugblätter und hängte Steckbriefe an die Bäume: “Gesucht wird…” Seit …
1. Januar war die schwarze Schwänin verschwunden. Es kamen Meldungen aus
Lindau am Bodensee und aus Carolinensiel an der Nordsee, wo sie angeblich
aufgetaucht war. Eine mit Photographien erhärtete Spur führte nach Xanten
an einen Baggersee. Die FAZ schrieb: “Am Aussehen kann man Petra nicht
erkennen, nur am Verhalten.” Mit einer Ausnahme: Rita Thieme. “Die gelernte
Tierpflegerin, eines von 58 Mitgliedern des Freundeskreises, hat Petra auf
dem Aasee seit zwei Jahren gefüttert, mit Spezialkörnern und Blattsalat.
Bloß nicht Brot und Brötchen, denn da ist Salz drin, und Salz können
Trauerschwäne – anders als andere Schwäne und Wasservögel – nicht abbaue…
Wenn Rita Thieme pfeift kommt Petra angeflogen – aus bis zu zwei Kilometern
Entfernung. “Wenn wir demnächst feststellen, dass Petra in Xanten ist, dann
lassen wir sie da”, sagte ein Sprecher des Freundeskreises. “Rita Thieme
könnte sie zwar einfangen, weil sie bei ihr handzahm ist, aber es ist doch
ein wildlebendes Tier, so gerne wir sie hier in Münster wieder auf dem
Aasee hätten.” Die FAZ tröstete die Münsteraner: “Für Petra ist Xanten …
Niederrhein auch ein treffender Ort. Siegfried! Nibelungen! Parzival!
Lohengrin! Elsa! Der Schwan hat eine sagenhafte Wahl getroffen.”
Das Tier wird sich auch hier am Niederrhein wohl fühlen, versicherten
daraufhin sofort einige “Experten” – u.a. vom Naturschutzzentrum im Kreis
Kleeve. “Die Region hier bietet ideale Voraussetzungen. Durch seine
zahlreichen Gewässer ist sie sehr attraktiv für Wasservögel”, teilte z.B.
der Biologe Martin Brühne dem Lokalfernsehen mit. Schon zweimal hatte er in
den vergangenen Jahren schwarze Schwäne am Altrhein beobachtet. Einer der
prächtigen Vogel war sogar mal im Wasser festgefroren und musste befreit
werden.
Weil dies anscheinend trotz Klimaerwärmung immer öfter passiert, werden
neuerdings für die Feuerwehren Fortbildungskurse im “Wildvogel-Fangen”
angeboten. Ein Reporter der WAZ war dabei: “Ein fester Griff. Ein kurzes
Schnattern. Und bloß nicht die Flügel aus den Augen verlieren. Schon hält
der Profi den Schwan auf dem Arm. Thorsten Kestner weiß: ‘Die können einem
Erwachsenen durchaus mit ihren kräftigen Flügeln den Oberschenkel brechen.’
Kursleiter Kestner, der sich schon seit 20 Jahren um verletzte Wildtiere
kümmert, fordert die Feuerwehrmänner zum Vormachen auf. Lars Kaluza und
Daniel Weir sollen zwei Schwäne fangen. Im strömenden Regen und voller
Feuerwehr-Montur stapfen die beiden über die matschige Wiese. Die Schwäne
haben das Vorhaben der beiden längst erkannt und traben davon, die
Blauröcke hinterher. Schwan eins ist geschickt und schlägt den Weg aufs
offene Feld ein. Da kommt niemand mehr hinterher. Schwan zwei flattert am
Zaun entlang. Das ist die Gelegenheit für Daniel Weir. Er greift von hinten
zu, natürlich ohne die Flügel aus den Augen zu verlieren. Jetzt hat er den
Schwan fest im Arm. Und dann? Thorsten Kestner rät, die gefangenen
Wildvögel in blaue Müllsäcke zu stecken. Ob die denn darin noch Luft
bekommen, fragen die Vogelfang-Lehrlinge. Kestner lacht: ‘Der Kopf muss
natürlich rausschauen’. Der Ausbilder lobt seine Schüler für den Einsatz am
Zaun. Jedes Wildtier brauche aber seine eigene Behandlung. ‘Die Reiher
hacken nach dem Auge’, sagt Kaluza. Er hat da schon seine Erfahrungen
gemacht. Bei Greifvögeln sollen die Feuerwehrleute besonders vorsichtig
sein. Nicht nur wegen der Krallen und Schnäbel. Kestner: ‘Wenn sich ein
Bussard im Zaun verfangen hat, schneidet den Zaun mit raus. Sonst bekommen
wir später den Flügel nicht mehr hin’.”
