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# taz.de -- IG-Metall-Vorstand zu Industrie-Zukunft: „Zwei Seelen in unserer …
> Hans-Jürgen Urban Urban ist gerade im Amt bestätigt worden. Im Interview
> spricht er über Fridays for Future und Angst vor dem Jobverlust.
Bild: Ist der Job dieses Stahlarbeiters wegen Klimaschutz bedroht?
taz: Herr Urban, für den 29. November haben die Fridays for Future ihren
nächsten globalen Aktionstag angekündigt. Wird die IG Metall auch dazu
aufrufen?
Hans-Jürgen Urban: Das werden wir diskutieren. Wir haben große Sympathie
für diese Bewegung. Deshalb haben wir es begrüßt, dass so viele unserer
Mitglieder an den Demonstrationen am 20. September teilgenommen haben.
Jetzt absolvieren wir erst mal unseren Gewerkschaftstag und dann werden wir
das miteinander besprechen.
Welche Bedeutung hat die Klimakrise für die IG Metall?
Sie hat für uns eine doppelte Bedeutung. Zum einen sind wir wie jede andere
Erdenbewohnerin und jeder andere Erdenbewohner auch darauf angewiesen, eine
lebenswerte, ja eine lebensfähige Natur zu erhalten. Aber die Klimakrise
stellt für uns zugleich eine riesige soziale Aufgabe dar. Wir sind die
Interessenvertretung der Beschäftigten in der industriellen Wertschöpfung,
deren Arbeitsplätze, Einkommen und soziale Perspektiven direkt bedroht
sind. Und diese Kolleginnen und Kollegen erwarten von ihrer Organisation,
dass sie mit ihnen gemeinsam für eine soziale Perspektive in der
Transformation kämpft. Und darauf haben sie auch ein Recht. Insofern sind
wir doppelt gefordert: als Teil der Umweltbewegung und als Stimme der
sozialen Interessen der Betroffenen.
Woher kommt der Sinneswandel? [1][Auf dem letzten Gewerkschaftstag vor vier
Jahren] spielte das Thema noch keinerlei Rolle, obwohl es um das Klima auch
schon damals nicht gut bestellt war.
Ich glaube, dass sich in der Gesellschaft insgesamt ein Bewusstseinswandel
vollzogen hat. Daran haben sicherlich die heißen Sommer und geringen
Niederschläge der vergangenen Jahre beigetragen. Daran haben vor allem aber
auch soziale Bewegungen wie Fridays for Future ihren Anteil. Und das ist
gut so. Wir als IG Metall sind, wie andere Organisationen und Parteien
auch, Teil einer Öffentlichkeit, die dieses Problem heute vielleicht
stärker wahrnimmt als in der Vergangenheit.
[2][Einerseits bekennt sich die IG Metall „uneingeschränkt“], wie sie
betont, zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens. Andererseits bejubeln
ihre Betriebsräte jeden Produktionsstart eines neuen SUV-Modells und der
Erste Vorsitzende Jörg Hofmann wettert hier in Nürnberg gegen „Autostürmer…
und „Ökopopulisten“. Wie passt das zusammen?
Hier wettert niemand, aber klar ist doch: Produktion bedeutet
Beschäftigung. Gleichzeitig wissen die Kolleginnen und Kollegen auch, dass
eine Entwicklung, die vor allem darauf setzt, immer größere, immer
schwerere Autos zu bauen und die womöglich vor allem oder gar
ausschließlich auf Verbrennungsmotoren setzt, nicht die Lösung sein kann.
Aber kein Zweifel, wir stecken hier in einem Dilemma, es wohnen in der Tat
zwei Seelen in unserer Brust. Die IG Metall ist Interessenvertretung ihrer
Mitglieder und sie unterstützt die ökologische Bewegung. Da sind Spannungen
kaum zu vermeiden. Aber wir wollen unsere besondere historische Aufgabe
annehmen, beides zusammenzudenken und entsprechend Politik zu machen. Das
zeigen auch die Debatten auf unserem Gewerkschaftstag.
Im Zentrum des Gewerkschaftstags steht die Forderung nach einer sozialen,
ökologischen und gerechten Transformation. Was hat man sich darunter
konkret vorzustellen?
Dazu gehört erstens, dass man die Klimaziele akzeptiert. Und zweitens, dass
die Klimapolitik keine sozialen Opfer produziert, sondern alle Menschen
mitnimmt. Drittens gehört dazu eine enorme gesellschaftliche
Kraftanstrengung. Vor allem in Form öffentlicher Investitionen, die für die
Expansion der Elektromobilität unverzichtbar sind. Eine sozial-ökologische
Transformation kann nur als gesellschaftliches Projekt gelingen.
Und welche Rolle spielt dabei die IG Metall?
Die IG Metall definiert sich als aktiver Teil eines solchen Projekts. Aber
wir erwarten, dass andere mitziehen. Auch die Unternehmen. Und hier läuft
einiges schief. Viele Vorstände nutzen die Gunst der Stunde,
Restrukturierungsmaßnahmen voranzutreiben; nicht etwa, um Produktion und
Produkte umweltverträglicher zu machen, sondern um überspannte Renditen
aufrechtzuerhalten. Rationalisierung, Arbeitsplatzabbau und Verlagerungen
unter der Überschrift „ökologischer Wandel“. Ein Etikettenschwindel ganz
eigener Art. Das verschärft die Situation, das gießt Benzin ins Feuer. Da
müssen und da werden wir gegenhalten.
