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# taz.de -- Fußball-Boykott in Sachsen-Anhalt: Foul oder Rassismus
> Der Kreisligakicker Momodou Jawara aus Gambia steht wegen seiner harten
> Spielweise am Pranger. Sein Klub Blau-Weiß Grana spricht von Rassismus.
Bild: Bild mit Seltenheitswert: Jawara im Einsatz für Grana. Klubvorsitzender …
Zeitz/Grana taz | „Das ist doch ein Freund von mir.“ Momodou Jawara ist
aufgewühlt. Er weiß: Die nächste Welle der Empörung hätte sich da gerade
aufbauen können. Schon wieder fühlt er sich wie auf der Anklagebank. Fast
alle aus seinem Team haben die Umkleidekabine bereits verlassen, der knapp
zwei Meter große Mann sitzt noch auf der kargen Holzbank mitten in dem
schmalen Raum. Die Situation von eben fasst ihn sichtlich an.
Exakt nach zwei Monaten hat er an diesem letzten Oktobertag zum ersten Mal
wieder ein Fußballspiel in der Kreisliga 2 im Burgenlandkreis für den SV
Blau-Weiß Grana bestreiten dürfen.
Hier beim VfB Zeitz in der Käthe-Kollwitz-Siedlung, im südlichsten Zipfel
von Sachsen Anhalt, hat der Mittelfeldspieler bis zur 90. Minute vor allem
auf eins geachtet: bloß niemandem im Zweikampf zu nahe zu kommen. Gleich im
ersten Nahduell reißt er zum Zeichen seiner Unschuld seine Arme nach oben.
Doch in allerletzter Minute, die Partie ist bereits zugunsten von Zeitz
(4:2) entschieden, kommt er zu spät und erwischt seinen Gegenspieler, der
sich schreiend am Boden wälzt. Ein klares Foul.
Ein paar Minuten später geben sich beide versöhnlich die Hand. Dennoch
glaubt Jawara, der 2015 aus Gambia nach Deutschland flüchtete, sich in der
Kabine gegen den Verdacht der Böswilligkeit verteidigen zu müssen. Er wehrt
sich gegen einen Ruf, der seit zwei Monaten an ihm klebt wie zähflüssiges
Pech und eine Liga hat entzweibrechen lassen.
## Forderung nach lebenslanger Sperre
Die gegnerischen Vereine bezichtigen ihn mehrheitlich des brutalen Spiels,
etliche behaupten gar, er verletzte absichtlich seine Kontrahenten. Zwei
Spiele von Blau-Weiß Grana wurden bereits boykottiert, weil der Name von
Jawara auf dem Spielberichtsbogen in der Startelf stand. Bei zwei Spielen
behaupteten die Gegner zuletzt, sie hätten nicht genug gesunde Spieler, um
anzutreten.
Björn Koch, Vorsitzender von Blau-Weiß Grana, sagt: „Wenn es hier nicht um
Momo Jawara, sondern um Max Müller ginge, wäre das Ganze nicht so
ausgeufert.“ Er spricht von Rassismus, mit dem der Klub konfrontiert sei,
seitdem man 2015 entschieden habe, sich für die Bewohner des nahe gelegenen
Flüchtlingsheims zu öffnen. Spieler aus 14 Nationen treten seither für
Grana an. Auch Jawara fühlt sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. In der
Kabine des VfB Zeitz mimt er einen Messerschnitt in den Unterarm und sagt:
„Bei mir kommt da rotes Blut raus wie bei euch. Wir sind doch alle gleich.“
„Ausgeufert“ ist die Geschichte an jenem 31. August, als Grana beim VSG
Löbitz zu Gast war und sich Moritz Prater in einem Zweikampf mit Jawara
einen mehrfachen Schien- und Wadenbeinbruch zuzog. Einem halben Dutzend
Operationen musste sich der 17-Jährige unterziehen. Und Frank Prater, der
Vater von Moritz sowie Vereinsvorsitzender von VSG Löbitz, forderte
daraufhin eine lebenslange Sperre für den Granaer Spieler.