Der Schwanenrettung durch die Feuerwehr sind jedoch Grenzen gesetzt: Als
neulich im Berliner Humboldthafen ein älterer Höckerschwan einen jungen,
der seiner nestbauenden Schwänin zu nahe gekommen war, am Stauwehr in die
Enge getrieben hatte und dort heftig attackierte, holte ein Spaziergänger
die Feuerwehr, die ihn dann jedoch nur bat, weiter auf die beiden
kämpfenden Schwäne aufzupassen: “Wenn wir den jungen fangen, dann wird der
noch mehr verletzt und wir auch – und in der Schwanenstation geben ihm die
Tierärzte sofort eine Todesspritze. Die wissen dort vor Schwänen nicht mehr
ein und aus. Ständig kommen irgendwelche Leute, die ihnen verletzte Tiere
bringen: Schwäne, die von Hunden gebissen wurden, Schwäne, die gegen eine
elektrische Leitung flogen usw..”
Solch eine Zurückhaltung bei staatlichen Organen kann jedoch u.U. auch ihre
Gutes haben: So beobachteten die DDR-Grenzschützer einmal – ohne
einzugreifen, wie eine Gruppe Schwäne auf der Spree unweit vom Osthafen
einen einzelnen Schwan angriffen. Dieser wehrte sich nicht, sondern
versuchte weiter Kurs zu halten – auf das Westufer zu, was ihm, wenn auch
mühsam, gelang. Normalerweise bringen sich Schwäne nicht an Land in
Sicherheit, aber hierbei handelte es sich um einen DDR-Bürger, der sich
einen hohlen Schwan aus Holz und Plastikmasse gebaut und übergestülpt
hatte, um damit in den Westen zu flüchten. Die aufgebrachten Schwäne um ihn
herum machten seine etwas steife “Verkleidung” sogar noch authentischer.
Sie gaben ihm gewissermaßen sicheres Geleit. Diese Fluchtgeschichte aus den
Siebzigerjahren ist schon oft erzählt worden. Zuletzt erwähnte sie die
Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar, die in Westberlin lebte, aber in
Ostberlin, am Theater, arbeitete. Sie schrieb: “Die echten Schwäne kamen zu
ihm, pickten an seinem künstlichen Schwanenkopf und schwammen mit ihm in
den Westen. So hat man es mir erzählt.”
Ende April meldeten die überregionalen Zeitungen: Der in Xanten lebende
schwarze Schwan ist nicht die “schwarze Petra”. Ihr Münsteraner
“Freundeskreis” erklärte dazu: Sie ist am Fuß zu erkennen, weil sie dort
operiert und ihr ein Teil des Knochens entfernt wurde.” Für den Freundkreis
begann daraufhin die Suche nach dem vermissten Trauerschwan wieder von
vorne. Er glaubte jedoch selber nicht mehr an einen Erfolg. Aber dann tat
sich doch wieder was – in Münster selbst. Ende Mai berichtete die
Münstersche Zeitung: “In Uganda war gestern Morgen ein Handy im
Dauereinsatz. “Ständig klingelt mein Telefon. Was ist denn in Münster los?�…
Jörg Adler, Zoodirektor und derzeit in Afrika, gilt als Schwanenexperte
Nummer eins in der Stadt. Als gestern ein schwarzer Schwan auf dem Aasee
entdeckt wurde, war er ein gefragter Mann.” Die Aufregung war groß in
Münster. “Mit dem roten Motorboot sind wir sofort rausgefahren”, erzählte
Segelschulleiter Peter Overschmidt, doch er wurde enttäuscht: “Der Schwan
hat sich unserem Boot nicht genähert. Petra kam meistens sofort
angeschwommen.” Außerdem wirkte Petra “körperlich dominanter; dieser Schw…
war schlanker. Ich würde sagen, dass es ein jüngerer Schwan ist.”
Vorsichtshalber trieb man dennoch “Petras Geliebten” – das weiße
Schwanentretboot – auf den Aasee. Nichts passierte. Am Abend erklärte
Reinhold Wiens vom “Freundeskreis Petra” der Presse: “Das ist leider nur
ein schlechtes Double. Der Schwan ist zu schlank und verhält sich ganz
anders. Es handelt sich definitiv nicht um unsere Petra.” Am
darauffolgenden Tag war dann auch ihr “schlechtes Double” verschwunden.
