# taz.de -- Diskussion „Die Macht der Bilder“: Mehr als tausend Worte? | |
> Es braucht eine neue Bildkompetenz – jenseits des bewusstlosen Postens | |
> und Sharens. Darum ging es bei einer Diskussion in Berlin. | |
Bild: Bildpolitik der alten Art: Der Sieger, der in Belgrad zur Renovierung vom… | |
Von den zerstörten Bildern der Pharaonin Hatschepsut 1500 vor unserer | |
Zeitrechnung bis zu dem Video von der Hinrichtung Saddam Husseins: Bilder | |
bargen immer eine politische (Spreng-)Kraft. Von einer Veranstaltung, die | |
diese besondere Wirkung im digitalen Zeitalter zu erklären versucht, hätte | |
man daher mehr als einen Grundkurs in [1][Politischer Ikonologie] erwarten | |
können. | |
Doch der Basler Kunsthistoriker Andreas Beyer bemühte bei einer | |
Podiumsdiskussion der Max-Weber-Stiftung in der Berlin-Brandenburger | |
Akademie der Wissenschaften Anfang des Monats Jacques-Louis-Davids Gemälde | |
„Die Ermordung des Marat“ von 1793 für seine nicht ganz taufrische These | |
vom „Propagandabild“ der Französischen Revolution, die dessen „terreur“ | |
legitimieren und einen Märtyrer adeln sollte. | |
[2][Die Berliner Kunsthistorikerin Charlotte Klonk] erinnerte an das Bild | |
des vermummten palästinensischen Attentäters bei den Olympischen Spielen | |
1972 in München; die Kunsthistorikerin Nausikaä El-Mecky aus Barcelona an | |
das umstrittene Bild „Open Casket“ der US-Malerin Dana Schutz auf der | |
Whitney-Biennale, das 2017 eine der erbittertsten Debatten der jüngsten | |
Kunstgeschichte ausgelöst hatte. | |
Schutz hatte ihr Ölbild dem Foto des 14-Jährigen, schwarzen Teenagers Emmet | |
Till angeschaut, der 1955 in Mississippi von weißen Männern gelyncht worden | |
war. Nur die Wiener Politologin Karin Liebhart brachte etwas frischen Wind | |
in diese Lehrstunde, als sie das Foto von US-Präsident Donald Trump im | |
Speisesaal des Weißen Hauses vor einem riesigen Tisch mit Fast Food als | |
Versuch wertete, das „Gesünder essen“-Narrativ der Obama-Ära mit einem | |
Gegenbild auszulöschen. | |
## Zwischen den Bildern unterscheiden | |
Um der spezifischen politischen Wirkung von Bildern auf die Spur zu kommen, | |
ist es natürlich sinnvoll, zwischen Artefakten und journalistischen | |
Bildern, Zufalls- oder sonstigen Gebrauchsbildern zu unterscheiden, wie es | |
Andreas Beyer forderte. | |
Sein, auf den Alarmismus im Umgang mit Bildern gemünztes Argument aber, | |
dass Bildern nicht viel mehr aufrütteln oder politisch beeinflussen als | |
Texte, Pamphlete wie Literatur, wird nicht nur von neueren Ergebnissen der | |
Neurophysiologie wiederlegt, die Hirnaktivitäten misst, die bei der | |
Betrachtung von Bildern entstehen. | |
Jeder dürfte aber aus eigener Anschauung bestätigen können, dass etwa das | |
legendäre Bild Bundeskanzler Willy Brandts 1970 vor dem Mahnmal des | |
Aufstandes im Warschauer Ghetto, das Bild des zwei Jahre alten Alan Kurdi, | |
einem syrischen Jungens kurdischer Abstammung, der im September 2015 am | |
Strand vor dem türkischen Bodrum tot an den Strand gespült worden war oder | |
jüngst das Foto einer an einer Brücke in Room aufgehängten Puppe, die nach | |
dem Vorbild der Öko-Aktivistin Greta Thunberg gestaltet worden war, | |
emotional wie politisch mehr, und zwar langfristig mehr aufgewühlt hat als | |
lange Traktate zur Ostpolitik, zur Migrationsfrage oder zum Klimawandel. | |
Abgesehen davon, dass bei der Diskussion unklar blieb, ob jedes der von den | |
Diskutanten bemühten Beispiele wirklich „Mehr als 1.000 Worte“ sagte – so | |
lautete der Titel der Runde. Vielleicht hätte sie sich weniger auf die | |
politische Wirkung des einzelnen Bildes fixieren, sondern analysieren | |
sollen, wie sich die Bilder, die schon der von den Geisteswissenschaften | |
ausgerufene „iconic turn“ der 80er Jahre zum Generalmedium | |
gesellschaftlicher Kommunikation promoviert hatte, nun noch weiter | |
verändern. | |
## Wie sich die Bildwelt verändert hat | |
„Bilder sind insofern mächtig“, sagt zum Beispiel die Dresdner | |
Kunsthistorikerin Kerstin Schankweiler, „als sie zu zentralen Knotenpunkten | |
in einem potenziell globalen Netzwerk von Beziehungen werden“. Angesichts | |
der bildgestützten Proteste von Amateurfilmern im Netz – vom Tahrir-Platz | |
in Kairo 2011 bis zu dem Video der Chemnitzer Demonstration vom August 2018 | |
– spricht die Forscherin vom „Ende des Zeitalters der Bildikonen“. | |
Sie unterstellt ihnen sogar ein „Eigenleben“, das sie „losgelöst von jen… | |
Personen entfalten, die sie einst gepostet haben“. Bilder seien heute „nur | |
noch im Verhältnis zueinander wahrnehmbar und organisierbar“. | |
Stimmt Schankweilers These von diesen, immer autonomeren „Bilderschwärmen“ | |
würden die Bilder langsam wirklich zu den „Akteuren“ des Politischen, nach | |
denen der Titel der Berliner Diskussion fragte. Die ironische Frage des | |
Moderators Peter Richter, Kunstkritiker der Süddeutschen Zeitung, ob man | |
für diese tendenziell gefährlichen Instrumente nicht einen Waffenschein | |
bräuchte, ist gar nicht so abwegig. Vor allem braucht es eine neue | |
Bildkompetenz jenseits des bewusstlosen Postens und Sharens. | |
25 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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