Das [1][Naumburger Tagblatt] schrieb nach der Partie, Jawara habe
„vorsätzlich, wie Zuschauer berichteten, […] derart brutal gefoult“. Und…
habe bereits drei anderen Spielern „Bein- und Knöchelbrüche zugefügt“.
Nicht erwähnt wurde im Spielbericht, dass sowohl die Beobachter aus Grana
als auch das dreiköpfige Schiedsrichtergespann den Zweikampf als
Pressschlag wahrgenommen hatten und es für Jawara nicht einmal eine Gelbe
Karte gab. Bei den Jawara zugeschriebenen Verletzungen in der Vorsaison
machte sich die Lokalzeitung ebenfalls ohne Gegenrecherche die Erzählungen
Einzelner zu eigen.
## Gegensätzliche Bewertungen
Mit Verweis auf den Artikel hetzten Rechtsextreme über die sozialen
Netzwerke gegen Jawara und Blau-Weiß Grana. Mit Begriffen wie „Brutalo
Armutsasylant“, „Missgeburt“ und „Blau-Weiß Ghana“. Der verantwortli…
Redakteur des Naumburger Tageblatts will kein Versagen seinerseits
erkennen. Er verweist auf den Aktualitätsdruck und Mangel an Zeit, die
Gegenseite anzuhören. Eine Woche später, berichtet Granas
Vereinsvorsitzender Koch, habe sich das Naumburger Tageblatt bei ihm mit
den Worten gemeldet, „man wolle nun einmal die Gegenseite beleuchten“.
Björn Koch findet die Aufregung über seinen Mitspieler unverhältnismäßig.
„Er ist eben ein typischer Sechser, der viele Zweikämpfe hat.“ Vom Gegner
VfB Zeitz kommen unterschiedliche Stimmen. Torhüter Daniel Rüdiger, der
früher bei Grana mit Jawara zusammen gespielt hat, ist der Ansicht, dieser
sei schon ein überharter Spieler. Kapitän Thomas Cruz Acosta sagt, es habe
in der Vergangenheit keine Probleme mit Jawara gegeben.
Wie eine Verbrecherakte schaut die Auflistung aus, die Frank Prater vom VSG
Löbitz von Jawara zusammengestellt hat und der taz zukommen lässt. Im
September 2018 soll er einen Schien- und Wadenbeinbruch in Hohenmölsen
verursacht haben, im April 2019 ein Sprunggelenkbruch im Spiel gegen
Döschwitz. Ebenfalls angelastet werden ihm ein Sprunggelenkbruch und zwei
Bänderrisse bei der Partie gegen Motor Zeitz im Juni 2019. Dazu kommt die
bereits erwähnte Verletzung seines Sohnes. Prater schreibt: „Wer aber in
aller Welt möchte gegen diesen angeblichen Fußballer spielen?“
Wenn man mit Koch die Verletzungsfälle durchgeht, erscheinen sie eher wie
eine unglückliche Serie. In Löbitz wie auch in Hohenmölsen hat Koch einen
Pressschlag gesehen. Christian Nötzel, ein Spieler von Hohenmölsen,
erinnert sich, Koch habe damals eingeräumt, Absicht sei das nicht gewesen,
so etwas passiere eben beim Fußball. Im Spiel gegen Döschwitz, erzählt
Koch, sei er nicht Augenzeuge gewesen, aber ihm sei berichtet worden, der
Spieler habe sich bei einem Tritt gegen Jawara verletzt. Selbst dabei war
er bei der Begegnung gegen Motor Zeitz. Da sei der Spieler in Jawara
hineingegrätscht und habe sich dabei verletzt. Und Koch betont, in allen
Fällen hätten die Schiedsrichter kein Foul gesehen.
