# taz.de -- Über China sprechen: Qualifikation für „westliche Werte“ | |
> Deutsche fragen Menschen mit chinesischen Wurzeln oft nach Politik in | |
> China. Statt um qualifizierte Antworten geht es darum, sich überlegen zu | |
> fühlen. | |
Bild: „Was sagen deine Verwandten eigentlich zu Hongkong?“ | |
Ich schreibe hier [1][zum fünften Mal über irgendwas mit China,] und | |
deshalb ist es wohl an der Zeit, Stellung zu beziehen: Ich bin ganz klar | |
pro Menschenrechte. Tierschutz und Klimaschutz finde ich auch wichtig, | |
Turbokapitalismus ist schlimm und Überwachung ist problematisch. Puh. Gut, | |
dass das mal gesagt wurde. | |
Leider können wir trotzdem nicht gemeinsam aufatmen und fassungslos die | |
Köpfe schütteln. Teil zwei meiner Stellungnahme lautet nämlich: Ich bin | |
ganz klar pro China. Ich liebe dieses Land so sehr, es macht mir Sehnsucht, | |
Herzklopfen, Lust. Ich liebe seine Berge und Hochhäuser, ich liebe seine | |
Gerüche und Geschmäcker, seine Künste und Sprachen. Und ich liebe eine | |
Handvoll seiner Menschen. | |
Nun hat diese Liebe rein gar nichts mit [2][dem chinesischen Staat] zu tun. | |
Aber während es akzeptabel zu sein scheint, Werk und Autor oder AfD und | |
AfD-Wählerschaft zu trennen, ist Chinaliebe hierzulande nicht so leicht zu | |
zerlegen. | |
Entgegen absurden Falschbehauptungen herrscht in Deutschland | |
Meinungsfreiheit. Wir dürfen sagen, was wir denken, dürfen Kritik üben an | |
Mitmenschen und politischen Entscheidungsträger:innen. Kritisieren ist für | |
die meisten Deutschen eine Selbstverständlichkeit, schonungslos die Fehler | |
der anderen sichtbar machen, normal. In Deutschland können insbesondere | |
weiße Personen sehr gut mit dem Finger auf andere zeigen, ohne dramatische | |
Konsequenzen befürchten zu müssen. | |
## Nicht meine Pflicht | |
Man zeigt hier auch gern mit dem Finger auf China, und selbstverständlich | |
gibt es da einiges, auf das notwendigerweise gezeigt werden muss. Von | |
Menschen mit chinesischen Wurzeln erwartet man, dass die sich anschließen | |
oder sich als gehirngewaschen zu erkennen geben. | |
Schnell ist man umzingelt von übergriffigen Fragen wie „Puh, das mit diesem | |
Sozialkreditsystem ist ja wohl der Horror?“, oder „Was sagen deine | |
Verwandten eigentlich zu Hongkong?“ Um differenzierte Antworten geht es | |
selten. Meist ist das Ziel die Legitimation der Empörung über die anderen. | |
Und das Gefühl, zivilisatorisch überlegen zu sein. | |
Ja, Empörung fühlt sich besser an, wenn man mit ihr nicht allein dasteht. | |
Aber es ist nicht die Pflicht der migrantischen Diaspora, Deutschen in | |
ihrer Auslandskritik zur Seite zu springen. Es ist nicht meine Pflicht, mit | |
dem Finger auf einen zusammengedampften Teil von mir zu zeigen, um mich für | |
das Team „westliche Werte“ zu qualifizieren. Empörung verliert ihre Kraft, | |
wenn sie zum reinen Selbstzweck wird. | |
Dabei glaube ich an die Kraft des Aufregens, ich will mich empören, aber | |
von innen heraus. [3][Ich will mit denen über Chinas Probleme sprechen, die | |
oft keine Worte finden] zwischen Liebe, Angst und Verachtung. Und ich will | |
Deutschland anklagen mit denen, die ihre Privilegien verstanden haben. Dass | |
wir hiesige Missstände sicht- und hörbar machen können und müssen, um sie | |
zu überwinden. Ich will kollektive Aufregung, die sich nicht nur gegen | |
andere richtet, sondern vor allem gegen sich selbst. Weil die hilft, | |
überall. | |
30 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
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