| # taz.de -- Wahlen in Spanien: Regierung, jetzt? | |
| > Am Sonntag wird in Spanien ein neuer Ministerpräsident gewählt. Doch der | |
| > Frust der Bevölkerung könnte vor allem den Rechten zugutekommen. | |
| Bild: Protest gegen den geschäftsführenden Ministerpräsidenten Pedro Sánche… | |
| Madrid taz | Pedro Sánchez würdigt seine vier Mitbewerber keines Blickes. | |
| Nur, wenn er vermutet, dass die Kamera auf ihn gerichtet ist, lächelt er. | |
| Und auch sonst macht der geschäftsführende spanische Ministerpräsident bei | |
| der einzigen Fernsehdebatte vor den Neuwahlen am kommenden Sonntag alles, | |
| außer zu debattieren: Er gibt einstudierte Statements ab, liest dabei immer | |
| wieder vom Blatt. Staatsmännisch sei das gewesen, heißt es später aus den | |
| Reihen seiner Berater. | |
| [1][Zum vierten Mal in vier Jahren müssen die Spanier wählen]. Das letzte | |
| Mal haben sie im Mai dieses Jahres ihre Stimme abgegeben. Sechs Monate | |
| später ist Spanien immer noch ohne gewählte Regierung, und das mitten in | |
| einem heftigen Aufflammen des Katalonien-Konflikts. | |
| Sánchez verspricht eine „fortschrittliche, stabile Regierung“. Wäre es na… | |
| ihm gegangen, würde er „sein Projekt für das Land“ schon lange umsetzen, | |
| betont er immer wieder. Doch die restlichen Parteien hätten ihn nicht | |
| gelassen, so sein Hauptargument im gesamten Wahlkampf. Sánchez sieht sich | |
| als Opfer – alle gegen einen. | |
| Doch auch bei der Bevölkerung sitzt der Frust tief. Wer trägt die Schuld an | |
| der Misere, die vor allem den Rechten zugutekommen könnte? | |
| ## Links Feinde, rechts Feinde | |
| Als Sánchez’ Sozialisten (PSOE) die Wahlen im Mai gewannen, war klar, dass | |
| sie zum Regieren einen Partner brauchen würden. Doch in fünf Monaten bekam | |
| Sánchez nur die Unterstützung eines einzigen Abgeordneten einer kleinen | |
| Regionalpartei. Mit der linksalternativen Unidas Podemos (UP) – einer | |
| Gemeinschaftskandidatur aus Podemos, Izquierda Unida, der grünen Partei | |
| Equo und anderen kleineren Linksparteien – kam es zu keiner Einigung. Sie | |
| enthielten sich im Juli bei einer ersten Abstimmung, da ihnen die von | |
| Sánchez angebotenen drei Ministerien nicht ausreichten. | |
| Nach der Sommerpause weigerte sich Sánchez endgültig, linksalternative | |
| Minister ins Kabinett aufzunehmen, und verlangte von der UP die | |
| Unterzeichnung eines gemeinsam ausgehandelten Regierungsprogramms, um dann | |
| alleine zu regieren, ohne nennenswerte Gegenleistung. Es war das Ende der | |
| Gespräche. Seither beschimpft Sánchez die UP als „vorgetäuschte Linke“, … | |
| nur ein Ziel habe, nämlich „die Sozialisten nicht regieren zu lassen“. | |
| Rechts von ihm hingegen, so Sánchez, stehe eine „Mauer der Blockade“, | |
| bestehend aus der konservativen Partido Popular (PP), der rechtsliberalen | |
| Ciudadanos (Cs) und der rechtsextremen Partei VOX. Sánchez hatte nach den | |
| Wahlen im April immer wieder verlangt, dass sich PP und Cs – ebenfalls ohne | |
| jede Gegenleistung – enthalten, damit er vom Parlament zum neuen | |
| Ministerpräsidenten gewählt werden könne. Sie taten ihm den Gefallen nicht. | |
