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# taz.de -- Gewalt auf dem Fußballplatz: Sie wurden zu Witzfiguren gemacht
> Gewalt und Anfeindungen gegen Schiedsrichter nehmen zu. Deren
> Autoritätsverlust ist allerdings hausgemacht. Dank Videobeweis und
> pöbelnder Trainer.
Bild: Der Videobeweis nimmt dem Schiedsrichter auf dem Feld beinahe jede Autori…
Es war ein enges Spiel. Borussia Mönchengladbach führte in dieser Partie
der zweiten Runde im Wettbewerb um den DFB-Pokal mit 1:0. Die Gegner von
Borussia Dortmund rannten gegen die Niederlage an, glichen aus, gingen in
Führung. Am Ende gewann Dortmund mit 2:1.
Gladbach hatte mehr verloren als das Spiel. Marco Rose, der Trainer, war
mit einer Roten Karte vom Feld geschickt worden, weil er nicht an sich
halten konnte, als den Dortmundern ein Eckball zugesprochen wurde. Wie im
Wutrausch hatte er am Spielfeldrand herumgetanzt und das Schiedsrichterteam
lauthals beschimpft.
Referee Benjamin Cortus zeigte ihm die Rote Karte, und Rose darf nun beim
nächsten Pokalspiel seines Teams (im August 2020) nicht an der Linie stehen
und coachen. Nach dem Spiel zeigte er sich uneinsichtig. Zwar habe er ein
wenig überreagiert, aber alle hätten doch gesehen, dass der Schiedsrichter
falsch gelegen habe. Rote Karten für Trainer finde er ohnehin unangebracht.
Und entschuldigt hat er sich beim Schiedsrichter auch nicht.
Ein anderer Fall, in dem eine Schiedsrichterentscheidung Auslöser für
Gewalt war, hat über die sozialen Medien mittlerweile wohl alle erreicht,
die sich für Fußball interessieren. Bei einem Kreisligaspiel im hessischen
Dieburg hat ein Spieler des FSV Münster den 22-jährigen Schiedsrichter
[1][bewusstlos geschlagen], nachdem er die Gelb-Rote Karte gesehen hatte.
Der musste mit dem Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen werden. Derweil
wurden alle Spiele im Bereich des Berliner Fußballverbands [2][an einem
Wochenende abgesagt], um auf das wachsende Problem der Gewalt an
Schiedsrichtern aufmerksam zu machen.
Seitdem wird intensiv darüber diskutiert, wie es wohl dazu kommen konnte,
dass inzwischen eine gehörige Portion Mut dazu gehört, als Schiedsrichter
ein Spiel auf deutschen Fußballplätzen zu pfeifen. Eine allgemeine
Verrohung der Gesellschaft wird da ausgemacht, die vom Hass im Netz direkt
zur Gewalt auf dem Feld führe, heißt es dann. Kann schon sein, dass da
etwas dran ist.
Auch den allschuldigen Neoliberalismus könnte man als Auslöser für die
Schläge und Bedrohungen gegen Schiedsrichter und Gegenspieler benennen.
Eine Gesellschaft, in der es in erster Linie ums Funktionieren geht, in der
es immer weniger Möglichkeiten gibt, sich individuelle Anerkennung zu
verschaffen, mag Spieler auf die Idee bringen, auf dem Platz mit aller
Gewalt zum Erfolg kommen zu müssen, weil sie nirgendwo sonst Anerkennung
finden können.
Dann gibt es massive Ungleichheiten im Fußball. Der strukturelle Rassismus,
dem fast alle Migranten bei Behördengängen oder auf der Wohnungssuche
ausgesetzt sind, findet im Fußball nicht selten eine Fortsetzung. Gelbe und
Rote Karten gegen Spieler eines Migrantenklubs werden da schnell zum
Politikum zum Ausweis einer Benachteiligung.
Man kann also Gründe für die Gewalt auf den Bezirkssportanlagen und
Dorfplätzen der Republik finden. Und man sollte darüber diskutieren, auch
wenn sich allzu viele Leute damit begnügen, einen Angriff auf einen
Schiedsrichter, der von einem Mann ausgegangen ist, der einen arabischen
oder türkischen Namen trägt, mit dem Wort „typisch“ zu kommentieren.
## Trainer wehren sich gegen Gelbe und Rote Karten
Es gibt genug Gründe, die Ursachen der Gewalt auf den Sportplätzen in der
Gesellschaft zu sichten. Darüber sollte man aber nicht vergessen, dass der
Autoritätsverlust, mit dem sich die Schiedsrichter in den unteren Klassen
in diesen Tagen konfrontiert sehen, auch hausgemacht ist.
Der Fußball selbst, seine Funktionäre an der Spitze, die Trainer der
Profivereine und die Stars der großen Ligen, sie haben über die Jahre
tatkräftig daran mitgewirkt, das Ansehen der Schiedsrichterei massiv zu
beschädigen. Dass Schiedsrichter zu den größten Deppen im vielleicht ewig
boomenden Fußball-Business geworden sind, daran sind auch die Verbände
Schuld.
