# taz.de -- Fußball-Boykott in Sachsen-Anhalt: Foul oder Rassismus | |
> Der Kreisligakicker Momodou Jawara aus Gambia steht wegen seiner harten | |
> Spielweise am Pranger. Sein Klub Blau-Weiß Grana spricht von Rassismus. | |
Bild: Bild mit Seltenheitswert: Jawara im Einsatz für Grana. Klubvorsitzender … | |
ZEITZ/GRANA taz | „Das ist doch ein Freund von mir.“ Momodou Jawara ist | |
aufgewühlt. Er weiß: Die nächste Welle der Empörung hätte sich da gerade | |
aufbauen können. Schon wieder fühlt er sich wie auf der Anklagebank. Fast | |
alle aus seinem Team haben die Umkleidekabine bereits verlassen, der knapp | |
zwei Meter große Mann sitzt noch auf der kargen Holzbank mitten in dem | |
schmalen Raum. Die Situation von eben fasst ihn sichtlich an. | |
Exakt nach zwei Monaten hat er an diesem letzten Oktobertag zum ersten Mal | |
wieder ein Fußballspiel in der Kreisliga 2 im Burgenlandkreis für den SV | |
Blau-Weiß Grana bestreiten dürfen. | |
Hier beim VfB Zeitz in der Käthe-Kollwitz-Siedlung, im südlichsten Zipfel | |
von Sachsen Anhalt, hat der Mittelfeldspieler bis zur 90. Minute vor allem | |
auf eins geachtet: bloß niemandem im Zweikampf zu nahe zu kommen. Gleich im | |
ersten Nahduell reißt er zum Zeichen seiner Unschuld seine Arme nach oben. | |
Doch in allerletzter Minute, die Partie ist bereits zugunsten von Zeitz | |
(4:2) entschieden, kommt er zu spät und erwischt seinen Gegenspieler, der | |
sich schreiend am Boden wälzt. Ein klares Foul. | |
Ein paar Minuten später geben sich beide versöhnlich die Hand. Dennoch | |
glaubt Jawara, der 2015 aus Gambia nach Deutschland flüchtete, sich in der | |
Kabine gegen den Verdacht der Böswilligkeit verteidigen zu müssen. Er wehrt | |
sich gegen einen Ruf, der seit zwei Monaten an ihm klebt wie zähflüssiges | |
Pech und eine Liga hat entzweibrechen lassen. | |
## Forderung nach lebenslanger Sperre | |
Die gegnerischen Vereine bezichtigen ihn mehrheitlich des brutalen Spiels, | |
etliche behaupten gar, er verletzte absichtlich seine Kontrahenten. Zwei | |
Spiele von Blau-Weiß Grana wurden bereits boykottiert, weil der Name von | |
Jawara auf dem Spielberichtsbogen in der Startelf stand. Bei zwei Spielen | |
behaupteten die Gegner zuletzt, sie hätten nicht genug gesunde Spieler, um | |
anzutreten. | |
Björn Koch, Vorsitzender von Blau-Weiß Grana, sagt: „Wenn es hier nicht um | |
Momo Jawara, sondern um Max Müller ginge, wäre das Ganze nicht so | |
ausgeufert.“ Er spricht von Rassismus, mit dem der Klub konfrontiert sei, | |
seitdem man 2015 entschieden habe, sich für die Bewohner des nahe gelegenen | |
Flüchtlingsheims zu öffnen. Spieler aus 14 Nationen treten seither für | |
Grana an. Auch Jawara fühlt sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. In der | |
Kabine des VfB Zeitz mimt er einen Messerschnitt in den Unterarm und sagt: | |
„Bei mir kommt da rotes Blut raus wie bei euch. Wir sind doch alle gleich.“ | |
„Ausgeufert“ ist die Geschichte an jenem 31. August, als Grana beim VSG | |
Löbitz zu Gast war und sich Moritz Prater in einem Zweikampf mit Jawara | |
einen mehrfachen Schien- und Wadenbeinbruch zuzog. Einem halben Dutzend | |
Operationen musste sich der 17-Jährige unterziehen. Und Frank Prater, der | |
Vater von Moritz sowie Vereinsvorsitzender von VSG Löbitz, forderte | |
daraufhin eine lebenslange Sperre für den Granaer Spieler. | |
Das [1][Naumburger Tagblatt] schrieb nach der Partie, Jawara habe | |