| Neuwahlen wurden unumgänglich. „Nur die PSOE garantiert, dass die Blockade | |
| jetzt aufgehoben wird“, predigt Sánchez im Wahlkampf. Eigene Fehler bei den | |
| gescheiterten Regierungsverhandlungen gesteht er nicht ein. | |
| Das Kalkül des Sozialisten ist offensichtlich. „Die PSOE würde im Falle | |
| einer erneuten Wahl mit knapp 40 Prozent haushoch gewinnen“, so ungefähr | |
| titelten im September, kurz vor dem Abbruch der Gespräche zwischen PSOE und | |
| Unidas Podemos, alle Zeitungen des Landes. Die Umfrage des | |
| Meinungsforschungsinstitutes CIS, an dessen Spitze Sánchez einen seiner | |
| Vertrauten aus dem PSOE-Parteivorstand gesetzt hatte, sagte den Sozialisten | |
| 11 Prozentpunkte mehr als im April und über 150 statt 123 Parlamentssitze | |
| voraus. | |
| Sánchez sprach vom „besten Moment“ für seine Partei. Die Versuchung, auf | |
| Neuwahlen statt auf eine Einigung zu setzen, war groß. Zu groß. „Am 10. | |
| November haben wir die Gelegenheit, die Dinge viel klarer zu sagen“, wirbt | |
| Sánchez seither für sich als „einzige Option einer stabilen Regierung“. | |
| ## Die Spanier sind wahlmüde | |
| Doch er hatte die Rechnung ohne die Spanier gemacht. Sie sind wahlmüde, | |
| besonders die Linken. Im April war ihre Wahlbeteiligung noch gestiegen, aus | |
| Angst vor einer Dreierkoalition aus konservativer PP, rechtsliberaler Cs | |
| und rechtsextremer VOX, wie sie in mehreren Regionen und Rathäusern bereits | |
| Realität ist. | |
| Die Hoffnung auf eine „fortschrittliche Regierung“, für die sowohl die | |
| Sozialisten als auch die Linksalternativen geworben hatten, war groß. Aber | |
| jetzt lassen die nach Jahren der Kürzungen so dringend notwendigen sozialen | |
| Maßnahmen wie die Erhöhung des Pflegegeldes, die Anpassung der Renten oder | |
| die Rücknahme einer unsozialen Arbeitsmarktreform weiter auf sich warten. | |
| Während die geschäftsführende Regierung kaum Handlungsspielraum hat, geht | |
| das Wirtschaftswachstum zurück. Und Umfragen belegen, dass die | |
| Arbeitslosigkeit erstmals seit sieben Jahren wieder die Hauptsorge der | |
| spanischen Bevölkerung ist. | |
| „Die Wähler haben ihre Arbeit gemacht, die Politiker nicht“, sagt Iñigo | |
| Errejón. Der einstige Podemos-Abgeordnete will jetzt mit seiner eigenen | |
| Liste „Más País“ (Mehr Land) den Frust der Linken kanalisieren. Er | |
| beschuldigt PSOE und UP, den drei Rechtsparteien eine neue Chance geschenkt | |
| zu haben. | |
| Sánchez hat nicht nur die Enttäuschung der Linken unterschätzt, er hat auch | |
| vergessen, dass zwischen gescheiterten Regierungsverhandlungen und | |
| Neuwahlen zwei Monate vergehen, in denen die Welt nicht einfach stehen | |
| bleibt. | |
| Seit Mitte Oktober neun katalanische Unabhängigkeitspolitiker und | |
| Aktivisten zu 9 bis 13 Jahren Haft verurteilt wurden, überschatten die | |
| Proteste in der nordostspanischen Region rund um Barcelona alles. Sánchez | |
| reagiert mit Polizei, verweigert den Dialog, spricht von der Einheit | |
| Spaniens, anstatt wie früher auf ein föderales Staatsmodell zu setzen. | |
| Doch außerhalb Kataloniens bringt der Konflikt vor allem Stimmen für die | |
| Rechten. Sie fordern, Katalonien unter Zwangsverwaltung zu stellen, weitere | |
