# taz.de -- Rechtsextremismus in Spanien: Faschisten im Bildungstempel | |
> Im Madrider Bildungszentrum Ateneo ließen ewiggestrige Kräfte den | |
> Diktator Franco hochleben. Das Protokoll einer Entgleisung. | |
Bild: Das Bildungszentrum Ateneo in Madrid: beliebter Ort für Feierlichkeiten … | |
MADRID taz | „Es war ein Schock“, erklärt Jaime Ruiz. Der pensionierte | |
Gymnasiallehrer und spätere Regionalabgeordnete der Vereinigten Linken in | |
Madrid erinnert sich an jenen Tag Ende Oktober 2019, als er zum ersten Mal | |
auf das Video in den Netzwerken stieß. Zu sehen waren Hunderte von | |
Mitgliedern der [1][Falange, der spanischen faschistischen Partei,] den | |
rechten Arm zum Gruß gestreckt. | |
Sie feierten am 26. Oktober den 86. Jahrestag der Gründung ihrer Partei, | |
wetterten gegen die Demokratie, verlangten die Abschaffung der seit 1975, | |
seit dem Ende der Franco-Diktatur in Spanien gültigen Verfassung, ließen | |
den Diktator hochleben, sangen „Cara al Sol“ – das spanische Pendant zum | |
Horst-Wessel-Lied der deutschen Nazis. | |
Den Ort, an dem sich alles abspielte, kennt Ruiz nur zu gut. Es war der | |
große Saal des altehrwürdigen Ateneo Científico y Literario – des | |
Kulturvereins für wissenschaftliche und kulturelle Debatten – im Zentrum | |
Madrids. „Das Ateneo ist der Ort für freies Denken“, erklärt Ruiz, der im | |
Ateneo seit 17 Jahren der Abteilung für Bildung vorsteht. „So etwas hat es | |
hier nicht mehr gegeben, seit die Falange nach Ende des Spanischen | |
Bürgerkriegs das Ateneo übernahm“, beschwert er sich. | |
Das 1835 gegründete Ateneo wurde 1939 von den Faschisten gestürmt und | |
teilweise geplündert. Auf der Straße vor dem Haupteingang wurden unliebsame | |
Bücher aus der Bibliothek verbrannt. Die Archive dienten der Verfolgung der | |
Mitglieder. Unter ihnen bekannte Künstler, Politiker und demokratische | |
Intellektuelle. „Dass der Saal ausgerechnet an diese kriminelle Bande | |
vermietet wurde, ist ein schwerer Schlag für uns alle“, fügt Ruiz hinzu. | |
## Bildungszentrum prüft Vermietung | |
Auf Nachfrage reagiert der Vorstand des Ateneo nur mit einer kryptischen | |
Pressemitteilung. „Die Vermietung wurde weder vom Vorstand genehmigt noch | |
ist sie im Namen der Institution geschehen. Nach Sichtung der Bilder der | |
Veranstaltung wurde eine Überprüfung des Vermietungsverfahrens vereinbart, | |
um bessere Kontrolle über solche Veranstaltungen zu gewährleisten, die | |
möglicherweise Elemente enthalten, die mit dem Geist des Madrider Ateneo | |
unvereinbar sind.“ | |
In einem ersten Communiqué verwies der Vorstand gar darauf, dass „das | |
Reglement des Ateneo das Recht aller Mitglieder schützt, jedwede | |
politische, religiöse oder soziale Ideen zum Ausdruck zu bringen, egal wie | |
radikal sie sind“. „Die Hausordnung verteidigt dies tatsächlich“, sagt | |
Ruiz. Aber die Veranstaltung der Falange sei eben nicht von Mitgliedern | |
ausgegangen, sondern sei eine externe Veranstaltung gewesen, für die Miete | |
bezahlt wurde. | |
In Zeiten, in denen dem Ateneo dank der Sparpolitik Zuschüsse gestrichen | |
wurden, sei das Geld sicher ein Grund gewesen, warum der Vorstand großzügig | |
darüber hinweggesehen hat. „Doch eines ist klar. Es kann keine kulturelle | |
Neutralität geben“, fügt Ruiz hinzu und verweist darauf, dass vor einigen | |
Jahren die Falange schon einmal den Saal mieten wollte und dies damals | |
abgelehnt wurde. | |
## Podemos bekam keinen Saal | |
Auch der neue Vorstand, der innerhalb des linken und liberalen Spektrums, | |
das das Ateneo abdeckt, eher dem rechten Rand zuzuordnen ist, hat bei | |
Weitem nicht alle Mietanträge positiv beschieden. So verhinderte er eine | |