„vorsätzlich, wie Zuschauer berichteten, […] derart brutal gefoult“. Und… | |
habe bereits drei anderen Spielern „Bein- und Knöchelbrüche zugefügt“. | |
Nicht erwähnt wurde im Spielbericht, dass sowohl die Beobachter aus Grana | |
als auch das dreiköpfige Schiedsrichtergespann den Zweikampf als | |
Pressschlag wahrgenommen hatten und es für Jawara nicht einmal eine Gelbe | |
Karte gab. Bei den Jawara zugeschriebenen Verletzungen in der Vorsaison | |
machte sich die Lokalzeitung ebenfalls ohne Gegenrecherche die Erzählungen | |
Einzelner zu eigen. | |
## Gegensätzliche Bewertungen | |
Mit Verweis auf den Artikel hetzten Rechtsextreme über die sozialen | |
Netzwerke gegen Jawara und Blau-Weiß Grana. Mit Begriffen wie „Brutalo | |
Armutsasylant“, „Missgeburt“ und „Blau-Weiß Ghana“. Der verantwortli… | |
Redakteur des Naumburger Tageblatts will kein Versagen seinerseits | |
erkennen. Er verweist auf den Aktualitätsdruck und Mangel an Zeit, die | |
Gegenseite anzuhören. Eine Woche später, berichtet Granas | |
Vereinsvorsitzender Koch, habe sich das Naumburger Tageblatt bei ihm mit | |
den Worten gemeldet, „man wolle nun einmal die Gegenseite beleuchten“. | |
Björn Koch findet die Aufregung über seinen Mitspieler unverhältnismäßig. | |
„Er ist eben ein typischer Sechser, der viele Zweikämpfe hat.“ Vom Gegner | |
VfB Zeitz kommen unterschiedliche Stimmen. Torhüter Daniel Rüdiger, der | |
früher bei Grana mit Jawara zusammen gespielt hat, ist der Ansicht, dieser | |
sei schon ein überharter Spieler. Kapitän Thomas Cruz Acosta sagt, es habe | |
in der Vergangenheit keine Probleme mit Jawara gegeben. | |
Wie eine Verbrecherakte schaut die Auflistung aus, die Frank Prater vom VSG | |
Löbitz von Jawara zusammengestellt hat und der taz zukommen lässt. Im | |
September 2018 soll er einen Schien- und Wadenbeinbruch in Hohenmölsen | |
verursacht haben, im April 2019 ein Sprunggelenkbruch im Spiel gegen | |
Döschwitz. Ebenfalls angelastet werden ihm ein Sprunggelenkbruch und zwei | |
Bänderrisse bei der Partie gegen Motor Zeitz im Juni 2019. Dazu kommt die | |
bereits erwähnte Verletzung seines Sohnes. Prater schreibt: „Wer aber in | |
aller Welt möchte gegen diesen angeblichen Fußballer spielen?“ | |
Wenn man mit Koch die Verletzungsfälle durchgeht, erscheinen sie eher wie | |
eine unglückliche Serie. In Löbitz wie auch in Hohenmölsen hat Koch einen | |
Pressschlag gesehen. Christian Nötzel, ein Spieler von Hohenmölsen, | |
erinnert sich, Koch habe damals eingeräumt, Absicht sei das nicht gewesen, | |
so etwas passiere eben beim Fußball. Im Spiel gegen Döschwitz, erzählt | |
Koch, sei er nicht Augenzeuge gewesen, aber ihm sei berichtet worden, der | |
Spieler habe sich bei einem Tritt gegen Jawara verletzt. Selbst dabei war | |
er bei der Begegnung gegen Motor Zeitz. Da sei der Spieler in Jawara | |
hineingegrätscht und habe sich dabei verletzt. Und Koch betont, in allen | |
Fällen hätten die Schiedsrichter kein Foul gesehen. | |
## Einmaliger Boykott | |
Einen Boykott gegen ein Team wegen dessen zu brutaler Spielweise gab es | |
bereits einmal vor vier Jahren in der Kreisliga Essen. Im selben Jahr | |
erwogen ein paar Mannschaften aus Sachsen-Anhalt ebenfalls einen Streik, | |
als der [2][1. FC Ostelbien Dornburg], eine Ansammlung von | |
Rechtsextremisten, immer ungezügelter auf den Plätzen auftrat. Der Klub | |
