# taz.de -- Touristische Sprachgeschichte: Wording, Branding, Blöding | |
> Erst „malerische Städtchen“, dann „instagrammable places“: Über die | |
> Schmach, einen nie enden-wollenden Berg von Sprachmüll abzutragen. Ein | |
> Pamphlet. | |
Bild: Wortgerümpel allenthalben | |
Und dabei hatten wir es doch schon so weit gebracht. Verträumte Ecken, | |
romantische Winkel und zauberhafte Flecken verrotteten auf dem Müllhaufen | |
der touristischen Sprachgeschichte. Wer biblische Wüsten, paradiesische | |
Strände oder wilde Schluchten in Umlauf brachte, nachmachte oder | |
verfälschte, fiel der allgemeinen Branchen-Ächtung anheim. Wagte jemand, | |
von einem Ort zu schwärmen, der eine Reise wert, einen Besuch wert oder gar | |
auf jeden Fall einen zweiten Besuch wert sei, galt er als nicht mehr | |
satisfaktionsfähig. | |
Wer gar von köstlichen Spezialitäten oder landestypischen Schmankerln | |
schwadronierte, wurde mit Entzug der Aufmerksamkeit nicht unter einem | |
halben Jahr bestraft. Und wäre immer noch jemandem eingefallen, entspannt | |
seine Seele baumeln zu lassen, hätte er sich genauso gut an dem Haken, an | |
dem diese herunterhing, selbst entleiben können. | |
Schöne Zeiten – welcher Irrtum! Wir haben, stellen wir beschämt fest, noch | |
eine Menge zu lernen. [1][So schnell geben Windmacher und | |
Wortklingelschmiede nicht auf]. Wo wir vorne den Sprachmüll kübelweise | |
hinaustrugen, kippten sie ihn hinten containerweise wieder herein. | |
Slideshares, Screencasts und FAQ-Videos türmen sich in allen Ecken. Wie | |
Spinnweben hängen Traffic Tools und Ad Overlays von der Decke. In den | |
Ritzen haben sich Postings, Likes und Shares verkrochen, und unterm Bett | |
wuseln Marketeers und SEO-Trainees umher. | |
Wortgerümpel allenthalben. Versenkten wir eben noch malerische Städtchen in | |
der Tonne, feiern sie als instagrammable places fröhlich | |
Wiederauferstehung. Kohortenspezifisches Reiseverhalten und MICE-Segmente | |
liegen im Weg. Sind wir endlich den Urlaub für die Sinne und die Ferien vom | |
Alltag losgeworden, fliegen sie uns plötzlich als jede Menge Must-dos und | |
Once-in-a-lifetime-Events um die Ohren. | |
Am Eingang versucht gerade jemand, Slot Entrance Solutions zu installieren | |
und schraubt eine Bestpreisklausel an. An den Wänden hängen Bilder von | |
Fame-Tourism-Zielen und Celebrity Destinations. Overtourismus und | |
Undertourismus stehen wie paralysierte weiße Elefanten mitten im Flur und | |
blockieren den ungehinderten Warenverkehr – Smart Tourism wird es richten, | |
brüllt jemand von hinten, wenn Irland erst mal mit dem [2][Games of | |
Thrones] Tourism durch ist. Und im Nebenzimmer schwallen ein | |
automatisierter Concierge und seine Chat-Bots-Kumpane wie blöde einer der | |
ihren zu: Sag Alexa, was weißt du vom Emsland? Sag Alexa … | |
Während wir hier vorne plaudern, haben sie hinten schon wieder ganze Kisten | |
Schrott abgeladen: Customer Journey, Content Marketing, Flugscham, Circular | |
Economy, Storytelling, Glamping, B2B … Was für eine Arbeit! | |
3 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Neue-nervige-Floskel/!5629836 | |
[2] /Kolumne-Die-Couchreporter/!5300498 | |
## AUTOREN | |
Franz Lerchenmüller | |
## TAGS | |
Ich meld mich | |
Tourismus | |
Schreiben | |
Deutsche Sprache | |
Floskeln | |
Kolumne übrigens | |
Ich meld mich | |
Henningway | |
Ursula von der Leyen | |
Sprache | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Redewendungen: Einige meiner besten Freunde sind fein mit dem Wort „lecker“ | |
Wenn der Herzensmensch bei Wohlfühltee Allergiepickel kriegt, sollte man | |
die Wortwahl überdenken. Ein Plädoyer gegen bekloppte Kommunikationshülsen. | |
Reisen mit den Sinnen: Das Haut-Tagebuch (3) | |
Reisen heißt sich anrühren lassen. Im Kopf, im Herz – und natürlich auch am | |
Körper. Die Haut lässt auch die Welt erfühlen. | |
Neue nervige Floskel: Der Daumen geht nach oben | |
„Alles gut?“ Über einen nervigen sprachlichen Dauerbrenner mit unklarem | |
Wahrheitsgehalt, der wie eine neue Partei klingt. | |
Kommentar von der Leyens Nominierung: Schmutzige Worte | |
Hinterzimmer, Postengeschacher und Zank? Wer demokratische Vorgänge mit | |
toxischer Sprache diskreditiert, hilft den Demokratieverächtern. | |
Linguistik-Professor über Politsprech: „Strategie, um Nebel zu erzeugen“ | |
Linguistik-Professor Martin Haase seziert, was hinter Politsprech steckt. | |
Gespräch über „potenzielle Gefährder“, Merkels „wir“ und das | |
„Guttenberg-Passiv“. |