# taz.de -- Gewerkschaftstag der IG Metall: Spagat mit neuem alten Vorstand | |
> Gewerkschaftsboss Jörg Hofmann kassierte bei seiner Wiederwahl am | |
> Dienstag eine schwere Klatsche. „Das hat mich getroffen“, sagt er jetzt. | |
Bild: DGB-Chef Jörg Hofmann (2. v. l.) auf dem Nürnberger Gewerkschaftstag | |
Nürnberg taz | Nachdem er die Nacht darüber geschlafen hatte, ging ein | |
nachdenklicher Jörg Hofmann am Mittwochmorgen ans Redepult des | |
Gewerkschaftstags der IG Metall in Nürnberg. „Das ist im wörtlichen Sinn | |
schon ein Denkzettel für mich“, kommentierte der Erste Vorsitzende die | |
schwere Klatsche, die er bei seiner Wiederwahl am Vortag erhalten hatte. | |
„Und ich sage deutlich, dass mich das getroffen hat.“ Denn das Ergebnis der | |
Wahl sei unerwartet gekommen. | |
Er sei eine IG Metall gewohnt, in der Meinungsverschiedenheiten „mit | |
offenem Visier“ ausgetragen würden, und nicht „dass man das über ein Kreuz | |
auf dem Stimmzettel austrägt“, so Hofmann. Doch jetzt gelte für ihn: | |
„Hintern zusammengekniffen, Kreuz gerade, Kopf nach oben.“ | |
Als sich am Ende von seinen persönlichen Worten die rund 480 Delegierten | |
von ihren Sitzen erhoben, um ihrem alten und neuen Vorsitzenden zuzujubeln, | |
waren darunter auch jene, die ihm am Dienstag die Stimme verweigert hatten. | |
Nur 320 Ja- gegen 131 Nein-Stimmen bei 25 Enthaltungen – das war | |
tatsächlich ein Paukenschlag gewesen, mit dem niemand gerechnet hatte. Denn | |
es war keine organisierte Opposition, die Hofmann von einer Zustimmung von | |
über 91 Prozent vor vier Jahren jetzt auf weniger als 71 Prozent hat | |
abstürzen lassen. | |
Einer der wenigen Delegierten, die vor der Wahl offen Stellung bezogen | |
hatten, ist der Berliner Günter Triebe: „Mit allem Respekt, Jörg, aber wir | |
haben doch alle gemeinsam gegen die Rente mit 67 gekämpft“, sagte er in der | |
Aussprache am Montag. Doch nun trete Hofmann mit fast 64 Jahren erneut für | |
vier Jahre an. „Unsere Glaubwürdigkeit stärkt das nicht“, sagte Triebe | |
unter Beifall. | |
## Kritik am Führungsstil | |
Wer sich unter den Delegierten umhört, bekommt allerdings sehr | |
unterschiedliche Motive für ihre jeweilige Wahlentscheidung genannt. Kritik | |
am Führungsstil Hofmanns ist ebenso darunter wie der Unmut, dass die IG | |
Metall die 35-Stunden-Woche im Osten immer noch nicht hat durchsetzen | |
können. Dass sich dann so viele Nein-Stimmen zusammenfanden, lässt sich | |
trotzdem wohl als unbeabsichtigter Betriebsunfall verbuchen. | |
Mit dem schwachen Wahlergebnis für Hofmann hat die Gewerkschaft genau das | |
erreicht, was sie eigentlich unbedingt vermeiden wollte. „Was haben wir | |
falsch gemacht, als wir in der Einschätzung, dass die IG Metall in einer | |
solch herausfordernden Zeit keine lähmenden Personaldebatten braucht, einen | |
gemeinsamen Personalvorschlag entwickelt haben, der auf Kontinuität | |
setzt?“, fragte Jörg Hofmann am Mittwoch in den Saal. | |
Grundsätzlich finden die Delegierten daran offenkundig nichts falsch. Das | |
zeigen die Ergebnisse für die restlichen Wiedergewählten: Die Zweite | |
Vorsitzende Christiane Benner ging mit 87,3 Prozent der Stimmen durchs | |