## Einmaliger Boykott
Einen Boykott gegen ein Team wegen dessen zu brutaler Spielweise gab es
bereits einmal vor vier Jahren in der Kreisliga Essen. Im selben Jahr
erwogen ein paar Mannschaften aus Sachsen-Anhalt ebenfalls einen Streik,
als der [2][1. FC Ostelbien Dornburg], eine Ansammlung von
Rechtsextremisten, immer ungezügelter auf den Plätzen auftrat. Der Klub
wurde jedoch zuvor verboten. Aber an einen Boykott gegen einen einzelnen
Spieler kann sich auch Christian Reinhardt, Geschäftsführer des
Fußballverbands von Sachsen-Anhalt (FSA), nicht erinnern. „Das Problem ist,
dass uns nicht ein Dokument vorliegt, das die vorgebrachten Fälle belegt.
Wir haben mehrfach darum gebeten, uns entsprechende Dokumente zukommen zu
lassen, so diese existieren. Das ist bis heute nicht passiert.“
Nach den ersten schlagzeilenträchtigen Spielboykotten gegen Grana wurde
unter der Regie des Fußballlandesverbandes Sachsen-Anhalt eilends eine
Versammlung aller Vereinsvertreter in der Liga einberufen, um die Situation
zu beruhigen. Man einigte sich unter anderem auf eine verstärkte
Schiedsrichterpräsenz, Spielbeobachter und eine „freiwillige“ Pause Jawaras
für drei Spiele. Insbesondere FSA-Geschäftsführer Reinhardt beschwor den
gemeinsamen Wunsch, wieder zur Normalität zurückzukehren, als wäre dies ein
fixer Ort. Es folgte ein Treffen der Spielführer, bei dem man sich auf
deeskalierende Kennenlerngespräche mit Jawara vor Anpfiff verständigte.
Doch mitten in diese Friedensbemühungen hinein sperrte das Sportgericht des
Kreisfachverbands Jawara für ein Jahr. Einer der viel besprochenen alten
Fälle wurde dafür aufgerollt. In der Rückrunde der vergangenen Saison soll
Momodou Jawara, als er nach einer Gelb-Roten Karte vom Platz ging, einem
Spieler vom TSV Tröglitz mit offener Sohle in den Rücken gesprungen sein.
Das Gericht begründete die Wiederaufnahme des Falls mit einer neuen
Beweislage.
Die Vertreter von Grana hätten das Vergehen von Jawara mittlerweile
öffentlich eingestanden. Bei Blau-Weiß Grana bestreitet man das und legte
wie auch der FSA Protest gegen das Urteil ein. In der Berufungsverhandlung
am Mittwoch wurde das Urteil wegen „Verfahrensmängeln“ aufgehoben und zur
Neuverhandlung an das Kreissportgericht Burgenland zurückverwiesen. Momodou
Jawara bleibt vorerst spielberechtigt.
## Verletzt vom Rassismusvorwurf
Der TSV Tröglitz war es auch, der Anfang September die erste Partie gegen
Grana nach dem Vorfall in Löbitz boykottierte. In einer [3][Erklärung]
führte man an, es sei nicht hinnehmbar, „dass Spieler absichtlich verletzt
werden“. Bebildert wurde das Schreiben mit einem Piktogramm, das einen
durchgestrichenen schwarzen fußballspielenden Mann auf einem Verbotsschild
zeigt. Im Nu mussten sich auch die Tröglitzer mit Rassismusvorwürfen
auseinandersetzen.
Den ehemaligen Sektionsleiter Jörg Heinold und den für das Piktogramm und
Öffentlichkeitsarbeit verantwortliche Christoph Rother macht das
fassungslos. Nach einigen Zweifeln und einem Tag Bedenkzeit haben sie für
ein Gespräch in Grana zugesagt. Rother stellt klar: „Wir haben uns in
unserer Erklärung ausdrücklich von Rassismus distanziert. Dass unsere
Aussagen einfach ignoriert werden und nur das Piktogramm thematisiert wird,
verletzt mich.“
Das Bild sei der erste Treffer bei der Google-Suche mit den Stichworten
Fußball und Boykott gewesen. Der Student fährt regelmäßig aus Berlin zu den
Spielen in seine alte Heimat. Und er hebt hervor, dass er seine Reisen auch
als ein Stück Aufklärungsarbeit betrachtet. „Ich bemühe mich, hier etwas zu
bewirken, klar Position zu beziehen, wenn mal ausländerfeindliche
Äußerungen kommen.“ Nach der Kritik in den letzten Wochen habe er sich im
ersten Moment überlegt, ob er sich diesen Aufwand noch antun wolle.
