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# taz.de -- UN-Welttoilettentag am 19. November: Das Geschäft mit dem Geschäft
> Toiletten sind in Nigeria ein großer Luxus – nicht einmal die Hälfte der
> Bevölkerung hat eine eigene zu Hause. Auch öffentliche WCs sind
> Mangelware.
Bild: Toilettenbesitz kann reich machen. Dieses Schmuckstück ist allerdings ei…
Abuja taz | Ibrahim Abubakar hat alle Hände voll zu tun. Immerzu rollt er
Toilettenpapier ab – zwei bis drei Blätter darf jede*r Kunde*in mit in die
Toilette nehmen. Gleichzeitig kramt er in der Schublade seines kleinen
Holztischchens ständig nach Wechselgeld. Kleine Scheine – zehn, zwanzig
oder fünfzig Naira – werden immer wieder Mangelware: 100 Naira sind aktuell
25 Cent wert.
Das Geschäft laufe gut, sagt Abubakar und nickt einem Kunden zu. Um das
Angebot abzurunden, hat er auf dem Tischchen auch einen Spender mit
antibakterieller Flüssigseife stehen. Es ist später Nachmittag auf dem Wuse
Market in Nigerias Hauptstadt Abuja. Der große Ansturm auf die Toiletten,
die in der Nähe der Moschee stehen, ist längst vorbei. „Wie viele jeden Tag
tatsächlich kommen, kann ich gar nicht sagen. Es sind zu viele, um sie zu
zählen.“ Sein Betriebsgeheimnis lautet: „Es muss immer richtig sauber sein.
Dann kommt die Kundschaft auch.“
Dafür ist Husaini Abdullahi Yusuf zuständig, ein junger Mann, der aus dem
Bundesstaat Kano im Norden stammt und extra als Toilettenputzer angeworben
wurde. Immer wieder geht er von der Frauentoilette in die Männertoilette
und zurück, den Wischmob in der Hand. „Wenn es manchmal besonders dreckig
ist, muss ich mich ausruhen“, gibt er zu.
Sehr stören würde ihn das aber nicht. „Anfangs wollte ich vor allem einen
Job haben und Geld verdienen“, sagt er, als er neben der Eingangstür der
Damentoilette steht. Dort soll gerade der frisch gewischte Boden trocknen.
Welche Bedeutung seine Arbeit hat, wurde ihm erst viel später klar. „Ich
freue mich sehr, dass Leute an einem sauberen Ort ihre Notdurft verrichten
können.“ Sein Job sei wichtig für Nigeria.
In Afrikas bevölkerungsreichstem Staat sind Toiletten bis heute Mangelware,
ja ein echter Luxus. Nur 41 Prozent der rund 200 Millionen Einwohner*innen
haben eigene Toiletten daheim, hat eine Untersuchung der nationalen
Statistik-Agentur (NBS) ergeben. 16 Prozent teilen sich eine mit
Nachbar*innen, 18 Prozent haben immerhin irgendwo ein Plumpsklo. Doch fast
jede*r vierte Nigerianer*in (24 Prozent) muss die Notdurft in der
Öffentlichkeit verrichten.
## Hohe Strafen, die niemand durchsetzt
Auf dem Land ist das viel verbreiteter als in Städten. Doch auch dort haben
längst nicht alle Wohnungen Toiletten. Gerade junge Männer, die vom Land
kommen und sich als Tagelöhner durchschlagen, müssen sich winzige Zimmer
ohne Sanitäranlagen teilen. Ihnen bleibt oft nur der Gang zu öffentlichen
Toiletten wie der auf dem Wuse Market oder es wird doch am Straßenrand
uriniert – auch wenn überall selbst gemalte Schilder warnen, dass das mit
einer Strafe von 5.000 Naira (12,50 Euro) bestraft werde. Die treibt
niemand ein.
Ibrahim Abubakar zeigt auf die Gebührentafel. Die Nutzung des Pissoirs
kostet 20 Naira, die der Toilette doppelt so viel. Auch duschen bietet er
für 50 Naira (12 Cent) an. Im Vergleich zum Mindestlohn, der bei 30.000
Naira liegt, aber längst nicht immer gezahlt wird, kommt monatlich eine
hohe Summe zusammen. Mehr als 94 Millionen Menschen leben in Nigeria
unterhalb der Armutsgrenze, was bedeutet, dass sie weniger als 1,90
US-Dollar, weniger als 700 Naira, pro Tag zur Verfügung haben.
Dabei ist Nigeria die größte Volkswirtschaft des Kontinents. Nach Angaben
der staatlichen Ölgesellschaft (NNPC) können täglich bis zu 2,5 Millionen
Barrel Öl produziert werden. Nigeria liegt damit weltweit an sechster
Stelle. Durch die jährlichen Start-up-Wochen und die boomende Filmindustrie
Nollywood – größer ist nur Bollywood – entsteht der Eindruck einer
modernen, innovativen Gesellschaft. Die Hilfsorganisation Oxfam kam im Juli
jedoch zu dem Ergebnis, dass Nigeria in Westafrika das Land ist, in dem die
Regierung am wenigsten unternimmt, um die große Ungleichheit zu bekämpfen –
und genau das spiegelt das Toilettenproblem.
