# taz.de -- Gewalt gegen Schiedsrichter: Ich will den schlagen! | |
> Der Angriff auf einen Schiri beim BSV Al-Dersimspor löst einen Streik der | |
> Unparteiischen und eine Debatte aus. Dabei geht es auch um Rassismus. | |
Bild: Reden hilft: die Spieler des TSV Heimerdingen (Baden-Württemberg) äuße… | |
Das Spiel, über das später alle schreiben werden, beginnt in der Erinnerung | |
von Stefan Paffrath eigentlich gut für den BSV Al-Dersimspor. Gegen den | |
Frohnauer SC in der Berlin-Liga liegt man zur Halbzeit überraschend mit 2:0 | |
in Führung. Dann wendet sich an diesem 22. September, wie so oft im | |
Fußball, das Glück: Al-Dersimspor kassiert kurz nach der Pause den | |
Anschlusstreffer, danach eine Gelb-Rote Karte. | |
Schiedsrichter Stefan Paffrath sagt im Nachhinein: „Ab dem Platzverweis | |
waren die Spieler für mich kommunikativ nicht mehr erreichbar. Sie waren | |
der Ansicht, dass ich sie mit Absicht benachteilige. Das war festgefahren.“ | |
Paffrath ist ein erfahrener Schiedsrichter, seit 22 Jahren tätig. Wenige | |
Wochen zuvor hatte er erst bei Al-Dersimspor gepfiffen, eine nicht einfache | |
Partie gegen den TuS Makkabi. Alles verlief ruhig. Das Spiel Al-Dersimspor | |
gegen Frohnauer SC aber eskaliert. | |
Vier Platzverweise verteilt Paffrath gegen die Heimmannschaft. Dann, auf | |
dem Weg in die Kabine, schlägt ein langjähriger Spieler des Vereins den | |
Schiedsrichter ins Gesicht. Er wird noch von Vereinsmitarbeitern | |
zurückgehalten, der Spieler sei vollkommen außer sich gewesen, soll gerufen | |
haben: „Ich habe ihn nicht genug getroffen!“ Al-Dersimspor bestätigt im | |
Wesentlichen die Darstellung, bloß soll der Spieler gerufen haben: „Lass | |
mich los, ich will den schlagen!“ | |
Der Täter wird vom Klub suspendiert. Die Geschichte geht groß durch die | |
Presse, die Berliner Schiedsrichter boykottieren zunächst Spiele von | |
Al-Dersimspor, und einige fordern im anschließenden Sportgerichtsurteil | |
Härte, eine Sperre für den ganzen Verein. Gesperrt aber wird nur der | |
Spieler. Es ist der zweite heftige Vorfall in der Berlin-Liga in dieser | |
Saison. Am Wochenende vom 26./27. Oktober [1][streiken die Berliner | |
Schiedsrichter unterhalb der Oberliga]; es geht ihnen grundsätzlich um die | |
Gewalt auf Berliner Fußballplätzen, aber der Fall Al-Dersimspor dürfte ein | |
Auslöser gewesen sein. Vermeintlich ist seine Deutung klar. Aber die | |
Realität ist komplex. | |
## Steigender Druck in der Arbeitswelt | |
Stefan Paffrath klingt nachdenklich, eher nicht wie ein Law-and-Order-Typ. | |
Im normalen Leben ist er Lehrer in Neukölln, zwischen Schule, Elternabend | |
und Ehrenamt nimmt er sich Zeit für ein Gespräch über die Entwicklung im | |
Fußball. In der Berlin-Liga seien krasse Gewaltvorfälle eine Ausnahme, und | |
überhaupt, er habe sich noch nie unsicher auf dem Platz gefühlt. | |
Trotzdem hat Paffrath das Gefühl, dass es ein Problem gebe im Fußball. Vor | |
allem in den untersten Ligen im Männerbereich gebe es viel verbale und | |
physische Gewalt, in allen Altersstufen, selbst bei den Senioren; Paffrath | |
berichtet auch von Eltern, die den Schiri bedrohen oder am Spielfeldrand | |
aufeinander losgehen. | |
Warum all das? „Die logische Erklärung für mich ist, dass der Druck aus der | |
Arbeitswelt auf die Erwachsenen steigt. Man sucht sich ein Ventil. Es gibt | |
außerdem einen Hang dazu, komplexen Situationen mit einfachen Lösungen zu | |
begegnen, das kennen wir aus den sozialen Medien. Dann sind Schiedsrichter | |