Ins falsche Licht gerückt sieht sich auch sein Teamkollege Heinold. Im Jahr
2015 war er ein gefragter Mann, als bundesweit die Medien den TSV Tröglitz
für seine Integrationsarbeit feierten. Wöchentlich wurde damals im Dorf
gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft demonstriert, bevor sie durch
einen Brandanschlag unbewohnbar gemacht wurde. Heinold erinnert sich:
„Nachdem damals die Bild-Zeitung mit der Überschrift ‚Dorf der Schande‘
aufmachte, wollten wir ein Zeichen für ein anderes Tröglitz
setzen.“Flüchtlinge wurden ausdrücklich willkommen geheißen im Verein.
## Vielsagende Wahlergebnisse
In den aktiven Spielbetrieb seien vier bis fünf Flüchtlinge integriert
worden, am Training hätten sich noch mehr beteiligt. Geblieben ist von
damals indes keiner. Tröglitz sei nicht attraktiv für Flüchtlinge gewesen,
erklärt Heinold, sie würden größere Städte bevorzugen.
Dass er nun wegen der Boykottmaßnahmen gegen Jawara ein gefragter Mann ist,
gefällt Heinold überhaupt nicht. „Natürlich gibt es hier einen
Alltagsrassismus“, räumt er ein. „Sie brauchen sich doch nur die
Wahlergebnisse in der Region anzuschauen.“ Er spielt auf die großen
AfD-Stimmenanteile an. Bei der Landtagswahl 2016 kam die Partei in Tröglitz
auf gut 32 Prozent, in Sachsen-Anhalt auf 24,3 Prozent. Die Geschichte mit
Jawara will er aber auf einer Ebene verortet wissen, wo es nur um Fußball
geht. „Das hat mit Rassismus überhaupt nichts zu tun. Es geht allein um das
Auftreten des Spielers. Man muss die beiden Themen voneinander trennen.“
Der Verein habe damals, als Jawara „völlig von Sinnen“ einen Tröglitzer v…
hinten angesprungen hatte, ein Beweisfoto von dem Stollenabdruck auf dem
Rücken an das Sportgericht geschickt, passiert sei aber nichts. „Es gibt
die Wahrnehmung hier, dass der Verband auch Angst hat, des Rassismus
bezichtigt zu werden.“ Das jüngste Urteil des Sportgerichts, die
Maximalstrafe von einem Jahr Sperre für Jawara, stützt diese Wahrnehmung
wiederum eher nicht.
Doch warum ist die Sache erst jetzt eskaliert? Warum hat keiner der Vereine
versucht, die angebliche Überhärte von Jawara vorher zu thematisieren?
Heinold sagt: „Der Artikel im Naumburger Tageblatt hat erst Transparenz
geschaffen. Wir wussten nicht, dass andere Vereine ähnliche Erfahrungen mit
dem Spieler gemacht haben.“
## Problematische Vermengung
Es bleibt indes der Eindruck: Geschichten werden zusammengemischt, die
nicht unbedingt zusammengehören. Das offenbar indiskutable Verhalten von
Jawara in Tröglitz, das von Grana zumindest nie ausgeschlossen wurde und
das der damals anwesende Trainer des VfB Zeitz, Mario Fröhlich, gegenüber
der taz bezeugt, wird mit vielleicht diskutablen Zweikämpfen in
Zusammenhang gebracht.
Die Frage, die Björn Koch von Blau-Weiß Grana gestellt hat, drängt sich
auf. Wäre das Gleiche mit einem Max Müller passiert? Hätte sich gegen einen
Ortsansässigen, der in diesem oder jenem Dorf einen Bekannten,
Arbeitskollegen, Schulkameraden oder Freund hat, eine so breite Koalition
gebildet? Heinold sagt, die Frage sei müßig. Es könne schon sein, dass bei
einem Max Müller alles anders gelaufen wäre.