In der Stadtverwaltung scheint man davon auszugehen, dass Petra nie
wiederkehren wird, denn man plant nun, der Verschollenen ein Denkmal am
Aasee zu setzen. (3) Gleichzeitig betet man für die “schwarze Petra”, dass
sie nicht bis in die Schweiz fliegt, denn dort würde sie “das Schicksal
vieler illegaler Einwanderer teilen,” schrieb “Die Zeit” Anfang Juni 2009:
Die eidgenössischen Behörden wollen die schwarzen Schwäne auf ihren Seen
nicht länger dulden – und sie im Notfall sogar abschießen. Nach Meinung der
Schweizer Umweltbehörden bedrohen die australischen Schwarzschwäne die
Bestände der weißen Schwäne. Große Teile der Bevölkerung sind gegen die
Vertreibung der schwarzen. “Die Zeit” vermutet, dass es in diesem Fall gar
nicht um die Ökologie geht. Dahinter stecke vielmehr eine “große
Verschwörung: Spätestens seit dem Bestseller ‘The Black Swan’ steht der
Schwarze Schwan in der Wirtschaft für unvorhergesehene Ereignisse, mit
denen auf Grundlage bisheriger Erfahrungen niemand gerechnet hat. Sehr
wahrscheinlich trachten also gar nicht die Ökologen dem Schwarzen Schwan
nach dem Leben, sondern die frustrierten Schweizer Ökonomen. Immerhin ist
er das lebende Symbol der Finanzkrise.”
Das Buch des libanesischen Mathematikers Nassim Nicholas Taleb: “Der
schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse”, so der
deutsche Titel, wird auch hierzulande breit diskutiert. Der einstige
Gründer der “Glücklichen Arbeitslosen” und nunmehrige Philosoph des
Leipziger Zentral-Theaters Guillaume Paoli empfiehlt es ebenso wie
“financebooks.de”. Dort heißt es: “In seinem Bestseller zeigt Nassim Tal…
Extrem unwahrscheinliche Ereignisse – ‘Schwarze Schwäne’ – gibt es viel
häufiger, als wir denken. Und wir unterschätzen systematisch ihre
gewaltigen Folgen. Der erstaunliche Erfolg von Google ist ein Schwarzer
Schwan, die Terrorattacken vom 11. September 2001 und globale Finanzkrisen
ebenso.” Weil er die Krise mit seiner Schwarzer-Schwan-Theorie quasi
vorausgesagt hatte, ist der Autor derzeit ein weltweit gefragter Referent –
beim CIA und der NASA ebenso wie bei Bankern, Unternehmern und
Wirtschaftswissenschaftlern. Die “Welt” schreibt: “Philosophisch
betrachtet, nimmt Taleb das uralte Problem der Induktion wieder auf. Der
Mensch macht systematisch Fehler, wenn er von der Vergangenheit auf die
Zukunft schließt. Angenommen, Sie sind eine Weihnachtsgans, so Taleb. Tag
für Tag, über Monate, werden Sie gefüttert. Sie müssen nichts dafür tun,
nur fressen, und für Sie ist es offensichtlich, dass die Menschen Ihnen
wohl gesonnen sind. Mit jedem Tag festigt sich diese Erkenntnis.
Schließlich kommt der Weihnachtsabend, und Sie werden geschlachtet. Aus der
Sicht der Gans ist Weihnachten ein “Black Swan” – ein Ausreißer des
normalen Ablaufs mit verheerenden Konsequenzen, der unmöglich aus der
Vergangenheit abgeleitet werden konnte.”
Mit dieser Theorie, so mutmaßte ich beim Lesen dieses Artikels, läßt sich
vielleicht sogar die Angewohnheit der kommunistischen Partei der
Sowjetunion erklären, bei jedem Trauerfall, wenn z.B. einer ihrer
Generalsekretäre gestorben war, das Fernseh- und Radioprogramm zu
unterbrechen und tagelang nur noch “Schwanensee” von Peter Tschaikowsky
spielen zu lassen. Als “Schwanenlied” wurden in Russland bereits vor der
Revolution die jeweiligen Höhepunkte einer Entwicklung, einer Epoche oder
eines Schaffens bezeichnet.
Im Mittelalter galt die Schwanenhaltung auf offenen Gewässern als
Hoheitsrecht. In England gehören noch heute alle Schwäne der Krone.