wurde jedoch zuvor verboten. Aber an einen Boykott gegen einen einzelnen | |
Spieler kann sich auch Christian Reinhardt, Geschäftsführer des | |
Fußballverbands von Sachsen-Anhalt (FSA), nicht erinnern. „Das Problem ist, | |
dass uns nicht ein Dokument vorliegt, das die vorgebrachten Fälle belegt. | |
Wir haben mehrfach darum gebeten, uns entsprechende Dokumente zukommen zu | |
lassen, so diese existieren. Das ist bis heute nicht passiert.“ | |
Nach den ersten schlagzeilenträchtigen Spielboykotten gegen Grana wurde | |
unter der Regie des Fußballlandesverbandes Sachsen-Anhalt eilends eine | |
Versammlung aller Vereinsvertreter in der Liga einberufen, um die Situation | |
zu beruhigen. Man einigte sich unter anderem auf eine verstärkte | |
Schiedsrichterpräsenz, Spielbeobachter und eine „freiwillige“ Pause Jawaras | |
für drei Spiele. Insbesondere FSA-Geschäftsführer Reinhardt beschwor den | |
gemeinsamen Wunsch, wieder zur Normalität zurückzukehren, als wäre dies ein | |
fixer Ort. Es folgte ein Treffen der Spielführer, bei dem man sich auf | |
deeskalierende Kennenlerngespräche mit Jawara vor Anpfiff verständigte. | |
Doch mitten in diese Friedensbemühungen hinein sperrte das Sportgericht des | |
Kreisfachverbands Jawara für ein Jahr. Einer der viel besprochenen alten | |
Fälle wurde dafür aufgerollt. In der Rückrunde der vergangenen Saison soll | |
Momodou Jawara, als er nach einer Gelb-Roten Karte vom Platz ging, einem | |
Spieler vom TSV Tröglitz mit offener Sohle in den Rücken gesprungen sein. | |
Das Gericht begründete die Wiederaufnahme des Falls mit einer neuen | |
Beweislage. | |
Die Vertreter von Grana hätten das Vergehen von Jawara mittlerweile | |
öffentlich eingestanden. Bei Blau-Weiß Grana bestreitet man das und legte | |
wie auch der FSA Protest gegen das Urteil ein. In der Berufungsverhandlung | |
am Mittwoch wurde das Urteil wegen „Verfahrensmängeln“ aufgehoben und zur | |
Neuverhandlung an das Kreissportgericht Burgenland zurückverwiesen. Momodou | |
Jawara bleibt vorerst spielberechtigt. | |
## Verletzt vom Rassismusvorwurf | |
Der TSV Tröglitz war es auch, der Anfang September die erste Partie gegen | |
Grana nach dem Vorfall in Löbitz boykottierte. In einer [3][Erklärung] | |
führte man an, es sei nicht hinnehmbar, „dass Spieler absichtlich verletzt | |
werden“. Bebildert wurde das Schreiben mit einem Piktogramm, das einen | |
durchgestrichenen schwarzen fußballspielenden Mann auf einem Verbotsschild | |
zeigt. Im Nu mussten sich auch die Tröglitzer mit Rassismusvorwürfen | |
auseinandersetzen. | |
Den ehemaligen Sektionsleiter Jörg Heinold und den für das Piktogramm und | |
Öffentlichkeitsarbeit verantwortliche Christoph Rother macht das | |
fassungslos. Nach einigen Zweifeln und einem Tag Bedenkzeit haben sie für | |
ein Gespräch in Grana zugesagt. Rother stellt klar: „Wir haben uns in | |
unserer Erklärung ausdrücklich von Rassismus distanziert. Dass unsere | |
Aussagen einfach ignoriert werden und nur das Piktogramm thematisiert wird, | |
verletzt mich.“ | |
Das Bild sei der erste Treffer bei der Google-Suche mit den Stichworten | |
Fußball und Boykott gewesen. Der Student fährt regelmäßig aus Berlin zu den | |
Spielen in seine alte Heimat. Und er hebt hervor, dass er seine Reisen auch | |
als ein Stück Aufklärungsarbeit betrachtet. „Ich bemühe mich, hier etwas zu | |
bewirken, klar Position zu beziehen, wenn mal ausländerfeindliche | |