Ein wenig scheint man beim TSV Tröglitz über die Eskalation selbst
erschrocken zu sein. Zurückrudern ist angesagt. Heinold erklärt: „Die
Entscheidung mit dem Boykott ist richtig gewesen, aber jetzt ist es Zeit,
ein anderes Zeichen zu setzen. Wir wollen, dass wieder Normalität
einkehrt.“
Der Graben, der sich zwischen Grana und dem Rest der Liga nicht erst wegen
Momodou Jawara aufgetan hat, scheint allerdings nur noch schwer zu
überbrücken sein. Beim Spiel zwischen dem VfB Zeitz und Blau-Weiß Grana
steht ein Vertreter eines anderen Klubs in der Liga am Seitenrand und macht
aus seiner Verärgerung – nur unter Zusicherung der Anonymität – keinen
Hehl. „Grana zieht immer die Rassismuskarte, wenn sie ein Problem haben.
Sie machen sich vom Täter zum Opfer. Man muss die doch kritisieren dürfen.
Es kann ja sein, dass da mal einem Zuschauer nach ein paar Bier etwas
rausrutscht. In dem Fall aber ist der arme Junge aus Löbitz das Opfer. Wie
es dem geht, fragt keiner.“
## Zwei, drei Ausländer sind genug
Sein Stehnachbar, ein Schiedsrichter aus dem Burgenkreisland, fordert ihn
auf: „Zeig ihm doch das Bild!“ Wie sich herausstellt, meint er das
Röntgenbild von Moritz Praters Bein. Der Vereinsvertreter kommt der
Aufforderung nicht nach. Ohne Erlaubnis des Jungen könne man das nicht
machen, sagt er. Darauf sehen könne man aber, dass es sich kaum um einen
Pressschlag gehandelt haben könne. Das sei auch die Meinung der
behandelnden Ärzte. Wie seriös eine solche Einschätzung ist, konnte die taz
auch auf Nachfrage bei Experten nicht in Erfahrung bringen. Offenkundig
ist: Die Verbreitung des Röntgenbilds erhitzt weiter die Gemüter.
Einigen ist nicht nur Jawara, sondern auch der Verein mit seiner Offenheit
ein Dorn im Auge. Der namenlos bleiben wollende Vereinsvertreter am
Spielfeldrand sagt: „Zwei, drei Ausländer pro Mannschaft sind ja okay, aber
wenn man es so wie Grana macht, geht die regionale Identität verloren.“
Der Druck von außen stärkt indes den Zusammenhalt bei Blau-Weiß Grana. „Der
Verein ist in den letzten Wochen politischer und kritischer geworden“,
resümiert Vorsitzender Björn Koch und gibt ein Beispiel. „Einem im Team,
der politisch eher rechts anzusiedeln ist, wurden Schläge angedroht, weil
er sich vor einen Spieler stellt, der schwarz ist. Das hat ihn nachdenklich
gemacht.“
Das Besondere in Grana ist, dass die Integration der Flüchtlinge nicht
linksalternativen Grundüberzeugungen, sondern Überlegungen der
Zweckmäßigkeit entsprungen ist. Zunehmend haben Teams im ländlichen Raum
Probleme, eine eigene Mannschaft zusammenzubringen. Es entstehen immer mehr
Spielgemeinschaften. Blau-Weiß Grana dagegen kann weiter zwei
Erwachsenenteams stellen, deren Spieler zu je 50 Prozent aus der Region und
aus dem Ausland stammen.
## Kein Zurück zur Normalität
Björn Koch und Kapitän Johannes Hegerer, die derzeit nach außen hin das
Projekt Grana und Momodou Jawara in Schutz nehmen, passen ebenso wenig in
ein linkes Klischee. Koch arbeitet als Kreditvermittler, Hegerer ist
Polizist. Im Verein sind sie in andere Rollen hineingewachsen. Hegerer
sagt: „Mittlerweile sind wir hier mehr Sozialarbeiter. Wir vermitteln Jobs
und kennen uns gut im Asylrecht aus.“ Die Spieler kommen unter anderem aus
Syrien, Afghanistan, Benin, Gambia, Vietnam, Bulgarien und Rumänien. Bis
vor Kurzem war das außerhalb des Burgenkreislands nur wenigen bekannt. „Wir
haben das nicht an die große Glocke gehängt“, sagt Koch.