oder Gegner an allem schuld. Egoismus und Individualismus nehmen zu, das | |
eigene Kind gilt als bedingungslos schützenswert.“ | |
Als er angefangen habe, berichtet Paffrath, habe es in Deutschland 80.000 | |
SchiedsrichterInnen gegeben. Derzeit seien es nur noch 56.000. „Auch das | |
hat mit der Ego-Kultur zu tun.“ Weniger Lust auf Ehrenamt, weniger Zeit, | |
mehr Individualismus. Und auch: Sorge vor Aggression. Was Paffrath sagt, | |
hört man von vielen Vereinsvertreterinnen. | |
## Gewalt wird sichtbarer | |
Aber [2][steigende Gewalt], stimmt das? 109 Vorfälle von Gewalt und | |
Diskriminierung nennt der Vorsitzende des Schiedsrichterbereiches für | |
Berlin, Jörg Wehling, für diese Saison, davon 53 gegen Schiris, das sei ein | |
Anstieg gegenüber der Vorsaison. Zu langfristigen großräumigen Tendenzen | |
gibt es jedoch fast keine Daten, und wenn, sagen sie eher Anderes. Die | |
Forscherin Thaya Vester, die 2011/12 und 2016/17 SchiedsrichterInnen in | |
Baden-Württemberg befragte, ermittelte, dass Gewalt gegen Schiris dort auf | |
konstantem Level blieb. Subjektiv fanden sogar mehr Befragte, die Lage habe | |
sich verbessert. | |
Eine Studie von 2013, bei der annähernd 5.000 RegelhüterInnen | |
deutschlandweit befragt wurden, kam auf etwas schlechtere Werte bei | |
Beleidigungen und Drohungen; aber die Mehrheit der Befragten erlebte selten | |
Beleidigungen und war noch nie Opfer körperlicher Gewalt geworden. Dennoch: | |
insgesamt führten die StudienteilnehmerInnen 587 Androhungen körperlicher | |
Gewalt, 87 Morddrohungen und 295 versuchte tätliche Angriffe auf. Ältere | |
Zahlen fehlen. | |
Die Studie von 2013 schreibt auch: es werde mehr gesprochen über Gewalt als | |
früher. Sie werde weniger akzeptiert. Sie ist durch Handyaufnahmen und | |
soziale Medien sichtbarer, und durch Onlineberichterstattung verbreitet | |
sich ein lokaler Fall aus Hessen bis nach Berlin. So könnte es sein, dass | |
Gewalt gegen Schiris in Deutschland gefühlt zunimmt, tatsächlich aber | |
konstant bleibt oder gar sinkt. Belegen lässt sich noch wenig. Vielleicht | |
wäre der Streik dann eher ein Zeichen dafür, dass man mehr spricht heute. | |
Es gibt allerdings auch Dinge, wo Sprache an Grenzen stößt. Wie im Fall | |
Al-Dersimspor. | |
Erdal Güncü will gar nicht so viel über den Schiri-Streik reden. Der | |
sportliche Leiter von Al-Dersimspor, früher Trainer des Teams und ebenfalls | |
Lehrer, möchte vor allem darüber sprechen, dass sich sein Verein ungerecht | |
behandelt fühlt. „Insgesamt fühlt es sich so an, als ob wir der | |
Hauptschuldige seien für den Streik, was eigentlich nicht stimmt. Wir | |
wurden sehr viel in den Medien klein gemacht.“ | |
Der Angriff gegen Stefan Paffrath, natürlich sei das nicht in Ordnung. „Wir | |
waren sehr schockiert, wir haben alle schlecht geschlafen.“ Aber die | |
Schlagzeilen täten ihnen unrecht. Dass die Verantwortlichen Schlimmeres | |
verhinderten, dass es im Verein seit 2013 keinen größeren Vorfall gegeben | |
habe, sei kaum erwähnt worden. Und oft schwingt der Vorwurf mit: weil sie | |
BSV Al-Dersimspor heißen, und nicht Frohnauer SC. „Es ist immer nur von | |
Migrantenvereinen die Rede. Für die Boulevardpresse und die Populisten ist | |
das ein gefundenes Fressen.“ Von Spielabbrüchen wegen Teams mit deutschem | |
Namen rede in Berlin keiner. | |
Rassismus bei Schiedsrichtern | |
Die Hauptstadt steht häufig an der Spitze, was [3][Gewalt im | |