Äußerungen kommen.“ Nach der Kritik in den letzten Wochen habe er sich im | |
ersten Moment überlegt, ob er sich diesen Aufwand noch antun wolle. | |
Ins falsche Licht gerückt sieht sich auch sein Teamkollege Heinold. Im Jahr | |
2015 war er ein gefragter Mann, als bundesweit die Medien den TSV Tröglitz | |
für seine Integrationsarbeit feierten. Wöchentlich wurde damals im Dorf | |
gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft demonstriert, bevor sie durch | |
einen Brandanschlag unbewohnbar gemacht wurde. Heinold erinnert sich: | |
„Nachdem damals die Bild-Zeitung mit der Überschrift ‚Dorf der Schande‘ | |
aufmachte, wollten wir ein Zeichen für ein anderes Tröglitz | |
setzen.“Flüchtlinge wurden ausdrücklich willkommen geheißen im Verein. | |
## Vielsagende Wahlergebnisse | |
In den aktiven Spielbetrieb seien vier bis fünf Flüchtlinge integriert | |
worden, am Training hätten sich noch mehr beteiligt. Geblieben ist von | |
damals indes keiner. Tröglitz sei nicht attraktiv für Flüchtlinge gewesen, | |
erklärt Heinold, sie würden größere Städte bevorzugen. | |
Dass er nun wegen der Boykottmaßnahmen gegen Jawara ein gefragter Mann ist, | |
gefällt Heinold überhaupt nicht. „Natürlich gibt es hier einen | |
Alltagsrassismus“, räumt er ein. „Sie brauchen sich doch nur die | |
Wahlergebnisse in der Region anzuschauen.“ Er spielt auf die großen | |
AfD-Stimmenanteile an. Bei der Landtagswahl 2016 kam die Partei in Tröglitz | |
auf gut 32 Prozent, in Sachsen-Anhalt auf 24,3 Prozent. Die Geschichte mit | |
Jawara will er aber auf einer Ebene verortet wissen, wo es nur um Fußball | |
geht. „Das hat mit Rassismus überhaupt nichts zu tun. Es geht allein um das | |
Auftreten des Spielers. Man muss die beiden Themen voneinander trennen.“ | |
Der Verein habe damals, als Jawara „völlig von Sinnen“ einen Tröglitzer v… | |
hinten angesprungen hatte, ein Beweisfoto von dem Stollenabdruck auf dem | |
Rücken an das Sportgericht geschickt, passiert sei aber nichts. „Es gibt | |
die Wahrnehmung hier, dass der Verband auch Angst hat, des Rassismus | |
bezichtigt zu werden.“ Das jüngste Urteil des Sportgerichts, die | |
Maximalstrafe von einem Jahr Sperre für Jawara, stützt diese Wahrnehmung | |
wiederum eher nicht. | |
Doch warum ist die Sache erst jetzt eskaliert? Warum hat keiner der Vereine | |
versucht, die angebliche Überhärte von Jawara vorher zu thematisieren? | |
Heinold sagt: „Der Artikel im Naumburger Tageblatt hat erst Transparenz | |
geschaffen. Wir wussten nicht, dass andere Vereine ähnliche Erfahrungen mit | |
dem Spieler gemacht haben.“ | |
## Problematische Vermengung | |
Es bleibt indes der Eindruck: Geschichten werden zusammengemischt, die | |
nicht unbedingt zusammengehören. Das offenbar indiskutable Verhalten von | |
Jawara in Tröglitz, das von Grana zumindest nie ausgeschlossen wurde und | |
das der damals anwesende Trainer des VfB Zeitz, Mario Fröhlich, gegenüber | |
der taz bezeugt, wird mit vielleicht diskutablen Zweikämpfen in | |
Zusammenhang gebracht. | |
Die Frage, die Björn Koch von Blau-Weiß Grana gestellt hat, drängt sich | |
auf. Wäre das Gleiche mit einem Max Müller passiert? Hätte sich gegen einen | |
Ortsansässigen, der in diesem oder jenem Dorf einen Bekannten, | |
Arbeitskollegen, Schulkameraden oder Freund hat, eine so breite Koalition | |
gebildet? Heinold sagt, die Frage sei müßig. Es könne schon sein, dass bei | |
