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# taz.de -- Linguistik-Professor über Politsprech: „Strategie, um Nebel zu e…
> Linguistik-Professor Martin Haase seziert, was hinter Politsprech steckt.
> Gespräch über „potenzielle Gefährder“, Merkels „wir“ und das
> „Guttenberg-Passiv“.
Bild: Politsprech zum selber basteln.
taz: Herr Haase, wie kamen Sie auf die Idee zum Neusprech-Blog?
Martin Haase: Angefangen hat es, als mich der Chaos Computer Club Dresden
2004 fragte, ob ich einen Vortrag über irgendwas Sprachliches halten wolle.
Es war gerade das Orwell-Jahr, 20 Jahre nach 1984, also kam der Vorschlag,
dass es was mit Politikersprache und Neusprech zu tun haben sollte.
Eigentlich lag mir das Thema gar nicht, aber ich habe mich dann eingelesen.
2008 habe ich dann auf dem Jahrestreffen des Chaos Computer Clubs einen
Vortrag über Neusprech gehalten. Im Publikum saß der Journalist Kai
Biermann von Zeit Online und war sehr angetan. Er erstellte danach online
ein „Schäuble-Wörterbuch“ und fragte mich 2010 per SMS, ob wir nicht einen
Blog machen wollen.
Wo kommt der Begriff Neusprech eigentlich her?
Der stammt von George Orwell, der sich schon früher mit der Sprache
englischer Politiker beschäftigt hatte: Er schrieb unter anderem darüber,
dass sie Werbesprache verwenden, um ihre Politik zu „verkaufen“. In seinem
Roman „1984“ wird dann in einer Diktatur Neusprech verwendet, eine Sprache,
mit der man kritische Gedanken kontrollieren will. Das ist die literarische
Übertreibung der Situation in England von 1948, denn Orwell ging es um vor
allem um die Kritik an den sprachlichen Tricks von Politikern seiner Zeit.
Das passt auch gut in unsere Zeit, weil heute Ähnliches passiert, besonders
im Wortfeld der Überwachung und der inneren Sicherheit: Mit Begriffen wie
Vorratsdatenspeicherung oder Unterbindungsgewahrsam versucht man bei der
Bevölkerung unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen.
Und was bezeichnen Sie heute als Neusprech?
Politikersprache, bei der Strategien verwendet werden, um Nebel zu erzeugen
und Unpopuläres angenehm darzustellen. Zum Beispiel die Nacktscanner, da
haben viele, etwa Wolfgang Bosbach, der sich für solche Scanner einsetzt,
an einer Umbenennung gearbeitet, etwa in Körperscanner oder
Sicherheitsscanner.
Entsteht Neusprech zufällig oder absichtlich?
Sicher gibt es Zufallsprodukte, aber meistens passiert das mit Absicht. Es
gibt zum Beispiel von 2006 ein Papier des Centrums für Hochschulentwicklung
in Gütersloh, in dem der Begriff „Studiengebühren“ konsequent durch
„Studienbeiträge“ ersetzt wird. Das hat sich mittlerweile in der Politik
durchgesetzt, der Begriff wird zum Beispiel im Bayrischen Hochschulgesetz
verwendet. Wir haben auch mal eine Zuschrift aus einem Landesministerium
erhalten, wo uns ein Mitarbeiter erzählte, er sei dafür zuständig, die
Sprache seines Ministers zu überwachen.
Haben verschiedene Politiker eigene Neusprech-Strategien?
Ja, zum Beispiel haben wir nach Herrn Karl-Theodor zu Guttenberg das
„Guttenberg-Passiv“ benannt: In seiner Stellungnahme zu den
Plagiatsvorwürfen hatte er sich immer zu rechtfertigen versucht mit
Formulierungen wie „es wurde zu keiner Zeit bewusst getäuscht“ oder „zu
keiner Zeit bewusst nicht kenntlich gemacht“.
Und was zeigen solche Formulierungen?
