| # taz.de -- Abschiebezentrum in Hamburg-Rahlstedt: Nachts kommt die Polizei | |
| > Geflüchtete in der Zentralen Erstaufnahme in Rahlstedt berichten von | |
| > prekären Lebensbedingungen und Angst. Es gibt keine Privatsphäre. | |
| Bild: Zur Decke hin offen: ein Zimmer in dem so genannten „Ankunftszentrum“… | |
| Hamburg taz Es ist Mittagszeit. Dutzende Menschen gehen zum Essen in die | |
| Kantine der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung in Hamburg-Rahlstedt. Kinder | |
| rennen und spielen zwischen den Tischen. Manchmal werden sie vom | |
| Sicherheitsdienst ermahnt, das draußen zu tun. In der Kantine, die eine | |
| kahle Halle ist, ist es laut, die Stimmen hallen. | |
| Maria M. sitzt mit einigem Abstand zu den meisten Menschen in einer Ecke. | |
| Die Lautstärke macht ihr sichtlich zu schaffen. Dass ihr richtiger Name und | |
| persönliche Informationen über sie in der Zeitung stehen, möchte sie nicht. | |
| Sie hat Angst, dass sich das negativ auf ihr Asylverfahren auswirken | |
| könnte. | |
| Seit fast sechs Monaten lebt M. in der [1][Unterkunft am Bargkoppelstieg.] | |
| Sie ist das, was die Stadt „Ankunftszentrum“ nennt, die erste Anlaufstelle | |
| für Geflüchtete, die in Hamburg ankommen. Wurden die Ankommenden anfangs | |
| noch nach kurzer Zeit in andere Einrichtungen gebracht, bleiben seit | |
| Oktober 2018 viele Menschen über Monate hier. Die, die aus Sicht der | |
| Behörde eine schlechte Bleibeperspektive haben. [2][Das Ziel: die schnelle | |
| Rückführung.] Von Anfang an wurde kritisiert, dass das sogenannte | |
| „Ankunftszentrum“ nichts anderes als ein [3][Ankerzentrum] sei. | |
| Das, was Maria M. in flüssigem Englisch über die Lebensbedingungen dort | |
| erzählt, lässt auf unhaltbare Zustände schließen. In den Wohnbereich dürfen | |
| Besucher*innen nicht. Und M. ist nicht die einzige, die das schildert. Auch | |
| andere Bewohner*innen äußern Kritik, genauso wie Unterstützer*innen und | |
| Beratungsstellen für Geflüchtete. | |
| ## Zimmer ohne Fenster | |
| M. erzählt von der großen Halle, in der sie untergebracht ist. Morgens wird | |
| das Licht für alle angeschaltet, abends wieder ausgemacht. Die einzelnen | |
| Zimmer sind durch Leichtbauwände abgetrennt. Sie reichen nicht mal bis zur | |
| Decke. „Wir sehen uns zwar nicht, aber man kann alles hören, was im Rest | |
| des Gebäudes passiert“, sagt M. | |
| Maria M.s Zimmer hat kein Fenster. „Es gibt kein Tageslicht und keine | |
| frische Luft“, sagt sie. Der Lärmpegel sei enorm. Musik, Filme, Gespräche. | |
| Selbst nachts findet M. keine Ruhe. Denn dann kommt oft die Polizei, um die | |
| Menschen abzuholen, die abgeschoben werden sollen. „Du kannst sie schreien | |
| hören, sie haben Panik“, erzählt M. Das passiere manchmal zwei Mal in der | |
| Woche und sei sehr belastend. | |
| „Man muss alles mit anhören, Geheule, Geschrei. Es ist großer Stress“, so | |
| schilderte es auch ein junger Mann aus dem Iran der [4][Rechtshilfe und | |
| Beratungsstelle Fluchtpunkt]. Seit einigen Wochen befragen die | |
| Berater*innen dort Menschen über die Zustände am Bargkoppelstieg, wenn | |
| diese sich dazu bereit erklären. „Schon bei der Eröffnung war klar, dass | |
| die Unterkunft nicht geeignet ist, dort Menschen unterzubringen“, sagt | |
| Rechtsberaterin Anna-Lena Büchler. Nun zeige sich, wie schlimm die | |
| Lebensbedingungen sind. | |
| Die Ergebnisse der Interviews liegen der taz in anonymisierter Form vor. | |
| Fast alle Menschen schildern darin, wie sie, und teilweise auch ihre | |
| Kinder, Zeug*innen von Abschiebungen und Abschiebeversuchen wurden. Das | |