Amateurfußball] angeht. Und in der Berlin-Liga, so sagt es Güncü, stehen | |
von vier türkisch geprägten Vereinen drei weit unten im Fairplay-Ranking. | |
Warum ist das so? Und wie darüber sprechen? Kulturelle Unterschiede, | |
gesellschaftliche Spannungen und Frustration, Vorurteile oft weißer | |
Schiedsrichter, es ist ein Minenfeld. | |
Es gibt noch eine Ebene der Partie gegen Frohnau. Stefan Paffrath sagt: die | |
Spieler von Al-Dersimspor hätten geglaubt, sie würden von ihm rassistisch | |
benachteiligt. Er berichtet von Facebook-Hasskommentaren und Drohbriefen | |
gegen seine Person, von Kommentaren, der Verband wolle migrantische Vereine | |
nicht haben. Ihn, den Ehrenamtler und Lehrer, kränkte „der Nazi-Vorwurf“. | |
Er räumt aber ein: „Natürlich kommen Vorurteile bei Schiedsrichtern vor. | |
Mir sind oft Kommentare unter Kollegen begegnet wie: schon wieder der und | |
der Verein. Oder: du musst dahin? Na dann mal viel Spaß. Das ist immer an | |
der Grenze zur Voreingenommenheit.“ Über Rassismus bei Schiedsrichtern wird | |
fast nie gesprochen, ein Bewusstsein fehlt. | |
Auch Erdal Güncü sagt, sie hätten Hassmails bekommen. Von anonymen Rechten. | |
Den Rassismusvorwurf, sagt er, habe es seitens der Spieler nicht gegeben. | |
Doch zugleich spricht aus vielen Sätzen Güncüs Kränkung über anderweitig | |
erlittenen Rassismus. „Der Rechtsruck findet sich auch auf dem Platz“, | |
berichtet er. | |
Er erzählt von diskriminierenden Provokationen durch gegnerische Trainer, | |
von aus seiner Sicht überharten Schiedsrichtern, die beim ersten Foul bei | |
türkischstämmigen Vereinen Gelb ziehen würden, vielleicht aus eigener | |
Unsicherheit, weil in einigen türkisch-deutschen Teams „zugegeben etwas | |
mehr diskutiert wird“. | |
Aus seiner Sicht erkläre dies das Fairness-Ranking. „Die Schiedsrichter | |
haben einen Anteil am Problem.“ Zugleich dürfte ein solches „Wir gegen die… | |
eine trotzige Opferhaltung bei den Spielern verschärfen, ist möglicherweise | |
auch zu vereinfachend. Die sozialen Spannungen halb Berlins in einem Spiel, | |
die Gemengelage ist kompliziert. | |
## Einigung auf Maßnahmen | |
Der Berliner Fußball-Verband hat angekündigt, auf die Forderungen der | |
Schiedsrichter einzugehen, verpflichtende Ordner und professionellere | |
Sportgerichtsbarkeit könnte es geben. Am 16. November sollen Maßnahmen | |
beschlossen werden. Auch Erdal Güncü sagt, er finde es gut, dass die | |
Schiedsrichter streiken. „Jetzt muss von Verband und Vereinen was | |
passieren.“ Vielleicht wichtiger noch: der BSV Al-Dersimspor und Stefan | |
Paffrath haben sich auf Maßnahmen geeinigt. Er wird im Verein eine | |
Regelschulung geben, persönlich, auch, um „glaubhaft zu machen, dass ich | |
kein Nazi bin“. | |
Und gemeinsam werden die Schiedsrichter-Lehrgemeinschaft Kreuzberg und | |
möglichst viele Mitglieder von Al-Dersimspor ein mentales interkulturelles | |
Coaching absolvieren, Paffrath hatte das vorgeschlagen. „Ich fand es gut, | |
dass er auf uns zugegangen ist“, sagt Erdal Güncü. Mehr interkulturelle | |
Kompetenz, Vorurteile abbauen, Verständnis lernen, das fordern beide. | |
Das gemeinsame Engagement, das ist spürbar, ist noch wackelig, die Gräben | |
tief. Das Spiel, über das alle schrieben, hat aber möglicherweise | |
tatsächlich einen bemerkenswerten Nachklang gefunden: es wird aufeinander | |
zugegangen. Vielleicht ein Vorbild. | |
3 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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