| # taz.de -- Neuerscheinung zur Kunsttheorie: Jenseits von Beuys | |
| > „The Art of Direct Action“: Karen van den Berg registriert in ihrem | |
| > kunsttheoretischen Sammelband neue Formen politischer Kunst. | |
| Bild: Verkleinerter Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals nahe dem Haus des A… | |
| Vierundzwanzig graue Betonsäulen. Björn Höcke dürfte nicht schlecht | |
| gestaunt haben, als er im November 2017 vor sein Haus im thüringischen | |
| Bornhagen trat. Um gegen seinen Ausspruch, das Berliner Holocaust-Mahnmal | |
| sei ein „Denkmal der Schande“, zu protestieren, hatte [1][das Berliner | |
| Zentrum für Politische Schönheit] dem AfD-Politiker demonstrativ sein | |
| persönliches Erinnerungsmal vor die Tür gestellt. | |
| Die Aktion der umstrittenen Gruppe gilt als einer der Höhepunkte der | |
| neueren politischen Aktionskunst. So erfolgreich sie medial gewesen sein | |
| mag, so sehr hat sie die öffentliche Haltung zu dieser Kunstform gespalten. | |
| Seitdem gibt es entweder Befürworter oder Ablehner. | |
| Es gehört zu den Vorzügen des Buches „The Art of Direct Action“, die bin�… | |
| Struktur des Diskursfeldes „Politisch engagierte Kunst“ aufzulösen. Denn | |
| [2][Karen van den Berg], der Herausgeberin des Bands und Kunstprofessorin | |
| an der Friedrichshafener Zeppelin-Universität, geht es nicht in erster | |
| Linie um das politische Für und Wider solcher Aktionen. | |
| Die Wissenschaftlerin verspricht sich mehr davon, diese neuen Formen, in | |
| denen sich Kunst und Politik mischen, kategorisch zu ordnen. Es ist in der | |
| Tat fruchtbarer, Aktionen des „Zentrums“, aber auch solche von | |
| Künstler*innen wie Ai Weiwei, der Kubanerin Tania Bruguera oder dem | |
| Berliner Architektenkollektiv raumlabor unter dem Rubrum einer | |
| fundamentalen „Wende von der Repräsentation zur Aktion“ zu diskutieren und | |
| nicht immer nur unter moralischen Vorzeichen. | |
| Den klassischen ästhetischen Werten, die die Kunst und das Kunstsystem | |
| bislang definierten, sollten, so analysiert van den Berg diesen | |
| ästhetischen Gezeitenwechsel, „politische Werte“ gleichberechtigt an die | |
| Seite gestellt werden. | |
| Hinter der Abkehr von der Spectator Art oder Zuschauerkunst, also der | |
| Kunst, die über die Interaktion zwischen Betrachter und Objekt | |
| funktioniert, hin zu einer „Ästhetik der Aktion und des sozialen Designs“ | |
| sieht sie – analog zu dem „linguistic“, „iconic“ oder „performative… | |
| den die Geisteswissenschaften in den letzten 25 Jahren ausgerufen haben – | |
| einen „social turn“. | |
| Van den Bergs Thesen klingen spektakulär. Ganz neu sind sie freilich nicht. | |
| Sonst hätte sie nicht Joseph Beuys zum Dreh- und Angelpunkt des Bandes | |
| gemacht. Ganz ungeschoren kommt sie mit ihrer Idee, den Guru der „sozialen | |
| Skulptur“ zum geistigen und praktischen Ahnherrn der neuen Politkunst zu | |
| machen, freilich nicht davon. | |
| Nicht nur, weil die Künstler und Initiativen, die sie zum Abgleich ihrer | |
| Thesen interviewt, sich zu diesem Stichwort höchst diffus äußern. Die | |
| Skepsis ist auch grundsätzlicher. Der New Yorker Künstler Gregory Sholette | |
| und van der Bergs Friedrichshafener Kollege, der deutsche Philosoph Philipp | |
| Kleinmichel, arbeiten ziemlich plausibel heraus, wie kompatibel die | |
| Beuys’sche Idee, das kreative Potenzial jedes Menschen zu wecken, mit den | |
| Bedürfnissen des neoliberalen Paradigmas ist, wie ihn Eve Chiapello und Luc | |
| Boltanski in ihrem 2005 erschienenen Band „Der Geist des Kapitalismus“ | |
| analysiert haben. | |
| ## In den USA existiert kein Beuys Erbe | |
| Die Distanz zu Beuys zeigt auch das Beispiel USA. Dort gibt es zwar | |
| unzählige Initiativen künstlerisch inspirierter „social practice“ vom | |
| Nachbarschaftstreff bis zur Alternativschule. Der kalifornische Künstler | |
| Daniel Joseph Martinez ist dennoch der Ansicht, in den USA existiere „no | |
| Beuys legacy“. | |
| Die meisten Initiativen, die ähnlich wie der Meister des Büros für direkte | |
| Demokratie agierten, vermöchten jedoch kaum über den Tellerrand ihrer | |
| jeweiligen Community hinauszuschauen, während Beuys immer die ganze | |
| Gesellschaft, ja den Kosmos im Blick gehabt habe. Die New Yorker | |
| Kunsthistorikerin Cara Jorden schließlich zeichnet in einem | |
| aufschlussreichen Essay die Reserve der feministischen US-Künstlerinnen | |
| nach. | |
| Karen van den Berg zeichnet aus, wie sie die Grenzen ihres Feldes zu | |
| transzendieren trachtet. Schon [3][in ihrem 2013 erschienenen Band] „Art | |
| Production beyond the Art Market“ hat sie Bedingungen und Möglichkeiten | |
| einer „Kunst jenseits des Markts“ hilfreich konkret analysiert, die so oft | |
| bloß rituell beschworen wird. | |
| In ihrem neuen Buch ist es aber Philipp Kleinmichel, der die entscheidende | |
| Definition für den Umgang mit und die Perspektiven der politisch | |
| engagierten Kunst liefert. Für ihn verläuft die Grenze zwischen Kunst und | |
| Politik nämlich da, wo bei einem Projekt oder einer Aktion ein „Surplus an | |
| Bedeutung und symbolischem Wert“ aufscheint. | |
| Misst man den Bornhagener Coup an diesem Kriterium, wird schnell klar, dass | |
| sie den Weg zu dem „Beyond“ noch nicht gewiesen hat, das der Band erneut | |
| anvisiert. | |
| 27 Dec 2019 | |
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| Ingo Arend | |
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