einem Max Müller alles anders gelaufen wäre. | |
Ein wenig scheint man beim TSV Tröglitz über die Eskalation selbst | |
erschrocken zu sein. Zurückrudern ist angesagt. Heinold erklärt: „Die | |
Entscheidung mit dem Boykott ist richtig gewesen, aber jetzt ist es Zeit, | |
ein anderes Zeichen zu setzen. Wir wollen, dass wieder Normalität | |
einkehrt.“ | |
Der Graben, der sich zwischen Grana und dem Rest der Liga nicht erst wegen | |
Momodou Jawara aufgetan hat, scheint allerdings nur noch schwer zu | |
überbrücken sein. Beim Spiel zwischen dem VfB Zeitz und Blau-Weiß Grana | |
steht ein Vertreter eines anderen Klubs in der Liga am Seitenrand und macht | |
aus seiner Verärgerung – nur unter Zusicherung der Anonymität – keinen | |
Hehl. „Grana zieht immer die Rassismuskarte, wenn sie ein Problem haben. | |
Sie machen sich vom Täter zum Opfer. Man muss die doch kritisieren dürfen. | |
Es kann ja sein, dass da mal einem Zuschauer nach ein paar Bier etwas | |
rausrutscht. In dem Fall aber ist der arme Junge aus Löbitz das Opfer. Wie | |
es dem geht, fragt keiner.“ | |
## Zwei, drei Ausländer sind genug | |
Sein Stehnachbar, ein Schiedsrichter aus dem Burgenkreisland, fordert ihn | |
auf: „Zeig ihm doch das Bild!“ Wie sich herausstellt, meint er das | |
Röntgenbild von Moritz Praters Bein. Der Vereinsvertreter kommt der | |
Aufforderung nicht nach. Ohne Erlaubnis des Jungen könne man das nicht | |
machen, sagt er. Darauf sehen könne man aber, dass es sich kaum um einen | |
Pressschlag gehandelt haben könne. Das sei auch die Meinung der | |
behandelnden Ärzte. Wie seriös eine solche Einschätzung ist, konnte die taz | |
auch auf Nachfrage bei Experten nicht in Erfahrung bringen. Offenkundig | |
ist: Die Verbreitung des Röntgenbilds erhitzt weiter die Gemüter. | |
Einigen ist nicht nur Jawara, sondern auch der Verein mit seiner Offenheit | |
ein Dorn im Auge. Der namenlos bleiben wollende Vereinsvertreter am | |
Spielfeldrand sagt: „Zwei, drei Ausländer pro Mannschaft sind ja okay, aber | |
wenn man es so wie Grana macht, geht die regionale Identität verloren.“ | |
Der Druck von außen stärkt indes den Zusammenhalt bei Blau-Weiß Grana. „Der | |
Verein ist in den letzten Wochen politischer und kritischer geworden“, | |
resümiert Vorsitzender Björn Koch und gibt ein Beispiel. „Einem im Team, | |
der politisch eher rechts anzusiedeln ist, wurden Schläge angedroht, weil | |
er sich vor einen Spieler stellt, der schwarz ist. Das hat ihn nachdenklich | |
gemacht.“ | |
Das Besondere in Grana ist, dass die Integration der Flüchtlinge nicht | |
linksalternativen Grundüberzeugungen, sondern Überlegungen der | |
Zweckmäßigkeit entsprungen ist. Zunehmend haben Teams im ländlichen Raum | |
Probleme, eine eigene Mannschaft zusammenzubringen. Es entstehen immer mehr | |
Spielgemeinschaften. Blau-Weiß Grana dagegen kann weiter zwei | |
Erwachsenenteams stellen, deren Spieler zu je 50 Prozent aus der Region und | |
aus dem Ausland stammen. | |
## Kein Zurück zur Normalität | |
Björn Koch und Kapitän Johannes Hegerer, die derzeit nach außen hin das | |
Projekt Grana und Momodou Jawara in Schutz nehmen, passen ebenso wenig in | |
ein linkes Klischee. Koch arbeitet als Kreditvermittler, Hegerer ist | |
Polizist. Im Verein sind sie in andere Rollen hineingewachsen. Hegerer | |
sagt: „Mittlerweile sind wir hier mehr Sozialarbeiter. Wir vermitteln Jobs | |