Die Zeit der leisen Töne ist für ihn aber vorbei. „Wir waren jahrelang
ruhig. Wir sind immer dazu aufgefordert worden, ruhig zu bleiben, wenn
rassistische Bemerkungen fallen. Wir sind von Zuschauern als
„Negertretertruppe“ oder „Spucktruppe“ bezeichnet worden, die doch zur�…
in den Dschungel gehen solle. Zaungäste haben Spielern von uns ins Gesicht
geschlagen. In Hohenmölsen hat man Steine nach uns geworfen.“ Letzteren
Vorfall bat man den Schiedsrichter in den Spielbericht aufzunehmen. Der gab
zur Antwort, das mache er nicht, er könne doch nicht alles aufschreiben.
Vielleicht hat man in Grana zu lange geschwiegen, dass nun so geballt
zusammenkommt, was andere tunlichst lieber trennen würden: der Rassismus
und die beklagte zu rabiate Spielweise von Momodou Jawara. Koch sagt: „Die
haben nicht damit gerechnet, dass wir uns öffentlich wehren. Und das werden
wir weiter tun. “ Er meint damit, dass man künftig alle zweifelhaften
Vorfälle vor das Sportgericht bringen und sich nicht mehr von den
Sportrichtern gängeln lassen werde. Jüngstes Beispiel: Ein Spieler von
Grana wurde nach Schilderung von Koch wegen eines leichten Schubsers für
sechs Wochen gesperrt. Er nahm das als Racheakt der lokalen
Fußballfunktionäre wahr, denen die neue widerspenstige Haltung des Vereins
missfällt, und legte erfolgreich Berufung ein. Die zweite Instanz
reduzierte die Strafe auf zwei Wochen.
Ein Zurück zur Normalität kann es in der Kreisliga des Burgenlandkreises
möglicherweise deshalb nicht geben, weil einiges, was eigentlich nicht
normal sein sollte, in der Vergangenheit verschwiegen wurde. Nachdem Jawara
gegen den VfB Zeitz wieder einmal Fußball spielen konnte, trat vergangenes
Wochenende das zweite Team von Motor Zeitz zum Ligaspiel gegen Grana nicht
an. Es seien zu viele krank, hieß es. Der Vereinsvorsitzende von Motor
Zeitz, Andre Schärschmidt, erklärt, er sei verärgert. Erst eine halbe
Stunde vor Spielbeginn habe ihm das Team Bescheid gegeben, das sei sonst so
nicht üblich. Offenbar sind einige erst Minuten vor Anpfiff erkrankt. Das
Theater geht weiter, obwohl die den Vereinen versprochene Schutzmaßnahmen
wie verstärkter Einsatz von Schiedsrichtern und Spielbeobachtern schon
greifen.
Jawara selbst scheint zu müde zu sein für den anstehenden Kampf – trotz all
der Solidarität, die er im Verein erfährt. Beim VfB Zeitz hat ein
Grana-Anhänger ein Styroporstück am Spielfeldrand befestigt, auf dem „Wir
sind Momo“ steht. „Das ist wie eine Familie für mich“, sagt Jawara zwar,
aber er wirkt geradezu erleichtert, als er erklärt: „Das ist sowieso meine
letzte Saison. Meine Frau bekommt ein Kind. Ich werde aufhören.“
9 Nov 2019
## LINKS
[1] https://www.naumburger-tageblatt.de/sport/lokalsport-saale-unstrut/fussball…
[2] /Rechtsextremismus-im-Fussball/!5013973
[3] https://tsv-troeglitz.de/2019/09/07/1-mannschaft-boykott-gegen-blau-weiss-g…
## AUTOREN
Johannes Kopp
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