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# taz.de -- Nachwuchsprogramm für Schiedsrichter: Jungs mit Pfiff
> Schimpfende Eltern, wütende Spieler, viel Engagement: So ein Dasein als
> Kinderschiedsrichter im Amateurfußball ist oft kein Vergnügen. Ein
> Stadionbesuch in Berlin.
Bild: „Ich treffe die Entscheidungen aus dem Bauch heraus“: Dennis Blum im …
Als Dennis Blum sein erstes Spiel pfeift, ist er nicht besonders nervös. Er
fühlt sich sicher, es ist ja sein Heimplatz. Am 17. September 2016, seinem
Debüt, steht er auf dem Platz des SV Empor Berlin im Bezirk Pankow zwischen
E-Junioren, d. h. acht bis elf Jahre alten Kindern. Sie wirken aufgeregter
als er. „Oh, guck mal, wir spielen heute mit Schiedsrichter“, hört er aus
den Mannschaften.
„Die Kinder freuen sich immer, wenn ein richtiger Schiedsrichter da ist“,
sagt Dennis Blum. Denn so kleine Kinder bekommen eigentlich keinen
richtigen Unparteiischen zugeteilt, es pfeifen notdürftig Trainer oder
Eltern. Diesmal ist es anders. Der richtige Schiedsrichter, das ist er. Ein
damals 13-Jähriger – obwohl man regulärer Schiri erst ab 14 werden kann.
Aber in einem Pilotprojekt stellt Berlin seit 2015 Kinderschiedsrichter auf
den Fußballplatz.
Kinder wie Dennis pfeifen E-Junioren und -Juniorinnen sowie D-Juniorinnen
(11 bis 13 Jahre) und mit vereinfachten Regeln. Sie bekommen dafür ein
Taschengeld von 5 Euro. Und sollen so langsam an ein Hobby gewöhnt werden,
das hart sein kann: Schon im Kinderfußball schimpfen vor allem die Eltern
gern auf den Schiri ein. Im Jugendbereich kommt gerne mal körperliche und
verbale Gewalt gegen den Schiedsrichter hinzu. Und ein besonders cooles
Image hat der Schiedsrichter auch nicht gerade.
## Schon Zwölfjährige pfeifen
So hat Berlin, wie viele andere Bundesländer, ein Problem:
Schiedsrichtermangel. Nach Angaben des Berliner Fußball-Verbandes (BFV)
werden jedes Wochenende rund 1.600 Partien im Amateurfußball angepfiffen.
Demgegenüber stehen allerdings nur circa 1.200 Schiedsrichter. Weil der
Heimverein den Schiedsrichter bezahlen muss, sind gerade im Juniorenbereich
auch viele Clubs nicht wild darauf, einen Schiri zu engagieren. „Aber wenn
ein Schiedsrichter da ist, läuft das Spiel einfach geregelter“, sagt Stefan
Schumacher.
Schumacher ist selbst Schiedsrichter, pfeift in der Berlin-Liga und ist für
die Ausbildung von Schiedsrichtern verantwortlich. Seit 2015 dürfen jetzt
in Berlin schon Zwölfjährige pfeifen.
Ein Projekt, das Vorbild sein soll. „Die Idee ist, neue Schiedsrichter zu
gewinnen und Mannschaften an einen Schiedsrichter zu gewöhnen“, sagt
Schumacher. Fehlendes Engagement im Ehrenamt, hoher Aufwand – auch die
Stadt selbst macht es Referees nicht leicht. „Die verbale Gewalt gegen
Schiedsrichter in Berlin ist recht hoch“, sagt Schumacher. Vor allem in den
unteren Klassen und im Jugendbereich sei das ein Problem. Der Berliner
Fußball-Verband tut mittlerweile einiges dagegen, etwa mit
Anti-Gewalt-Kursen, Fairplay-Preisen, aber auch kompletten Sperren gegen
Mannschaften.
Wie sehr Gewalt gegen Schiedsrichter mit dem Standort Berlin oder
bestimmten Milieus zu tun hat, lässt sich schwer nachweisen. Der
Tagesspiegel machte sich die Mühe, für die Hinrunde 2015/16 alle Gelben und
Roten Karten im Berliner Amateurfußball bei Großfeldmannschaften
aufzulisten und zu analysieren. Hitzköpfige Migrantenteams, tretende
Ost-Teams, mehr Verwarnungen in Problemkiezen – stimmen solche Klischees?
Fast nie ließ sich ein empirischer Zusammenhang nachweisen. Oft gab es
sogar innerhalb desselben Vereins große Unterschiede bei der Fairness der
verschiedenen Teams. Ob Berlin härter für Schiedsrichter ist als andere
Städte, konnten auch die Daten nicht zweifelsfrei belegen. Die Zahl der
Spielabbrüche blieb in den letzten Jahren in etwa konstant. Und nicht jeder
Spielabbruch kommt durch Gewalt zustande.
