# taz.de -- Sizilien in Dauerwirtschaftskrise: Selbst für die Mafia unattraktiv | |
> Sizilien leidet seit Jahren unter einer Wirtschaftskrise. Jeder zweite | |
> Jugendliche auf der süditalienischen Insel ist arbeitslos, viele ziehen | |
> weg. | |
Bild: Vulkan Ätna lockt zwar viele Touristen nach Sizilien. Der Wirtschaft geh… | |
PALERMO taz | „Vendesi“ – zu verkaufen. Wer durch die verwinkelten Straß… | |
kleiner und größerer Orte auf Sizilien läuft, wird überall handgemalte | |
Zettel und Schilder mit dieser Offerte entdecken. Manche der Häuser werden | |
für 1 Euro angeboten. Die Insel – mit einer Fläche von 25.000 | |
Quadratkilometern größte Region Italiens – steckt in einer ihrer größten | |
wirtschaftlichen Krisen. | |
Auf den ersten Blick ist das kaum zu erkennen. Die Menschen auf den Straßen | |
sind freundlich, manche ausgelassen, die Insel wirkt aufgeräumt und | |
friedlich. In Lascari, einer verschlafenen Kleinstadt im Norden der Insel, | |
sitzen die Alten jeden Tag auf der Piazza am Fuße der San Michele Arcangelo | |
Kirche. Sie trinken Kaffee, essen Eis, rauchen. Alles wie immer auf | |
Sizilien. Aber doch ist etwas entschieden anders. | |
Es fehlt das Scheppern der Motorroller. Wenn in Italien die Sonne | |
untergeht, schwingen sich vor allem junge Männer und Frauen auf ihre Roller | |
und knattern durch die Straßen. Der Motorroller gehört zur italienischen | |
Alltagskultur wie Pasta aglio Olio und Gianduja-Eis. Eine Umweltsünde, | |
gewiss, mit der jetzt offensichtlich Schluss zu sein scheint. Aber nicht | |
aus der Überzeugung heraus, dass die Roller die Luft verpesten und das | |
Klima schädigen. Nein, Sizilien und insbesondere die Jugend auf der Insel | |
sind mittlerweile so arm, dass selbst das Spritgeld für die beliebte | |
Freizeittätigkeit fehlt. | |
Jeder fünfte Erwerbsfähige auf Sizilien ist dem europäischen Portal zur | |
beruflichen Mobilität „Eures“ zufolge arbeitslos. Jede und jeder zweite ist | |
arm oder von Armut bedroht, etwa 500.000 Familien leben in relativer Armut. | |
[1][Seit Jahren gilt die Insel als „Griechenland Italiens“.] Einer der | |
wichtigsten Wirtschaftsfaktoren ist weiterhin der Tourismus. Im vergangenen | |
Jahr reisten allein über 12 Millionen Deutsche nach Italien. | |
## Es ist kaum Geld da | |
Sizilien und Sardinien machen etwa drei Viertel der 9.000 Kilometer langen | |
Küste des südeuropäischen Landes aus. Die Tourist*innen kommen, trotz oder | |
obwohl, Sehenswürdigkeit mehr und mehr verfallen. Es ist schlicht kaum Geld | |
da, sie zu sanieren und zu restaurieren. In Palermo, Siziliens Hauptstadt, | |
ist in den vergangenen zwanzig Jahren zwar viel passiert, es wurde gebaut, | |
restauriert. Und doch sind einst mondäne Bauten dem Verfall preisgegeben. | |
Die Piazza Bologni – der gesamte Platz in der Nähe der berühmten | |
Maria-Kathedrale, dämmert seit Jahren vor sich hin. | |
Sizilien ist trotz des stark ausgebauten Dienstleistungssektors nach wie | |
vor landwirtschaftlich geprägt. Drei Viertel des Inselterritoriums werden | |
landwirtschaftlich genutzt, etwa 11 Prozent der Bevölkerung arbeiten in der | |
Landwirtschaft. Zum Vergleich: Auf dem italienischen Festland sind laut | |
Eurostat, dem Statistikamt der EU, nicht einmal 4 Prozent der Menschen in | |
der Landwirtschaft beschäftigt. Ihr Verdienst ist gering, die meisten von | |
ihnen leben unter dem Existenzminimum. | |
## Jeder zweite Jugendliche ist arbeitslos | |
Das Bruttosozialprodukt Siziliens ist laut Eurostat nur etwa halb so hoch | |
wie das Norditaliens. Jeder zweite Jugendliche auf der Insel ist | |
arbeitslos, Sizilianer*innen verfügen nur über 61 Prozent der üblichen | |
durchschnittlichen Kaufkraft in Europa. Beim Index der menschlichen | |
Entwicklung belegt Sizilien den letzten Platz der 20 Regionen Italiens. Er | |
berechnet sich aus Komponenten wie Lebenserwartung, Bildung, Dauer des | |
Schulbesuchs, Einkommen. | |
Der jungen Frau, die jeden Abend hinter dem Tresen in der fast immer leeren | |
Bar in Gratteri steht, wünscht man, sie möge bald von hier weggehen. | |
Gratteri ist ein kleines Bergstädtchen mit nicht einmal 1.000 | |
Einwohner*innen. Ideal für Urlauber – dramatisch für die Jugend. Es gibt | |
kaum Infrastruktur und nahezu keine Zukunftsperspektiven für junge | |
Menschen. Die meisten der Einwohner sind im Rentenalter, der Weg in die | |
nächste Stadt ist weit. | |
Um dort hinzukommen, braucht man ein Auto oder einen Motorroller. Im Ort | |
gibt es diese Bar, einen Lebensmittelladen, einen Bäcker, einen Fleischer, | |
eine Grundschule. Und viele Häuser mit Schildern, auf denen „vendesi“ | |
steht. | |
9 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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