In Ihrem neuen Buch schreiben Sie von Ihrer Hoffnung auf eine
„Mosaik-Linke“, die mit Blick auf die Erfordernisse einer ökosozialen
Transformation eine „historische Notwendigkeit“ sei. Was verstehen Sie
unter einer solchen Linken?
Die Idee der Mosaik-Linken meint im Grunde etwas Einfaches: Kapitalistische
Umbrüche auf einen sozialökologischen Entwicklungspfad zu bringen, ist ein
machtbasiertes, komplexes Unterfangen mit vielen Dimensionen. Deswegen sage
ich: Die Kernressource einer Mosaik-Linken ist – neben der Bereitschaft,
auch über die Grenzen der kapitalistischen Ökonomie hinauszudenken –
Toleranz im Umgang mit unterschiedlichen Erwartungen und der Verzicht auf
die in der Linken so beliebten wechselseitigen Überforderungen. Nur so kann
die gesellschaftliche Gegenmacht zustande kommen, die eine
sozialökologische Transformation braucht.
Was erwarten Sie sich davon?
Wirtschaftliche, soziale, ökologische, politische und auch kulturelle
Fragen greifen ineinander. Kein gesellschaftlicher oder politischer Akteur
besitzt in jeder Dimension die gleiche Kompetenz oder sollte den Anspruch
erheben, alle Fragen beantworten zu können. Was wir brauchen, sind Akteure,
die sich zusammenschließen, ihre spezifischen Kompetenzen, ihre
spezifischen Erfahrungen mitbringen und so den komplexen Problemlagen
angemessene Strategien entgegensetzen. Das klingt nicht nur kompliziert,
das ist auch einfacher gesagt als getan. Denn die Akteure, die hier
zusammenkommen müssen, kommen aus unterschiedlichen Zusammenhängen und
bringen unterschiedliche Kulturen mit. Sie müssen lernen, kritisch zu
diskutieren und sich auszuhalten.
Aber ist das realistisch? Ein solch konstruktiver Umgang miteinander
gelingt nicht einmal in der Linkspartei, und die ist ja auch schon nur ein
Teil der gesamten Linken.
Nun ja, gegenwärtig scheinen viele der gesellschaftlichen Steine dieses
Mosaiks in alte Identitäten zurückzufallen. Die Gefahr ist groß, dass sich
die Gräben eher vertiefen. Aber es hilft nichts. Der Handlungsdruck ist so
hoch, dass wir immer wieder neu Anlauf nehmen müssen. Ich habe keinen
Zweifel daran, dass in der Idee einer linken Reformstrategie, die die
ökologische und die soziale Frage zusammendenkt, die also zugleich auf eine
intakte Umwelt und auf soziale Gerechtigkeit setzt, genug Potenzial steckt,
die notwendige gesellschaftliche Bewegung zusammenzubringen. Ich sehe
jedenfalls keine sinnvolle Alternative dazu. Allerdings müssen wir uns
beeilen. Wenn es nicht gelingt, den Menschen die Zukunftsängste zu nehmen,
dürfte die Gesellschaft weiter nach rechts kippen. Und das wäre
katastrophal.
Verhält es sich mit der ökologischen Frage nicht ähnlich wie mit dem
traditionellen Bekenntnis der IG Metall zum Antimilitarismus? Da werden auf
jedem Gewerkschaftstag hübsche Beschlüsse gefasst, aber konkrete
Aktivitäten zur Konversion der Rüstungsindustrie sind nicht wahrnehmbar,
weil sie Arbeitsplätze kosten könnten.
Das ist so nicht richtig. Viele Kolleginnen und Kollegen diskutieren sehr
intensiv über Wege einer Konversion. Aber das Ganze findet nun mal in einer
kapitalistischen, profitdominierten Ökonomie statt. Wir stoßen auf starke
Widerstände, weil natürlich Friedensprodukte, ihre Entwicklung, Vermarktung
und so weiter nicht so schnell profitabel sind wie die eingeführte
Rüstungsproduktion. Es mangelt in der Regel nicht am Willen der Kolleginnen
und Kollegen, über nichtmilitärische Güter nachzudenken, sondern das
entscheidende Hindernis sind die Renditeorientierungen der Unternehmen und
die Schwierigkeiten, mit zivilen Produkten an kapitalistischen Märkten
überleben zu können. Und ja, an diesen Problemen beißt man sich schnell die
Zähne aus.
Sie gelten als Vordenker Ihrer Gewerkschaft. Aber kommen Sie sich nicht
manchmal eher wie die Gesine Schwan der IG Metall vor, also so eine Art
Vorsitzender der Grundwertekommission, dessen Reden man gerne Beifall
spendet, weil sie das Gefühl vermitteln, einer höheren Sache zu dienen, um
den man sich aber wenig schert, wenn es praktisch wird?
Also, Gesine Schwan ist eine ehrenwerte Mitstreiterin. Gott sei Dank
arbeite ich mit der IG Metall in einer Organisation, in der viele vordenken
und in der viele sich an der Formulierung unserer Politik beteiligen. Ich
bringe meine Expertise und mein politisches Engagement ein und denke, dass
es nicht für die Katz ist. Aber wir sind eine demokratische und vor allem
eine streitbare Organisation. Da mischen viele mit. Und das ist auch gut
so. Selbst der klügste Kopf wäre in der Welt von heute nicht in der Lage,
alleine die richtige Strategie zu formulieren.
10 Oct 2019
## LINKS
[1] /Angela-Merkel-bei-der-IG-Metall/!5241299
[2] /Gewerkschaftstag-der-IG-Metall/!5628727
## AUTOREN
Pascal Beucker
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