| Politiker zu verhaften, und werfen Sánchez vor, zuzusehen, wie Spanien | |
| auseinanderfällt. Und sie beschuldigen ihn der Komplizenschaft mit den | |
| Katalanen, da er einst das Misstrauensvotum auch mit ihren Stimmen gewann. | |
| ## Wahlbeteiligung der Rechten ist stabil | |
| Auch deshalb könnte es am Sonntag eng werden. Die Anträge auf Briefwahl | |
| sind im Vergleich zu April um 30 Prozent zurückgegangen. Und die Erfahrung | |
| zeigt, dass viele Linke je nach Stimmung an die Urne gehen oder eben nicht, | |
| während die Beteiligung der Rechten von jeher sehr stabil ist. | |
| Die sozialistische PSOE liegt in den Umfragen mittlerweile unter dem | |
| Ergebnis vom April. Die linksalternative UP muss ebenfalls mit Verlusten | |
| rechnen. Más País wird dies nur teilweise auffangen können. Bei den Rechten | |
| macht die konservative PP, die im April ihr schlechtestes Ergebnis aller | |
| Zeiten erzielte, wieder Terrain gut. Und was am schwersten wiegt: Die | |
| Umfragen sehen die rechtsextreme VOX als drittstärkste Partei. Sollte es zu | |
| einer rechten Mehrheit im neuen Parlament kommen, werden sie mit ihrer | |
| ausländer-, frauen- und minderheitenfeindlichen Politik eine wichtige Rolle | |
| spielen. | |
| Noch sieht es danach aus, als würde ein solches Rechtsbündnis, wenn auch | |
| knapp, scheitern. Doch selbst dann geht das Kalkül für Sánchez nicht auf. | |
| Mit weniger Abgeordneten als bisher wird er von der UP noch schwerer die | |
| Duldung einer sozialistischen Alleinregierung verlangen können. Und die | |
| zweite Option, ein Bündnis mit der rechtsliberalen Cs, das nach den | |
| Aprilwahlen zumindest rechnerisch eine stabile Mehrheit ergeben hätte, | |
| verflüchtigt sich. | |
| Denn genau wie bei den Linken sehen die Umfragen auch bei Cs-nahen | |
| Wahlberechtigten eine starke Tendenz, am Sonntag zu Hause zu bleiben. Viele | |
| nehmen Parteichef Albert Rivera den Rechtsruck der letzten Monate übel. In | |
| mehreren Regionen regieren die Rechtsliberalen zusammen mit den | |
| Konservativen unter Duldung von VOX, anstatt sich den Sozialisten | |
| anzunähern. | |
| „Ahora, gobierno – Ahora, sí“ („Regierung, jetzt – Jetzt, ja“) hei… | |
| Motto der groß angelegten Marketingkampagne, die Sánchez als fähigen | |
| Staatsmann aufbauen sollte. Der Link [2][ahoragobierno.com] auf den 30 | |
| Millionen Flugblättern, die per Post verschickt wurden, führt auf eine | |
| Seite, die den Slogan zur Frage macht: „Regierung, jetzt? Und warum nicht | |
| in den vergangenen vier Monaten? Vielleicht, weil euch die Kürzel der | |
| Partei wichtiger waren als die Menschen?“ | |
| Die Seite wurde vom Umfeld von Más País online gestellt. Das Marketingteam | |
| von Sánchez hatte vergessen, die Domain zu kaufen, bevor die Flugblätter in | |
| den Druck gingen. | |
| Es sind Anekdoten wie diese, die das ganze Drama der Wahlwiederholung | |
| verdeutlichen. | |
| 10 Nov 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Spaniens-gescheiterte-Regierungsbildung/!5624580 | |
| [2] https://ahoragobierno.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Reiner Wandler | |
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