# taz.de -- Erste Naturkind-Filialen öffnen: Auch Edeka will die Ökohipster | |
> Mit Naturkind-Filialen will Deutschlands größter Einzelhändler vom | |
> Bioboom profitieren. Die ersten zwei Läden inszenieren grünen Lifestyle. | |
Bild: Alles bio von Edeka: eine der neuen Naturkind-Filialen | |
HAMBURG taz | Draußen, auf dem Pflaster, das mit etwas Heu ausgelegt ist, | |
steht eine Kuh. Eine echte „Mausi“, stattliche zwölf Jahre alt, sie muht | |
vor sich hin und übertönt den Baulärm und die Kettensäge, die einige | |
Dutzend Meter entfernt lärmen. Drinnen, vor dem Milchautomaten | |
(„Milchtankstelle“), an dem man sich Wintermilch und Frühlingsmilch in | |
Glasflaschen abfüllen lassen kann, stehen zwei mittelalte Männer in | |
Karohemden und machen Fotos von der Apparatur. Nebenan raschelt das Müsli | |
an der „Unverpackt-Station“. | |
Edeka, mit 58,75 Milliarden Euro Umsatz Deutschlands größter | |
Lebensmitteleinzelhändler, hat am Donnerstag in Hamburg und im fränkischen | |
Dinkelsbühl seine ersten Biofachmärkte eröffnet. Die fast schon idyllische | |
Stimmung am Eröffnungstag täuscht darüber hinweg, was diese Nachricht | |
langfristig zur Folge haben könnte. Mit seinen Naturkind-Filialen dringt | |
Edeka in eine Nische vor, die den Biofachhandel radikal verändern wird. | |
Wobei der Begriff Nische eigentlich nicht mehr zutrifft: 3,5 Milliarden | |
Euro setzte der Biofachhandel im vergangenen Jahr um, ein Wachstum von mehr | |
als 5 Prozent zum Vorjahr. Die Bioprodukte in den Discountern eingerechnet, | |
sind es mittlerweile sogar 10 Milliarden Euro. Die Zahl der Biosupermärkte | |
nahm seit 2010 um 130 Prozent zu, hat der Bundesverband Naturkost | |
Naturwaren herausgefunden. Schon 2017 gab es mehr als 2.500 Naturkostläden. | |
„Dass nun auch Edeka mitmischt, entspricht zwei Trends, die wir bereits | |
lange sehen“, sagt Joachim Riedl, Professor für Marktforschung und Vertrieb | |
an der Hochschule Hof. Erstens steigt die Zahl der Konsument*innen, die | |
Bioprodukte kaufen, seit Jahren langsam, aber kontinuierlich. | |
Zweitens drängen Handelsunternehmen auf den Markt, die sich bisher wenig | |
für Ökologie und Nachhaltigkeit interessiert haben. Der nächste logische | |
Schritt, nachdem große Supermarktketten wie [1][Lidl], Aldi und Kaufland | |
ihr Sortiment bereits um Bioprodukte erweitert haben. | |
## Die Marktlogiken sind am Ende überall gleich | |
[2][Schnappen die großen Ketten] den bisher führenden Biofachmärkten wie | |
denn’s, Alnatura oder Bio Company jetzt Umsätze weg? Die müssten sich | |
kurzfristig keine Sorgen machen, insgesamt wachse der Markt genug, sagt | |
Riedl. „Langfristig, also auf Jahre und Jahrzehnte betrachtet, wird es zu | |
einem Ladensterben kommen, der die Kleinen am Markt betrifft“, ergänzt er. | |
Die Marktlogiken sind am Ende überall gleich. „Der Wahnsinn der | |
traditionellen Einzelhandelsentwicklung wird bei den Biomärkten | |
nachvollzogen“, sagt Ried. Genau wie ab den 1970ern die kleinen | |
Tante-Emma-Läden wegstarben, die durch die großen Filialisten verdrängt | |
wurden, werde es auch den kleineren Bioläden ergehen. | |
Die Anzeichen dafür sind schon da: In den Szene-Bezirken der Großstädte, in | |
der das grüne Milieu lebt, entsteht schon fast ein Überangebot von | |
Biomärkten. Darunter zu leiden haben die traditionellen, kleinen Läden. | |
„Sie müssen sich etwas überlegen, weil ihr Alleinstellungsmerkmal durch die | |
großen Filialisten infrage gestellt wird“, sagt Riedl. Und selbst auf dem | |
Land, wo sich direkt beim Erzeuger einkaufen ließe, entstehen immer mehr | |
Biosupermärkte der etablierten Ketten. | |
Auch an der Naturkind-Filiale in Hamburg zeigt sich, dass die großen | |
Konzerne langfristig planen. Die Filiale ist derzeit noch umgeben von einer | |
einzigen Riesenbaustelle. Entlang der Harkortstraße in Hamburg-Altona, an | |
der der Supermarkt eröffnet hat, entsteht die „Mitte Altona“. Nach der | |
HafenCity ist es das größte Neubauprojekt der Stadt. | |
Wo früher Gleise für den Güterverkehr lagen, entstehen derzeit Dutzende | |
Wohnblocks. Manche sind bereits bezogen, doch noch schwirren täglich | |
Hunderte Handwerker*innen durch das Areal. Zwar entstehen dort auch | |
Sozialwohnungen, der Großteil der Wohnungen ist für Geringverdienende aber | |
unerschwinglich. Heißt für Naturkind: Hier wird bald eine kaufkräftige | |
Nachbarschaft sein, und es gibt noch keine Konkurrenz, die für Preisdruck | |
sorgt. | |
7.000 Produkte hat der Markt zunächst im Angebot, auf fast jeder Verpackung | |
findet sich ein Grünton. Es gibt „Viersaat-Toast“ von Bioland, | |
„handwerklich hergestellt“, kostet 3,05 Euro pro 500 Gramm. Bei der großen | |
„selection box“, in der 45 Bio-Kräuterteebeutel sind, fehlt noch das | |
Preisschild. Auch ein Sodastream steht am anderen Ende des Markts, neben | |
nachhaltigen Plastikstrohhalmen bei den Haushaltswaren, für 99 Euro zum | |
Verkauf. Mittelfristig könnte es bis zu 30 Naturkind-Filialien geben, so | |
Edeka. | |
Dass zunächst kein großer Umsatz gemacht wird, solange die unmittelbare | |
Umgebung noch nicht bewohnt ist, dürfte Edeka erst mal egal sein. | |
„Natürlich haben die großen Filialisten ein ganz anderes Durchhaltevermögen | |
als der kleine Einzelhändler“, sagt Riedl. Von denen dürfte auch kaum | |
jemand die finanziellen Mittel haben, zur Eröffnungsshow extra eine echte | |
Milchkuh in die Großstadt zu karren. | |
14 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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