| # taz.de -- ARD-Serie „Bonusfamilie“: Erstaunlich klassisch | |
| > „Bonusfamilie“ versucht sich am beliebten Genre der | |
| > Patchworkfamilienserie. Neu sind dabei nur einige Begrifflichkeiten. | |
| Bild: Versuchen einer sehr alten Idee neues Leben einzuhauchen: die Schauspiele… | |
| Hach, was waren das für Zeiten, als 1983 Werner Schumann in „Ich heirate | |
| eine Familie“ in die Westberliner Familie Graf einheiratete. Das Fernsehen | |
| hatte nur zweieinhalb Programme. Bis zum ersten schwulen Kuss in einer | |
| deutschen Fernsehserie sollte es noch zwei Jahre dauern. Der Vatikan mochte | |
| die Neuverbindung zweier Geschiedener damals wie heute noch missbilligen – | |
| das ZDF-Publikum war bereits offen für die „Patchworkfamilie“. | |
| Nicht dass man damals schon gewusst hätte, dass es sich bei besagtem Werner | |
| und seiner Angie mit ihren drei in die neue Beziehung mitgebrachten Kindern | |
| und der bald dazugekommenen neuen Tochter um eine solche handelte. Den | |
| Begriff gab es noch nicht. | |
| Der große Erfolg von „Ich heirate eine Familie“ dürfte des Weiteren in der | |
| am Boulevardtheater geschulten Kompetenz der Urheber (Curth Flatow, Peter | |
| Weck) auf dem Gebiet der Situationskomik begründet liegen. Die hat zwar ein | |
| bisschen Staub angesetzt, wirkt aber noch immer – etwa bei der nächsten, | |
| zwischen den Jahren auf ZDFneo anstehenden Wiederholung. Vor allem aber, | |
| Patchwork hin oder her, idealisierte sie das ganz klassische Familienglück: | |
| Vater, Mutter, Kinder. | |
| In diesem Text geht es eigentlich nicht um „Ich heirate eine Familie“, | |
| sondern um die aktuelle ARD-Serie „Die Bonusfamilie“: Das deutsche Remake | |
| (Buch: Antonia Rothe-Liermann; Regie: Isabel Braak) der schwedischen Serie | |
| „Bonusfamiljen“, die deutsche Netflix-Abonnenten unter dem Titel [1][„Die | |
| Patchworkfamilie“] kennen könnten. Womit schon klargestellt wäre, dass | |
| beide Begriffe das Gleiche meinen, dass es hier um Nuancen geht und um | |
| Selbstvergewisserung, oder Autosuggestion. | |
| ## Singledasein? Nicht hinnehmbar | |
| Wenn also Katja (Anna Schäfer) sagt: „Idealistisches Wort für: Patchwork“, | |
| und Lisa (Inez Bjørg David) sagt: „Es ist eine positivere Formulierung!“, | |
| dann ist klar, wer die Sprachregelung eingeführt hat. Dass „Bonusfamilie“ | |
| nach Krankenkasse klingt, sagt hingegen in drei Doppelfolgen niemand. | |
| Die Berliner Version besteht aus: den schwangeren Thirtysomethings Lisa und | |
| Patrick (Lucas Prisor), Lisas Tochter Bianca, 15, Lisas Sohn Eddie, 10, und | |
| Patricks Sohn William, 10. Und aus den Thirtysomethings Martin (Steve | |
| Windolf) und Katja, die jeweils von Lisa und Patrick verlassen wurden, | |
| damit … genau. | |
| „Ich heirate eine Familie“ war die Mutter aller Patchworkfamilienserien – | |
| jede neue Patchworkfamilienserie, von denen es so einige gab, brauchte | |
| danach einen neuen Dreh. Bei „Türkisch für Anfänger“ (ARD, 2006) war es … | |
| Culture Clash, beim Zweiteiler „Neu in unserer Familie“ (ARD, 2017) die | |
| Polyamorie. | |
| Bei der „Bonusfamilie“ ist nur der Begriff neu. Und das Interesse am | |
| weiteren Werdegang der abgelegten Partner (Martin und Katja). Deren | |
| Singledasein ist nämlich ein unfreiwilliges und ein nicht hinnehmbares. Es | |
| gilt im Laufe der Serie beendet zu werden. | |
| Denn, und das ist das Erstaunlichste an dieser Serie im Jahre 36 nach „Ich | |
| heirate eine Familie“: Wie diese feiert sie das klassische Familienglück | |
| (Vater, Mutter, Kinder) als im Grunde einzig legitime Daseinsform. Nur dass | |
| vor den überspannten Millennials niemand auf die Idee gekommen wäre, schon | |
| mal „rein prophylaktisch“ zur Paartherapie zu gehen. Nur dass der | |
| (Dramedy-)Humor nicht souverän boulevardesk daherkommt, sondern angestrengt | |
| und antiquiert. | |
| Etwa der Gag, dass Martin – der wieder bei seiner Mutter untergekommen ist; | |
| der in der Bettenabteilung eines Möbel-Discounters arbeitet – partout kein | |
| Plätzchen für das Schäferstündchen mit seiner neuen Flamme findet und mit | |
| ihr dann natürlich in der Bettenabteilung landet und dort, wie könnte es | |
| anders sein, vom Nachtwächter erwischt wird. | |
| Ob man das nun erschütternd harmlos oder eher beängstigend reaktionär | |
| findet – in beiden Fällen wäre „Die Bonusfamilie“ im ARD-Programmschema | |
| eigentlich viel eher für den Degeto-Sendeplatz am Freitagabend | |
| prädestiniert als für den damit gleich dreifach blockierten „FilmMittwoch�… | |
| „Ich heirate eine Familie“ gibt es übrigens auch als DVD-Box. | |
| 20 Nov 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.netflix.com/de/title/80141270 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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