und kennen uns gut im Asylrecht aus.“ Die Spieler kommen unter anderem aus | |
Syrien, Afghanistan, Benin, Gambia, Vietnam, Bulgarien und Rumänien. Bis | |
vor Kurzem war das außerhalb des Burgenkreislands nur wenigen bekannt. „Wir | |
haben das nicht an die große Glocke gehängt“, sagt Koch. | |
Die Zeit der leisen Töne ist für ihn aber vorbei. „Wir waren jahrelang | |
ruhig. Wir sind immer dazu aufgefordert worden, ruhig zu bleiben, wenn | |
rassistische Bemerkungen fallen. Wir sind von Zuschauern als | |
„Negertretertruppe“ oder „Spucktruppe“ bezeichnet worden, die doch zur�… | |
in den Dschungel gehen solle. Zaungäste haben Spielern von uns ins Gesicht | |
geschlagen. In Hohenmölsen hat man Steine nach uns geworfen.“ Letzteren | |
Vorfall bat man den Schiedsrichter in den Spielbericht aufzunehmen. Der gab | |
zur Antwort, das mache er nicht, er könne doch nicht alles aufschreiben. | |
Vielleicht hat man in Grana zu lange geschwiegen, dass nun so geballt | |
zusammenkommt, was andere tunlichst lieber trennen würden: der Rassismus | |
und die beklagte zu rabiate Spielweise von Momodou Jawara. Koch sagt: „Die | |
haben nicht damit gerechnet, dass wir uns öffentlich wehren. Und das werden | |
wir weiter tun. “ Er meint damit, dass man künftig alle zweifelhaften | |
Vorfälle vor das Sportgericht bringen und sich nicht mehr von den | |
Sportrichtern gängeln lassen werde. Jüngstes Beispiel: Ein Spieler von | |
Grana wurde nach Schilderung von Koch wegen eines leichten Schubsers für | |
sechs Wochen gesperrt. Er nahm das als Racheakt der lokalen | |
Fußballfunktionäre wahr, denen die neue widerspenstige Haltung des Vereins | |
missfällt, und legte erfolgreich Berufung ein. Die zweite Instanz | |
reduzierte die Strafe auf zwei Wochen. | |
Ein Zurück zur Normalität kann es in der Kreisliga des Burgenlandkreises | |
möglicherweise deshalb nicht geben, weil einiges, was eigentlich nicht | |
normal sein sollte, in der Vergangenheit verschwiegen wurde. Nachdem Jawara | |
gegen den VfB Zeitz wieder einmal Fußball spielen konnte, trat vergangenes | |
Wochenende das zweite Team von Motor Zeitz zum Ligaspiel gegen Grana nicht | |
an. Es seien zu viele krank, hieß es. Der Vereinsvorsitzende von Motor | |
Zeitz, Andre Schärschmidt, erklärt, er sei verärgert. Erst eine halbe | |
Stunde vor Spielbeginn habe ihm das Team Bescheid gegeben, das sei sonst so | |
nicht üblich. Offenbar sind einige erst Minuten vor Anpfiff erkrankt. Das | |
Theater geht weiter, obwohl die den Vereinen versprochene Schutzmaßnahmen | |
wie verstärkter Einsatz von Schiedsrichtern und Spielbeobachtern schon | |
greifen. | |
Jawara selbst scheint zu müde zu sein für den anstehenden Kampf – trotz all | |
der Solidarität, die er im Verein erfährt. Beim VfB Zeitz hat ein | |
Grana-Anhänger ein Styroporstück am Spielfeldrand befestigt, auf dem „Wir | |
sind Momo“ steht. „Das ist wie eine Familie für mich“, sagt Jawara zwar, | |
aber er wirkt geradezu erleichtert, als er erklärt: „Das ist sowieso meine | |
letzte Saison. Meine Frau bekommt ein Kind. Ich werde aufhören.“ | |
9 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.naumburger-tageblatt.de/sport/lokalsport-saale-unstrut/fussball… | |
[2] /Rechtsextremismus-im-Fussball/!5013973 | |
[3] https://tsv-troeglitz.de/2019/09/07/1-mannschaft-boykott-gegen-blau-weiss-g… | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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