Alljährlich findet dort ein “Swan-upping” genanntes Ritual statt: Der
königliche Schwanenaufseher und seine Mannschaft fahren mit Booten herum,
um eine Woche lang die Schnäbel der jungen Schwäne zu kennzeichnen, die
kraft eines besonderen Vertrages nicht Eigentum des Souveräns, sondern
bestimmter Berufsgruppen der City sind. Selbstverständlich werden die
Schwäne der Königin niemals gekennzeichnet. Dafür begegnet einem das
Schwan-Wappen der Krone überall, auf Gebäuden, Laternenpfosten,
Telefonhäuschen und hunderterlei Dingen, vom Kupferschild an einem
Pferdezügel bis zum Waffenrock eines Beefeater und eines Wachmanns im
Londoner Tower.”
Die selbstbewussten Hamburger Bürger halten es ähnlich: Schon 1664 stellten
sie die Belästigung der “Alsterschwäne” unter Strafe. Sie gehören der St…
– und es gibt noch heute einen “Schwanenvater”. Der derzeitige heißt Olaf
Nieß. Er ist vor allem dafür verantwortlich, die etwa 120 Hamburger
Höckerschwäne bei Winterbeginn in den Eppendorfer Mühlenteich umzusetzen,
dieses Gewässer für sie eisfrei zu halten und sie dort zu füttern. Die der
Krone gehörenden englischen Schwäne wurden früher gerne von Studenten aus
Oxford und Cambridge heimlich gefangen, getötet und gegessen. Im
Internet-Forum “chefkoch.de” werden heute wieder Rezepte für die
Zubereitung eines Schwans gesucht. In den Sechzigerjahren haben wir einmal,
als Pfadfinder unterwegs im Sauerland, einen Schwan geschossen und
anschließend versucht zu essen – sein Fleisch war jedoch nahezu
ungenießbar.
Dies ist kein schöner Schluß für einen Vortrag über Schwäne. Ich wollte es
dennoch damit genug sein lassen, aber dann bekam ich ein Plakat, mit dem
eine “Internationale Konferenz” der Kulturwissenschaftler an der
Universität Weimar angekündigt wurde: “Die Macht der Dinge” – und darauf
war ein Photo mit 14 Tretbooten in Schwanengestalt abgebildet. Weiße – so
wie das, in den sich die “schwarze Petra” aus Münster verliebt hatte. Auf
der Konferenz, die Ende April in Weimar stattfand, ging es um die
“Akteur-Netzwerk-Theorie” (ANT) von Bruno Latour, John Law, Michel Callon
u.a.. Man könnte auch noch Isabelle Stengers, Karin Knorr-Cetina, Shirley
Strum, Judith Butler, Lynn Margulis, Donna Haraway und Sandra Harding
dazuzählen.
Hierzulande wird die ANT vor allem von Umweltsoziologen und
Wissenschaftshistorikern diskutiert, in den USA u.a. von feministischen
Anthropologinnen und Biologinnen. Es geht diesen Wissenschaftlerinnen
darum, mit Hilfe der “Akteur-Netzwerk-Theorie” die moderne Dichotomie von
Natur und Kultur bzw. Gesellschaft, Objekt und Subjekt, Fakt und Fetisch zu
überwinden – indem man Menschen und nicht-menschliche Wesen sowie auch
sämtliche Artefakte (Dinge) an einem Runden Tisch gewissermaßen versammelt.
Ein “Parlament der Dinge!”
Der Schwan im Arm – das war schon mal ein Anfang dahin. Und die Benamung
des Münsteraner Trauerschwans als “schwarze Petra” zusammen mit der
Assoziation ihres “Freundeskreises” ein weiterer Schritt. Auf diese Weise
wird auch aus der Schwanenforschung einmal eine historische Wissenschaft
werden. Und, wer weiß? Vielleicht bekommen wir von den Schwänen sogar
einmal eine Geschichte der ihnen namentlich bekannten Schwanforscher
zurück.
