| # taz.de -- Gewerkschaftstag der IG Metall: Transformation und Absicherung | |
| > Und plötzlich tut sich doch etwas in der Klimapolitik. Die IG Metall will | |
| > Millionen Beschäftigte in eine CO2-neutrale Zukunft mitnehmen. | |
| Bild: Die Zukunft leuchtet rot – zumindest bei VW. In einem Raum zur Herstell… | |
| Berlin taz | Ein Thema wird die Diskussionen auf dem Gewerkschaftstag der | |
| IG Metall in der nächsten Woche in Nürnberg bestimmen: Die Transformation | |
| und „Dekarbonisierung“ der Metallindustrie und ihrer wichtigsten Branche, | |
| der Autoindustrie. | |
| Die mit rund 2,3 Millionen Mitgliedern größte Gewerkschaft Deutschlands und | |
| der Welt hat sich festgelegt: Sie setzt sich eindeutig für die Einhaltung | |
| der [1][Klimaschutzbeschlüsse] von 2015 und 2017 ein. Aber sie sieht auch, | |
| dass es eine gigantische Aufgabe ist, die bedeutendste Branche des | |
| Exportmodells Deutschland so umzugestalten, dass die Beschäftigten – allein | |
| rund 800.000 in der Autoindustrie und noch einmal so viele in der | |
| überwiegend mittelständisch geprägten Zulieferindustrie – dabei nicht unter | |
| die Räder kommen. | |
| Wie wichtig es ist, den arbeitenden Menschen in der Transformation soziale | |
| und materielle Sicherheit zu verschaffen, unterstreicht der Leiter der | |
| Grundsatzabteilung in der Frankfurter IGM-Zentrale, Uwe Meinhardt, mit | |
| einem Hinweis – einem bedenklichen allerdings. Vor den Werkstoren stünden | |
| schon heute [2][die rechtsradikalen Klimaleugner von der AfD], um die | |
| Verunsicherung der Beschäftigten durch Digitalisierung, Globalisierung und | |
| Klimawandel für sich zu nutzen, so Meinhardt. | |
| Dem will sich die IG Metall entgegenstellen: „Wer, wenn nicht wir“, sagte | |
| IG-Metall-Chef Jörg Hofmann im Interview mit dem Freitag, könne in dieser | |
| Situation die sozialen Interessen der Beschäftigten gegenüber Unternehmen | |
| und Politik durchsetzen. | |
| ## Langjährige Erfahrung | |
| In der IG Metall gibt es tatsächlich eine langjährige | |
| Organisationserfahrung für die Gestaltung von industriellen Krisen- und | |
| Transformationsprozessen. In der Weltwirtschaftskrise von 2008/2009 brachen | |
| bei den Herstellern von Nutzfahrzeugen – einem industriellen Segment, das | |
| als Frühindikator für die gesamte Industrieproduktion gilt – im November | |
| 2008 von einer Woche zur nächsten die Bestellungen ein. | |
| Plötzlich gab es für die rund 6.000 Arbeiter in den Montagehallen von ZF in | |
| Friedrichshafen am Bodensee kaum noch Arbeit. Im Dezember wurde die | |
| Produktion tageweise eingestellt und im Februar 2009 Kurzarbeit angesetzt: | |
| nur noch zwei statt drei Schichten, und das an vier Wochentagen. Und in der | |
| ersten Jahreshälfte haben Teile der Belegschaft nur noch an vier Tagen im | |
| Monat gearbeitet. | |
| In dieser Situation setzte ein aktiver Betriebsrat gemeinsam mit der | |
| örtlichen IG-Metall-Verwaltungsstelle durch: keine Entlassungen. | |
| Stattdessen wurde die Kurzarbeit durch ein innerbetriebliches | |
| Solidarprojekt ergänzt. Alle Beschäftigten, auch das Management und die | |
| nicht betroffenen Angestellten brachten den finanziellen Gegenwert von 15 | |
| Gleitzeitstunden in einen neu geschaffenen Beschäftigungssicherungsfonds | |
| ein, aus dem das Kurzarbeitergeld für die betroffenen Arbeiter aufgestockt | |
| wurde. Außerdem konnten Stipendien an Kurzarbeiter vergeben werden, die | |
| ihre arbeitsfreie Zeit zur Berufsfortbildung nutzten. | |
| Ähnliche Projekte gab es auch anderswo. Sie trugen dazu bei, dass es vor | |
| zehn Jahren keine Massenentlassungen in Deutschland gegeben hat. Aber heute | |
| geht es nicht mehr um die kurzfristige Überbrückung von Wirtschaftskrisen. | |
| Der Klimawandel, die Digitalisierung, der nach wie vor drohende | |
| Zusammenbruch des spekulativen Finanzsektors mit seinen unabsehbaren | |
| wirtschaftlichen und sozialen Folgen – all diese Probleme sind langfristig | |
| und werden Wirtschaft und Gesellschaft, Arbeitswelt und Sozialstaatlichkeit | |
| grundlegend umwälzen. Kann die IG Metall auch mit diesen neuartigen | |
| Herausforderungen umgehen? Sie gibt sich zumindest große Mühe, diesen | |
| Eindruck zu erwecken. | |
| ## Kapitalismus verkehrt | |
| So wird die IG Metall auf ihrem Kongress die Forderung stellen, die bislang | |
| geltenden Regelungen zur Kurzarbeit zu einem | |
| „Transformationskurzarbeitergeld“ zu erweitern. Damit sollen Entlassungen | |
| vermieden und Qualifizierungsprozesse innerhalb weiterbestehender | |
| Arbeitsverhältnisse systematisch gefördert werden. | |
| Gleichzeitig arbeitet die IG Metall daran, ihre Einflussmöglichkeiten in | |