| passiere meist nachts oder am frühen Morgen. Sie beschreiben, wie die | |
| Polizei den Bewohner*innen mit Taschenlampen ins Gesicht leuchtet, um die | |
| gesuchte Person zu finden oder das Deckenlicht in der gesamten Halle | |
| anschaltet. | |
| Zehn Mal seien Mitbewohner aus seinem Zimmer abgeholt worden, berichtet ein | |
| Mann aus dem Iran. Aus Angst vor Abschiebung habe er mehrfach versucht, | |
| sich das Leben zu nehmen. Angst, das Wort fällt immer wieder in den | |
| Schilderungen. Genauso wie die Erklärung, welch große psychische Belastung | |
| diese Situation mit sich bringt. | |
| Maria M. war zwei Monate lang in einer psychiatrischen Klinik. Sie nimmt | |
| immer noch Medikamente. Die Situation sei extrem belastend für sie, erzählt | |
| sie. Aber es gebe andere, denen es viel schlechter gehe. M. habe mehrfach | |
| mitbekommen, wie Menschen in der Unterkunft versucht haben, sich das Leben | |
| zu nehmen. | |
| ## Auch ein offener Brief schildert die Zustände | |
| Die psychiatrische oder psychotherapeutische Versorgung in der Unterkunft | |
| sei nicht ausreichend, sagt Büchler. Es gebe wohl eine | |
| Stabilisierungssprechstunde, es sei aber unklar, wer sie in welchem Umfang | |
| anbiete. „So berichteten einige der Interviewten, dass sie nach der | |
| Entlassung aus der Psychiatrie völlig unversorgt im Camp blieben, obwohl | |
| sie sich um Behandlung bemühten“, sagt Büchler. | |
| Auch der [5][Flüchtlingsrat Hamburg], die Glasmoorgruppe und das [6][Café | |
| Exil] berichten in einem offenen Brief an die Grünen über die | |
| unmenschlichen Zustände in der Unterkunft und fordern deren Schließung. Mit | |
| einer Protestaktion an diesem Samstag bei der Landesmitgliederversammlung | |
| wollen sie auf die Situation der Geflüchteten aufmerksam machen und den | |
| Handlungsdruck gerade auf die mitregierenden Grünen erhöhen. | |
| Aus dem für die Einrichtung zuständigen Einwohnerzentralamt der | |
| Innenbehörde heißt es auf Anfrage der taz, es seien nur wenige Beschwerden | |
| bekannt. Die frühmorgendlichen Abschiebungen seien organisatorisch | |
| notwendig. Zu allgemein formulierten und „subjektiv als Beeinträchtigung | |
| empfundenen Bedingungen“ könne die Behörde sich nicht äußern, sagt Sprech… | |
| Matthias Krumm. | |
| Das Leben in einer Gemeinschaftsunterkunft sei mit „Einschränkungen und | |
| Herausforderungen“ verbunden, die von den Bewohner*innen „Toleranz und | |
| Rücksichtnahme“ verlangten. „Prekäre Lebensbedingungen herrschen aus | |
| unserer Sicht im Ankunftszentrum nicht“, sagt Krumm. | |
| ## Wie lange Maria M. noch bleiben muss, ist unklar | |
| Anna-Lena Büchler sieht das anders. Es sei nicht vertretbar, dass Menschen | |
| länger als einige Tage im Bargkoppelstieg lebten. „Der große Notstand ist | |
| vorbei, die Kapazitäten sind vorhanden“, sagt sie. „Es werden Einrichtungen | |
| mit gut funktionierenden Teams von Sozialarbeitern geschlossen.“ | |
| Maria M. wünscht sich dringend mehr Privatsphäre. „Das ist doch das, was | |
| jeder Mensch braucht.“ Sie frage immer wieder, wann sie eine andere | |
| Unterkunft bekäme. Doch die Antwort sei immer dieselbe: Man wisse es nicht. | |
| 9 Nov 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hamburg-schafft-Abschiebezentrum/!5548874 | |
| [2] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/64380/verfahren_im_sogenan… | |
| [3] /Ein-Jahr-Ankerzentren/!5613882 | |
| [4] https://fluchtpunkt-hamburg.de/ | |
| [5] https://www.fluechtlingsrat-hamburg.de/ | |
| [6] http://cafe-exil.antira.info/ | |
| ## AUTOREN | |
| Marthe Ruddat | |
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