———————————————————————-
(1) Dazu führte kürzlich eine weitere Gruppe von Biologen – der University
of Washington aus: “Einmal im Jahr verliert jeder Höckerschwan all seine
Schwungfedern. Bis zu acht Wochen dauert es, bis sie wieder vollständig
nachgewachsen sind. In dieser Zeit der Mauser können die Tiere nicht
fliegen. Der Höckerschwan flüchtet sich während der Mauser schwimmend auf
die Mitte seines Sees. Offenbar begrenzt gerade diese Zeitdauer die
Körpergröße flugfähiger Vögel. Die Höckerschwäne mit einem Gewicht von b…
zu 15 Kilogramm gehören zu den schwersten Tieren, die sich auf ihren
Schwingen in die Luft erheben können. Eine Amselfeder braucht drei Wochen,
um nachzuwachsen. Dagegen dauert die vollständige Mauser eines Albatrosses
bis zu drei Jahre. Große Seevögel sind auf absolut funktionsfähige Flügel
angewiesen. Daher fällt bei ihnen stets nur eine Feder zur Zeit aus. Die
Reihenfolge, in der sich das Gefieder nach und nach erneuert ist stets die
gleiche. Schon eine fehlende Feder beeinträchtigt den Flug. Der Vogel muss
demnach genau wissen, wie er seinen Flug während der Mauser anzupassen hat.
Je größer und damit schwerer ein Vogel ist, desto länger müssen seine
Federn sein, um ihn zu tragen; beim Schwan bis zu 40 Zentimeter. Dennoch
wachsen lange Federn pro Zentimeter kaum schneller als kurze. Die
Wachstumsrate der Federn kann irgendwann nicht mehr mit deren Länge
mithalten. Dies hätte zur Folge, dass Federn kaputt gingen, bevor sie
ersetzt werden könnten. Weil Vögel aber ein intaktes Gefieder brauchen,
hört der Körper vorher auf zu wachsen.” So die Vermutung der Schwanforscher
aus Washington.
(2) In seinem Provinzlexikon “Am Abend mancher Tage” erzählt der Theologe
Joachim Krause von einem unbeabsichtigten Schwan-Experiment: Er hatte mit
seinem Sohn an einem See ein kleines Schiff gebastelt, als sie es mit einem
weißen Stück Papier als Segel ausstatteten kam von der anderen Seeseite ein
Schwan angerauscht, der dort seine brütende Schwänin bewacht hatte. Er
hielt das Papier für einen Nebenbuhler. Erst kurz vor dem kleinen Boot
erkannte er seinen Irrtum und schwamm beruhigt zurück zum Nest. Joachim
Krause wollte es nicht glauben, dass Schwäne derart auf einen weißen Fleck
reagieren – und wiederholte das Experiment am nächsten Tag. Prompt kam der
Schwan erneut zum Kampf bereit angerauscht.
(3) Letzte Meldung – aus Münster (v. 12.10.09): Seit Anfang 2009 ist
Münsters berühmtester Vogel, der Trauerschwan Petra, nun schon
verschwunden. Mögliche Hinweise über ihr Schicksal hat es in den
vergangenen Monaten viele gegeben, aber der Vogel bleibt verschwunden.
Darum hat der Freundeskreis “Schwarze Petra” jetzt beschlossen, sich wieder
aufzulösen.
Aus ganz Deutschland haben sich Leute bei dem seit einem Jahr bestehenden
Verein gemeldet, die angeblich díe schwarze Petra gesehen haben –
allerdings war jeder dieser Tipps falsch. Eigene Nachforschungen liefen ins
Leere.
Die kleine Hütte vor der Gaststätte “Zum Himmelreich” soll vorerst stehen
bleiben, das für Petra gekaufte Futter im Winter an die Enten und Schwäne
auf dem Aasee verfüttert werden. Die noch nicht verwendeteten
Mitgliedsbeiträge von 414 Euro spendet der Verein dem Tierheim.
9 Jul 2010
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
Verschwörungsmythen und Corona
Stadtnatur
Sexualität
## ARTIKEL ZUM THEMA
Der Fall Siegfried Mauser und #MeToo: Bussis für den Täter
Siegfried Mauser war eine Größe im Münchner Kulturleben – und er ist ein
verurteilter Sexualstraftäter: Das bringen manche nicht zusammen.
Hamburger Schwanenmeldungen: Zu hoch der Hals
In dieser Woche waren sie überall. Schwäne flogen gegen Brückengeländer und
auf Gleise. Sie rasteten in Nationalparks – eine Verschwörung?
Tauben in der Stadt: Gentrifizierung aus der Luft
Die Städte sind ideal für die Körnerfresser. Außerdem ist es dort wärmer
als auf dem Land. Am liebsten halten sie sich inmitten von Menschen auf.
Homosexualität macht Fische attraktiv: Sex, egal mit wem
Sexuelle Aktivität ist für weibliche Kärpflinge ein wichtiges Merkmal für
Attraktivität. Mit welchem Geschlecht es die Männchen treiben, ist dabei
weniger wichtig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.