| den Unternehmen systematisch zu erweitern. Wie das funktionieren kann, gibt | |
| es Beispiele. Mit Druck, Streiks und Straßenprotesten einerseits und | |
| alternativen, zukunftsträchtigen Unternehmenskonzepten andererseits wurde | |
| die vom Siemens-Management betriebene Schließung des Standorts Görlitz | |
| verhindert. Die Arbeitsplätze wurden gerettet. In den großen Autokonzernen | |
| machten Betriebsräte zusammen mit gewerkschaftlichen | |
| Aufsichtsratsmitgliedern Druck für eine beschleunigte Umstellung auf | |
| Elektromobilität und den Aufbau konzerneigener Batterieherstellung. | |
| Die Ressorts Strategie, Betriebs- und Industriepolitik in der Frankfurter | |
| IGM-Hauptverwaltung wurden systematisch ausgebaut. Branchentrends und | |
| Investitionsverhalten der Konzerne werden analysiert. Die | |
| gewerkschaftlichen Aufsichtsräte werden durch externe Rechtsanwälte, | |
| Investmentbanker und Produktionsfachleute beraten und sind oft besser | |
| informiert als die Arbeitgeberseite. Sie präsentieren zukunftsträchtige | |
| Geschäftsmodelle gegenüber dem bisher üblichen einfallslosem Personalabbau. | |
| Systematisch versucht die IG Metall, im Interesse der Beschäftigten den Fuß | |
| in die Tür zu einem verbotenen Terrain zu bekommen – in die | |
| Investitionspolitik der Unternehmen. Verwundert stellte das manager magazin | |
| in einem ausführlichen Bericht über die aktive Industriepolitik der IG | |
| Metall fest: „So war das nie gedacht – Kapitalismus verkehrt.“ | |
| ## Politik und Unternehmen vor sich hertreiben | |
| Der IG Metall kommt dabei auch zugute, dass sie schon früher mit den | |
| beteiligten Belegschaften über notwendige Transformationsprozesse | |
| diskutiert hat: So war die Konversion der Rüstungsindustrie in Richtung | |
| ziviler Produkte ein wichtiger, wenn auch letztlich erfolgloser Bestandteil | |
| der organisationspolitischen Zukunftsdebatte in den 1980er Jahren. | |
| Folgenreicher waren die Diskussionen über die damals aktuellen | |
| Rationalisierungsprozesse, über Gruppenarbeit und Humanisierung eng | |
| getakteter Fließbandarbeit, über Arbeitsumverteilung und | |
| Arbeitszeitgestaltung. | |
| Heute kann die klimapolitisch unabdingbare industrielle Transformation der | |
| Metallindustrie mit Millionen Beschäftigten und ihren in den vergangenen | |
| Jahrzehnten erkämpften Lohnstandards nur von Politik, Unternehmen und | |
| Gewerkschaften gemeinsam bewältigt werden. | |
| Das gilt auch für die Digitalisierung der Produktionsprozesse, die unter | |
| dem Stichwort Industrie 4.0 von Wissenschaftlern, Ökonomen und Ingenieuren | |
| heiß diskutiert und in den Unternehmen schrittweise eingeführt wird. Auch | |
| hier stehen Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel, auch hier sehen sich die | |
| IG Metall und ihre Betriebsräte gefordert, die Interessen der Beschäftigten | |
| in den anstehenden Veränderungsprozessen zu vertreten. Auch hier rücken | |
| Themen wie Arbeitszeitverkürzung, Arbeitszeitgestaltung und Qualifizierung | |
| auf der Prioritätenskala der IG Metall und damit auch ihrem Kongress ganz | |
| nach oben. | |
| ## Konflikt wo nötig | |
| Die Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Arbeitslebens soll aus der | |
| unternehmerischen Verfügungsgewalt befreit und als individuelles Recht der | |
| arbeitenden Menschen gegenüber ihrem Arbeitgeber durchgesetzt werden – und | |
| das in sozial abgesicherter Form. Erste Arbeitszeitregelungen mit | |
| individuell wahrnehmbaren Freistellungsmöglichkeiten für Fortbildung und | |
| Familientätigkeiten hat die IG Metall bereits erstritten: Im Tarifabschluss | |
| von Februar 2018 wurde den Beschäftigten freigestellt, ob sie lieber mehr | |
| Geld oder mehr Freizeit haben wollten. Im Herbst teilte die Gewerkschaft | |
| mit: 180.000 Beschäftigte wollten lieber acht zusätzliche Tage frei haben. | |
| Im Vorwort zu einem Debattenpapier für den kommenden Gewerkschaftstag | |
| schrieb der IG-Metall-Vorsitzende Hofmann, angesichts der anstehenden | |
| Umbrüche werde die Gewerkschaft für Gerechtigkeit und gesellschaftlichen | |
| Zusammenhalt eintreten und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten aktiv | |
| gestalten: „wo nötig, auch im Konflikt mit den Arbeitgeberinnen und | |
| Arbeitgebern“. | |
| 5 Oct 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Verdi-Bundeskongress-in-Leipzig/!5630487 | |
| [2] /AfD-Luegen-zur-Erderwaermung/!5625415 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Kempe | |
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| Frank Werneke | |
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