Veranstaltung zu Venezuela und weigerte sich, der [2][linksalternativen | |
Podemos] und der katalanischen Republikanischen Linken einen Saal zu | |
vermieten, als diese eine Solidaritätsveranstaltung mit den inhaftierten | |
und mittlerweile zu hohen Haftstrafen verurteilten katalanischen | |
Unabhängigkeitspolitikern und -aktivisten durchführen wollten. | |
Für Ruiz ist Faschismus keine schützenswerte Meinung. Er fordert den | |
Rücktritt des Vorstands und ist damit unter den rund 2.000 Mitgliedern des | |
Kulturvereins, der wie kein Zweiter das fortschrittliche Bildungsbürgertum | |
der spanischen Hauptstadt verkörpert, nicht allein. | |
Für Mirta Nuñez, Historikerin an der Madrider Universität Complutense, ist | |
der Fehltritt des Ateneo-Vorstands ein Zeichen für die „zunehmende | |
Normalisierung des Faschismus. All das ist die Folge der mangelnden | |
Geschichtsaufarbeitung, eines Vergessens, das zu gesellschaftlicher Amnesie | |
führt“, ist sich Nuñez sicher, die sich unter anderem mit dem Gedenken an | |
Bürgerkrieg und Diktatur beschäftigt. Sie verweist auf Länder wie | |
Frankreich und Deutschland, in denen Faschismus gesellschaftlich geächtet | |
und juristisch eingehegt sei. „In Spanien ist die Rechte offen | |
profranquistisch“, beschwert sie sich. | |
Unter den Vorsitzenden des Ateneo finden sich so illustre Namen wie der des | |
späteren Präsidenten der von den Faschisten gestürzten Republik, Manuel | |
Azaña, oder des Schriftstellers Ramón María del Valle-Inclán und des | |
Philosophen Miguel de Unamuno. „Die politische, intellektuelle und | |
kulturelle Geschichte Spaniens ist ohne das Ateneo undenkbar. 16 Staats- | |
und Regierungschefs gingen aus den Reihen der Freidenker-Institution | |
hervor“, schreibt Lidia Falcón, Juristin, Philosophin und Journalistin. | |
Falcón leitete die Abteilung für feministische Debatten im Ateneo. Ihr | |
mittlerweile verstorbene Gatte war Vorsitzender des Ateneo, bevor der | |
jetzige Vorstand die Institution übernahm. | |
Für Falcón ist das, was im Ateneo passierte, ein Symbol dessen, was das | |
ganze Land durchlebt. „Wir befinden uns offensichtlich in Zeiten des | |
Rückschritts, wenn nicht einmal der legendäre Saal des Ateneo von Madrid | |
vor der Verherrlichung von Francos Erhebung, seines Putsches und der | |
Verteidigung der Schrecken des Faschismus sicher ist“, schreibt sie in der | |
[3][Onlinezeitung publico.es]. | |
„Diese Episode wird nicht nur in der Geschichte der Institution ein | |
Schandfleck bleiben. Ich weiß nicht, wie sie davon erlöst werden kann, | |
sondern ich befürchte, dass sie ein Sinnbild für die Zeiten sein wird, die | |
uns mit der Auferstehung der faschistischen Bestie erwarten. Sie haben | |
bereits begonnen, die wichtigsten Räume zu besetzen: Zuerst die Sitze des | |
andalusischen Regionalparlaments, dann die des Abgeordnetenhauses und jetzt | |
die des Ateneo von Madrid. Was für ein Schmerz!“, beendet Falcón ihren | |
Text. | |
Nur knapp zwei Wochen nach der Veröffentlichung dieser Zeilen verdoppelte | |
die [4][rechtsradikale Partei Vox], die seit April im spanischen Parlament | |
sitzt, bei den Neuwahlen vom 10. November die Zahl der Abgeordneten. Die | |
Rechtsextremen sind jetzt drittstärkste Kraft des Landes. | |
20 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Grossdemonstration-in-Madrid/!5571834 | |
[2] /Regierungsbildung-in-Spanien/!5641947 | |
[3] https://blogs.publico.es/lidia-falcon/2019/11/02/el-ateneo-de-madrid-fascis… | |
[4] /Koalition-in-Spanien/!5641940 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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