„Gewalt ist nicht allein ein Berliner Phänomen“, sagt auch Stefan
Schumacher. Dass es einen Zusammenhang mit der Großstadt gebe, glaubt er
allerdings schon. „Ballungsräume mit vielen Mannschaften und sozial
schwachen Kiezen, hohe Arbeitslosigkeit, viele Migranten und
Sprachbarrieren sind begünstigend für diese Art von Gewalt. Die gleichen
Probleme haben sie in Köln, Frankfurt oder Bremen. Im ländlichen Raum ist
das anders. Da wird der Schiedsrichter auch eher hinterher auf ein Bier
eingeladen.“
In seiner Bachelor-Arbeit hat Schumacher unter anderem Schiedsrichtermangel
analysiert. Das Ergebnis: Die meisten Schiedsrichter, die abspringen, tun
das in den ersten zwei Jahren. „Viele sind frustriert, weil sie nur
kritisiert und beleidigt werden und kaum positives Feedback bekommen. Sie
fragen sich dann: Warum soll ich das noch weitermachen?“ Und: „Es geht nur
mit hoher Betreuung zum Beispiel durch Patenschaften, Schiedsrichter am
Ball zu halten“, so Schumacher. Und positiver Motivation, so wie bei den
neuen Kinderschiedsrichtern.
Dennis Blum vom SV Empor wollte schon lange Schiedsrichter werden. „Ich mag
es, dass der Schiedsrichter sich auf dem Platz für Fairness einsetzt“, sagt
er. „Das finde ich schön.“ Vater Andreas Blum erzählt, sein Sohn sei sehr
ehrgeizig. „Er ist ein Junge, der sich Ziele setzt, die er dann Stück für
Stück auch erreicht.“
Dennis ist einer der engagiertesten Berliner Kinderschiedsrichter: 19
Partien und vier Hallenturniere hat er bislang geleitet, negative
Erfahrungen noch keine gesammelt. Keine wütenden Spieler, keine
reklamierenden Eltern oder Trainer. Der Verband versucht, die jungen
Schiris zu schützen: Er hat einen Flyer herausgegeben, der Eltern und
Trainer darauf hinweist, sich beim Kinderschiedsrichter nicht zu
beschweren. Die Kinderschiedsrichter pfeifen außerdem erst mal nur auf dem
Platz ihres eigenen Vereins. Sie sollen in Ruhe lernen können.
Druck spürt Dennis auch deshalb keinen. „Ich treffe die Entscheidungen aus
dem Bauch heraus.“ Nicht jedem Kinderschiedsrichter fällt die neue Aufgabe
so leicht wie Dennis. Stefan Schumacher erzählt, es gebe auch bei einigen
jungen Schiris Kritik an der Leistung. Grundsätzlich aber seien die Eltern
erst mal froh, dass bei Jugendspielen überhaupt ein Schiedsrichter da sei.
„Sie sind nachsichtiger und oft dankbar. Lieber ein Schiedsrichter, der
nicht ganz so gut pfeift, als gar keiner.“
82 Kinderschiedsrichter nehmen bislang an dem Projekt teil. Bei den
regulären Neu-Schiris gehören mittlerweile auch ausgedehnte Patenschaften
und viele Lehrgänge zum Konzept. Innerhalb von zwei Jahren stieg die Zahl
der Berliner Schiedsrichter insgesamt von rund 1.150 auf 1.280. Das
einstige Sorgenkind Berlin hat mittlerweile als einer der wenigen
Landesverbände im Fußball steigende Schiedsrichterzahlen: „Wir sehen einen
sehr positiven Trend“, sagt Schumacher. Gerade für die Betreuung hat die
Großstadt auch nützliche Seiten: „Die Wege hier sind kürzer, deshalb gibt
es bessere Fördermöglichkeiten.“
Andere Landesverbände haben schon Interesse am Projekt Kinderschiedsrichter
geäußert. Unparteiische können sich außerdem seit zwei Jahren im Internet
freiwillig für unbesetzte Partien eintragen. Attraktiv ist das etwa für
Schiris im Rentenalter; die Spitzenreiter, so Schumacher, absolvierten 160
bis 170 Spiele im Jahr.
Für Kinderschiedsrichter wie Dennis Blum geht es dagegen erst mal darum,
reinzuschnuppern. Mit 14 Jahren ist er jetzt alt genug für einen Lehrgang
zum richtigen Schiedsrichter. Und danach? Er würde gern in den
Junioren-Leistungskader, vielleicht sogar mal bei den Profis pfeifen. Ein
gegnerischer Trainer fragte ihn kürzlich, ob er eine Visitenkarte habe. Er
verneinte, aber stolz war er schon.
19 Jul 2017
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Amateurfußball
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