Ziel, Hauptkassierer Jürgen Kerner mit 94,7 Prozent. Der geschäftsführende | |
Vorstand Hans-Jürgen Urban holte sogar rekordverdächtige 98,3 Prozent. | |
## Umbruch trifft auch die Gewerkschaft | |
Ihnen steht eine schwierige Amtsperiode bevor. Zwar steht die IG Metall auf | |
den ersten Blick gut da. Mit knapp 2,3 Millionen Mitgliedern ist sie nach | |
wie vor die größte Einzelgewerkschaft Europas. Ihre Beitragseinnahmen | |
werden in diesem Jahr voraussichtlich auf 598 Millionen Euro steigen. | |
Andererseits befindet sich die Arbeitswelt aufgrund der Digitalisierung und | |
der Klimakrise in einem radikalen Umbruchprozess – und zwar gerade dort, wo | |
die Mitglieder der IG Metall beschäftigt sind. Die Angst vor dem Verlust | |
des Arbeitsplatz ist insbesondere in der Stahl- und Automobilindustrie | |
groß. „Die Transformation trifft Branchen und Betriebe, wo die IG Metall | |
besonders mitgliederstark ist, besonders kräftig mit einem erwartbaren und | |
heute schon erkennbaren Beschäftigungsabbau“, konstatierte Hofmann in | |
seinem „Zukunftsreferat“ am Mittwoch. | |
Was ist die Antwort der IG Metall auf solch düsteren Aussichten? [1][Sie | |
fordert], dass diese Transformation „sozial, ökologisch und demokratisch“ | |
gestaltet wird. „Wir wissen: Nicht jedes Geschäftsmodell, nicht jede | |
Technologie und nicht jeder Arbeitsplatz wird in der neuen Zeit einer | |
dekarbonisierten, digitalisierten Industrie bestehen bleiben“, heißt es in | |
einem am Mittwoch einstimmig verabschiedeten Manifest. Die IG Metall kämpfe | |
für den Schutz und die Hilfe der Beschäftigten – und nicht für den Schutz | |
eines jeden Arbeitsplatzes in seiner heutigen Gestalt. | |
## „Uneingeschränkt“ für den Klimaschutz | |
Praktisch versucht die Gewerkschaft einen Spagat: Einerseits will sie | |
gerade in Sachen Klimaschutz nicht als Bremserin erscheinen und sucht das | |
Gespräch mit den Umweltverbänden als auch mit Fridays for Future. | |
Ausdrücklich bekennt sie sich zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens – | |
und zwar „uneingeschränkt“. Andererseits beklagt Hofmann „eine | |
Radikalisierung der Klimaschutzdebatte, die sich in Ökopopulismus mit einer | |
pauschalen Industriekritik und Autohass äußert“. | |
Einerseits spricht sich der Gewerkschaftschef für „den konsequenten Umbau | |
unserer Gesellschaft zu einem umweltfreundlichen und CO2-freien | |
Wirtschaften und Leben“ aus. Andererseits spricht er sich gegen eine | |
CO2-Bepreisung im Verkehr und beim Wohnen aus. Auch beschwert er sich | |
darüber, dass der Emmissionshandel die Stahlindustrie mit | |
Milliardenbeträgen belaste. Hofmann hält am Verbrennungsmotor, egal ob er | |
mit Benzin oder Diesel betrieben, unverdrossen als „Brückentechnologie“ | |
fest. Gleichzeitig steht für in fest: „Klar muss aber auch sein: Der | |
Technologiewechsel zu neuen Antriebsformen kommt.“ | |
Hofmanns Credo lautet: „Der Kampf gegen die Erderwärmung lässt sich nicht | |
mit sozialer Kälte in diesem Land durchsetzen.“ Das zumindest dürfte auf | |
die Zustimmung aller Delegierten des Gewerkschaftstages stoßen. | |
10 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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