Eine gut ausgestattete öffentliche Toilettenanlage ist in Nigeria die große
Ausnahme, sagt Zaid Jurji, der für das Kinderhilfswerks Unicef in Nigeria
den Bereich Wasser, Sanitär und Hygiene (WaSH) leitet. „Nur 9 Prozent der
Märkte und Busbahnhöfe haben Sanitäranlagen und Wasser.“ Bieten sie dann
noch Hygienemöglichkeiten – also Waschbecken und Seife – an, bleiben nur
noch 1,4 Prozent.
## Schultoiletten entscheidend für Mädchenbildung
In anderen Bereichen sieht es nicht besser aus. Nur 46 Prozent der
Krankenhäuser haben eine Wasserversorgung. Alle drei WaSH-Bereiche werden
gerade einmal von 5 Prozent der Einrichtungen abgedeckt. Katastrophal ist
die Situation auch an den Schulen. Nur 16 Prozent verfügen über Wasser und
Sanitäranlagen. Mitunter wird zwar in den Klassen das Händewaschen geübt.
In sanitation clubs wird den Schüler*innen auch erklärt, wie wichtig
Hygiene ist.
Doch gerade für Mädchen, die in die Pubertät kommen, [1][bedeuten fehlende
Toiletten oft das Ende ihrer kontinuierlichen Ausbildung]. Binden kann sich
kaum jemand leisten. Stattdessen werden Stoffstücke genutzt, die sich
schnell vollsaugen. „Die Mädchen müssen sich entscheiden, ob sie in die
Schule gehen und dort möglicherweise von Jungs lächerlich gemacht werden.
Oder sie bleiben zu Hause, verpassen dann aber wichtigen Unterrichtsstoff
bis hin zu Prüfungen“, sagt Ayo Ogunlade, der in Abuja für die
nichtstaatliche Organisation WaterAid arbeitet.
Auch Lehrer*innen fehlt es oft an der nötigen Sensibilität. Nigeria ist
ohnehin schon seit Jahren das Land mit der höchsten Zahl an Kindern, die
nicht in die Schule gehen. Unicef spricht mittlerweile von 13,2 Millionen.
Dabei hat das Land von Präsident Muhammadu Buhari Großes vor. 2016 wurde
ein Zehn-Jahres-Plan entwickelt, damit es 2025 ODF ist, open defecation
free, wie Expert*innen und Politiker*innen es nennen, wenn niemand mehr
seine Notdurft im Freien verrichtet. Motiviert hat Nigeria Indien, das
Premierminister Narendra Modi erst Anfang Oktober frei von öffentlicher
Defäkation erklärte. Das Ziel verfolgte er seit 2014 beharrlich und nutzte
die WCs sogar für seinen Wahlkampf. Wie es in Indien läuft, schaute sich
vor einem Jahr eine nigerianische Expert*innen-Delegation an. Wenig später
rief Buhari den Toilettennotstand aus. Im Wahlkampf Anfang des Jahres
machte er das jedoch nicht zum Thema.
## Privat in die Fläche
Um Nigeria zu einem ODF-Land zu erklären, sind bis 2025 knapp 2,4
Milliarden Euro nötig, heißt es im Zehn-Jahres-Plan. Davon würden 1,8
Milliarden Euro in den Bau von Latrinen in Haushalten fließen. Insgesamt
will die Regierung ein Viertel der Summe zur Verfügung stellen. Der Rest
soll privat oder mithilfe von Gebern finanziert werden. Für den
WaSH-Experten Jurji ist die Beteiligung des privaten Sektors von
entscheidender Bedeutung. „Er ist sehr lebhaft hier.“ Auch seien die
Toiletten schlichtweg ein gutes Geschäft.
[2][Um flächendeckend den Toilettenbau zu fördern], braucht es aber ein
System. „Die lokalen Autoritäten stellen Land zur Verfügung, Unicef
unterstützt den Bau des Wassersystems. Für das Unternehmen, das schließlich
baut, gibt es ein Kreditsystem sowie eine Übereinkunft, wer später für die
Unterhaltung verantwortlich ist“, nennt Jurji ein mögliches Modell.
Für Expert*innen ist eins jedoch auch klar: Es reicht nicht aus, WCs
einfach hinzustellen. Vielmehr braucht es groß angelegte Kampagnen, um
Gewohnheiten zu ändern und so die öffentliche Defäkation zu beenden. „Es
ist denkbar, dass es Werbung auf Shampooflaschen und Seifen gibt und
Mobilfunkanbieter SMS verschicken“, so Jurji. Letzteres ist längst ein
beliebtes und oft genutztes Werbemittel.
In Nigeria könnte wiederum das Geld ein entscheidender Faktor sein. 2012
schätzte die Weltbank, dass das Land jährlich gut 1,1 Millionen Euro
aufgrund mangelnder Sanitäranlagen verliert. Krankheiten wie Durchfall sind
die Folge. Letztendlich verursacht der Toilettenmangel viel Stress, sagt
Toilettenbetreiber Ibrahim Abubakar. „Wenn ich auf dem Land unterwegs bin,
kann ich ins Gebüsch gehen. In der Stadt geht das nicht. Wenn es also ganz
schlecht läuft, bleibt mir nur übrig, an einer Haustür zu klopfen und zu
fragen, ob ich die Toilette mal nutzen kann.“
19 Nov 2019
## LINKS
[1] /Politikerinnenbesuche-in-Westafrika/!5638137
[2] https://www.welttoilettentag.de/
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Nigeria
Frauenrechte
Toilette
Gender
Geflüchtete Frauen
Schwerpunkt Flucht
Nigeria
Schule
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