Das sind alles Handlungsverben, die man nicht passivieren sollte, es gibt
dabei ja immer jemanden, der etwas tut, aber der wird nie genannt. Das
führt die deutsche Sprache wirklich an ihre Grenzen, und man findet auch
sonst keine ähnlichen Beispiele, diese Passiv-Konstruktionen sind ein
Original von Guttenberg. Jörg Ziercke, der Chef des Bundeskriminalamts,
mildert gerne ab, er sagt zum Beispiel: „Ich will doch nur eine Diskussion
darüber anstoßen, dass die deutschen Internetprovider gesetzlich
verpflichtet werden sollten, Webseiten auszufiltern.“ Aber eigentlich
fordert er das. Wolfgang Schäuble hingegen antwortet immer gerne mit
Anekdoten, er macht das sehr geschickt.
Auch die Sprache der Kanzlerin und des Ex-Bundespräsidenten haben Sie
analysiert.
Angela Merkel benutzt gerne das „wir“ in ihren Reden, wobei man nie ganz
weiß, meint sie mit „wir“ jetzt die CDU, ihre Wähler oder alle Deutschen?
Christian Wulff verwendete umgekehrt oft „man“ statt „ich“: „Wenn man…
Ausland ist, (…) und erfährt, dass Dinge während dieser Zeit in Deutschland
veröffentlicht werden sollen, wo man mit Unwahrheit in Verbindung, wo man
also Vertrauensverlust erleidet.“
Aber hat Neusprech wirklich eine ernst zu nehmende Macht?
Ich schätze Neusprech als sehr mächtig ein. Mit Sprache werden
Konnotationen und damit positive und negative Gefühle transportiert. Das
sind letztlich die Dinge, die uns veranlassen, etwas gut oder schlecht zu
finden. Eigentlich möchte man als Bürger mit Argumenten überzeugt werden,
aber es gelingt den Politikern leider oft leichter durch solche
Sprachmanipulationen.
Beobachten Sie eigentlich auch das Verschwinden bestimmter Wörtern?
Ja, zum Beispiel werden Verantwortliche heute oft als „Entscheidungsträger“
bezeichnet, damit verschwindet gleichzeitig das Konzept der Verantwortung.
Wie erkenne ich Neusprech?
Übertreibungen sind meist sehr auffällig: Nach der Fukushima-Katastrophe
hat Frau Merkel zum Beispiel von der „unbestrittenen Sicherheit unserer
Atomkraftwerke“ gesprochen. Da muss man fragen: Warum betont sie das so?
Ein guter Hinweis sind seltsam klingende Formulierungen und
Passiv-Konstruktionen, da ist meist was im Argen. Auffällig sind auch
Wortneubildungen oder Fremdwörter wie „Targeted Killing“ – das im
Englischen gar nicht so verwendet wird – für gezielte Tötung.
Was kann man gegen Neusprech tun? Gegenbegriffe erfinden?
Besser ist es auf jeden Fall, andere, bessere Wörter zu verwenden. Man
sollte auch immer darauf hinweisen, dass ein Begriff problematisch ist oder
in Gesprächen einfach nachfragen: „Was meinen Sie eigentlich mit
’Bankenrettung‘?“ Da weiß der Gesprächspartner oft nicht weiter. Gerade
Journalisten müssten das viel öfter machen, da sie als Spracharbeiter eine
Verantwortung haben. Wir wollen uns beim Neusprech-Blog übrigens demnächst
stärker mit Journalisten-Sprache beschäftigen.
Haben Sie ein Lieblings-Neusprech-Wort?
Was ich immer noch faszinierend finde, ist der „potenzielle Gefährder“, der
Begriff kam Mitte der Achtziger bei der der Innenministerkonferenz auf. Das
Konzept vom „Gefährder“ ist an sich schon problematisch, weil man hier
davon abrückt, Straftaten erst zu verfolgen, nachdem etwas verbrochen
wurde. Der Gefährder hat noch gar nichts getan, gerät aber schon ins Visier
der Verfolgung. Und dann geht’s weiter mit dem „potenziellen Gefährder“,
das sind im Grunde alle, denn jeder kann potenziell zum Gefährder werden.
17 Dec 2012
## AUTOREN
Erik Wenk
## TAGS
Sprache
Politiker
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Flugsicherheit
Wolfgang Schäuble
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