Und so kann sich Marco Rose sicher sein, dass ihm kein Gegenwind aus der
Fußballöffentlichkeit entgegen weht, wenn er sich als ungerecht behandelt
bezeichnet. Er glaubt das Recht in Anspruch nehmen zu können,
Schiedsrichter zu beschimpfen, wenn ihm eine Entscheidung nicht passt.
Damit ist er im Kollegenkreis nicht allein. Vor dieser Saison trat eine
Regeländerung im Fußball in Kraft. Denn erst seit diesem Sommer können
Schiedsrichter auch Trainer mit Gelben und Roten Karten verwarnen.
Die Zunft der Proficoaches wehrte sich. Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann,
gewiss alles andere als die personifizierte Besonnenheit, meinte:
„Absichtliches Verlassen der Coaching-Zone, um zu reklamieren, ist Rot. Das
ist Wahnsinn. Dann mache ich maximal 15 Saisonspiele an der Seitenlinie,
den Rest schaue ich von oben zu.“ Auch, dass ein Trainer nach drei Gelben
Karten ein Spiel gesperrt werden sollte, führte zu Protesten der
Trainerzunft.
Statt die Schiedsrichter zu stärken und sich dem Gemotze der Trainer
entgegenzustellen, beschloss die Mitgliederversammlung der Deutschen
Fußballliga prompt, dass erst nach vier Spielen eine Sperre erfolgen soll.
Eine Kultur des Respekts gegenüber den Entscheidungen des Mannes, den man
lange Spielleiter genannt hat, sieht anders aus. Zu diesem Respekt sollte
auch gehören, dass es sich schickt, Fehlentscheidungen zu akzeptieren.
Solche hat es im Fußball immer gegeben. Man lebte mit ihnen, bis man in der
Weltregierung des Fußballs beschlossen hat, Fehlentscheidungen mit Hilfe
des Videobeweises auszumerzen. Der Internationale Fußballverband Fifa hat
damit eine Entwicklung angestoßen, die dem Schiedsrichter auf dem Feld
beinahe jede Autorität genommen hat. Glauben Spieler oder Trainer, ihr Team
sei benachteiligt worden, dann beschreiben sie ein Rechteck mit ihren
Händen und bedrängen den Schiedsrichter. Sie wollen, dass der
Videoschiedsrichter sich einschaltet.
## Es war mal die Respektsperson
Der Schiedsrichter mag im besten Fall einmal eine Respektsperson gewesen
sein. Jetzt ist er nur noch eine Witzfigur. Jeder Videobeweis, mit dem eine
Entscheidung des Feldschiedsrichters korrigiert wird, raubt diesem ein
Stück seines Ansehens. Mit jedem zurückgenommenen Elfmeterpfiff leidet der
Ruf der ganzen Zunft. Mit der Einführung des Videobeweises haben die
Verbände billigend in Kauf genommen, dass die ganze Zunft der
Schiedsrichter von Spielern, Trainern und dem Publikum verhöhnt und
verlacht wird.
Mit nach oben gestrecktem Daumen in Richtung Schiedsrichter hat Marco Rose
seine Rote Karte kommentiert. Wenn in der Kreisliga Spieler die
Schiedsrichter bedrängen, wenn das Publikum am Dorfplatz höhnisch klatscht,
wenn der Gegner einen Elfmeter zugesprochen bekommt, so hat das seine
Vorbilder im Fußball ganz oben.
Wenn man selbst die besten Schiedsrichter des Landes nicht ohne technische
Korrektur pfeifen lässt, dann muss man sich vielleicht nicht wundern, wenn
auch die wackeren Menschen, die in unteren Ligen zur Pfeife greifen, nicht
für voll genommen werden. Es war die Fifa, es war der DFB, die ihre eigenen
Schiedsrichter zu den größten Deppen der Fußballwelt gemacht haben.
Eine Abkehr vom Videobeweis wird es wohl erst mal nicht geben, auch weil
sich die Spielunterbrechungen, die sich bei einer Überprüfung ergeben, so
gut an Werbekunden vermarkten lassen. Zu hoffen bleibt, dass all die
traurigen Vorkommnisse bei unterklassigen Spielen auch die zum Nachdenken
bewegen, die an den Rädern des großen Fußballs drehen.
9 Nov 2019
## LINKS
[1] https://www.tagesspiegel.de/sport/fussballer-schlug-unparteiischen-bewusstl…
[2] /Schiedsrichter-Streik-in-Berlin/!5635268
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Schiedsrichter
Fußball
Videobeweis
Gewalt
Fußball-Bundesliga
Kolumne Press-Schlag
Berliner Fußball-Verband
Fußball
Schwerpunkt Rassismus
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